Zwanzigstes Kapitel.

Ida erzählt.

[182] Lieber Leser, gern erlauben wir dir, die unschuldig Verklagte vor Gericht zu begleiten, aber dürfen wir es wagen dich an einen Ort zu führen, den noch kein profanes Auge sah? Setze dich lieber mit dem ehrlichen Vater Münster unter das Thor der Bartholomäuskirche, siehe, der Mond ist untergegangen, die Morgenröthe dämmert dort hervor, wir müssen bald etwas von Ida hören.

Münster war so gewiß von der Unschuld seiner so genannten Tochter überzeugt, als du und ich es nimmermehr seyn können – Walter hatte ihn des vorigen Tages versichert, daß er Ida nimmermehr wiedersehen würde, wenn sie schuldig befunden würde, weil die Rächer Gottes Urtheil und Vollziehung unmittelbar zu verbinden pflegten, aber, setzte er hinzu, glaube auch im Gegentheile, daß, wenn nur etwas ist, das ihre Unschuld zu erweisen scheint, sie dir von dem, dem du sie des Nachts überliefertest, am Morgen sicher wieder zugeführt werden wird.[182]

Münsters Zutrauen in Idas Unschuld, in Walters Worte, und in die Gerechtigkeit der heimlichen Richter war gleich groß, er wartete ruhig bis zur Morgenstunde, und durfte nicht lange warten, denn ehe noch die Bewohner der umliegenden Häuser erwachten, lag Ida schon wieder in seinen Armen.

Du bist mein? bist wieder mein? rief er, bist unschuldig?

Das bin ich, bey Gott meinem Richter sey es geschworen, obgleich noch niemand mich dafür erkennen will. – Ach eure Ida ist euch nur auf kurze Zeit wieder geschenkt. Das Rachschwerd hängt noch an einem dünnen Faden über meinem Haupte. Ich soll mich entschuldigen! Gott wie kann ich es, da aller Anschein wider mich ist!

Ida vermochte vor Thränen nicht weiter zu reden, man trat den Weg nach Hause stillschweigend an. – Das Mädchen setzte sich athemlos nieder, stützte sich auf den Arm und trocknete die Thränen unter dem Schleyer.

Erzähle mir, mein Kind, ich bitte dich, sage mir alles, rief der Alte mit bittendem Blick.

Daß muß ich auch, erwiederte sie, denn ich werde nicht lange bey euch seyn, man hat mir aus besonderer Gnade vergönnt, bis zu Austrag meiner Sache, meinen Aufenthalt bey den Ursulinerinnen zu nehmen, und ich vermuthe, man[183] wird mich bald abholen. – Trauret nicht mein theurer Vater, es ist euch erlaubt, mich dort zu besuchen, ich habe darum gebeten.

Münster drückte ihre Hand, und bat sie, ihre Erzählung anzufangen.

Wie soll ich euch beschreiben, sprach sie, wie mir zu Muthe war, als mich mein Führer von euch riß? Ich glaubte zu sterben. Und doch wars, als wenn ein gewisses etwas mir Trost zuflüsterte, der Vermummte, ihr habt es selbst gesehen, hatte nichts menschenfeindliches und grausames in seinem Betragen; seine Stimme war sanft, ich sah beym Mondenlicht in seinem Auge eine Thräne blinken, und was mir ganz besondere Gedanken machte, als er mich so dahin führte, so ward ich gewahr, daß ihm die linke Hand fehle. Sollte es etwa euer Freund, der treuherzige Walter gewesen seyn?

O Walter! Walter! rief Münster, gewiß er war es, denn jetzt besinne ich mich auch auf seine Stimme.

