2.

[16] Die Sprache, als Offenbarung der ganzen menschlichen Individualität, hat ohne Zweifel auch großen Antheil an unsern Gedanken und deren Bildung. Darüber hat schon Wilhelm von Humboldt in seiner Abhandlung »über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluß auf die Ideenentwickelung«1 einzelne treffende Andeutungen gegeben, und besonders hervorgehoben, daß der Geist auch von der Sprache empfängt. Die Sprache ist daher ebenso sehr Inhalt wie Mittel, und auf der vollendetsten Einheit und Verschmelzung beider beruht die Vollkommenheit aller Darstellung. Darstellung ist Bildung, und hat, wie diese, einestheils ein überliefertes und lehrbares, anderntheils[17] ein productives Element an sich, deren eigenthümliche Verbindung Sache des Talents ist. Dem im Volksgeist arbeitenden Talent muß überhaupt überlassen bleiben, das Verhältniß von Sprache und Gedanke nach seiner freien Art zu organisiren, denn jede absichtliche und künstliche Ausbildung einer Sprache, abgetrennt von der geistigen Production, ist erfolglos für dieselbe. Der im Allgemeinen richtige Satz Humboldts: »daß nur die grammatisch gebildeten Sprachen vollkommene Angemessenheit zur Ideenentwickelung besitzen« (a.a.O. S. 427.), er leidet die vielfältigste Nüancirung in der Anwendung und der Geschichte der Sprachen. Grammatische Bildung einer Sprache ist überhaupt etwas sehr Relatives und einzeln schwer zu Fassendes, denn man gebe den Eskimo's eine Sprachakademie, welche ihnen die Sprache nach Gesetzen gliederte und ordnete, und man hätte vergeblich zu warten, ob eine Eskimo-Literatur danach entstände, wenn auch das grammatische Kunststück noch so glücklich gelingen sollte.

Die Entwickelung der Sprachen ist vielmehr die, daß sie den grammatischen Naturzustand abstreifen[18] und sich zu vergeistigen trachten. Eine gebildete Sprache heißt am Ende die für den weitesten Gedankeninhalt am meisten aufnahmefähige, und sie kann das Paradies ihrer schönsten leiblichen Formenbildung längst verloren haben. Was wir im vorigen Abschnitt von der deutschen Sprache bemerkten, daß die höchste Stufe ihrer geistigen Entwickelung gerade mit ihrem grammatischen Verfall zusammentrifft, hat Jacob Grimm2 noch allgemeiner zu der Behauptung ausgedehnt: daß die Bildung des menschlichen Geschlechts mit der Vollendung seiner Sprache in einem reinen Gegensatz stehe, und, je mehr von der allgemeinen Cultur des menschlichen Geistes in die Sprache übergehe, die letztere desto mehr an der Größe und Originalität ihrer eigensten grammatischen Natur verliere. Indeß darf man es, glaube ich, mit solchem Verlust nicht allzu genau nehmen, da der Ersatz ihm hinlänglich die Wagschale hält, und es[19] mit dem grammatischen Paradies ohne Zweifel dieselbe Bewandtniß hat, wie mit dem Unschuldszustande der Menschheit. Man beklagt ihn häufig, aber man vermißt ihn selten. Unsere Sprache hat allerdings außerordentliche Vortheile der Flexion, eine ganze volltönende Musik runder und ausgeschriebener Formen, eine ganze Plastik schwellender und von sinnlichem Leben strotzender Wortfiguren eingebüßt, die uns aus dem Gothischen und Althochdeutschen wie Riesen der Vorzeit entgegentreten. Grimm sagt sehr schön: »Man kann die innere Stärke der alten Sprache mit dem scharfen Gesicht, Gehör, Geruch der Wilden, ja unserer Hirten und Jäger, die einfach in der Natur leben, vergleichen. Dafür werden die Verstandesbegriffe der neueren Sprache zunehmend klarer und deutlicher. Die Poesie vergeht, und die Prosa (nicht die gemeine, sondern die geistige) wird uns angemessener.«

