Sechszehntes Kapitel.

Ein seltsames Gnadenschreiben.

[147] Der junge Prinz, auf den man für die Prinzeßinn von Ratibor die Augen geworfen hatte, erschien. Es war ein reicher Herr von den größten Hoffnungen aus dem Hause Viskonti. Vorläufige Unterhandlungen waren schon getroffen, man hatte ihm von Imagos Schönheit mit den gewöhnlichen Vergrösserungen gesprochen, er brannte vor Verlangen sie zu sehen, er ward ihr vorgestellt, und wahrscheinlich machte er einen größern Eindruck auf sie, als sie auf ihn, denn – er sah sie an Idas Seite. Welches Mädchen hätte neben dieser auf Eroberungen Anspruch machen können! und was hatte die Prinzeßinn von Ratibor, sie, die den meisten andern Schönheiten nachstehen muste, was hatte sie denn zu erwarten. Er wandte kein Auge von Ida, und selbst nachdem man ihm von dem geringen Stande derjenigen, welche seine Aufmerksamkeit zu reizen schien, Nachricht[147] gegeben hatte, welches unvorzüglich geschah, selbst dann konnte er sich noch nicht überwinden, seiner bestimmten Braut etwas mehr als etliche Seitenblicke zu gönnen, indessen er fortfuhr, sich in Idas Anschauen zu vertiefen, welche hiedurch so aus aller Fassung gebracht wurde, daß sie sich entfernen mußte.

Ida ward nicht mehr in den Pallast der Fürstinn von Ratibor gefordert, und Imago schien, wenn sie sie bey Hofe traf, ihre alte Freundinn nicht mehr zu kennen. Der Prinz besuchte den Pallast der Fürstinn von Ratibor oft, ohne diejenige wieder zu finden, welche er eigentlich daselbst suchte, er sah Ida bey Hofe, und brauchte eben so wenig Vorsicht die Bewunderung, mit welcher er sie betrachtete, zu verbergen, als bey ihrem ersten Anblick. Man sagte ihm zu wiederholten mahlen, dies bewunderte Mädchen nenne sich Ida Münsterinn, aber der Name schien nicht die Würkung zu haben, die man erwartete; er fuhr fort zu schauen, und Gelegenheit zu suchen diese außerordentliche Person auch zum Sprechen zu bringen. Das letzte mislang. Ida floh ihn auf alle mögliche Art, weil sie seine Liebe merkte, die Anträge eines Prinzen nicht anhören, ihre Freundinn nicht ausstechen, und Herrmann nicht vergessen mochte. – Der junge Italiäner hielt sich nur so lange zu Prag auf, als er Zeit brauchte, sich zu überzeugen, daß er nichts von derjenigen, die er liebte, zu[148] hoffen hatte. Er vergas in der Eil von der Prinzeßinn von Ratibor Abschied zu nehmen, und hatte überhaupt während seinen ganzen Aufenthalt an Wenzels Hofe, nicht ein Wort von der Ehre gedacht, welche man ihn daselbst zutheilen wollte.

So war denn die gute Imago sammt ihrer ehrgeizigen Mutter abermahl getäuscht. Man war so weit gegangen unter der Hand schon die Glückwünsche des Hofs zu der bevorstehenden Vermählung anzunehmen, und die Beschämung, zurück gesetzt zu seyn, war also nicht gering.

Alle Schuld der fehlgeschlagenen Hoffnung ward auf die unschuldige Ida geschoben, welche weiter nichts verbrochen hatte, als das sie schöner war als Imago, als die meisten ihrer Gespielinnen. Die Oberhofmeisterinn und ihre Tochter vermochten die Wuth, die in ihren Herzen kochte, fast nicht mehr zu bergen, und Ida würde schreckliche Dinge geahndet haben, wenn ein Verdacht in ihr unbefangnes trugloses Herz hätte kommen können.

Ihre sogenannten Eltern dachten in diesem Stücke anders. Beyde hielten es nicht für gut das junge Mädchen furchtsam zu machen, aber ihr gefahrvoller Stand war oft bis tief in die Nacht der Gegenstand ihrer ängstlichen Berathschlagungen, und jedes beschloß in der Stille seine Maasregeln zu nehmen, damit das Leben[149] und die Ehre derjenigen, welche ihnen so theuer war, auf alle Art sicher gestellt würde.

