XXVII. Brief.

(Die zwei folgenden Briefe waren in den vorigen eingeschlossen.)

[183] Schönthal den 6 Septembr.


Lieber Bruder,


Der Magister Sancho ist ganz unruhig. Seine Clementine will noch nicht so recht tiefsinnig werden; und er hat sich doch vorgenommen, ihr nicht eher mit seiner Gegenliebe zu Hülfe zu kommen, als bis sie halb rasend ist.

Wenn er sie in den Pommeranzenwäldgen antrifft, so geht sie, um ihre Glut zu verbergen, in den Griechischen Tempel; oder deutlicher zu reden: sie springt durch die Johannisbeerbüsche in das Gartenhaus. Er verfolgt sie, und sie will wieder ausreißen. Darauf schreiet er: bin ich denn ein getalischer Löwe, oder ein grausamer Tieger, daß[184] Sie so vor mir laufen? Sie seufzet, sie sieht ihn schmachtend an, und spielt ihre Person vollkommen wohl. Dieses verstellte Wesen macht den größten Eindruck in ihn. Er kam gestern mit einer tiefsinnigen Mine zu mir, da ich eben in Kargfeld einen Besuch abstattete, und wir hatten folgende Unterredung.

Der Magister. Ach, gnädiges Fräulein! ich muß Ihnen meine ganze Schwäche entdecken – Hannchen dauert mich, – das gute Kind empfindet die Liebe; sie weiß aber nicht was ihr fehlt. Sie will wie Clementine blaß werden, und sich auszehren.

Amalia. Sie sind doch ein grausamer Mensch, daß Sie mit dem guten Kinde so verfahren. Gehn Sie, und entdecken Sie ihr dasjenige, was Sie empfinden, ehe das arme Mädchen stirbt.

Der Magister. Nein, das kann ich noch nicht. Soll der Roman nach Italienischen Gusto ausgeführet werden; so ist in einem halben Jahre, noch an keine ausdrückliche Liebeserklärung zu denken.

[185] Amalia. Ich dächte aber, da weder die Religion noch der General im Wege ist; so könnte die Sache etwas abgekürzt werden.

Der Magister. Nein, das geht profecto nicht an. Wenn Sie aber Frau Beaumont seyn, und meine Clementine ausforschen wollen; so thun Sie nur eine Gnade.

Amalia. Ich bin schon etliche mal die forschende Frau Beaumont gewesen; Hannchen aber hat nicht die aufrichtige Clementine seyn, und mir das Geheimnis ihres Herzens anvertrauen wollen. So viel aber merke ich: sie ist verliebt.

Der Magister. Gehn Sie nur recht auf den Grund. Sie müssen ihr Herz bis auf die ersten Bestandtheile analisiren, die sich nicht weiter zergliedern lassen. Sie müssen meinen Namen nennen, und sehen, ob sie roth wird; Sie müssen meine Gelehrsamkeit, mein Ansehen in der gelehrten Welt, und die Hoffnung zu großen Ehrenstellen rühmen, und auf alle Blicke dieses schlauen Kindes Achtung[186] geben. Sie wird sich verrathen, ich gebe ihn mein Wort, sie wird sich verrathen.

Amalia. Wissen Sie was, Herr Magister! da Sie die Maximen eines Spions so gut im Kopfe haben; so forschen Sie ihre Clementine selber aus. So viel melde ich Ihnen: daß Sie Hannchen wahrscheinlicher Weise nicht liebt, sondern einen andern.

Der Magister. Wie, sie liebt mich nicht? Beim Jupiter! das thut sie. Ich würde sonst auf Rache bedacht seyn, und meinen Nebenbuhler den Halsbrechen.

Amalia. Heist das dem Grandison nachgeahmt? O wie fein haben Sie Sich gebessert!

Der Magister. Nicht doch! das war meine Meinung auch nicht. Ich will aber auf jeden Liebhaber meiner Clementine eine Satire machen, und die Kerls so ärgern, daß sie für Aergerniß sterben sollen.

Amalia. Machen Sie was Sie wollen. Ich bin eben im Begriffe, einen Besuch bei[187] Hannchen abzustatten. Vielleicht kann ich etwas für sie thun.

Der Magister. Höchst vortrefliche Fräulein, thun Sie es, ich küsse Ihnen den Rock.

Du siehst geliebter Bruder, wo es dem alten Magister fehlt. Er schickt sich gut zum ganzen Lustspiele. Ich will nur gerne sehn, wie er sich anstellt, wenn die Sache mit Hannchen offenbar wird. Lebe wohl

Amalia von S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 183-188.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.