Die Poesie der Sprache ist die noch unentfärbte Bildlichkeit, welche auf der Naturstufe an ihr blüht. In dieser Zeit giebt es überhaupt noch keine Prosa, weil jedes Wort schon durch seine Wurzel und Zusammensetzung einen poetischen Eindruck[20] erregt, weil jede Bezeichnung ein Versuch zu dichten ist. Die Sprache wendet sich dann erst den gedankenschwereren und dem bloßen Inhalt dienenden Verknüpfungen der Prosa mit Kunst und Erfolg zu, nachdem die bildliche Bedeutung, die am Worte haftet und dabei verweilen macht, abgeblüht ist. Dann werden die Wörter für sich selbst nicht mehr empfunden, sie stehen mehr oder weniger als wesenlose Zeichen da und haben ihr Leben nur in dem allgemeinen Inhalt des Gedankens, zu dessen Chiffrirung sie zusammengestellt sind. Wer denkt noch bei dem Worte Kind (chint, von der Wurzel chin, keimen) daran, daß er etwas Metaphorisches: das Gekeimte, Erblühte, damit ausspricht? Andere Ausdrücke, die besonders durch ihre Zusammensetzung poetische Metaphern machen, z.B. halsstarrig, widerspänstig, und unzählige ähnliche, sind ebenfalls in dem Sinne prosaisch oder vielmehr vergeistigt geworden, daß sie nur den Gedanken ausdrücken, ihr bildliches Gepräge aber sich gänzlich für uns verwischt hat; während noch Leibnitz das Bildliche solcher Wörter, wie einfließen, ausfließen, abhängen, haften, so lebhaft[21] zu empfinden schien, daß er ihren Gebrauch, als für den philosophischen Stil zu tropisch, selbst in lateinischer Rede den Scholastikern zum Vorwurf machte und für Affectation anrechnete3. In der neuesten Zeit hat vornehmlich Graff bei Gelegenheit seines Althochdeutschen Sprachschatzes auf das bildliche Element der deutschen Wörter zurückgewiesen, denn bildlich muß man fast immer den Eindruck nennen, den man durch die Auseinanderlegungen der Etymologie empfängt. Aber dieser Sprachforscher, der damit seinem großartigen Werke ohne Zweifel nur eine populaire Seite der Nutzbarkeit nachweisen wollte, hat eine zu starke Wichtigkeit darauf gelegt, daß wir wieder in die ursprüngliche Bedeutung unserer Wörter zurückversetzt würden. Im Grunde werden wir doch für das Leben und die Production wenig damit anzufangen wissen, wenn es uns auch immer gegenwärtig bleibt, daß Kind von der alten Wurzel chin, daß Leichnam, aus lih, Körper, und ham, Bedeckung,[22] Hülle, das fleischliche, leibliche Kleid bedeutet, daß Getraide in seiner alten Form gitragidi lautend, die Wurzel tragan, tragen, hat4 u.s.w. Das unbestreitbare Interesse hiebei ist das der wissenschaftlichen Forschung selbst, aber den Wörtern kann dadurch nicht, wie Graff begeistert träumt, »ihre Seele wieder zugeführt«, noch »unserer zu einer todten Zeichenmasse erstarrten Sprache die Frische ihrer jugendlichen Lebensfülle, die Kraft des lebendigen Eindrucks« von neuem zurückgegeben werden. Dies beruht vielmehr auf einer unrichtigen oder widergeschichtlichen Ansicht. Die Wörter können auf gebildeter Culturstufe des Geschlechts allerdings nur als Zeichen- und Mimenspiel des Gedankens gelten. Die sinnliche Malerei tritt aus dem einzelnen Wort in die Bedeutung des ganzen Satzes über, der solche Eindrücke, wenn sie in der Intention liegen, darstellbar zu machen hat, und in dieser Periode erst gliedert sich eine Sprache am freiesten in kunstvolle Darstellung, vornehmlich in[23] das dialektische Satzgefüge der Prosa. Wenn die Entwickelungsgeschichte die Quellen der Sprache verschüttet, so muß sie ihren guten Grund dazu haben, und die gelehrten Wiederaufgrabungen müssen, bei allen ruhmwürdigen Erfolgen, doch auf den verzichten, am Leben selbst etwas durch ihre Resultate zu ändern. Ist die Bedeutsamkeit des Wortes untergegangen, so beginnt dafür die Bedeutsamkeit des Satzes. Bei allem etymologischen Gedächtniß, das uns doch am Ende mehr peinigen als begeistern möchte, würde es schlechterdings unmöglich fallen, uns redend und gedankenmittheilend bei der ursprünglichen Bedeutung der Wörter aufzuhalten, sollten auch die sinnreichsten Beziehungen dabei ins Spiel treten können. Niemand verdaut nach einem Handbuch der Physiologie, oder ist, wenn er sie auch noch so genau kennt, der Organe in dem Augenblick sich bewußt, wo er sie zur besten Vollbringung dieses Prozesses anwendet. So wird auch die organische Selbständigkeit der Wörter ignorirt, und kein etymologischer Geisterbeschwörer vermag ihnen die selbsteigne Seele zurückzugeben,[24] die sie an das Allgemeine des Satzes verloren haben.5

