Jutta, Alverdens Kammerfrau, an den Bischof von Sutri.

1210.

[330] Ich fand so wenig bedenkliches an eurem Auftrag, euch alles zu melden, was auf unserer Reise nach Frankfurt vorfallen möchte, daß ich ihn erfüllt haben würde, auch wenn unsere Begegnisse von anderer Art gewesen wären, als die, welche uns leider betroffen haben; Begegnisse, welche mich in die Nothwendigkeit gesetzt haben würden, euch zu schreiben, auch wenn ich den Befehl dazu, nicht unter dem Siegel der Beichte erhalten hätte. Höret das ganze All unsers Unglücks; die königliche Braut ist krank, der Reichsmarschall, der Herr von Kalatin, welchen der Kaiser der Prinzessin zum Führer zuschickte, ist ermordet, und mein armes Fräulein befindet sich an den Pforten des Todes!

Daß die letzte euren geistlichen Zuspruch wünschen oder fordern solle, kann ich eben nicht sagen, auch ist sie zu schwach, zu wissen, was ihr gut ist, mir aber, als einer getreuen Dienerin, liegt ob, für ihr ewiges Heil zu sorgen, und euch, hochwürdiger Herr, zu ihrem geistlichen Beystand herbey zu rufen; und dieses um so viel mehr, da ihr mir oft sagtet, daß ihr[330] Glaube mangelhaft, ihr Hang zu Ketzereyen stark sey; Dinge, welche meine Anhänglichkeit an sie zwar merklich schwächten, aber jetzt den Wunsch, sie gerettet zu sehen, nur desto mehr anfachen.

Mit halber Nachricht, ehrwürdiger Herr, wär euch, wie ich überzeugt bin, nicht gedient, und ich nütze also die Stunden der Nacht, die mir bis zu Abgang des Boten übrig sind, euch alles zu melden, was uns zugestoßen ist; es sind schreckliche Dinge, von welchen ich das wenigste verstehe; doch ich erhielt Befehl von euch, auch das mir unverständliche, und eben dieses mit der meisten Sorgfalt zu verzeichnen, damit es eurer Weisheit nicht an Mitteln fehle, sich aus Irrgängen zu finden, wo mein schwacher Verstand still steht.

Die Schwermuth, mit welcher mein Fräulein seit einiger Zeit befallen war, kennt ihr, und ich behaupte nochmals, was ich euch oft sagte, wenn ihr euch herabließt, mit mir über diesen Punkt zu sprechen, daß dieselbe etwas mehr als aufgeregten Gewissenszweifel zum Grunde haben müsse. So heiter die Prinzessin sich äußerlich erzeigte, mit so viel Freude sie ihrer erhabenen Bestimmung entgegen zu gehen schien, so ward sie doch so wohl als ihre Freundin in der Stille von einem Gram gefoltert, welcher[331] keine Gränzen hatte. Euch über den Grund dieser Dinge vollen Aufschluß zu geben, trachtete ich noch des Abends vor unserer Abreise, mich zweyer Briefe zu bemächtigen, davon die Prinzessin den einen selbst geschrieben, und ihn Alverden endlich nach einigem Streit überlassen hatte; den andern brachte an einem der vorigen Tage ein Unbekannter, den ich nicht selbst gesehen habe; auch von dem Briefe weiß ich nichts weiter zu sagen, als daß er, ob er gleich an die Prinzessinnen Elise und Beatrix gerichtet war, dennoch von meinem Fräuleim erbrochen, und unter tausend Thränen gelesen wurde.

Ihr sehet wohl, daß sich aus diesen Schreiben viel aufgeklärt haben würde, aber sie sind mir unter den Händen verschwunden, und ich muß glauben, daß sie nebst andern Schriften zusammen gepackt, und nach einem Kloster zur Verwahrung geschickt worden sind, dessen Namen ich, als Alverde den Boten abfertigte, nicht verstehen konnte.

Ob diese Dinge einen Zusammenhang mit dem haben, was ich nun melden werde, mögt ihr entscheiden; ich gehe weiter.

