1.

[147] Die Bibel und die Canzlei sind die beiden hauptsächlichsten Lebensquellen deutscher Sprache und Darstellung, die Ausgangspuncte ihrer Geschichte, die leitenden Sterne, die bei ihrer Geburt geleuchtet haben. Das religiöse Element der deutschen Nation bildete am meisten auch ihre Sprache, und von der Bibelübersetzung des Ulphilas bis zu der Luther's, in welcher sich die verworrene Völkerwanderung deutscher Mundarten zuerst in ein festes und einheitliches Bett ergoß, hat das Christenthum vorzugsweise unsere Sprache und Literatur in Bewegung gesetzt. Die Reichsverhandlungen und die Landesgesetze halfen zuerst die Sprache des wirklichen Lebens heranbilden. So entstand jene Mischung von wichtighuendem, gründlich auseinandersetzenden Canzleiton und körniger, erbaulicher,[147] patriarchalischer Bibelsprache, die so lange der Charakter und Ausdruck des deutschen Lebens war, ebenso wichtig für die Gestaltung der ersten Prosa, worin sich diese Elemente vornehmlich abzeichneten, als für die Entwickelung der Sprache und ihrer Formen überhaupt.

Das Verhältniß der deutschen Sprache zur Kirche, welches ihre erste Bildungsstufe im carolingisch-fränkischen Zeitalter ist, wurde jedoch durch eine mächtige Nebenbuhlerin, die lateinische, theils an einer ganz originellen Entfaltung gehindert, theils mit fremden Stoffen durch sie gefärbt. Die griechische Grazie und Wortschönheit des silbernen Codex, aus dem vierten Jahrhundert, ging, unter Karl dem Großen, in latinisirende Wendungen und Nachahmungen über, und Karl selbst, als er statt des Schwertes die Feder nahm, machte in seinen deutschen Schriften und Uebersetzungen unsere Sprache zur Sclavin lateinischer Constructionen. Alle Eigenheiten derselben, die lateinische Wortfolge, die Partizipien, die Auslassung der Artikel und Hülfswörter, selbst die Flexion der Endungen, wurden mit ängstlicher Beflissenheit[148] nachgebildet.1 Rom's gebrochene Weltherrschaft bemächtigte sich doch noch mit unabweislichem Einfluß der ersten Keime einer neuen Stammsprache, und impfte sich begierig in die Natur derselben ein, während sie im Dunkel der deutschen Klöster, wo sich die antike Gelehrsamkeit festsetzte, noch gefährlichere Intriguen gegen die Entwickelung der modernen Ursprache spann. Die Geistlichen suchten die deutsche Sprache, die von ihnen nur eine lingua agrestis genannt wurde, in Verachtung zu bringen und zu erhalten, und Karl der Große, der eine deutsche Grammatik schrieb oder schreiben wollte, that doch nichts für die ausschließliche Aufnahme der deutschen Sprache in den öffentlichen Gottesdienst.2 Das lateinische Element hatte sich aber zu tief in die christliche Kirche eingeätzt[149] und mit dem Aberglauben und der Unwissenheit des Volkes, das seine Andacht in unverstandenen Lauten mystisch und schwül befriedigte, zugleich die Macht der Pfaffen befestigt.