Die Sprache einem grammatischen Ideal zuzuführen, oder, wie es bei uns der Fall wäre, zu ihm zurückzuführen, ist immer ein um so mißlicheres Beginnen, da, wie wir angedeutet haben, der productive geistige Fortgang des Menschengeschlechts[25] dabei in Conflict tritt. Das Institut der Akademieen, das man auch als gesetzgebende Versammlung für die Sprache vielfältig aufzubieten geneigt war, könnte nur dann erst solche Wirksamkeit einigermaßen behaupten, wenn es auch den sich fortbewegenden Inhalt einer Nation zu beherrschen und an bestimmte Gesetze zu binden vermöchte. Der Verlust der sinnlichen Lebensstärke einer Sprache ist aber nichts als die Uebergewalt des Gedankens, der sich seiner ursprünglichen Einheit mit der Sprache insofern wieder bemächtigt, als er dieselbe ganz in den Inhalt aufgehen macht und in die geistigen Combinationen desselben untertaucht. An die Stelle des grammatischen Sprachinteresses tritt das Interesse der Darstellung.

Man hat in neuester Zeit die Frage der Akademieen wieder angeregt, vornehmlich zur Einwirkung auf vollendete prosaische Darstellung, deren zeitgemäße Bedeutsamkeit wenigstens damit ausgesprochen worden ist. Ausgezeichnete Männer in hoher und bevorzugter Stellung sind kürzlich mit Ideen umgegangen, durch welche die laufende deutsche Literatur in dieser Weise einen Mittelpunkt ihrer wichtigsten Interessen finden sollte. Auf die[26] Würdigung solcher Pläne einzugehn, ist noch nicht vergönnt, da sie sich für uns entweder in politische Combinationen verlieren, oder als etwas noch nicht fertig Gedachtes der Zukunft überlassen bleiben müssen. Praktisch angelegen läßt es sich aber schon, wie wir hören, ein Buchhändler in Leipzig sein, der ein »akademisches Wörterbuch der deutschen Sprache« herausgeben will, unter der Redaction einer ziemlich beträchtlichen Anzahl von Gelehrten, die unter sich gewissermaßen eine Akademie vorstellen und über einen festzusetzenden Canon unserer Sprache sich vereinigen sollen.

