Siebenter Auftritt.

[516] Montan. Silvander.


MONTAN in seiner ordentlichen Schäfertracht.

So sollen Schäferinnen,

Da euch das Meer verstößt, nun eure Beute seyn?

Nehmt eurer Pflicht gemäß des Feindes Küsten ein.

Versammlet euer Volk auf den zerstreuten Schiffen,

Die das erzürnte Glück in einem Sturm ergriffen.

An diesen kleinen Ort trieb euch nicht eure Pflicht,

Und was ihr hier begehrt, dient eurer Ehre nicht.

Steigt an bewohntes Land, verjagt des Feindes Heere:

Das wollen Fürst und Recht, das wollen Pflicht und Ehre.

Warum stört ihr uns hier in der Zufriedenheit,

Der sich ein Kriegsmann doch Zeit Lebens nimmer weiht?

Ihr wollt durch kühnen Raub die treuste Freundschaft trennen.

SILVANDER.

Damit ihr anders denkt, so lernt mich besser kennen,[516]

Ich bin ein Kriegsmann ja, doch nicht von jener Art,

Die statt der Tapferkeit Stolz in der Brust verwahrt,

Und trotzig sich erkühnt mit stets gezückten Degen,

Was ihnen nicht gehört zu Füssen sich zu legen.

O! nein, ein menschlich Herz schlägt, wie in euch, in mir.

Ich bin nicht als Soldat, ich bin als Schäfer hier.

Ihr könnt es äußerlich an dieser Tracht erkennen,

Dem innern nach sollt ihr mich bald auch Schäfer nennen.

MONTAN.

Das seh ich, wenn ihr euch der stillen Anmuth weiht,

Und wenn ihr euch mit uns an Schaaf und Flur erfreut.

Wenn ihr, wie wir es thun, zufrieden Schaafe weidet,

Und eures Glücks Verlust, bey dem Glück willig leidet.

SILVANDER.

Dies alles ist mein Glück und meine größte Lust,

Jedoch vor allen wohnt in eines Schäfers Brust,

Die reinste Zärtlichkeit, Empfindung sanfter Flammen,

Und Lust am Schaaf und Flur sind allezeit beysammen.

Ja beyde Stücke sind den Schäfern wesentlich;

Ein Schäfer ohne Lieb irrt und verkennet sich,

Wenn er sich Schäfer nennt; Ja Schäfer, ja, ich liebe,

Könnt ich auch Schäfer seyn, wenn ich nicht zärtlich bliebe?

MONTAN.

Mich zog die Liebe zwar nicht in den Schäferstand,

Und meinen Kindern ist der Trieb auch unbekannt.[517]

Allein, ich weiß gar wohl in jungen Schäferherzen,

Schleicht sich ein sanftes Weh und läßt sich nicht verschmerzen.

Wenn ihr, so wie ihr sagt, die Stille wehlen könnt,

Und mir mein stilles Glück, wie meinen Schäfern gönnt,

Ja kann ich eurem Herz, wie eurem Worte, glauben,

Wollt ihr hier Schäfer seyn, ich will es euch erlauben.

SILVANDER.

Ich schwöre bey der Glut

MONTAN.

Es braucht des Schwörens nicht,

Bey Schäfern macht ein Wort, das was man sagt zur Pflicht.

Ich weiß was Liebe kann, vor mehr als zwanzig Jahren

Hab ich durch Lust und Schmerz, was sie vermag, erfahren.

Ich will der Zärtlichkeit nicht mehr zuwider seyn.

Ich räum euch einen Platz in Doris Herzen ein.

SILVANDER.

O! unverhofftes Glück, du bist nicht zu ermessen,

Ihr lehrt mich alles Glück samt aller Noth vergessen.

MONTAN.

Was redet ihr von Noth? Wer Ehr und Güter hat,

Schmählt unrecht auf das Glück. Wärt ihr an meiner Statt,

So hättet ihr noch Grund das Schicksal anzuklagen.

SILVANDER.

Gründe gnug! sollt ich euch nur mein Schicksal sagen:[518]

Man zog mich, es ist wahr, als einen Prinzen auf;

Doch sind Verdruß und Schinerz mein ganzer Lebenslauf.

Sechs Jahre war ich alt, seit ich den nicht gesehen,

Der mir das Leben gab. Es war um mich geschehen,

So wie es gänzlich schien, doch mein untreues Glück,

Gab mir auf seiner Flucht noch einen holden Blick.

Man nahm mich an den Hof, weil man an mir gefunden,

Ich sey der Sorgfalt werth. Mein Vater war verschwunden,

Er gieng weit in die Welt und schweift noch hin und her.

MONTAN.

O Himmel! hör ich recht?

SILVANDER.

Er sucht zu Land und Meer,

Weit in der Welt herum, wie Theseus Abentheuer.

Doch glaub ich, Hitze, Frost, Sturm, Wellen, Wasser, Feuer,

Und was nur die Gefahr je Reisenden gedroht.

Beförderten längst den von ihm gesuchten Tod.

MONTAN.

Wie hieß er?

SILVANDER.

Orgon.

MONTAN.

Ach! was muß ich jetzt empfinden,

Soll ich den besten Freund im Sohne wieder finden?[519]

SILVANDER.

Wie? seyd ihr denn Oront?

MONTAN.

Ja. Ihr Leander?

SILVANDER.

Ja.

MONTAN.

Des Orgons Sohn?

SILVANDER.

