XIV. Brief.

Der Magister Lampert an den Baron v.S.

[92] Kargfeld, den 14. Julius.


Tandem bona caussa triumpfat! Dieses, zwar nicht seltene und rare; aber doch jederzeit wahre Symbolum, welches jener Prinz auf seine Münzen schlagen ließ, ist endlich auch einmal an mir wahr worden. Es giebt einen Grandison, es giebt eine Henriette Byron; es sind keine Feyen Vorstellungen, keine Hirngespinste; wir haben[92] gewonnen! Jedermann war vor kurzem wider mich; jedermann ist nun mit mir einerlei Meinung. Mein gnädiger Patron, der außerordentlich vergnügt ist, daß unsere Wahrscheinlichkeiten unumstößliche Wahrheiten worden sind, beschäftiget sich nebst mir in der Nachahmung eines Mannes, der die Ehre des Zeitpunktes ist, darinne wir leben. Jederzeit hatte er viel Hochachtung für den Namen Grandison, nur die Furcht, einen Schatten, einen Dunst, Einfälle eines müßigen Kopfes zur Regel seiner Handlung zu machen, nöthigten ihn, so lange mit der Nachahmung dieses großen Urbildes anzustehen, bis er erfuhr, dieser große Mann sey wirklich in unsrer Welt anzutreffen. Was Grandison, und was Doctor Bartlett in Engelland sind, das werden der gnädige Herr und ich in Deutschland seyn.


Von den Einrichtungen, die in dem Hochadlichen Hause ihres Herrn Oncles nach Maßgabe der Residenz des Herrn Grandisons gemacht worden sind, haben Sie bereits[93] durch Dero Fräulein Schwester und den gnädigen Herrn selbst Nachricht erhalten. Ich habe noch immer meine Hände voll damit zu thun, und dieses ist die Ursache, daß ich so lange meine Schuldigkeit, Dero gnädiges Handschreiben an mich zu beantworten, habe aussetzen müssen.


Weil der Cantor Loci sich noch immer nicht recht zum Orgelschlagen in dem Musiczimmer des gnädigen Herrn verstehen will; so soll ich dieses Amt übernehmen, und dafür eine Zulage meines jährlichen Gehalts bekommen. Ich sagte bei dem Antrage, den mir der gnädige Herr deswegen that, nichts weiter, als: Doctor Bartlett, Sir, ist Sir Carls Hofprediger, aber nicht sein Organist. Er fand sich getroffen, ergriff meine Hand, drückte sie und sagte: Herr Magister, Sie sind mein väterlicher Freund. Geben Sie mir doch Nachricht, ob der Doctor auch manchmal orgelt. Thut er es, so werde ich mir kein Bedenken machen, seinem Beispiele zu folgen; wo nicht, so spiele ich warlich keine Note, und wenn[94] mir jede mit tausend Thalern sollte bezahlet werden.


Ueber eine Sache kann ich mich nicht gnug wundern, daß nämlich der Doctor Sir Carln auf die Jagd begleitet. Wie geht denn das in aller Welt zu? Setzt er sich in seinem langen schwarzen Mantel zu Pferde? das kann ich nicht glauben. Nähme er ihn unter den Arm, wie wollte er denn das Pferd und die Peitsche regieren? Ließ er ihn fliegen; so wäre es, wenn der Wind ginge, noch beschwerlicher; wollte man sagen, er legete seinen geistlichen Habit zu der Zeit ab, wenn er auf die Jagd gienge; so kann ich das mit einem so ernsthaften frommen Manne auch nicht zusammen reimen. Mit einem Worte, vor einem, der es nicht gesehen hat, ist die Figur, die der Doctor zu Pferde macht, schwer zu errathen. Geben Sie mir doch davon eine umständliche Nachricht. In meinem Herzen wünsche ich oft, daß Bartlett von der Jagd wegbliebe, so dürfte ich auch nicht wie ein Spürhund, den ganzen Tag mit meinem Patrone im Walde[95] herum laufen. Jedoch es heist: qui vult finem, vult etiam media.


Wer sich dereinst so groß, als Bartelett will sehen,

Läßt manchen sauren Wind sich ins Gesichte wehen.


Man muß per aspera ad astra gelangen. Der gute Mann hat es sein Tage sich wohl eben auch lassen sauer werden.

Vor einigen Wochen wurde auf Befehl des gnädigen Herrn, dem Götterpaare in Engelland zu Ehren, ein Feuerwerk von meiner Erfindung in dem Lustgarten abgebrannt. Es dauerte von 9 Uhr des Abends bis gegen 11 Uhr. Sie können es dem Herrn Grandison melden, mein Herr verlangt es ausdrücklich; es muß aber nicht lassen, als wenn sich Ihr Herr Oncle dadurch ein Verdienst bei der Familie der Grandisonen machen wollte. Bei Gelegenheit dieser Feierlichkeit wurden der gnädige Herr und ich, wider Vermuthen, aufgefodert, Zeugnisse von unserer dem Herrn Grandison abgelernten Großmuth abzulegen.[96] Einige Unterthanen meines Patrons mußten zur Illumination einer Allee Lampen hergeben; sie wurden verwechselt. Den Tag nach diesem Feste entstunden des wegen vielerlei Zänkereien, ich legte solche durch mein Ansehen bei. Nachmittage, da ich vor dem Hause Nikolaus Brummholds des Baders vorübergehe, kommt dieser Verwegene mit entblößten Gewehr, durch Anstiften seines Weibes auf mich los. Hier, schrie er, hier soll sein Gottesacker seyn, und setzte mir das blanke Scheermesser an die Kehle. Schaffe Er meiner Frau ihre Lampe wieder Herr Magister, oder ich ermorde Ihn auf der Stelle.

Ich that einen Sprung auf die Seite, um meinen Degen zwischen den Rockfalten hervorzuziehen, ihn zuentblößen. Ich sahe, daß Peter der Badeknecht, seinen Herrn beispringen wollte. Er fragte mich, mit einer trotzigen Mine, und mit dem Scheermesser in der Hand, ob man ehrlichen Leuten so begegnete, und ein Recht hätte ihnen das ihrige zu entwenden.[97]

Der freie Himmel ist sein Schutz, Herr Bader, sonst würden diese Pralereien, wenn Er etwas damit meint, Ihm theuer zustehen kommen.

Ich bin der Beschützer meiner Frau, mein Herr, Sie haben sie beleidiget, Herr.

Habe ich Seine Frau beleidiget, mein Herr? – – Und ich gieng auf ihn zu; aber ich besonn mich noch eben zu rechter Zeit, und bedachte, wo ich mich befände – –. Nehm Er Sich in Acht, mein Herr Bader – –. Aber hier ist Er sicher.

Peter, der gewaltige Bewegungen machte, schwur, daß er seinem Herrn bis auf dem letzten Blutstropfen beistehen wollte. Er stellte sich an eine angreifende Positur, und zog sein Brodmesser halb aus der Scheide.

Will Er Sein Gewehr auf Seinem Kopfe zerbrochen haben, so ziehe Er es ganz

Er that es mit pralenden Geberden. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er das litte. Er zog sich zurück und setzte sich in eine vertheidigende Stellung.[98]

Der Bader mit seinem Scheermesser in der Hand, machte elende Grimmassen. Ich glaubte nicht anders, als daß die Männer Mörder wären. Ich schlug Petern mit der Breite meines Degens auf die Finger, entwaffnete ihn, und warf ihn in eben diesem plötzlichen Angriffe zu Boden.

Der Bader, der herum sprang, als wenn er auf Gelegenheit lauerte, einen Schnitt mit seiner eigenen Sicherheit zu thun, verlohr das Scheermesser durch den gewöhnlichen Kunstgriff

Die Frau, welche aus dem Fenster zusahe, und mit Scheltworten in die Ferne kanonirte, lief auf die Gasse.

Ich brachte beide Männer, einen nach den andern, mit der Verachtung, die sie verdieneten, in das Haus, die Frau war schon darinne. Ich schloß die Thüre ab, und gieng ganz gelassen nach Hause.

Ich erzählte dem gnädigen Herrn den ganzen Handel. Er würde in etwas aufgebracht,[99] und wollte die ganze Familie ins Loch werfen und sie 8 Tage lang mit Wasser und Brod speisen lassen. Wir wollen großmüthig handeln, sagte ich, es wird die Zeit kommen, da diese Leute unbestraft ihre Vergehungen mehr bereuen werden; als wenn man hart mit ihnen verführe. Lassen Sie mich morgen mit diesen Leuten in der Sprache Sir Carls reden, was soll es gelten, ich will sie bekehren. Den folgenden Morgen ging ich zu dem Bader in das Haus. Der verlohrne Sohn war da, die großväterliche Erblampe hatte sich gefunden. Ich redete offenherzig mit ihm und seiner Frau, und brachte sie zu Thränen. Sie bezeugten ihre Reue wegen ihres Vergehens und versprachen Besserung.


Frau Sibylle bat mich insonderheit, ein guter Kundmann ihres Mannes zu bleiben, und meinen Bart keinem andern anzuvertrauen. Ich versprach dieses nicht nur; sondern erboth mich auch, den Lohn ihres Mannes, wenn er sich wohl gegen mich aufführen würde, jedes Quartal mit zwei Patzen zu erhöhen:[100]

Die guten Leute wußten nicht, wo sie Worte finden sollten, ihre Dankbarkeit gegen mich auszudrücken.

Bei Abschiede steckte ich dem bußfertigen Bader ein feines Stückgen von gewonnenen Hirschhaut, welches ich noch übrig hatte, in die Hand, um einen Streichriemen daraus zu verfertigen. Jedermann segnete mich dafür. Auch mein gnädiger Patron war so großmüthig, diese Sache, als Gerichtsherr, nicht zu rügen; ob er gleich den Bader um etliche Thaler hätte strafen können. Sit modus in rebus! Wenn ich meinen Brief nicht schlöße, so würde er noch länger. Glauben Sie, daß Sir Carl seinen Beauchamp nicht höher schätzen kann, als Sie geschätzet werden, von


Ihrem

unterthänigen Diener

M.L. Wilibald.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 92-101.
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