Konzert am Meer

[139] (Eine Erinnerung an Sylt)


Und Wagner wühlte das Meer auf.

Da türmte das göttlich empörte

der Brandung Bänke

zu schäumenden Mauern

und brach sie

in langen, brünstigen Donnern

weithin auf den Strand.

So stoßen tausend Hengste zugleich

den Dampf durch die schrecklich geblähte Nüster.


Und ich, der schwache, eintagige Mensch,

stand davor,

mit fliegenden Gliedern,

und meine Hände

öffneten sich gegen das Meer,

als wollten sie's versteinern,

dies dionysische Schauspiel,

dieses königliche Wogen-Sterben,

diese morituri te salutant, Wagner!

te salutant, Mensch!


Und da reckt' ich mich auf.

Und da lag mein Auge

löwenfunkelnd

über dem sterbenden Meer.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 139-140.
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