Die bestimmteste Sprachgesetzgebung ließ Muhamed ausgehen. Er verbot durch ein Landesgesetz, daß sich Niemand erdreisten solle, besser zu schreiben als er, der vom Geiste Gottes getrieben sei, und von dieser Zeit an verblühte und verkam die arabische Sprache.6 Diesem verderblichen Erfolg muhamedanischer Akademie stehen bei den uns näher angehenden Versuchen wenigstens keine positiven und günstigen Resultate gegenüber, bei allem[27] Eifer, mit dem man sich oft nach Autoritäten und Baumschulen für das wilde Wachsen der deutschen Sprache umgesehen. Leibnitz, der selbst das Einsammeln der Sprache in solchen Arzeneigläsern, wie das Dictionnaire der französischen Akademie, billigte und empfahl, scheint auch für Deutschland an eine Einwirkung der Akademieen auf die Sprache gedacht zu haben, wie aus mehreren Stellen in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« hervorgeht.7 Welche Art von Fragen er jedoch besonders solcher akademischen Entscheidung zu unterbreiten scheint, zeigt sich vielleicht in folgender Stelle (a.a.O. S. 48. §. 108.), wo Leibnitz einen »seltsamen Fall« berührt: »Sonst sind wohl einige Zweiffel bei uns vorhanden, darüber gantze Länder von einander unterschieden und Canzeleyen selbst gegen Canzeleyen streiten, als zum Exempel, was für Geschlechts das Wort Urtheil sei? Im Reiche beym Reichs-Hoff-Rath, beym Reichs-Kammer-Gerichte und sonst ist Urtheil [28] weiblichen Geschlechts und saget man die Urtheil; Hingegen in denen Obersächsischen Gerichten spricht man das Urtheil. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern auch die größte Zahl vor sich. Das Urtheil aber berufft sich auff den Sprachgrund oder Analogie. Dann weil Theil nicht weiblichen Geschlechtes und ehe gesagt wird das Theil als die Theil (in singulari), so sollte man meynen, es müßte auch ehe das Urtheil als die Urtheil heißen; doch der Gebrauch ist der Meister. Non nostrum inter vos tantas componere lites. Ich überlasse es künfftiger Anstalt mit vielen andern dergleichen Fragen, wel che endlich ohne Gefahr etwas warten und auff die lange Bank geschoben werden können.« – Wie wenig aber Leibnitz selbst von dem Einfluß einer solchen Akademie auf die wirkliche productive Fortbildung der Sprache halten mochte, geht aus einer gleich darauf folgenden Stelle hervor: »Nun wäre noch übrig, vom Glantz und Zierde der Teutschen Sprache zu reden, will mich aber damit anietzo nicht auffhalten, dann wann es weder an bequemen Orten noch tüchtigen Redens-Arten fehlet, kommt es auff den Geist und Verstand des Verfassers an, um die[29] Worte wohl zu wehlen und füglich zu setzen. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits wohl angeschrieben und durch einen glücklichen Trieb der Natur den andern das Eiß gebrochen, so würde nicht allein nöthig sein ihre Schrifften hervorzuziehen und zur Nachfolge vorzustellen, sondern auch zu vermehren, die Bücher der alten und auch wohl einiger neuen Haupt-Autoren in gutes Teutsch zu bringen und allerhand schöne und nützliche Materien wohl auszuarbeiten.«

Die abenteuerlichen Sprachgesellschaften, welche sich im siebzehnten Jahrhundert nach Vorbild der italienischen Akademieen bildeten, hatten auf die deutsche Sprache fast gar keinen Einfluß, und bewiesen durch sich ebenfalls, daß nur die lebenzeugende Production im Stande sei, denselben zu gewinnen. Von Deutschlands Akademieen selbst wurde sogar die ausländernde Heimathlosigkeit der deutschen Zunge eher begünstigt als widersprochen, und wie sehr gewiß Leibnitz als Gründer einer Akademie vorzugsweise ein Charakterbild deutscher Wissenschaft vor Augen hatte, so wurde es doch gerade bei der berlinischen Akademie anfängliches Gesetz, die Abhandlungen in französischer Sprache zu[30] schreiben und vorzulesen. Klopstock ließ deshalb in seiner »Gelehrtenrepublik« durch die Aldermänner derselben die »berliner und Mannheimer Akademisten« in Anklagestand versetzen, weil sie nicht in deutscher Sprache schrieben8, wie er es denn überhaupt in seinem hochherzigen Eifer für die Sprache des Thuiskon, mit welchem er auch in den Grammatischen Gesprächen gegen alle Ausländerei heftige Fehde begann, zum ersten Gesetz der deutschen Gelehrtenrepublik machte: »wer in lateinischer Sprache schreibt oder in einer neuen ausländischen, wird so lange Landes verwiesen, bis er etwas in unserer Sprache herausgiebt« – »selbst Leibnitz, wenn er wieder käme.«

