XXXVIII. Brief.

[282] (Folgende sieben Briefe hatte Fräulein Amalie in ihr Paquet eingeschlossen).


Das Fräulein v.W. an Fräulein Amalien. v.S.

Wilmershausen den 19 Septembr.


Schätzbarste Freundin,


Noch nie habe ich Ihnen mit so vieler Aufrichtigkeit diesen schönen Namen beigeleget, als jetzo. Sie haben ihn allemal verdienet, und ich kann es mir selbst nicht vergeben, daß ich einmal an der Stärke Ihrer Freundschaft gegen mich gezweifelt habe; allein nehmen Sie mein offenherziges Geständnis als einen Beweis eines guten Herzens an, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie erst seit zwei Tagen für meine schätzbarste Freundin, ohne Ihnen ein Compliment[283] zu machen, erkenne. Wie werde ich meine Dankbarkeit gegen Sie, wie werde ich das, was mein Herz für Sie empfindet ausdrücken können? Es ist sehr gut, daß Sie keine Lobsprüche von mir erwarten, ich würde mich sehr verleugnen müssen, wenn ich Ihnen alles das Gute entdecken sollte, daß ich von Ihnen denke. Nein nein, das werde ich nicht thun; ich vermeide gar zu gerne allen Verdacht einer Schmeichelei. Es ist genug, wenn ich Ihnen gestehe, daß Sie mehr gethan haben, als ich vermuthen konnte. Ich würde es für ein Glück gehalten haben, wenn man an dem ängstlichen Tage nur nicht ein entscheidendes Ja oder Nein von mir gefordert hätte, das beides mir nicht viel gutes versprach. Ich würde überaus zufrieden gewesen seyn, wenn Ihr erster Plan nach meinem Wunsche wäre ausgeführet worden, wenn ich weiter nichts als einige Tage oder Wochen eine Entschließung in einer so wichtigen Angelegenheit zu fassen erhalten hätte. Doch Sie waren so besorgt für mich gewesen, einen neuen Plan zu meinem besten[284] zu entwerfen, welcher auch so gut ausgeführet wurde, daß ich nicht einmal nöthig hatte, zu einer betrüglichen Bitte meine Zuflucht zu nehmen, um einen Vater und einen Mann, der eine aufrichtige Neigung zu mir hat, zu täuschen. Ich würde mir gewiß viel Gewalt angethan haben, um diesmal anders zu reden als zu denken. Sie sehen hieraus, welche Verbindlichkeit Sie mir gegen Sich aufgeleget haben, daß Sie mich dieser Mühe überhoben. Ihr Herr Schwager hatte schon den größten Theil dieses Plans ausgeführet, ehe ich es inne wurde, wohin seine Unternehmungen abzielten. So sehr mir die Bemühungen des Herrn Barons zustatten kamen, so sehr ich Ursache habe, ihm gleichfalls verbunden zu seyn; so ungern würde ich es doch unternehmen, die Erfindung und die Ausführung dieses Entwurfs, mich aus einer Verdrießlichkeit zuziehen, zu loben. Die beste Absicht, dünkt mich, wurde nicht durch die besten Mittel erreicht. Eine ganze Gesellschaft zu bezechen, um Aeltern abzuhalten, keinen üblen Gebrauch von ihrer Gewalt über[285] Kinder zu machen, sollte sich das wohl rechtfertigen lassen? Sie wissen, daß ich in diesem Stücke etwas zärtlich bin. Das Kopfweh meines Vaters, die Unpäßlichkeit des Herrn v.N. und der Sturz des Rittmeisters von H. mit dem Pferde, alles dieses steht auf meiner Rechnung, und wenn es gleich alles von keinen Folgen zu seyn scheinet; so empfinde ich doch in meinem Gemüthe eine kleine Unruhe darüber. Wenn ich mich doch davon befreien könnte, so würde ich recht ruhig seyn. – – Aber was mache ich doch? Nicht wahr, ich bin ein ungezogenes Mädchen? Ich sollte mich wegen Ihrer Mühe, wegen Ihres Eifers für mein Bestes bei Ihnen bedanken; ich sollte Sie dafür bis in den dritten Himmel erheben: und ich bin so verwegen, und kritisire die Unternehmungen meiner großmüthigen Beschützerin. Wenn Sie mir nun Ihren Beistand versagt hätten, wie würde es um mich aussehen? Würde ich nicht die Ausbrüche des väterlichen Zorns, womit ich bedrohet wurde, empfunden haben, oder mich jetzo in einer Stellung befinden,[286] die mir ein unzufriednes Leben verspräche? Das Ungewitter hat sich noch nicht verzogen, es stehet noch am Horizonte; wer weiß wie bald mich wieder ein unerwarteter Donner erschreckt. Versagen Sie mir Ihren Schutz ja nicht, meine Freundin. Wenns möglich ist, will ich nicht mehr ungezogen seyn.


