XVII. Brief.

Amalia an ihren Bruder.

[106] Schönthal, den 30. August.


Lieber Bruder,


Du treibst die Sache zuweit mit unserm Oncle. Ein zweiter Don Quixottes, so wahr ich lebe! Ich will sein ganzes Betragen in einem Lustspiele von einer Handlung und verschiedenen Auftritten vorstellen; damit ich das viele er sagte, und sie sagte vermeide.


Erster Auftritt.

Jeremias und der Magister.


Der Magister. Wo bleibst du so lange, Jeremias? du hast gewiß vor deiner Abreise aus der Stadt alle Bierkannen sondiren müssen?

[107] Jeremias. Ich mußte doch erstlich bei der Wärme einen Labetrunk zu mir nehmen. Hat der gnädige Herr etwa geschmälet?

Der Magister. Nein, nicht sonderlich. Ich vermuthe aber, du wirst die Bastonnade bekommen, wenn du das poculum hilaritatis zu hoch treibst.

Jeremias. Ich will ihn schon besänftigen: denn ich bringe einen Brief von der Post mit; vermuthlich ist er von dem jungen Herrn aus der neuen Welt. Sehen Sie einmal das Petschier an, Herr Meister.

Der Magister. Höre Jeremias, ich habe dir etwas im Vertrauen zu sagen: du sollst mich künftighin nicht mehr Herr Magister; sondern Herr Doctor nennen. Denn wer philosophiae magister ist, der ist auch philosophiae doctor; atqui ich bin philosophiae magister; ergo bin ich auch philosophiae doctor. Verstehst du mich Jeremias?

Jeremias. Nein, nicht sonderlich. Denn ich kann nicht begreifen, wie Sie auf einmal[108] zum Doctor geworden sind? Sie curiren ja nicht, und setzen auch keine Clystire.

Der Magister. Du bist so tumm wie ein Wigand. Gibt es denn sonst keine Doctores, als nur solche, welche Arznei ausgeben? Mit einem Worte, du sollst mich Doctor nennen, ohne daß ich zuvor einen langen Beweis führe. Gib mir indessen den Brief her, ich will ihn dem gnädigen Herrn zustellen; doch da kömmt er selber.


Zweiter Auftritt.

Der Herr von N. Der Magister und Jeremias.


Jeremias. Hier ist ein Brief an Sie, Sir.

Der Magister. Er ist von Ihrem Neven aus Londen, vermuthe ich.


Der Herr von N. bricht ihn auf und ließt:


»Ohngeachtet Sir Carl und seine würdige Gemahlin Sie hier in Engelland zu bedienen wünschen; so sehen, sie doch die[109] Schwürigkeiten vollkommen ein, welche mit einer solchen Reise verknüpft sind.«


Ach was Schwürigkeiten! ich bin der Luft gewohnt, und habe eine Natur wie ein Pferd. Was habe ich nicht sonsten bei meinen Italienischen Feldzuge ausgestanden! ich will aber weiter lesen:


»Zwei solche ädle Gemüther sind bereits verbunden; ob sie gleich tausend Meilen von einander leben. Vielleicht geht Sir Carl nach Deutschland, um Berlin zu sehen: in diesem Fall würde Ihnen sein Besuch gewiß seyn.


Zum Henker! was will er in Berlin machen? da ist nichts zu thun. Der lange Peter hat sonst unter den Preußen gedient; er kann aber wegen der entsetzlichen Prügel, die er unter den Soldaten bekommen, niemals ohne Thränen an Berlin denken.« Er ließt weiter.


»Sie verlangen in Ihrem letzten Brief einen jungen Hund von dem Fresco, und Alexanders[110] Gastmahl. Mit dem letztern warte Ihnen also gehorsamst auf; da aber Fresco ein Chapeau und noch darzu castrirt ist; so hat man keine Hoffnung seine Race zu erhalten.«


Das ist doch ein verwünschter Streich! Solche gute Hunde werden doch selten geschnitten.

Der Magister. O ja, das geschieht oft, damit sie desto hurtiger und muthiger zur Jagd werden.