Wenn man die deutsche Literatur und ihre sich selbst überlassene Darstellung aus den Studirstuben, einsamen Poetensteigen, Vetter-Michel-Soiréen und Salonsverabredungen plötzlich aufgerufen und versammelt denkt zu einem Mittelpunkt öffentlicher Repräsentation, so wäre immer noch das Schwierigste übrig, zu bestimmen, wo die beabsichtigte Wirksamkeit anfangen und wieder aufhören solle.[31]

Als Klopstock seine Telyn, die »tönt zu dem Fluge des deutschen Liedes«, singensmüde bei Seite gelegt, glaubte er, mit allem königlichen Purpur jenes altherrlichen deutschen Dichterruhms behangen, nun auch als Gesetzgeber und Verfassungsordner des Parnasses auftreten zu müssen, und die Ankündigungen seiner Gelehrtenrepublik ließen nichts Geringeres erwarten, als die Präliminarien zu einer Art von gesetzmäßigem Verein der deutschen Schriftsteller, zur Wahrung ihrer innern und äußern Interessen, ihrer Sprache und aller ihrer Verhältnisse. Man subscribirte und pränumerirte an allen Orten und Enden des Vaterlandes, und niemals hat vielleicht wieder die deutsche Nationalbegeisterung so viel Geld unterzeichnet, als für Klopstock, der, wie man wußte, es mit eigner Dichterhand einnehmen würde. Da erschien jenes starre und frostige Buch, an dem nur das strengeinfache, scharfgeschnittene und hartgediegene Granitgerölle der Prosa bemerkenswerth, aber Wenigen einleuchtend war, dessen Inhalt jedoch, kaum auf zwanzig Seiten hintereinander ohne Erfrieren lesbar, durch seine abschreckende Pedanterie, durch seine halb ironisch angefärbte Altmeistermiene, Alles zerstörte, was man[32] sich für Gedanken und Hoffnungen von einer deutschen Gelehrtenrepublik gemacht hatte. Das Thema wurde auf längere Zeit anrüchig, man dachte mit Schauder der steifleinenen klopstockschen Aldermänner, so oft wieder die Rede auf akademische Niedersetzung literarischer Commissionen kam, und Klopstock ließ den zweiten Theil der Gelehrtenrepublik, die eine so allgemeine Erkältung gegen ihn hervorgerufen, nicht erscheinen. Niemals hat ein einzelnes Buch einem berühmten Autor mehr geschadet, als dies, das sein wirkungsreichstes hätte werden können.

Auch unter Wielands Käppchen regten sich einmal die Ideen einer deutschen Akademie. Wenigstens sprach er das Bedürfniß aus, der Verwirrung deutscher Schreibarten durch irgend eine Autorität ein Ziel zu setzen, durch irgend ein »gemeinschaftliches Panier«, wie er es nannte, unter das die Schriftsteller aus ihrem gesetzlosen Zustande, in dem jeder thun könne, was ihm beliebe, zu einer festen und gegenseitig bedingenden Gemeinsamkeit gerufen würden. Näheres darüber hat er nicht aufgestellt. Andere einzelne Pläne, die ebenfalls entweder unentwickelt oder erfolglos geblieben, können[33] wir ohne Erwähnung lassen, um endlich die Frage schärfer anzusehen, welche ausführbare Aufgabe in Sprache und Darstellung irgend einer akademischen Beaufsichtigung der Literatur wirklich übrig bleiben möchte.

Auf der einen Seite handelt es sich dabei um das Verhältniß des Staats zur Literatur, auf der andern um das Verhältniß der Literatur zu sich selbst. Wenn wir das rein Literarische im Auge behalten, so sind alle Formen und Gattungen der Production immer nur durch sich selbst bestimmbar. Die Literaturgeschichte empfängt zwar historische und politische Einflüsse, und gestaltet oder mißgestaltet sich danach, aber sie läßt sich niemals nach bestimmten Absichten verbessern. Dem Geist einer Literatur ist nicht aufzuhelfen, weil der literarische Inhalt nur von sich selbst Nahrung und Werdelust entnehmen kann.