Das lateinische Muster, das unserer Sprache in dieser frühen Periode aufgedrückt wurde, brachte ihr jedoch auch manchen Vortheil, weckte die schlummernden Fähigkeiten ihrer Biegung und Wandelung, und ließ ihre unendliche Elastizität schon damals hervortreten. Jede Sprache nimmt in der Weichheit ihres Kindesalters die Eindrücke einer andern, bereits gebildeten, die zugleich im Zenith der herrschenden Weltanschauung steht, mit offenem Sinne an, und was sie sich auf diesem Wege zueignet und in ihr Fleisch und Blut verwandelt, gehört ihr unbestritten wie ein Theil ihrer selbst. Die ersten Sprachversuche der Völker entbehren aller bestimmten Wortfolge, die Gedanken fügen sich noch mit dem Vertrauen, durch die sinnliche Gebärde ergänzt zu werden, elliptisch und ohne alle grammatische Verknüpfung aneinander. Diejenigen geistigen Elemente, an denen sich dann zuerst das Bewußtsein bildet, bestimmen auch die Grammatik der Sprache,[150] und so tönten aus der Sprache des Ulphilas ebenso deutlich griechische Laute, Wendungen und Wortfügungen wider, als zur Zeit Karls des Großen, wo die Mönchsbildung der herrschende Typus der Cultur wurde, die lateinischen Einflüsse sich verriethen. Diese älteste Gestalt unserer Sprache weist daher alle Vortheile der antiken Constructionen an sich auf, die Wortfolge ist ebenso elastisch und beweglich, als die griechische und römische, das Pronomen kann dem Hauptwort nachgestellt, das Adjectivum vom Substantivum durch Einschiebsel getrennt werden, der Artikel konnte ausbleiben, das Zeitwort stellte sich mit volltönendem und abrundenden Laut meistentheils an das Ende des Satzes, und die nachschleppenden Hülfszeitwörter waren unbekannt: lauter Begünstigungen der Darstellung, welche die folgenden Jahrhunderte der Sprache wieder entrissen. Die Uebersetzung des Isidorischen Tractats de nativitate Domini, Kero's Verdeutschung der Regel des H. Benedict, Otfried's gereimtes Evangelienbuch, Notker's Uebersetzung der Psalmen, und Willeram's hohes Lied wirkten am bedeutendsten auf die Ausarbeitung dieses frühesten Sprachcharakters.[151] Einige Wörter und Redensarten, namentlich aus dem achten und neunten Jahrhundert, mögen als Farbenspectrum der damaligen Diction dienen: Oblatz uns skuldi unsnero (aus dem allemannischen Vaterunser.) – unlustidet mi, es verdrießt mich. – der piteilta, der beraubt hat. – arbluhitos, du entbranntest. – ci leipu, die übrig bleibenden (leipon, λείπειν) – gimiscemes, laßt uns vermischen. – luitlichun, öffentlich, vor den Leuten. – ni bist pihabet, du wirst nicht ergriffen. – casinde sine, sein Gesinde. – werchmahtigi, Werkmächtigkeit, (wie Notker magnificentia übersetzte). – duruhsuinlih, durchsichtig, (Uebersetzung von perspicuum est in den S. Blasischen Glossen) – anastantantlih, inständig, (Uebersetzung von instanter, bei Kero.) – daz pimurmilotin (bemurmelten) die eristen, darüber murmelten die ersten (aus der Predigt eines ungenannten Mönchs im zehnten Jahrhundert. – Fater unser, thu in himilon bist, Wih si namo thiner. Biqueme uns thinaz richi. Gi willo thin hiar nidare so ser ist uf an himile, beginnt das Vater unser bei Otfried; bei Notker, ungefähr[152] 150 Jahre später, lautet dieselbe Stelle: Vater unsir du in himile bist. Din Namo werde geheiligot. Din rich chomme. Din wille giskehe in erda also in himile.3 Die Nachstellung des Pronomens hinter dem Hauptwort möchte sich nur noch im Vater unser bis auf den heutigen Tag im Munde der Deutschen erhalten haben. –