Soll ich Ihnen sagen, wie mir vorgestern zu Muthe war? Nein, das wissen Sie schon. Sie konnten aus meinen Gesichtszügen lesen, was in meinem Herzen vorging. Ich will Ihnen lieber Nachricht von meinem Zustande geben, seitdem Sie uns verließen. Das sage ich Ihnen zum voraus, daß nichts wichtiges vorgefallen ist. Gestern empfieng mich mein Vater bei dem Morgenbesuche mit den Worten: Guten Morgen, Fräulein Braut. Ich weiß nicht gnädiger Papa, sagte ich, ob ich diese Ehre im eigentlichen Verstande annehmen kann? Der Herr von N. der ohne Zweifel der Mann ist, durch den ich diese Benennung erhalten soll, hat mir, wenn ich nicht ein und andern Scherz dahin ziehen[287] will, seine Neigung gegen mich noch gar nicht entdeckt; und wenn auch dieses wäre, so glaube ich, daß noch eins und das andere müßte berichtiget werden, ehe ich diesen Namen verdiente. Der Papa wurde etwas ungehalten auf mich, daß ich ihm widersprach. Wenn er Kopfweh hat, so ist er ein wenig unleidlich; die Mama begütigte ihn aber durch eine weitläuftige Vorstellung. Wo ich nicht irre, so war dieses das erstemal, daß sie mit mir übereinstimmte. Sie führte einige Gründe an, warum ich nicht Fräulein Braut könnte genennet werden. Einige davon waren nicht vortheilhaft für den Herrn v.N. Wenn ich mit ihrer Gemüthsart weniger bekannt wäre; so würde ich hoffen können, daß meine Verbindung mit ihm noch nicht so gar nahe sey. Ich muß es Ihnen doch im Vertrauen stecken, daß man einen starken Verdacht auf Sie geworfen hat, daß Sie so wohl die unerwartete Ankunft Ihres Herrn Oncles; als auch die wunderbaren Touren bei Tische angegeben hätten; doch findet Ihr Herr Oncle dadurch eben keine Entschuldigung.[288] Daß Sie von der leztern Erfindung die Urheberin sind, und Ihrem Herrn Schwager nur die Ausführung davon überlassen haben, daran zweifle ich nicht mehr; bei der plötzlichen Erscheinung des Herrn v.N. habe ich noch nicht Licht genug, ob ich solche für eine feine List von Ihnen, oder für einen Einfall des Herrn Wilibalds halten soll. Ich bin geneigt, das leztere zu glauben, denn im ersten Fall würden Sie sich in der That an Ihrem Herrn Oncle versündiget haben. Ich ungezognes Mädchen, jezt habe ich Sie schon wieder beleidiget, Sie sind böse auf mich meine Amalie. Ich wollte Sie gern mündlich um Verzeihung bitten, wann ich es wagen dürfte, Ihnen in Schönthal aufzuwarten; ich muß mir aber dieses Vergnügen jetzo versagen, um der Mama keinen widrigen Verdacht zu erwecken. Geben Sie mir einen schriftlichen Verweis, ich habe ihn verdienet; lassen Sie es aber auch darbei bewenden. Danken sie dem Herrn Baron, danken Sie Ihrer Frau Schwester, danken Sie sich selbsten, für Ihre Gesinnungen,[289] für Ihre guten Bemühungen für mich. Ich gehöre ganz für Sie, nennen Sie mich.


Ihre

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 282-290.
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