XXVIII. Brief.

Jungfer Hannchen an Fräulein Amalia v.S.

[188] Kargfeld den 3. Sept.


Gnädiges Fräulein,


Der Magister wird mir zuletzt unerträglich. Ich würde ihn gestern etwas empfindlicher abgeführt haben, woferne mich der Ort und sein Alter nicht davon[188] abgehalten hätten. Verliebte Tändeleien verdienen bei jungen und feurigen Gemüthern einige Nachsicht; wenn aber ein Magister von 45 Jahren dergleichen Possen treibt, denn muß man ihn für einen – – halten. Setzen Sie, mein liebes Fräulein, ein bequemes Wort an die leere Stelle. Nach diesem Eingange muß ich Ihnen eine Unterredung bekannt machen, die ich auf dem Saale mit ihm hielt. Ich gieng, wie Sie wissen, aus der Gesellschaft, um unserer Magd etwas zu befehlen. Kaum war ich vor der Thür; so sprang der alte Lampert hinter mich her,

Magister. Warum verlassen Sie die Gesellschaft, mein schönes Hannchen, man spührt es gleich, wenn eine angenehme Person fehlt.

Ich. Sie thäten also besser, wenn Sie dabei blieben: Denn Sie werden den Mangel zehen angenehmer Personen reichlich ersetzen.

Magister. Ich will mich eben nicht für unleidlich halten; aber das, was Sie sagen, scheint mir eine Hyperbole zu seyn.

[189] Ich. Was soll das seyn, Hyperbole?

Magister. Das ist eben so viel, als ein großes Lob, welches wir dem andern aus heftiger Liebe geben: ja es könnte auch eine artige Schmeichelei heißen.

Ich. Eine artige Schmeichelei? das geht noch eher an. Allein ich schmeichele keinem Menschen, und wenn es auch ein Fürst wär.

Magister. Loses Kind, wissen Sie nicht, daß Frauenzimmer ihre Liebhaber schmeicheln? Z.E. der Chapeau sagt: meine Göttin; so spricht sie – – nein, das wäre Abgötterei: aber eine andere Caresse: er sagt: mein Lamm, und sie – – nein, das wäre mehr eine Beleidigung: Aber Engel können sie einander vice versa heißen; denn das Wort Engel ist in Deutschen generis communis. Wie Sie auch sonsten von mir in der Schule gehört haben, da ich Ihnen den Milton erklärte.

Ich. Haben Sie mir denn den Milton erklärt? Das ist ja der englische Dichter[190] welchen Sir Carl der Clementine, aber der Herr Magister nicht mir vorgelesen hat.

Magister. Könnte ich nicht Sir Carl, könnte Sie nicht Clementine seyn? von mir will ich jetzo nicht reden; aber Sie übretreffen in meinen Augen eine Göttin: Sie sind also weit vortreflicher als jene junge Italienische Gräfin.

Ich. Woher wissen Sie denn, daß ich schöne bin?

Magister. Das sagen mir meine Augen und meine Empfindung.

Ich. Da sich Ihre Empfindung ohnfehlbar nach den Augen richtet; so wird Ihre Empfindung eben so oft betrogen werden als Ihre Augen: denn ich weiß, daß Sie schon seit etlichen Jahren durch die Brille lesen.

Magister. Es ist wahr, das beständige Nachtstudieren und die häufigen Lucubrationes haben mir das Gesichte ein wenig verderbt, daß ich die kleinen Buchstaben, und[191] zumal im Hebräischen die Punkte, nicht recht mehr erkennen kann. Aber ein Mädchen von achtzehn Jahren ist ja eben so kleine nicht, daß ich erstlich mein Auge bewaffnen müßte, wenn ich sie ansehen wollte.

Ich. Ich habe nichts wider Ihr scharfes Auge in Ansehung achtzehnjähriger Fractur einzuwenden: es kömmt mir aber sehr wunderbar vor, daß der Herr Magister auf mich Achtung giebt. Sie waren mir ja sonst in der Schule nicht gewogen.

Magister. Concedo, mein schönes Hannchen; aber dazumal waren Sie ein loses Mädchen: und außerdem mußte ich auf Respect halten. Nunmehro aber haben sich die Zeiten geändert. Sie und ich sind mannbar. Es kömmt darauf an, daß Sie mich lieben und mir Ihr Herz schenken.

Ich. Bringen Sie das letztere als eine Frage oder als eine Bitte vor?

Magister. Als eine Frage und als eine Bitte zugleich.

[192] Ich. So werde ich auch auf beides mit Nein antworten.

Magister. Wie, Sie lieben mich nicht? Ich sollte mich betrogen haben? Nein, Sie müssen scherzen. Ich merke schon, Sie wollen lieben und schweigen – – Sie wollen mich rathen lassen. Sie wollen erstlich meine Beständigkeit prüfen. Sie – – – –

Ich. Was haben Sie für Einbildungen! (ich mußte wirklich lachen.)

Magister. Lachen Sie nicht, meine Clementine. Geben Sie mir vielmehr die gütige Erlaubnis, Dero Herrn Vater, den Herrn Marggrafen, aufzuwarten, mich zu seinen Füßen zu werfen, und die bewunderswürdige junge Gräfin von seiner Hand anzunehmen. Ich verlange keinen Pfennig von Ihren grossen Vermögen; ich will vielmehr sorgen, daß – – doch dieses wird sich schon schicken. Was meinen Sie wohl, daß der Herr Marggraf sagen würde?

[193] Ich. Er wird vielleicht eben so lachen als wie ich. Wenn er aber hört, daß Sie den Herrn Grandison und ich Clementinen vorstellen soll; denn würde er gar böse werden.

Magister. Sorgen Sie nicht. Ich bin schlau, ich bin ein alter Hofmann, ich will ihn schon fassen, oder ich müßte kein 20jähriger Magister seyn, und mich unter Edelleute so lange durchgefressen haben.

Ich. Ich traue Ihrer Geschicklichkeit sehr viel zu: ich zweifele aber, ob Sie meinen Vater und mich in diesem Punkte bewegen werden.

Magister. Da sehe ich Ihren Herrn Vater über den Hof kommen. Ich will ihm entgegen gehen. Sehen Sie nur, ob er nicht wie ein Erzbischoff einhergehet. O der theure Marggraf!

Hier lief er fort, und ich befahl indessen unserer Magd, mir einen Boten zu bestellen. Ich habe das bewuste Schreiben beantwortet; aber mit zitternder Hand. Wenn ich[194] die gnädige Erlaubnis von Ihnen bekomme, so werde ich Ihnen morgen in Kargfeld aufwarten, etc. Ich bin mit aller Hochachtung


Ew. Hochwohlgeb.

unterthänige Dienerin

Johanna Wendelin.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 188-195.
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