Die alte Münsterinn war in diesem Stück noch weit ängstlicher und sorgsamer als ihr Mann. Der Fürst von Ratibor und sein ganzes hohes Haus war bey ihr in sehr schlechtem Kredit, sie wußte hundert Geschichten zu erzählen, von welchen immer eine schrecklicher als die andere war, und welche alle bewiesen, daß diejenigen, welche das Unglück hatten, ihm oder den seinigen zu mißfallen, sich aus der Welt verloren, ohne daß man genau zu sagen wußte, wohin sie gekommen waren; wie leicht war es, daß die unglückliche Ida auf ähnliche Art verloren ging, und welche Sicherheit konnte der besorgten Matrone, die den Mutternamen bey dem jungen Mädchen führte, wohl gross genug seyn, ihr Leben zu schützen.

Es ist zu glauben, daß alle die Dinge, mit welchen sich die alte Münsterinn quälte, in die Reihe der Gespenstermärchen gehörten, welche zu den damahligen Zeiten sehr Mode waren, aber leider haben erdichtete Schreckbilder einen eben so großen Einfluß auf schwache Gemüther als Wahrheiten, und sie haben vor den letzten noch das zum Voraus, daß man um ihnen zu entfliehen meistens Mittel wählt, die so seltsam ersonnen sind, daß sie uns würklichem Unglück entgegen führen.[150]

Und die Besorgnisse im münsterschen Hause zu vermehren, entstand das Gerücht, welches bald darauf von Idas Mund bestätigt wurde, daß die Reise des Kaisers nach Westphalen, von welcher so lang gesprochen worden war, in wenig Wochen vor sich gehen, und daß also Ida, wenn sie dem Hofe folgte, bald ganz hülflos der Bosheit ihrer Feinde überlassen seyn würde.

Münsters erster Gedanke auf diese Nachricht war seine so genannte Tochter wieder in sein Haus zu nehmen; seine Frau stimmte diesmahl aus vollem Herzen ein, und Ida, welche nie einen andern Willen hatte, als diejenigen, welche sie ihre Eltern nannte, widersprach nicht.

Der Antrag ward gethan. Aber die Kaiserinn hatte sich so an ihre reizende Gesellschafterinn gewöhnt, daß an keine Trennung zu denken war, und daß die Bitte des alten Münsters, die er in Person vortrug, abgeschlagen ward. Ich danke euch, guter Alter, sprach Sophie mit ihrer gewöhnlichen Herablassung, ich danke euch, daß ihr mir eure Tochter so lang gönntet, aber wollt ihr sie jetzt von mir nehmen, so ist das vergangene kaum dankenswerth, den es nahen sich mir jetzt Stunden, in welchen ich die liebreiche Wartung, und die heitere Unterhaltung des guten Mädchens doppelt nöthig habe, sie muß mir die Geister des Unmuths hinwegschwatzen und spielen; oder[151] gönnt ihr ihr nicht die Ehre, eurem künftigen Herrn die ersten Wiegenlieder zu singen?

Dieses hies den alten Münster auf seiner schwachen Seite angreifen. Es verstand sich, daß an Idas Rückkehr in sein Haus nicht mehr gedacht wurde, da aber nichts im Stande war seine Besorgniß um sie, wenn er nicht täglich von ihr hören konnte, zu heben, so faßte er einen Entschluß, den wir in der Folge sehen werden; seine Frau faßte in der Stille auch den ihrigen, setzte ihre noch übrigen hundert und funfzig goldne Schilde daran ihn auszuführen, und ging dabey mit ihrer gewöhnlichen Voreiligkeit zu Werke.

Der Tag der Abreise nahte heran, aber es ereigneten sich Umstände, welche weder die Geschichte noch die Sage3 deutlich benennt, die Wenzeln nöthigten, noch einige Zeit in Prag zurück zu bleiben, und seine Gemahlinn nebst ihrer Hofstatt allein abgehen zu lassen.

Der ganze Hof war zur Abschiedsaudienz im Vorgemach des Kaisers versammelt, als sich eine Sache zutrug, welche jedermann, und diejenige, welche sie unmittelbar betraf, in das größte Erstaunen setzte. Schon hatte Wenzel mit den Vornehmsten von Sophiens Hofstatt gesprochen, und[152] der geringere Theil derselben sollte wie gewöhnlich auf allgemeine Art entlassen werden, als Ida aus dem Haufen ihrer jungen Gespielinnen hervorgerufen und bedeutet wurde von den Kaiser zu treten.

Seyd ihr Ida Münsterinn? fragte er.

Das Mädchen antwortete mit einer bejahenden Verbeugung.

Ein Wink des Kaisers befahl einem hinter ihm stehenden Geheimschreiber, ihr ein grosses Pergament mit dem kaiserlichen Siegel zu überreichen.

Ida ward bestürzt.

