XXXIX. Brief.

Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

[290] Schönthal, den 20 Sept.


Schätzbarste Freundin,


Jederzeit habe ich Ihnen mit so vieler Aufrichtigkeit diesen schönen Namen beigelegt, als ich es noch jetzo thue. Ich kenne Ihre schwache Seite; ich kenne aber auch Ihr gutes Herz, und dieses macht mir die Vergebung Ihrer Fehler, wenn Sie welche gegen mich begehen können so leicht, daß ich mir ein Vergnügen daraus machen[290] würde, Ihnen, ich weis nicht was, zu vergeben. Haben Sie ein Mistrauen in mich gesetzet, bin ich Ihren Augen ein falsches Mädchen gewesen; so habe ich mich an Ihnen schon genug dadurch gerochen, daß ich Sie von dem Gegentheile so genau zu überzeugen mich bemühet habe, daß sich Ihr garstiger Argwohn hat verstecken müßten. Ich bin nicht wenig stolz darauf, daß Sie inne werden, daß Sie nicht alleine ein gutes Herz haben, und daß Sie mir eben diese Ehre, wenigstens in Absicht auf Sich selbsten, zugestehen müssen: in Absicht auf andere aber scheint es, als wenn Sie mich für sehr muthwillig, wo nicht gar für boshaft hielten. Ich muß mich deswegen bei Ihnen rechtfertigen. Sie sind tungendhaft meine Juliane, Sie haben enges Gewissen, Sie sind gar zu zärtlich. Wenn ich Ihnen nicht suchte Ihren Irrthum zu benehmen, so würden Sie mich für das leichtsinnigste Mädchen von der Welt halten, und nichts wäre mir unleidlicher als dieses. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich den Plan, wie Sie es nennen, zu[291] Hintertreibung Ihrer Verbindung mit meinem Oncle entworfen habe? In der That, ich habe ihn gut geheißen; aber er war nicht meine Erfindung. Sie haben diese, eben so wohl als die Ausführung desselben, einer Person zu danken. Der Baron ist der Patriot, der den Einfall hatte, die ganze Gesellschaft zu bezechen, und sich selbst dabei nicht zu vergessen, um Sie von dem Verdruße eines unangenehmen Liebesantrags zu befreien. Sie haben nicht Ursache, über den Kopf Ihres Herrn Vaters, und über das podagrische Bein Ihres Anbeters sich, ein Gewissen zu machen. Ich würde selbst einige Unruhe darüber empfinden, wenn ich glaubte, das dieses Unheil, ohne den Antrieb des Barons, wäre vermieden worden; allein urtheilen Sie selbsten, ob es nicht besser war, daß er sich und seinen Freunden einen Rausch trank, um ein Unheil zu vermeiden, als daß eben dieses ein paar Stunden später geschahe, um eine unglückliche Verbindung dadurch zu befestigen. Aus zwei Uebeln muß man doch allemal das Kleinste[292] erwählen. Geben Sie sich zufrieden mein Kind, Sie mußten einmal an diesem Tage eine Gelegenheit seyn, daß man den größern Becher der Frölichkeit, nach der Benennung unsers Magisters ausleerte. Was liegt Ihnen daran, aus welcher Nebenabsicht dieses geschahe. Ich bin in meinen Gemüthe über diesen Punkt ruhig; ich dächte, Sie wären es auch. Ueber einen andern Vorwurf den Sie mir gemacht haben, bin ich nicht so gleichgültig. Ich soll durchaus die Gespensterhistorie des Herr v.N. erfunden und eingefädelt haben. Mit Ihrer Frau Mutter habe ich deswegen schon eine Lanze brechen müssen, das fehlte mir noch, daß ich mit der Fräulein Tochter auch was zu zanken bekäme. Es ist Ihr großes Glück, daß Sie in dieser wichtigen Sache nichts entscheiden. Sie verlangen mehreres Licht darinne zu haben, ehe Sie ein Endurtheil abfassen, und mich freisprechen oder eine Gewissensrüge anstellen wollen. Sie können mich ganz sicher freisprechen. Ich werde für meine Unschuld keinen Beweis führen,[293] nein nein meine Juliane, den verlangen Sie auch nicht. Wenn es die Roth erforderte, und man zu arglistigen Mitteln seine Zuflucht nehmen müßte, um Sie von einer unangenehmen Verbindung zu befreien; so könnte es wohl seyn, daß ich aus Freundschaft für Sie eine kleine Bosheit beginge, aber dismal habe ich in Wahrheit nicht daran gedacht. Sehen Sie diese romanmäßige Unternehmung noch einmal genau an, Sie werden den lächerlichen Magister von Anfang bis zu Ende darinne finden. Suchen Sie diesen ungegründeten Argwohn von mir Ihrer Frau Mutter gleichfalls zu benehmen: kann es aber nicht seyn, so lassen Sie ihr das Vergnügen, ihre Meinung zu behalten. Bitten Sie mich ja nie wieder um Verzeihung Ihrer Offenherzigkeit, wenn Sie mich nicht beleidigen wollen. Wir wollen nie aufhören, einander alles zu sagen, was wir denken, dieses ist der vollkommenste Beweis einer aufrichtigen Freundschaft. Wenn Sie der Aufmerksamkeit Ihrer Mama einmal entwischen können; so kommen Sie hieher nach[294] Schönthal, ich habe große Lust, mit Ihnen mich recht satt zu schwatzen. Der Baron will sich, Ihnen zu gefallen, noch zehnmal einen Rausch trinken. Wir lieben Sie, wir schätzen Sie hoch; in beiden aber gebühret der Vorzug


Ihrer aufrichtigen Freundin

Amaliie v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 290-295.
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