Der Gram der Prinzessin und meines Fräuleins ward durch das Geräusch der glänzenden Heimführung der ersten nicht getilgt. Unser Führer, der Herr von Kalatin, den ich wohl[332] ehe bey Hofe als den muntersten unter allen Rittern gesehen habe, schien von der nehmlichen Seuche angesteckt zu seyn. Er nahte sich Alverden nie, ungeachtet ich wohl weis, wie er ehedem um einen Blick, um ein Wort von ihr gerungen hat. Mag wohl seyn, daß die Verminderung ihrer Schönheit seine Liebe tödtete, denn gewiß der heimliche Gram hat sie ganz zu einer andern gemacht, als sie vormals war.

Der Herr von Kalatin schränkte, ungeachtet ich weis, daß er von euch bey der Abreise andere Einschläge erhielt, unsere Freiheit auf keine Art ein; in Gedanken verloren ging er meistens seinen einsamen Weg für sich, und ließ uns den unsrigen nach Gefallen suchen. Die Reisigen, welche zu unserer Hut bestellt waren, mogten wohl die wenigste Zeit wissen, wo ihr Führer und wo die ihnen Anbefohlnen waren. Ihn fanden sie etwa des Abends oder auch wohl erst des Morgens im Feld und Wald mit der Miene eines Verzweifelnden umher irren, indessen unsere Damen zu der Zeit, wenn Ablager gehalten werden sollte, immer auch gesucht, und dann ebenfalls in irgend einer Einöde, von ihren Thieren abgestiegen, weinend und seufzend gefunden wurden; in Summa, eine trübseligere und unordentlichere Heimführung einer königlichen Braut, als die unsrige, mag wohl, seit die Welt steht, nicht gesehen worden seyn.[333]

Ich war nur selten die Begleiterinn meines Fräuleins auf ihren einsamen Wanderungen; die Gnade, mit welcher sie mich ehemals beehrte, scheint seit dem Vertrauen, das ihr, ehrwürdiger Herr, auf mich warfet, merklich gemindert zu seyn; doch wollte es das Schicksal, daß ich mich gerade in den merkwürdigen Augenblicken an ihrer Seite fand, welche den vornehmsten Gegenstand meiner Erzählung ausmachen.

Es war eine der schönsten mondhellen Nächte, die wir in diesem Sommer gehabt haben. Unser Reisegefolge ruhte unter den Zelten, welche man, um einmal zu rasten, auf der großen Ebene an der Donau aufgeschlagen hatte, aber daß wir nicht rasteten, brauche ich euch nicht erst zu sagen. Die Prinzessin und ihre Vertraute wurden von ihrem ruhlosen Gram vom Lager aufgescheucht, und mich bewog die Hitze unter den Gezelten, vielleicht auch Neugier und Wunsch, euch zu dienen, meinem Fräulein nachzuschleichen, und Erfrischung im Freyen zu suchen. Ich folgte nur von weiten, weil ich nicht zur Begleitung aufgefordert war. Ich sah, daß die Damen ihren Weg nach dem Strome nahmen, der, wie er seine Fluthen im Mondglanz dahin wälzte, würklich ein hinreißend schönes Schauspiel gab. Der Ort, wohin sich unsere[334] Schritte lenkten, war einsam. Der ausgetretene Strom hatte sich in einer der lieblichsten Gegenden ein Bette gemacht, das in niedrigen Ufern die klare Fluth umschloß, und von alten Weiden beschattet wurde. Man ließ sich an denselben nieder, man sprach, man weinte; ich hätte die Welt darum gegeben, ein Wort zu verstehen, aber die Entfernung, in welcher ich mich halten mußte, war meiner Neugier nicht günstig, und nur einigemale kamen mir die Namen, Otto von Wittelsbach, und Alf von Dülmen zu Ohren; wars nicht schon Verbrechen für Kaiser Philipps Tochter, für Kaiser Ottos Braut, diese Namen in ihren Mund zu nehmen? – Doch ihr sollt noch mehr hören!