Gewiß

MONTAN.

Mein Glück ist wieder da,

Da meines Freundes Sohn mir es selbst wieder bringet.

Umarme mich mein Freund

SILVANDER.

Glück, das zum Weinen zwinget.

MONTAN.

O unbegreiflich Glück, sey deinem Vater gleich,

Und rede wie ein Freund, nicht fremd, durch ihr und euch.

SILVANDER.

Ich thu es, weil du willst, der Himmel will es haben,

Mein Herz befiehlt es mir. O Himmel! deine Gaben

Verdeckst du oft sehr lang mit Zweifel und Verdruß,

Biß man zuletzt entzückt, sein Glück bewundern muß,

In Doris kann ich nun die beste Gattin lieben.

Mein Vater, lebt er noch, freut sich bey diesen Trieben.[520]

MONTAN.

Ach hoffe nicht zu viel.

SILVANDER.

Wie? sollt er wiederstehn?

MONTAN.

Nein, dieses glaub ich nicht: doch du wirst ihn nicht sehn,

Das Schif, auf welchem er sein Reisen angefangen,

Ist vor viel Jahren schon bey Japan untergangen.

SILVANDER.

Wie? du erschreckest mich! doch sollt es möglich seyn?

Es lief bey Hofe nie die böse Zeitung ein:

Mau hätte sie daselbst am sichersten erfahren,

Wenn sie gegründet wär.

MONTAN.

Vor mehr als sechzehn Jahren

Soll das geschehen seyn, was ich dir jetzt gesagt;

Unmöglich ist es nicht, er hat sich viel gewagt.

SILVANDER.

Was ihn auch für Gefahr bey seiner Fahrt betroffen,

So heißt mein Herz mich doch noch stets das Beste hoffen.

Doch meine Schwester hat das weis ich ganz gewiß,

Ein früher Tod ereilt.

MONTAN.

Mein Freund! wer sagt dir dies?

SILVANDER.

Kaum war sie in dein Hauß zur Pflegung übergeben,

So floh sie zart und schwach ihr schon halb todtes Leben.[521]

MONTAN.

Nein, Freund! ein leerer Ruff, den meine List erdacht,

Hat deiner Schwester Tod dir fälschlich vorgebracht.

Sie lebt und lebt bey mir.

SILVANDER.

O Himmel! darf ichs glauben?

MONTAN.

Ich that, was Freundschaft, Pflicht und Zärtlichkeit erlauben;

Ich nahm, als ich entfloh, nebst meiner Kinder Paar,

Auch deine Schwester mit, die mir statt Kindes war.

SILVANDER.

Wo ist sie? welch ein Glück!

MONTAN.

Vielleicht wirst du sie kennen,

Vielleicht auch nicht.

SILVANDER.

Wie so?

MONTAN.

Du darfst sie mir nur nennen,

So zeig ich dir gleich. Wie hieß sie? weist du das?

SILVANDER.

Luise.

MONTAN.

Wie? hieß sie Luise?

SILVANDER.

Ja.

MONTAN.

Wie? was?[522]

SILVANDER.

Luise, ganz gewiß! von der, die sie verpflegt,

Erfuhr ich, daß man ihr den Namen beygeleget.

MONTAN.

O unerschöpfte Wut des grausamsten Geschicks,

Nun sinkt der ganze Grund des allerletzten Glücks.

SILVANDER.

Was klagst du? gönnst du vielleicht nicht meine Freude?

MONTAN.

Ach! klage mit, mein Freund, das Glück verfolgt uns beyde,

Die Doris, die du liebst, ist deine Schwester.

SILVANDER.

Sie?

MONTAN.

Sie ist Luise, ja.

SILVANDER.

O! Doris, bist du die?

Die, weil sie mich geliebt, und weil sie geliebet,

Statt süsser Hofnung mich mit Reu und Schaam betrübet;

Die Strafe trift mich schon für die Verwegenheit,

Die meine Landung mir gleich Anfangs prophezeyt.

Indessen will ich dem Schäferstand ergeben,

Und recht vergnügt bey dir und meiner Schwester leben.

MONTAN.

Bedenke, was du thust, damit zu andrer Zeit,

Dein kühner Anschlag dich nicht allzuspät gereut.

Dies kleine stille Land ist kein Ort für Leandern.[523]

SILVANDER.

Leander ist nicht hier, du redest mit Silvandern;

Denn ich will Schäfer seyn, und fasse den Entschluß

Zu fliehen, was mich doch nur stets betrüben muß.

MONTAN.

So flieh denn diesen Ort.

SILVANDER.

Nein, ich weiß mich zu fassen.

Ist mir das Glück noch treu, hier wird michs auch nicht hassen.

MONTAN.

O Freund, du kennest noch nicht allen meinen Schmerz;

Damöt hat Sylviens, sie hat Damötens Herz.

Sie lieben sich, und sind doch beyde meine Kinder.

SILVANDER.

So kränket, wie ich seh, verhaßte Glut nicht minder

Dich so, wie sie und mich! O Himmel! steh uns bey,

Daß diese Insel nicht des Lasters Zeuge sey.

MONTAN.

Doch dort kommt Sylvia mit dem Damöt gegangen.

Ich unterdrücke nun ihr schädliches Verlangen.

Entferne dich: noch darf dich keins von beyden sehn.


Quelle:
Christlob Mylius: Vermischte Schriften. Berlin 1754, S. 516-524.
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