Herr von N. Das wäre eben, als wenn man einen Magister verschneiden wollte, damit er desto hitziger im disputiren wär. Er liest weiter:


»Ihr Anschlag auf Clementinen (hier hält, er innen, und sagt: Jeremias, schier dich hinaus, ich will mit dem Magister etwas heimliches reden.) fährt fort im lesen:


Ihr Anschlag auf Clementinen ist vergeblich. Wer weiß aber, was sie gethan hätte, wenn sie von Ihrer ädlen Neigung zeitiger benachrichtiget worden wär?
[111]

Ja, das glaub ich selber. Ich hätte ihr schon zu Leibe gehen wollen. Solche Mädchens, wie Clementine, wollen frisch angegriffen seyn. Belvedere war eine alte Frau; wenn sie gewartet hätte: so – – doch nichts mehr von der Sache.« Liest weiter:


»Indessen ist Kätchen Holles noch ledig. Ich sprach das angenehme Kind zu Selbyhaussen, und finde an ihr was ungemein sanftes.«


Nein, die mag ich auch nicht. Es scheint mir eine Gaus zu seyn und einfältige Weibsbilder habe ich niemals leiden können. Er liest:


»Besser aber würde sich Fräulein Orme für Sie schicken; wenn der Fall kömmt, daß Sie heirathen müßten.«


Ach die schickt sich wieder nicht. Sie würde ihren milzsüchtigen Bruder mitbringen, und einen solchen Wurm könnte ich nicht um mich herum leiden. Er liest:
[112]

»Ich gehe einige Tage nach Londen, um den Hof und alles merkwürdige in der Stadt zu besehen; nachhero kehre ich wieder nach dem angenehmen Grandisonhall zurück. Ein merkwürdiger Umstand: Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Ein schönes Fräulein, sagt man«


Herr Magister, rufen Sie meine Schwester und meine Base: damit ich ihnen diese gute Nachricht sogleich hinterbringe.


(Hier sprang Lampert fort; und ich konnte kaum von der Thür wegkommen, wo ich die ganze Zeit zugehört hatte. Wir giengen also beide hinein, da er denn schrie)


Dritter Auftritt.

Schwester, Fräulein Base, Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Es ist eine Fräulein. Ja nun, Mädchens sind auch nicht zu verachten; aber ich denke, Sir Carl hätte lieber noch einen Jungen gehabt. Meinen Sie nicht, Fräulein Base?

[113] Amalia. Er hat ja schon einen Junker; und so wird ihm das Mädgen um desto lieber seyn. Er liest fort:


»Immer eine Kutsthe nach der andern. Oncle Selby und seine Dame sind auch, da. Cornet Jacob hat Urlaub. Ich muß hin und ihnen mein Compliment machen.«


Das wär ein Mann für Sie, Base. Wer weiß, was Ihr Bruder anstellt.

Amalia. Lesen Sie nur ruhig fort, ohne zu überlegen, ob sich ein Cornet für mich, oder ich mich für einen Cornet schicke.


»Den 11ten. Die Gevattern sind erwählet. Sir Beauchamp, Lady G. und Sie, mein Hochgeehrtester Herr Oncle. Lesen Sie hier den Gevatterbrief von Sir Carln.«


(Diesen hatte der Magister noch unerbrochen in Händen)


Das ist ja ein entsetzlicher Streich! Mich bittet Sir Carl zu Gevattern? Ich muß doch[114] die Stelle noch einmal lesen. Ja, ja das hat mein Vetter angestört. Warte du Vogel! er liest fort:


»Wie auch der würdige Doctor Bartlett.«


Warum nicht der Superintendent von Londen?


Hier fiengen wir an, ihm Glück zu wünschen, worauf er ganz gleichgültig antwortete: »Es ist wahr, sprach er, mir wiederfährt viel Ehre; aber mein Beutel wird es auch empfinden. Was meint ihr, Kinder, was soll ich Sir Carln einbinden?«


Der Magister. Ich dächte, gnädiger Herr, Sie gäben ihm gar nichts. Sir Carl ist sehr reich; er hat Sie aus Liebe und nicht aus Eigennutz gebeten.

Der Herr von N. Das ist zwar wahr; aber das Geschenke ist auch nicht für den Vater, sondern für das Kind, welches nackend auf die Welt kömmt.

[115] Jeremias, welcher mit uns zugleich hineingieng: Ich dächte, gnädiger Herr, es wären zwei Thaler genug. Lassen Sie einen rechten schönen Kuchen backen, so will ich beides nach Grandisonhall tragen, und mir ein tüchtiges Trankgeld verdienen.