Das poetische Blut und Gemüth unserer Sprache trieb im Zeitalter der schwäbischen Kaiser aus den frühlingsfrischen Wortstämmen einen Blüthenwald hervor, den wir heut nur noch mit staunender Verwunderung aus den Minnesängern herüberrauschen hören. Gegen unsere Zischlaute und Consonantenhärten, unsere abgestutzten Endungen, unsere welken Constructionen und ausgeschliffenen Wortfügungen, muß es uns vorkommen, als hätten unsere glücklicheren Altväter eine Sprache der Götter geredet, als sei ihr ganzes Leben und Denken[153] in einen Jugendglanz, in eine Fülle von Dichtung und Schönheit getaucht, wozu sich unser Menschenalter wie das eiserne verhalte. Beleuchten wir diese grammatische goldene Zeit, diesen abgeblühten Sprachfrühling unserer Nation, an einigen Beispielen! Für die Wortbildung hatten sich in der erwachten Phantasie des Volkes neue Keime geregt, die wie Wunderpflanzen aufschossen. Die ernste, großartige Erhabenheit der Wortlaute, die in der carolingisch-fränkischen Zeit an dem religiösen und priesterlichen Element, an den feierlichen Eidleistungen, den Uebersetzungen und Paraphrasen der Evangelien und Tractaten sich heranbildete, in ihren dunkeln Klängen noch an die heiligen Schatten der Druidenhaine gemahnend, wandelte sich im Minnesang in sanftere, liebliche Flötentöne um. Ein fröhliches Naturleben, Sonnenschein, Wiesengrün, Morgenschmelz der Liebe, singender Frühlingswald, alles das überfiel das Herz der Menschen, erheiterte und klärte die religiöse Richtung, und machte sie weltlich oder vielmehr poetisch. Das Ritterthum, die poetischen Flegeljahre der deutschen Nation, machte die Sprache galant, höflich, keck in[154] ihren Ausdrücken und Wendungen, sangbar, schmeichlerisch für das Ohr, und im höchsten Grade biegsam für Alles, was die bewegte Phantasie in der Rede dichten und ausmalen wollte. Der wachsende Völkerverkehr, die Heereszüge nach Italien, die Wallfahrten, der immer stärker werdende Umsatz von Begriffen und Weltverhältnissen, entwickelten die Beziehung der Sprache auf Mittheilung und Umgang, und gaben ihr geschmeidige, rasche, prägnante, die Grammatik nach dem Sinn und Gefühl meisternde Fügungen und Wendungen. Am genialsten zeigt sich diese Behandlung der Sprache in der Bildung der Zeitwörter, die bald aus Substantiven, bald aus Adjectiven ganz nach dem productiven Bedürfniß geformt werden, und dann wieder mit ebenso großer Leichtigkeit neue Hauptwörter aus sich entstehen lassen, z.B. wie Reimar von Zweeter sagt: diae liute sind gelandet wol, die lant niht wol geliuhtet, die Leute sind mit Ländern wohlversehen, aber die Länder nicht wohlversehen mit Leuten. (Sammlung von Minnesingern, Zürich 1758. Thl. 2. S. 151.) Rinkenberg nennt Gott sehr schön: der höehsten hoehe überhöher.[155] Aehnlich Marner von der heiligen Maria mit einem Verbum: din schöne git dem trone glast, Also das in din schöne überschönet; so beschönen, schön machen, überwizen, an Weiße übertreffen, überwundern, wie Walter von der Vogelweide von Christus: Swas er noch wunders ie begie Das hat er überwundert hie. In den Beiwörtern machen sich dreiste, dichterische Zusammensetzungen geltend: sin wolkenloses lachen bringet scharpfen snabel (Samml. von Minnes. Thl. I. S. 130.) sturmemueden man, sturmesmüden Mann, im Nibelungen-Liede.4 Der Artikel kann mit der freiesten Beweglichkeit gesetzt werden, bald nach dem Hauptwort, bald zwischen demselben und dem Beiwort, auch bleibt er gänzlich fort, oder wird zweimal wiederholt, wie es gerade die Energie der Rede verlangt. Der Reichthum an Partikeln, feinen malerischen Nüancen, Vorsatzsylben, die zur Kürze, Sinnlichkeit und Belebung des Ausdrucks unendlich beitrugen, war unerschöpflich.[156]

In Hinsicht der Ellipsen kannte die damalige Sprache kaum eine Gränze, und bediente sich dieser Freiheit mit einer Wirkung, die der griechischen Attraction gleichkommt, wie wenn König Wenzel von Böhmen singt: Swas ie kein man zer werlte wunne enphangen hat Das ist ein niht ich was gewert, was nur je ein Mann in der Welt für Wonne empfangen, es ist ein Nichts (gegen die, deren) ich ward gewährt. Nur im Englischen findet man heutzutage noch eine Auslassung des Pronomens, die damit verglichen werden könnte; die deutsche Sprache hat die Fähigkeit für diese Kürze wieder eingebüßt. –