Mir war dies tröstlich, fuhr Ida fort, so war ich doch nicht ganz unter Unbekannten, und ihr hattet mir immer so viel gutes von diesem Walter, diesem alten Helden erzählt, daß ich mich an seinem Arm sicher dünkte. Wir hatten uns etwa eine Straße lang entfernt, als er mir eine dicke Hülle über das Gesicht warf, welche mir es[184] unmöglich machte den Weg, den wir nahmen, zu unterscheiden; er dauerte lang, gieng über Stock und Stein, Berg auf, Berg ab, durch Gegenden wo mich frische Feldluft anhauchte, und durch weite schallende Gewölbe. Wir stiegen endlich dreyßig Stufen hinab, die ich, ich weis nicht warum sorgfältig zählte, meine Hülle ward mir abgenommen, und ich sah mich in einem düstern dämmernden Orte, wo ich anfangs nichts unterscheiden konnte. Mein Führer erlaubte mir, mich, weil ich sehr ermüdet war, auf einen Stein zu setzen. Mein Gesicht gewöhnte sich nach und nach an die Helligkeit des Orts, ich sah, daß ich an dem Eingang zu einem weiten Platze saß, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn Gebäude oder freye Gegend nennen soll, denn rund um her, so weit meine Augen reichten, erblickte ich hohe Mauern, und über mir den gestirnten Himmel. In der Ferne webten bey dem Schimmer einiger Kerzen, welche den weiten Ort, so zahlreich sie auch waren, nur schwach erleuchteten, dunkle menschliche Gestalten, deren einige sich nahten, und sich zu meinem Führer gesellten; sie waren alle vermummt wie er, auch fand unter ihnen keine andere Unterredung als mit Zeichen und halben Worten statt, die Stille rund um her war bey der Versammlung, die mich immer größer dünkte, und sich meinen Augen bis in die Hunderte vermehrte, unbegreiflich;[185] von meiner Seite ward sie durch nichts als Weinen und Schluchzen unterbrochen.

Auf einmal hörte ich den dumpfen Schall einer Glocke, sie ward dreymal angeschlagen, und mir bebte das Herz bey dem fürchterlichen Laut. Der Schauplatz ward heller, ich erblickte rund umher auf schwarzbekleideten Stühlen eine zahllose Menge schwarzvermummter Gestalten, von welchen mir mein Führer sagte, daß sie meine Richter wären. Ihr werdet diesen Augenblick gefordert werden, sagte er heimlich, bereitet euch, wenn ihr unschuldig seyd, mit gutem Muth hervor zu treten. – Legt den Schleyer ab, flüsterte er nach einer Weile, ihr müßt mit offenem Gesicht erscheinen.

Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als eine Stimme mit gräßlichem Ton zu rufen begann:

Ida Münsterinn! Ida! Ida! Zauberinn! Mörderinn! Hochverrätherinn! erscheine! wir die heimlichen Rächer des unsichtbaren Gottes, laden dich vor Gottes Gericht! Erscheine! erscheine!

Man kann sich nichts entsetzlichers denken, als die Wiederholung der Worte, die mir hier nicht zum ersten mahle vorkamen. Mein Herz empörte sich, daß Bewustseyn meiner Unschuld hob mich hoch empor. Ich stand aufgerichtet und schaute kühn in die Versammlung, ohne einen Fuß zu regen. Ich kann auf keine solche Ladung erscheinen, rief ich mit einer Stimme, welche die Heftigkeit des[186] Affekts stärkte. Mein Name ist Ida, aber ich bin keine Verbrecherinn!

Tritt hervor, rief der, welchen ich vor dem Oberrichter halten mußte, vom Thron herab, und höre, was die Kläger klagen und die Zeugen wider dich zeugen.

Ich trat hervor und sank auf meine Knie. Ich schwöre bey dem der ewig lebt, rief ich mit starker Stimme, daß ich keine Zauberinn, keine Mörderinn, keine Hochverrätherinn bin, daß es falsch sey, was diese Kläger klagen, und die Zeugen zeugen!

Das Gericht hub an, aber, o mein Vater, wie soll ich euch erzählen, was mir aufgebürdet wurde! Ists möglich, daß man die geringsten Kleinigkeiten zu Verbrechen, oder wenigstens zu Kennzeichen des Verbrechens machen kann?

Die Locke meiner geliebten Kaiserinn war das erste, wessen gedacht ward, ach ich mußte sie hingeben, die goldne Schnur ist leer! – Daß man dieses geliebte Andenken in meinem Busen fand, war einer der Hauptbeweise wider mich. Es klebte Blut an meinem Schleyer, ihr wißt, daß ich gestern Abend in der Dunkelheit mir die Wange verletzte, dieses mußte der mit dem Blut der Kaiserinn gefärbte Schleyer seyn, den ich an ihrem Vermählungsfeste brauchte die kleine Wunde, die sie sich von ohngefehr gab, zu trocknen.[187] Man fragte mich, aus was für Absicht ich diese Dinge an mir trüge? Ob ich nicht einst zu einer Freundinn gesagt habe, so lange Sophiens Locke auf meinem Herzen ruhte, müsse mir die Kaiserinn hold seyn? Ob ich nicht das Herz dieser Dame dermassen bezaubert hätte, daß sie keinen Tag ohne mich und mein Harfenspiel seyn könne; daß sie noch jetzt in ihrer Krankheit bekannt habe, sie könne ohne mich weder leben noch sterben?

