XXIX. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[195] Schönthal, den 16 Sept. Abends um 9 Uhr.


Was wirst du denken, mein Bruder, wenn ich dir sage, daß unser Oncle wirkliche Anstalt macht, sich zu verheirathen. An und vor sich, kannst du eben so wenig als wir die Sache misbilligen; die Wahl die er getroffen hat, ist auf seiner Seite vortrefflich; aber wenn die Heirath zu Stande käme, so wäre eine Person unglücklich, eine Person, die uns allen nicht gleichgültig ist.[195]

Du kennest sie, sie ist meine beste und angenehmste Freundinn. Wozu dienen meine Umsch weife, unser Oncle hat die Liebste, die er sich auserlesen hat, in einem seiner Briefe an dich genennet; ich habe diesen Brief gesehen. Stelle Fräulein Julianen von W. einmal in Gedanken neben unsern alten Oncle. Ein wohl übereinstimmendes Paar! Ein Mann, näher bei sechzig als funfzig Jahren, der kein großes Vermögen hat, daß die Wehetage der Frau, durch künftige gute Aussichten versüßen könnte; der noch darzu vor kurzem ein halber Enthusiast worden ist, und durch seine Schwärmerei vielleicht noch um sein übriges Vermögen kommt; und ein Mädchen, ein allerliebstes Mädchen von 21 Jahren, das so sittsam, so tugendhaft, so wohl gebildet ist, daß sie mit gutem Rechte eine Byron vorstellen könnte. Ich gedenke mir nichts grausamers, als eine solche Heirath.


Behüte Gott! Eher hätte ich das Schlachtfeld bei Minden sehen mögen, als daß ich meine Freundinn in den Armen dieses[196] Mannes erblicken sollte. Du wirst glauben, ich stellte die Sache auf einer gar zu schlimmen Seite vor. Wenn Fräulein Julgen an einem alten Manne ihr Vergnügen finden kann, denkst du; wenn sie eine Zuneigung zu ihm haben kann, warum sollte ich sie denn bedauren. Der Regen und die Liebe, fallen so wohl auf Palläste als auf Strohdächer. Es zwingt sie ja Niemand, den Alten zu nehmen. Wenn Ihre Stiefmutter, auf eine unbedachtsame Art manchmal mit ihr scherzet, und ihr mit dem Stifte oder mit unsern Oncle drohet, so muß sie das als Scherz aufnehmen, und mit Scherz erwiedern. Was wollte ich darum geben, wenn dein Urtheil wahr wäre. Die gute Juliane, es kostet mir viele Thränen, wenn ich daran denke. Sie soll, sie muß unserm Oncle ihre Hand geben. Ihre verdammte Stiefmutter –. Ich würde ihr die Augen auskratzen, wenn sie da vor mir stünde, so erbittert bin ich. Sie ist eine von den gemeinen Stiefmüttern, welche sich eine Pflicht und zugleich ein Vergnügen daraus machen, die Kinder erster Ehe zu peinigen.[197] Kein Wort mehr von der verhaßten Frau! Beigelegte sechs Briefe werden dir die ganze Sache aufklären.

Den 13 kam unser Oncle nach Schönthal, und that uns eine förmliche Erklärung, wie er es nennte, daß er Willens wäre, dem Beispiele seines Herrn Gevatters in Engelland zu folgen, und sich zu verheirathen. Meine häuslichen Umstände sind nun in Ordnung gebracht, das Musiczimmer, die Bildergallerie und der meiste Theil meiner Meublen sind nach dem Geschmack meines Freundes in Engelland eingerichtet. An meiner Person selbst, habe ich so eine Reformation vorgenommen, daß ich mich kaum noch kenne, wenn ich vor dem Spiegel stehe. Es fehlet mir nichts mehr als eine Henriette. Die Nachrichten aus Italien, können nun in meinen Entschliessungen keine Aenderung mehr machen, sie mögen ausfallen wie sie wollen. Mag doch der Graf von Belvedere, mit seiner Clementine ruhig leben. Grandison hat ihr durch seine Verheirathung, ein Beispiel gegeben, sie soll mir eins geben, und ich will denenjenigen[198] eins geben, die mir einmal nachahmen werden.

Mein Schwager unterstützte das Vorhaben unsers Vetters, das er für einen Anfall seiner Schwärmerei hielt, die keine sonderliche Folgen haben würde, durch seinen Beifall. Meine Schwester und ich, sind nur Maschinen meines Schwagers, jene aus Liebe, ich aus Freundschaft. Er drohet uns nach seinem Gefallen. Wir mußten uns stellen, als wenn wir eine große Freude darüber hätten, daß unser Oncle, in seinen alten Tagen, noch ein Papa werden wollte. Wer ist denn die glückliche Byron, Herr Vetter, fragte ich, die nach Ihnen seufzet. Doch nicht etwan das Fräulein v.W.