Ihr könnt dieses Geschenk, sagte Wenzel, nicht so außerordentlich finden, als es mir selbst vorkommt, aber man hat es für gut gefunden es für euch bey mir zu suchen, und ich bin ein zu liebreicher Vater meiner Unterthanen, um auch dem geringsten von ihnen eine mögliche Bitte zu versagen. Geht, und seyd meiner kaiserlichen Gnade versichert.

Ida trat voll Verwirrung zurück. Jedermann drängte sich um sie, jeder wollte den Inhalt dieses räthselhaften Blattes wissen, aber sie eilte zu der Kaiserinn es ihr zu überreichen, welche es einem Kammerherrn gab, der es zu allgemeinem Erstaunen folgendermaßen vorlas:

»Wir Wenzeslaus etc. nehmen dich Ida Münsterinn in unsern kaiserlichen Schutz, so daß wir dein Leben und deine Ehre von der Hand[153] dessen fordern, auf welchen der kleinste Schein des Verdachts beruht, sie angetastet zu haben, auch begnadigen wir dich mit dem Vorrechte, daß keiner über dein Leben und Tod zu sprechen habe, als wir, auch keiner dich wegen irgend einer Anschuldigung belangen könne, als vor unsern unmittelbaren Gericht, oder vor denen welche unter Königsbann an unserer Stelle sitzen. etc.«

Wer verkennt hier wohl die Hand der gutherzigen, der voreiligen Münsterinn, sie hatte nichts unterlassen wollen, die geliebte Ida sicher zu stellen, und hatte also für das beste gehalten, ihr den unmittelbaren kaiserlichen Schutz zu erkaufen. Wenzel, welcher immer bereit war das zu thun was man auf diese Art von ihm bat, hatte – (vielleicht im halben Rausche) eine Schrift ausfertigen lassen, welche jedermann ein Räthsel seyn mußte, und die im Grunde derjenigen, welcher sie zum Besten gereichen sollte, mehr Nachtheil als Nutzen brachte.

Jedermann sahe sich nach Verlesung dieses Schreibens mit verwunderungsvollen Augen an, einige verächtliche Seitenblicke fielen auf Ida, und alle kamen darinn überein, es müste eine ausserordentliche Bewandnis mit diesem Mädchen haben. Ordentlicher Weise brauche die Unschuld keinen andern Schutz als sich selbst; so viel man wisse, habe noch niemand es sich einfallen lassen,[154] verdächtige Anschläge auf Ida zu machen, oder sie vor irgend einem Gericht zu belangen, dieses müsse vorborgene Bewandnisse haben, und was der seltsamen Reden mehr waren.

Ida stand voll Bestürzung da, sie fühlte, daß diese seltsame Begebenheit einen verdächtigen Schein auf sie warf, ungeachtet sie von allen dem, was darüber gesprochen wurde, nichts vernahm, sie nahte sich der Kaiserinn, und bat um Erlaubnis, dieses ausserordentliche Gnadenschreiben dem Monarchen in Demuth zurückgeben zu dürfen. Ich fordere, sagte sie, keine andere Sicherheit als die ein jeder in dem Schutz eines guten Fürsten findet, keine andern Vorrechte als die mir die Gnade meiner Kaiserinn gewährt.

Nein, nein, rief Sophie, die die ganze Sache aus einem andern Gesichtspunkte ansah als die andern, mit einem kleinen Lachen, nein, nein Ida, dieses Schreiben will ich zu deinem Besten verwahren; und wenn es weiter keinen Nutzen hat, so wird es einst deinen Enkeln sagen, daß du ein würdiger Gegenstand der besondern Vorsorge deines Fürsten warest.

Diese Begebenheit ward ein Gegenstand des allgemeinen Gesprächs, sie kam vor Münsters Ohren, ehe Ida noch Gelegenheit hatte, ihn selbst davon zu benachrichtigen. Er errieth den Ursprung derselben ohne Mühe, und hielt mit seiner[155] Frau ein sehr ernsthaftes Gespräch über die seltsamen Dinge, die sie die Neigung für ihren Liebling begehen machte. Die Münsterinn betheuerte, daß sie nichts bey dem Kaiser gesucht habe, als sein besonderes Ansehen auf Idas Bestes, ohne eben darüber eine schriftliche Ausfertigung, ein Schreiben in Gestalt eines eisernen Briefs zu fordern. – Münster, welcher seine Frau selten auf einer Lügen ertappt hatte, glaubte ihr, und das Ganze mußte also einer von den Streichen seyn, wie Wenzel sie zuweilen im Rausche beging, wenn man es nicht lieber einen sonderbaren Zug des Schicksals nennen will, eine von ihm ausgezeichnete Person außerordentlichen Begebenheiten entgegen zu führen.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 147-156.
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