Hat sie dieses gesagt? rief ich im Ton des Entzückens, o die unvergleichliche Dame! o daß ich sie nur noch einmahl sehen, daß ich, wenn ich sterben muß, nur zu ihren Füßen sterben könnte! Man gebot mir zu schweigen, und das Fragen dauerte fort. Woher die Reichthümer meiner Eltern kämen, nachdem sie durch den Brand wie bekannt um all' ihre Habe gekommen wären? Durch welche zauberische Mittel ich erfahren habe, daß dieses verheerende Feuer auskommen werde, und warum ich so gottlos gewesen, die Stadt nicht zu warnen, ja nicht einmahl auch meine Eltern zu retten, sondern boshafter Weise euch verlassen habe, und nur allein dem Unglück aus dem Wege gegangen seye. Wohin der Herrmann von Unna gekommen, den ich durch meine Zaubereyen in mich verliebt gemacht, denn des Verstandes beraubt habe, so daß er drey Tage lang[188] sinnlos im Lande herumgelaufen, und dann wahrscheinlich durch mich getödet wär.

Herrmanns Erwehnung machte, daß ich ohne Besinnung zur Erde sank, man erquickte mich, und ich fing an laut über Herrmanns Tod zu klagen; o Gott, wenn es wahr, wenn Herrmann tod seyn sollte!

Ida brach in Thränen aus, und es dauerte lang, ehe Münster sie durch die Versicherung: Herrmann habe ihm kürzlich geschrieben, zufrieden sprechen konnte.

Die Anklagen, fuhr Ida fort, wurden immer entsetzlicher. Auch der italiänische Prinz, welcher der Prinzeßinn von Ratibor untreu ward, und den ich durch Zauberkünste in mein Netz gezogen haben sollte, kam an die Reihe, und zuletzt das schrecklichste von Allen, die unglückliche Niederkunft der Kaiserinn, und die Gefahr, in welcher sie noch jetzt schwebt.

Gott weis, was ich auf alle diese Dinge sagte, aber ich, die ich mich für so schwach, so verzagt hielt, fühlte übernatürliche Stärke, ich schwieg auf keinen dieser Artikel, ich sprach wenig und mit Bescheidenheit, aber was ich sprach, mußte Nachdruck haben, denn ich brachte meine Kläger verschiedenemahl zum Schweigen. Der Himmel über uns fing an zu dämmern, die Hähne krähten[189] in der Ferne und verkündigten den Tag, und auf einmahl erhub sich die ganze Versammlung.

Ida, rief der Richter vom Throne, noch immer droht dir das Schwerd, wofern du nicht binnen ein und zwanzig Tagen unumstößliche Beweise deiner Unschuld darlegst; deine Bereitwilligkeit auf die erste Ladung zu erscheinen, macht, daß wir dich jetzt in Frieden ziehen lassen, aber denke auf keine Flucht, unser Auge und unser Arm ist überall, wie die Gegenwart des Allsehenden!

Ich warf mich vor dem Thron nieder und bat um Zuflucht in einem Nonnenkloster, meine Bitte ward mir gewährt, und mir auch noch überdies wegen meines Geschlechts und meiner Jugend eine ausserordentliche Begnadigung zugesprochen, welche mir nicht genannt ward.

Man verhüllte mich von neuem und führte mich ab, ich bat unterwegens meinen Führer, er möchte für mich bitten, daß ich zu den Ursulinerinnen, die ich immer gern zu besuchen pflegte, geschickt würde, und euch daselbst sehen dürfte, und er versicherte mich, daß er mir dieses für sich selbst versprechen könne, weil man ihm Dinge von dieser Art ganz zu überlassen pflegte. Ich wollte noch mehr mit ihm sprechen, aber er ward wieder so stumm wie des vorigen Abends; an der Ecke der Strasse verließ er mich, vermuthlich um nicht von euch beym Tageslicht[190] erkannt zu werden und zeigte mir euch von weitem wie ihr meiner, unter dem Bartholomäusthore wartetet.