Ueber der vergeblichen Bemühung, etwas zu vernehmen, das ich euch melden könnte, war ich entschlummert. – Mit Schrecken erwachte ich; Waffengeräusch wars, was mich weckte. Ich sprang auf, mein erster Blick war nach den Damen, mein erster Gedanke Besorgniß um sie. Ich sah sie nicht mehr auf der Stelle, wo sie gesessen hatten, aber die klagende Stimme der Prinzessin, lenkte meine Schritte nach dem Orte, wo ich sie finden sollte. Weiter ins Thal hinein ist eine Stelle von dichten Bäumen umschattet, die sie meinen Augen verbarg. Das Geklirr der Schwerdter und die unaufhörlich von[335] der Prinzessin ausgesprochenen Namen, Otto von Wittelsbach und Alf von Dülmen ließen mich dorthin eilen, ich sahe zwey gerüstete Ritter im vollen Kampfe, ich sah Beatrix, wie sie bald sich mit Gefahr ihres eigenen Lebens zwischen sie warf, um ihren Streit zu hindern, bald auf den Boden neben einem Verwundeten, den ich noch nicht wahrgenommen hatte, hinkniete, um ihm das quellende Blut zu stillen; mein Fräulein sah ich gar nicht, und man hat sie erst ziemlich spät in tiefer Ohnmacht unter den Weiden entdeckt. Das Herz jedes Weibes ist zum Mitleid gebildet: ich flog zu dem Verwundeten, die Sorge um ihn, mit der Prinzessin zu theilen, und ihr die Trennung der beyden Kämpfer, davon ich den einen beym Mondlicht für den Herrn von Kalatin erkannte, zu erleichtern.

O, Jutta! schrie die Prinzessin, rette, rette, wenn du kannst, den Pfalzgrafen! er ist unschuldig, der Kaiser wird ihn begnadigen! Ja, bey Gott! lallte der Sterbende, das bin ich! aber Kaisergnade bedarf ich nicht mehr, nur die Gnade des Richters, vor dem ich nun bald stehen werde!

Beatrix betauete des Wittelsbachers bleiches Gesicht mit ihren Thränen. Geht Prinzessin, lallte er, indem er sie von sich abwehrte,[336] rettet Alf von Dülmen, mit mir ists zu spät! O Alf von Dülmen! Alf von Dülmen! schrie die Prinzessin, indem sie aufsprang, und sich von neuem unter die Kämpfenden stürzte, deren Gefecht sich jetzt weiter nach dem Strom hingezogen hatte. Der Pfalzgraf verschied unter meinen Händen; das Geschrey der Prinzessin, das von der andern Seite zu mir um Hülfe ertönte, machte, daß ich meinen Thränen, die würklich auch um den schönen edeln Mann flossen, ungeachtet er in Acht und Bann gestorben ist, Einhalt thun mußte; ich flog dahin, wohin ich gerufen ward, ich sahe den Herrn von Kalatin fallen, seinen Mörder sich aus den Armen der Prinzessin winden, und sich vom hohen Ufer mit einem Sprunge in den Strom stürzen. Beatrix sank ohne Gefühl zu Boden, mir mochte es nicht besser gegangen seyn; denn ohne zu wissen, wie das zusammenhing, sahe ich mich auf einmal von unsern Leuten umringt, die mich empor huben, und der Prinzessin und Alverden nach, unter die Gezelte trugen.

Die Unruhe, welche seitdem hier herrscht, ist unglaublich. Der Leichnam des Herrn von Kalatin ist bis auf weitere Verordnung des Kaisers, nach dem nahen Paulinerkloster gebracht worden, den Körper des Wittelsbachers, als eines[337] Durchächteten, hat man in den Strom geworfen.

Alf von Dülmen aus den Fluthen zu retten, soll sich einer von euren uns mitgegebenen vertrauten Leuten, ehrwürdiger Herr, sehr viel Mühe gegeben haben. Die Prinzessin liegt ohne Besinnung, Alverde ist dem Tode nahe; der Kaiser, welcher seiner Braut entgegen gegangen war, ist persönlich hier eingetroffen, und da aus den kranken Damen von dem ganzen Vorgange nichts zu erforschen ist, so habe ich Dinge aussagen sollen, wovon ich doch nichts als das Ende gesehen habe.

Ich schütze mich mit meiner Unwissenheit; Erklärungen über so delikate, und nach meinen Gedanken ziemlich verdächtige Händel, hätten leicht mir selbst Gefahr bringen können.

Ihr, ehrwürdiger Herr, werdet euch aus diesen Räthseln besser finden können, als ich. Der Morgen bricht an; ich muß eilen, damit der kaiserliche Bote, der mir versprochen hat, ein Schreiben an euch mit sich zu nehmen, nicht ohne dasselbe abgehe.[338]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 330-339.
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Alf von Dülmen
Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)

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