Dann hat man aber noch immer einen großen und wünschenswerthen Spielraum akademischer Beaufsichtigung und Gesetzgebung für das literarische Material übrig gesehen, und mit vielem Recht! Viele streitige und unentschiedene Fälle der deutschen Grammatik, besonders aber die hinundherschwankende[34] Rathlosigkeit unserer Orthographie, schienen längst nach einem obersten Gerichtshof zu verlangen, der ihre Sache durch einen unwiderruflichen Ausspruch abschlösse. Indeß, wenn man es näher ins Auge faßt, würde auch von dieser Seite eine Akademie wenig freie Bewegung haben. Einmal entspricht die Orthographie keiner modernen Sprache ihrem Begriffe, und die deutsche insofern noch am meisten, als sie im Allgemeinen dem Grundsatz einer einfachen Abschreibung der Laute folgt, während z.B. im Französischen und Englischen die Wortschreibung eine von dem Wortlaut völlig verschiedene Figur bildet. Die Barbarei der deutschen Orthographie beruht aber theils in dem unschönen Auswuchs der Consonantenhäufungen, theils auch im Widerspruch mit der etymologischen Geschichte des Wortes. Durch diesen Augiasstall unserer Rechtschreibung, der mehr als dreitausend schmutzige Rinder beherbergt, einen reinigenden Strom zu leiten, möchte keiner akademischen Wasserkunst ohne die größte Gewaltsamkeit möglich werden. Eine überlieferte Orthographie, mit allem ihrem Recht und Unrecht, uns gänzlich umzugestalten, würde uns gewissermaßen von unserer bisherigen[35] Literaturgeschichte abschneiden, wie schon Grimm bemerkt, daß die eingewurzelten Mißbräuche unserer Schreibung bereits einen zu großen Einfluß auf den Reim der Dichter und die wirkliche Aussprache geübt, um nicht jede zu Hülfe kommende Abänderung bedenklich zu finden. (Deutsche Grammatik, 2. Ausg. S. XVIII.) Einzelne Ausführungen, in neuester Zeit namentlich von Radlof, der auch ein neues Interpunctionssystem aufstellte, haben nur zu buntscheckigen Abenteuerlichkeiten geführt.

Wir beschließen unsere Seitenblicke auf die Wirksamkeit der Akademieen vorläufig unter den günstigsten Gesichtspunkten, unter denen sie August Boeckh in seiner trefflichen Rede über Leib nitz und die deutschen Akademieen als »die Gesellschaft der Meister« bezeichnet, und wünschen sie in diesem Sinne nach allen Richtungen hin wahrhaft förderlich: »Wie eine Encyclopädie aller Wissenschaften und wieder jedes besondren Hauptfaches nöthig ist, so bedarf das wissenschaftliche Leben einer umfassenden Gesellschaft der Meister, damit die einzelnen Glieder in lebendigem Zusammenhange bleiben; denn nur wenigen Geistern ist es[36] vergönnt, wie Leibnitz den ganzen Körper des menschlichen Erkennens zu tragen und zu beherrschen. Sodann fördert zwar, wie man täglich hört, auch in der Wissenschaft die Theilung der Arbeit, welche auch Leibnitz beabsichtigte; aber je größer die Theilung wird, (und sie beginnt fast bedenklich groß zu werden), desto nothwendiger ist den einzelnen Arbeitern gemeinsame Berathung und die vielseitigste Berührung, damit sie nicht über ihren Besonderheiten das Allgemeine und Ganze aus den Augen verlieren. In auserwählter Gemeinschaft mißt der Meister sich am Meister; sie hält einen Spiegel der Selbsterkenntniß vor, daß auch der Größte, sich nicht überschätzend, stets das Bewußtsein gegenwärtig habe, sein Wissen sei nur ein beschränkter Theil des gelehrten Volksvermögens. Tiefe Blicke und Erfindungen sind allerdings die Frucht einsam geheimer Empfängniß des Geistes; aber auch die äußersten wissenschaftlichen Verirrungen werden in der Abgeschiedenheit ausgebrütet, und sind niemals von wissenschaftlichen Gesellschaften ausgegangen. Gemeinsamkeit der Studien vermindert und heilt den Irrthum; und in dieser Gemeinsamkeit der Meister liegt gerade das Akademische.[37] Ganz besonders aber sind die Akademieen auf jene Dinge angewiesen, welche, wie Leibnitz sagt, nicht von einem Einzelnen ausgeführt werden können; sei es, daß verschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten dazu erfordert werden, oder die Sammlung des Stoffes und die Beschaffung der Hülfsmittel, selbst durch Reisen, wie sie Leibnitz selber auch wieder unternahm, die Kräfte Einzelner übersteigt; oder der Bearbeitung des Gegenstandes die Muße eines Einzigen nicht gewachsen ist: und gerade heutzutage bedürfen große und kostspielige Unternehmungen um so mehr der Unterstützung, jemehr die Literatur in unendlichen Kleinhandeln sich zersplittert.« – –

Man kann es nicht als wahrscheinlich annehmen, daß sich noch einmal eine ähnliche Bewegung und Umwälzung in unserer Sprache hervorbringen ließe, wie sie durch Luthers Bibelübersetzung geschah, in der das Hochdeutsche sich zuerst als ein entschiedenes geschichtliches Moment herausstellte und zum Canon für die weitere Fortbildung der modernen deutschen Sprache wurde. Denkt man sich aber, daß derselbe Sprachfortschritt, den Luther productiv gestaltete und unwiderstehlich ins Leben überführte, immerhin mit gleichumfassender Bedeutsamkeit und[38] noch gelehrterem Bewußtsein in einem akademischen Canon und Dictionnaire der Nation überliefert worden wäre, so muß man behaupten, es würde alsdann diese ganze sprachliche Bewegung eindruckslos und vergeblich geblieben sein. Haben doch auch die besten Handbücher des deutschen Stils, und alle gesetzgebenden Theorieen für die Darstellung, noch niemals einen einzigen guten Stilistiker herangelehrt.

Ideal aller Sprache und Darstellung ist bloß der Gedanke. Von dem richtigen Verhältniß des Gedankens zu seiner Darstellung, wovon zugleich das Maaß aller zu gebrauchenden Kunstvortheile und der Schönheit selbst abhängt, ließe sich am allerersten ein akademischer Canon aufstellen. Wenigstens ist eine Philosophie des Stils denkbar und zu versuchen, welche, der genialen Willkür der Production allen Spielraum übrig lassend, das allgemein Nothwendige, auf dem jede treffende und das Leben erschöpfende Darstellung beruhen muß, zum Bewußtsein brächte. –

Fußnoten

1 in den Abhandlungen der berliner Akademie der Wissenschaften 1822–23.


2 in der Einleitung zur ersten Ausgabe seiner deutschen Grammatik (s. besonders S. XXVII fg.), die leider in den folgenden Auflagen fortgeblieben.


3 in seiner Abhandlung de stilo philosophico p. 51. (Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens, Tom VI.)


4 Graff's Althochdeutscher Sprachschatz, Bd. I. S. III. IV fg.


5 Leibnitz sagt sehr treffend in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« etc. §. 5 u. 6: – »Gleichwie man in großen Handelsstädten, auch im Spiel und sonsten, nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zeddel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet; also thut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge, zumahl wenn er viel zu dencken hat, daß er nehmlich Zeichen dafür brauchet, damit er nicht nöthig habe, die Sache jedesmahl, so oft sie vorkommt, von neuem zu bedencken. – Und gleichwie ein Rechenmeister, der keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er nicht zugleich bedächte, und gleichsam an den Fingern abzählte, wie man die Uhr zählet, nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: Also wenn man im Reden und auch selbst im Gedanken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildniß von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen müssen, auch den Lauff der Gedanken nothwendig hemmen, und also im Reden und Dencken nicht weit kommen.«


6 Nach Michaelis; vgl. auch Radlof, teutschkundliche Forschungen II 256.


7 Vgl. besonders S. 19. und am Schluß S. 51. (§. 114.) in der Ausgabe: Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens, (Genev 1768.) Tom III. Pars. II.


8 Die deutsche Gelehrtenrepublik. Frankfurt und Leipzig 1774. S. 366.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 39.
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