O Ida, rief Münster, als sie endete, sey getrost! mich dünkt deine Sache geht gut, und über dieses hoffe ich heute noch einen andern Schritt zu deiner Rettung zu thun, den mir bisher die Abwesenheit der Person, auf welche ich hoffe, unmöglich machte. Ich wandte mich am Morgen deiner Anklage, ehe ich dich noch gesehen hatte, an den Grafen von Würtemberg, ich hatte ihm wichtige Dinge zu sagen, welche dir würden genützt haben, aber man wieß mich zurück, unter dem Vorwand, er wär verreist und würde unter dreyen Tagen nicht wieder kommen; diese drey Tage sind vorbey und ich eile unmittelbar, nachdem man dich zu den Nonnen gebracht hat, zu ihm.

O vergebliche Mühe! rief das Mädchen, auch ich wandte mich an ihn, weil er sich immer vorzüglich gnädig gegen mich erzeigt hat, aber auch er wies mich zurück. Er ist vielleicht auch nicht einmahl würklich abwesend gewesen, hat nur keine Vorbitte für mich hören, euch nur darum nicht sehen wollen, weil ihr mein Vater seyd!

Du sagtest, er habe sich gnädig gegen dich erwiesen? fragte Münster nach einem tiefen Stillschweigen, was that er dir, das den Namen Gnade verdient?[191]

O ihr wißt ja, daß man das kleinste Lächeln der Grossen Gnade nennen muß, und zu der Zeit, da alles mir lachte, pflegte auch er mir zu lächeln. Ich erinnere mich noch, als er mich das erstemahl im Kabinet der Kaiserinn sahe, daß er mich vor allen andern auszeichnete, sich mir mit einer Achtung näherte, welche mich würklich beschämte, und als die Ratibor, wie gewöhnlich, gleich mit meinem Namen, ach diesem theuren Namen, den ich immer für meine Ehre halten werde, hervortrat, um meinen Bürgerstand nicht in Vergessenheit zu bringen, so schien der Graf dadurch nur desto aufmerksamer zu werden. Münsterinn? wiederholte er, Ida Münsterinn? – Der Name Ida ist Musik in meinen Ohren, er erinnert mich an meine, ach längst verstorbene Gemahlin. Die Oberhofmeisterinn trat mit der Bemerkung hervor, man sähe den Stolz meiner Eltern schon daraus, das sie mir einen fürstlichen Namen gegeben hätten, aber der Graf kehrte sich hieran nicht, er zog mich zu sich und küßte mich liebreich auf die Wange. Es ist mir lieb, sagte er lächelnd, daß du ein Bürgermädchen bist, bey einer Dame dürfte ich keine solche Aeusserung meines Wohlgefallens wagen. Die Prinzeßinn von Ratibor, die neben mir stand, sah mich verächtlich an, und ihr Blick[192] sagte mir, daß sie die Rede des alten Grafen mir für schimpflich hielt, aber ich war zu einfältig, zu gemein, um dieses zu finden, ich küßte die Hand des ehrwürdigen Greises, und erhielt zu meiner Beschämung noch einen Kuß auf die Stirne. – Von der Zeit an fragte er immer nach mir, nennte mich seine Ida, fragte nach meinen Eltern, sagte, es sey einmahl ein Münster, ein braver Mann in seinen Diensten gewesen, und was der kleinen Verbindlichkeiten mehr waren, welche der Geringe dem Großen so hoch anrechnet. – Ich dachte oft an ihm einen würklichen Gönner zu haben, aber freylich, jetzt in meiner Bedrängniß habe ichs erfahren, daß ich mich irrte.

Münster schwieg auf Idas Reden, auch hatte er keine Zeit zu langen Erwiederungen gehabt, denn in dem Augenblicke kam man das junge Mädchen in das Kloster, das sie sich gewählt hatte, abzuholen. Vater und Tochter nahmen treuherzigen Abschied, und versprachen sich einander bald wieder zu sehen.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 182-193.
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