Die geschichtlichen Veränderungen, welche mit dem deutschen Leben vorgingen, ließen das schwäbische Zeitalter unserer Sprache, und mit ihm ihre poetische Jugend, schnell ablaufen. Die Sprache des Ulphilas war das geheimnißvolle Flüstern unserer Urwälder, die Minnesänger hatten die Wälder gelichtet, mit zierlichen, grünen Pfaden durchbrochen, den heitern blauen Himmel hereingelassen, und eine Harmonie in und mit der Natur, bevölkert von allen Genien der Phantasie, der Liebe,[157] des Traums, geschaffen. Jetzt verblich das Naturleben, als die städtischen Einrichtungen sich immer entschiedener auszubreiten begannen. Mit ihnen bildete sich die deutsche Canzleisprache und gewann eine eigenthümliche Bedeutung für unsere Literatur und Sprache überhaupt. Der Gebrauch der deutschen Sprache in den öffentlichen Verhältnissen erhielt erst mit Rudolf von Habsburg, der sie durch eine bestimmte Vorschrift bei der Canzlei einführte, einen feststehenden Charakter, wenn ihre Anwendung auch schon vor diesem Kaiser in diplomatischen Urkunden nachgewiesen werden kann. Die deutsche Canzleisprache war die erste Einwirkung, eine prosaische Gesammtsprache für die Nation und das bürgerliche und gesellschaftliche Leben hervorzurufen. Dieses Ziel wurde freilich damals noch nicht erreicht. Die provinzielle Zersplitterung der Deutschen verrieth sich schon durch das Chaos ihrer Mundarten, und obwohl das Oberdeutsche bis dahin stets eine geistige Herrschaft ausgeübt hatte über alle Nebendialekte, und auch durch Rudolfs Canzlei zur Sprache des Reichstags und der Landesgesetze erhoben war, so wollten doch damit die Mundarten[158] der Provinz, besonders aber das sehr feinorganisirte Niedersächsische, noch immer nicht aus ihren Rechten weichen. Vielmehr wurde durch die Land- und Stadtrechte die Trennung der Dialekte noch eher verfestigt als ausgeglichen, denn wie allgemein auch das Oberdeutsche als die Norm des gebildeten schriftlichen Ausdrucks anerkannt sein mochte, so konnte es nicht fehlen, daß die Gesetze im nördlichen Deutschland wieder in den Provinzialdialekten umgeschrieben und verbreitet wurden. Der Sachsenspiegel, der schon lange vor Kaiser Rudolfs Regierungsantritt, um das Jahr 1220 durch Eike von Repgow zusammengetragen wurde, zeigte zwar das Bestreben, sogar das sächsische Landrecht an die schwäbische Mundart zu fesseln, aber die Sprache war schwankend, gemischt und fand im nördlichen Deutschland keinen Anklang. Ein ausgebildeteres Denkmal der Prosa, die sich aus diesen ersten Bewegungen des bürgerlichen und städtischen Lebens erhob, war der im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts entstandene Schwabenspiegel. Der schwäbische Dialekt zeigt sich in diesem oberdeutschen Landrecht von einer außerordentlichen[159] Bildsamkeit für die Prosa, die schon Numerus und sinnreiche Satzfügungen annimmt.

Das Zeitalter der Prosa regte sich in der Sprache wie in den Zuständen. An den Deutschen änderte sich um diese Zeit Alles bis auf die Kleider, und steckte sich in die Tracht des bürgerlichen und geschäftlichen Lebens. Nur die Gewerbe und Zünfte blühten, und die poetische Blüthe des Lebens nahm in den Meistersängern einen gewerblichen und zünftigen Charakter an. Nachdem das dichterische Element der Höfe und der Aristokratie geschwunden war, mußte die Poesie in der Mitte der städtischen Verhältnisse sich einbürgern, und wurde ein schönes Handwerk. Der polizeiliche Anstrich, den das ganze Leben nahm, brachte auch in der Dichtkunst jene Tabulaturen der Meistersänger hervor, welche am besten die vorgegangene Umkehrung in der Sprache und Production des deutschen Geistes charakterisiren. Der Landfrieden, das Kammergericht, die Handelsinteressen, die reichsstädtische Behaglichkeit und steife Naivetät, die theologischen und scholastischen Haarspaltereien, die immer zunehmende Vermischung der Stände, die Bedürfnisse des praktischen[160] Verkehrs, färbten vorwaltend die beginnende Epoche der Prosa, und verscheuchten die schwärmende Aventüre weit aus den deutschen Gauen. Unsere Sprache schüttelte nicht mehr die goldnen Locken der Jugend, die sie bis dahin frei hatte fallen lassen. Die schönen sinnlichen Wortschöpfungen der Minnesänger kamen außer Gebrauch, die poetische Bildung der Zeitwörter aus Hauptwörtern und Beiwörtern ging verloren, die Poesie der Sprache in Ausdrücken wie abenden, Abend werden, anhaupten, mit dem Haupt berühren, barten, einen Bart bekommen, guoten, sich bessern, gut werden, louben, Laub gewinnen, und unzähligen anderen,5 hörte gänzlich auf zu schaffen. Durch die an ihrer Stelle nöthig werdenden Umschreibungen ging die Kürze der Sprache verloren, die Ellipsen hörten auf, der Artikel und das Pronomen nahmen eine bestimmte Stellung vor dem Hauptwort ein und konnten nicht mehr, wie sonst, hinter demselben stehen. Die ganze Grammatik der Sprache rüstete[161] sich durch Wortstellung, Formenabschleifung und Verlöschung der Bildlichkeit, für das ruhige, umschreibende und deutlich demonstrirende Wesen der Prosa, die an den Anforderungen des wirklichen Lebens ihren Maaßstab hatte.