Herr von N. Was meinst du, Schwester, wenn ich mein Portrait von der Gallerie nähm, etliche Diamanten darum setzen ließ, und Jeremiasen damit fortschickte.

Fräulein von N. Sei nicht artig, Sir, wer wird solche große Bilder mit Brillanten garniren. Das wär ein Werk von einer Million.

Herr von N. Du hast Recht; ich will ihm etwas an baaren Gelde schicken; so viel als ich bei diesen schlechten Zeiten entbehren kann. Funfzehn Gulden sind hinlänglich. Ich will ihm diese Summe in hiesigen Münzsorten schicken – – Creutzer sind in Engelland etwas rares – – vielleicht legt sie Sir Carl in Olivien ihr Medaillencabinet.

[116] Amalia. Herr Oncle, funfzehn Gulden sind auch gar zu wenig. Wenn Sie Sir Carln ein Geschenk machen wollen, so müssen es wenigstens hundert Ducaten seyn.

Herr von N. Warum nicht tausend? Wovon sollte ich hernach leben, wenn ich mich zuvor durch ein solches Pathengeschenke zu Grunde richte? Mit einem Worte, es bleibt bei den funfzehn Gulden, damit kann Herr Grandison zufrieden seyn.

Hören Sie, Herr Magister, setzen Sie Sich gleich und schreiben mir eine witzige und galante Antwort auf Sir Carls Gevatterbrief. Gehen Sie aber mit den lateinischen Brocken etwas sparsam um: damit mich der Herr Gevatter für keinen Schulcollegen hält.


(Der Magister geht ab, und er liest, indessen weiter:)


»Lesen Sie beikommenden Gevatterbrief von Sir Carln. Ich habe die Uebersetzung dabei gelegt.«
[117]

Wo ist denn der Gevatterbrief? ich habe ja keinen gesehen.

Amalia. Der Magister ist damit fortgelaufen.

Herr von N. Es ist wahr, er soll ihn beantworten.


Darauf fuhr er fort:


»Da ich das Absehen auf Dero Person zum voraus merkte: so gieng ich sogleich nach Londen, und ließ mir ein prächtiges Kleid machen: damit ich in eben dem Lichte erschien, in welchem Sie erschienen seyn würden.«


Da that er ganz recht: denn ich würde mich wie ein Fürst geputzet haben, wenn ich gegenwärtig gewesen wäre.


»Den 12ten. Nunmehro ist alles glücklich vorbei. Ich trank mir in Ihren Nahmen einen derben Rausch. Oncle Selby war auch nicht nüchtern.[118]

Ich denke, es wird Niemand nüchtern gewesen seyn. Sollte Sir Carl an einem solchen Tag nicht ein Räuschgen haben: so sollte es mich sehr wundern. Hätte ich einmal Kindtaufe, ich tränke, so lange ein Darm hielt.

Amalia. Das trau ich Ihnen zu; Sie sollten aber überlegen, daß es Niemand als eine Heldenthat ansehen würde.

Der Herr von N. Nichts? das wär was entsetzliches! Ein Edelmann muß sauffen können. Wie will er sonst bei Hof zurechte kommen? Mein seliger Vater konnte einen Eimer Bier in einem Sitze bezwingen: aber heut zu Tage gewöhnen wir uns zu zärtlich. Ich lobe mir die alten Zeiten. Da war keiner nicht gelitten, der nicht seinen Stiefel tüchtig saufen konnte

Amalia. Wir wollen uns über die Vorzüge der alten Welt für der heutigen nicht zanken. Lesen Sie uns nur den Brief weiter.
[119]

»Senden Sie nur ein ansehnliches Pathengeschenke: denn man macht sich hier von Ihrem Vermögen eben so große Begriffe; als von Ihrer Freigebigkeit.«


Das ist ein loser Mann! Sie würden Sich die Begriffe nicht machen, wenn er ihnen keme Gelegenheit dazu gäb. Aber ich kenne Ihren Bruder; es soll bei ihm alles ins Große fallen.

Es bleibt übrigens bei den funfzehn Gulden.

Du wirst diese Erzählung so hinnehmen. Der ehrliche Oncle bleibt, wie er ist. Wir wollen zufrieden seyn, wenn er nur nicht schlimmer wird. Ich befürchte aber, er thut einen Schritt, der uns allen höchst unangenehm ist. So viel für diesesmal von


Deiner

treuen Schwester

Amalia von S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 106-120.
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