Der Oncle. Ha, ha, ha! Wer anders als Sie. Daß dich der Bli – –, daß dich der Blech! wie das Bäsgen rathen kann! Wenn Sie kein Fräulein wären, so müßten Sie einen Bürgermeister nehmen.

Mein Schwager schien über dieses Geständniß, in etwas betreten zu seyn, er vermuthete[199] nicht, wie er nachgehends sagte, daß Fräulein Julgen eine Rolle in dem Lustspiele unsres Grandisons bekommen sollte; wir schätzen sie alle hoch, und lieben sie; das gute Kind verdient es.

Mein Schwager. Daran thun Sie recht, Herr Vetter, daß Sie Ihren Herrn Gevatter folgen, und sich verheirathen wollen. Ich wünsche Ihnen Glück zu diesem Vorhaben. Aber mich dünkt, wenn Sie das Fräulein v.W. zu Ihrer Byron machen wollen; so wird Ihnen Sir Carl die Abweichung in seiner Nachahmung nicht leicht vergeben können.

Der Oncle. Wie so, Herr Vetter? das sehe ich nicht ein.

Der Schwager. Sir Carl war überzeugt, daß er die einzige Mannsperson wäre, die seine Henriette als ihren Gemahl lieben könnte; er hatte ein Recht auf ihre Liebe; er war der Beschützer und Erretter ihrer Ehre; er hatte die Bewilligung aller Anverwandten, ihr Mädchen zu lieben; Jedermann wünschte,[200] daß die zwo vortrefflichen Personen, ein Paar werden möchten. Bei Ihnen, Herr Vetter, nehmen Sie es nicht ungütig, daß ich nach meiner Ueberzeugung rede, bei Ihnen ist keiner von diesen Umständen anzutreffen; Sie würden also bei dieser Verheiratung, wider Ihren Willen, ein Urbild werden, und das würde Sir Carln verdrüßen, wenn Sie, so zu reden, über ihn weg seyn wollten.


Der Oncle schien über den Einwurf meines Schwagers sehr verlegen zu seyn. Er wollte antworten; er reusperte sich; ruckte auf dem Stuhle hin und her.


Herr Lampert, Herr Lampert, warum so stille? Er siehet aus, als wenn er Flachs säen wollte.


Der Magister stieg von seinem Stuhle auf, er hatte seine Gedanken gesammlet, und sahe so aus, als wenn ihn etwas auf dem Herzen läge. Wir waren aufmerksam auf ihn. Endlich öffnete sich sein Mund:[201]

Nachdem ich dasjenige, was Eu. Gnaden (er bückte sich gegen den Baron) vorzutragen geruhet haben, hin und wieder sonderiret habe; so kann ich nicht in Abrede seyn, besonders, da der bekannte Canon: Minima circumstantia variat rem, auf Ihrer Seite zu stehen scheinet, daß die Zweifel Eu. Gnaden, dem ersten Anscheine nach, einige Stärke haben. Allein, wenn wir die Nuß aus der Schaale nehmen wollen, so werden wir finden, daß alle diese Einwürfe nicht hinreichen, meinen gnädigen Herrn Principal, einer Abweichung in der Nachahmung Herrn Carl Grandisons, schuldig zu machen. Denn was den ersten Satz anlanget: Sir Carl war überzeugt, daß er die einzige Mannsperson wäre, die seine Henriette als ihren Gemahl lieben könnte; so gilt dieses vollkommen von meinem gnädigen Herrn. Er zweifelt im geringsten nicht, daß ihn das Fräulein v.W. als ihren Gemahl lieben und ehren werde. Der zweite Satz: Sir Carl hätte ein Recht auf Fräulein Byrons Liebe, er war der Beschützer und Erretter ihrer Ehre; dieser gilt[202] unter einer kleinen Einschränkung, hier gleichfalls vollkommen. Mein Patron hat ein Recht, auf des Fräuleins v.W. Liebe. Er ist der Beschützer und Erretter ihrer Ehre, nämlich in so ferne diese von Jemand sollte angetastet werden. Sir Carln hatte die Bewilligung aller Anverwandten, ihr Mädchen zu lieben, mein Patron hat diese Bewilligung von den Eltern des Fräuleins v.W. in der Tasche. Jedermann wünschte dort, daß die 2 vortrefflichen Personen sollten ein Paar werden. Jedermann wünscht es auch hier, wenigstens in den Familien von beiden Seiten werden alle hohe und vortreffliche Glieder derselben eine solche vortheilhafte Vermählung wünschen. Aus diesem folgt, daß mein hoher Principal von aller Abweichung, in der Nachahmung Sir Carl Grandisons entfernet ist, und solcher auf keinerlei Weise kann beschuldiget werden, welches zu erweisen war.


Der Oncle. Der Geist des Doctor Bartletts, ruhet zwiefältig auf meinem Magister![203] So wahr ich lebe, er ist ein ganzer Mann. Ich versichere ihn meines Wohlwollens. (er drückte die Hand des Bösewichts.)


Es war Niemand von uns im Stande, ein Wort vorzubringen, das Schrecken machte uns stumm. Der Oncle nahm unsre Stillschweigung für eine Empfindung einer Freude an. Ich hatte Lust, ihn diesen Irrthum zu benehmen, doch unterließ ich es. Die Einwilligung des thörigten Vaters, eine vollkommene Tochter durch unsern Oncle unglücklich zu machen, setzte uns in viele heimliche Sorge. Unser Vetter zog zween Briefe aus der Tasche: dieses ist mein Anwerbungsschreiben, um das Fräulein v.W., hier ist auch die Antwort darauf. Herr Lampert, lese er doch beide. Wir wußten nicht, ob wir Scherz oder Ernst aus der Sache machen sollten, da der Magister las. Mein Schwager bat sich die Erlaubnis aus, die Briefe nochmals mit Verstande zu lesen, nachdem er unsern Oncle wegen des Innhalts des zweiten, einen langen Glückwunsch gemacht hatte, und sich das[204] Ansehen gab, als wenn ihm seine Wünsche recht von Herzen giengen. Diese Schmeichelei wirkte so viel, daß der Oncle dem Baron beide Briefe aushändigte, er gieng damit in in sein Cabinet und hat sie abgeschrieben. So bald unser Vetter uns verließ, brachte ich diese Unterredung zu Pappiere Wir rathschlagten über eine so unerwartete Begebenheit, bis in die tiefe Nacht. Die Einwilligung – die schriftliche Einwilligung des Vaters von dem Fräulein v.W. wie viel Sorge machte uns die!

Mein Schwager hatte den Vorschlag, wir wollten den Grafen von Belvedere sterben, und unserm Oncle lieber seine Reise nach Italien unternehmen lassen; als daß wir zugeben sollten, daß er der Gemahl von Fräulein Julianen würde. Ich zweifelte, daß diese Erfindung einen guten Erfolg haben würde. Unser Grandison scheint äußerst in seine Byron verliebt zu seyn, und gäbe nun wohl zehen Clementinen hin, um eine Juliane zu erlangen. Wir stehen in äusserster Furcht wegen[205] des guten Fräuleins. Du wirst aus beiliegenden Briefen sehen, daß sie ihm morgen feierlich soll zugesaget werden. Was fangen wir an? – – Ich wollte, ich weiß nicht was, darum geben, wenn der morgende Tag vorüber wäre. Ich war Willens, dieses Paquet nicht eher an dich abzuschicken, bis ich von dem Ausgange der Sachen dir eine Nachricht geben könnte; die Post gehet aber morgen Vormittage ab, und mit dem Frühesten müssen meine Briefe in der Stadt seyn. Wenn du mir versprächest, unsertwegen keine Sorge zu tragen; so wollte ich das Paquet künftigen Posttag fortschicken; du könntest aber denken, meine Schwester, die wiederum vollkommen gesund ist, wäre gar gestorben, wenn ich meine Briefe einige Tage länger zurück behielt. Es ist immer besser eine unvollständige Nachricht, als gar keine. Eine kleine Nebenabsicht treibet mich zugleich mit an, die Absendung dieses Briefes, nebst den Einschlüssen in demselben, nicht länger auszusetzen. Es ist besser, dachte ich, daß wir unsern Bruder in eben der Ungewißheit[206] lassen, in der wir uns selbst befinden; als daß wir ihm den Anfang und das Ende der Heirathsgeschichte unsres Oncles auf einmal berichten. Er mag einige Tage lang eben so, wie wir, zwischen Furcht und Hoffnung schweben, damit er sich bei einem unglücklichen Ausgang der Sache, zu welchem er schon vorbereitet ist, nicht so sehr betrübe, und bei einem glücklichen Ausschlage desto mehr erfreue. Wollte der Himmel, es könnte diese Heirath, die gewiß nicht im Himmel geschlossen ist, hintertrieben werden. Ich beschließe meinen Brief mit einer Bitte von meinen Schwager, er verlangt die Briefe, die wegen der grandisonischen Händel sowohl von dir, als an dich sind geschrieben worden, in Abschrift zurück, um sie in einem Zusammenhange zum Zeitvertreibe zu lesen. Der junge Wendelin, der schon ausstudiret hat, und für langer Weile nichts thut, als daß er im Dorfe herumgehet und Sperlinge schießt, kommt manchmal herüber nach Schönthal, und hat sich erbothen, diese Briefe insgesammt sauber abzuschreiben. Für die baldige Zurücksendung[207] derselben wird insonderheit bei ihren geliebtesten Bruder ihren Dank abstatten

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 195-208.
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