In dieser ersten Gegenüberstellung von Poesie und Prosa konnte eben der feindlichen Sonderung wegen noch keine Blüthe der Prosa, keine innerliche Bedeutsamkeit derselben, entstehen. Die deutsche Canzleisprache war eine gute Bildungsschule der deutschen Prosa, aber es bedurfte eines andern Inhalts, um die deutsche Darstellung zu heben oder nur eine Vereinheitlichung der Dialekte zu Stande zu bringen. Bedeutender hätte die romantische Prosa der Volksbücher, die vorherrschend schwäbischer Mundart war, auf den Geschmack wirken können, aber diese blieben, wie es schien, zu sehr entfernt von einem eigentlich literarischen Einfluß. Die Volksbücher stellen den unmittelbarsten Uebergang der Poesie in die Prosa dar, indem sie die Auflösungen der alten Ritterbücher in populaire Erzählungen sind. Je näher diese Novellen noch ihrer ursprünglichen poetischen Quelle stehn, wie[162] besonders die des vierzehnten Jahrhunderts, desto mehr zeigen sie den Reiz einer Prosa, welche die dichterischen Elemente, aus denen sie entstanden, als Substanz beibehalten, aber mit großer Leichtigkeit in einen einfachen, zierlichen, natürlichen Fluß der Rede hineingeleitet hat. Die kurze Satzbildung der Poesie ist ihnen ebenfalls noch eigenthümlich und verbindet sich mit einem bestimmten Tonfall und Wohllaut, den die Prosa damals nur von der Poesie aufnehmen und auf dem eigenen abgesteckten Gebiet noch nicht entwickeln konnte. Die Novellensammlung der Gesta Romanorum ist hier besonders zu nennen. – Diese Novellenprosa schlängelte sich neben der Hauptstraße der laufenden Literatur wie ein romantischer Seitenpfad hin, ohne in nähere Berührungen mit derselben zu treten. Man kann ihre lieblichen Erzeugnisse, die recht in den Hütten des Volkes und seiner Sympathie mit der poetischen Vergangenheit nisteten, bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen, wo freilich ihre Spur in den Carikaturbildern der nun entstehenden Romane unterging. Die ganze romantische Unschuld dieser Prosa offenbart sich noch[163] in den Novellen des Buches der Liebe, (im Jahre 1587 in Frankfurt am Main von dem Buchhändler Feyerabend herausgegeben,) welches die reizenden Erzählungen von der schönen Magellone, dem Kaiser Octavianus, Flos und Blancheflos und m.a. enthält.6

Fußnoten

1 S. L. Meister's Preisschrift über die Hauptepochen der deutschen Sprache seit dem achten Jahrhundert (in den Schriften der mannheimischen deutschen Gesellschaft. Bd. I. S. 271.)


2 Auf der Kirchenversammlung von Tours wurde nur festgestellt: daß die Bischöfe entweder in lateinischer oder in deutscher Sprache predigen sollten.


3 Vgl. Meister a.a.O. S. 266. und W. Petersen's Preisschrift: Welches sind die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache seit Karl dem Großen? S. 42 und 48 fg. (im 3. Band der Schriften der mannheimischen deutschen Gesellschaft.)


4 Vgl. Petersen, über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache S. 64–87.


5 Vgl. Petersen über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache S. 100. flgd.


6 Vgl. Gervinus, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen. Thl. II. S. 229 flgd.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 164.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Kunst der deutschen Prosa
Die Kunst Der Deutschen Prosa: Aesthetisch, Literargeschichtlich, Gesellschaftlich (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon