Viertes Kapitel.

Ida entschläft, um zu träumen.

[33] Es vergingen Tage und Wochen. Die Gräfinn war froh, ihren Ritter unter Herzog Albrechts Schutze sicher zu wissen, und ihn täglich vorüber reiten zu sehen, auch traurig war sie, denn sie sah Herrmann immer nur von weiten, und alle seine Versuche, sie zu sprechen, wurden durch Kunigundens Wachsamkeit zu nichte gemacht; süßes Gemisch von Freude und Kummer, welches, wie die Kenner versichern, den Hochgeschmack der Liebe ausmacht!

Ida war nicht unglücklich, sie hofte jeden Tag Herrmann zu sehen, und viel weiter erstreckten sich ihre Wünsche nicht. Man konnte doch vielleicht einmal die Wachsamkeit der Duegna betrügen, konnte sich in der Kirche, oder an einem andern der öffentlichen Orte treffen, welche die eingezogene Ida jetzt zu besuchen besondre Lust bezeugte. Aber Kunigunde war unerbittlich, sie konnte nicht begreifen, warum ihr Fräulein jetzt erst Neigung bekam, den öffentlichen Tänzen oder den Uebungen der jungen Ritter beyzuwohnen, oder vielmehr sie stellte sich, es nicht begreifen zu[33] können, und vertröstete sie auf die Wiederkunft ihres Vaters.

Der Graf von Würtemberg kam an. Seine Gespräche mit der Hofmeisterinn waren lang, sein Betragen gegen Ida kalt, und seine Laune, so oft er aus den Versammlungen der Fürsten zurückkam, sie mochten nun wegen Geschäften oder des Vergnügens wegen angestellt werden, mürrisch und ungestüm.

Ida stand eines Tages mit ihrem Vater am Fenster und Herrmann in Herzog Albrechts Gefolge zog vorüber; er küßte den rosenfarbenen Ermel nicht, denn seine Geliebte war nicht allein, aber er verbeugte sich voll Ehrfurcht. – Ida erröthete und schwieg. In dem Augenblicke fiel es ihr ein, daß es gezwungen und verdächtig lasse, den Ritter von Unna, von dessen Geschichte jetzt ein jeder sprach, zu sehen und nicht von ihm zu sprechen. Sie glaubte, durch irgend eine herzhaft über ihn gemachte Anmerkung sich ein besonderes Ansehen geben zu können, und fieng mit zitternder Stimme an: der Ritter von Unna sey – sey zu beklagen – zu loben – sey glücklich zu preisen – daß – daß er so von Herzog Albrechten geliebt werde und – und daß er unschuldig erfunden worden sey –

Graf Eberhard schien das Gesuchte in seiner Tochter Rede und ihre übelgewählten Worte nicht[34] zu bemerken. Mürrisch antwortete er auf den Schluß derselben. Herzog Albrecht sey ein junger Mann, der alles liebe, was ihm gleich sey, und was Herrmanns Unschuld anbelange, so thäten sich immer mehr Um stände hervor, die sie zweifelhaft machten!

Ida wiederholte die Worte ihres Vaters in fragendem Ton, aber er antwortete nicht, und verließ sie. – Die Gräfinn kämpfte diesen und einige folgende Tage mit sich selbst, um zu einer Stimmung zu kommen, in welcher sie mit kaltem Blute von Herrmann sprechen könne, und endlich gelang es ihr. Sie hatte Fragen zu thun, deren Beantwortung sie auf schlaue Art suchen mußte.

Der Ritter von Unna soll nicht so unschuldig seyn? sagte sie eines Tags zu Kunigunden, als sie mit ihr aus der Messe kam, und im Vorübergehen einen Gruß von ihm bekommen hatte.

Was ich euch vom Anfang versicherte, sprach die Alte.

Aber welche neue Beweise sind wider ihn aufgefunden worden? – Genug, Fräulein, genug! – Hat man nicht ein Schwerd mit dem eingegrabenen Namen, Herrmann von Unna, dicht im Gebüsch, nicht weit von dem Orte gefunden, da der Herzog von Braunschweig ermordet ward? – Und ist nicht Kunzmann von Hertingshausen,[35] der vor wenig Tagen den Lohn seines Meuchelmords zu Fritzlar erhielt, auf das Bekenntniß gestorben, daß Herrmann sein Gefährte bey dieser entsetzlichen That gewesen sey?

Ida sah ihre Hofmeisterinn bleich und verstummend an. – Rechnet hierzu, fuhr die Alte fort, rechnet hierzu noch dieses: daß Herrmann lang in König Siegmunds Diensten war, der Herzog Friedrichen auf Anreizen seiner boshaften8 Gemahlinn haßte, und ihm nach dem Leben trachtete.

Ida ward noch bleicher, denn sie erinnerte sich dieses Umstands aus Herrmanns Erzählung, doch fiel ihr auch zugleich ein, daß ihr Geliebter ja eben darum in diese Gegenden gekommen war, den unglücklichen Herzog vor heimlichen Nachstellungen zu warnen.

Und, fuhr Kunigunde fort, was diesen Herrmann von Unna noch am meisten zum Mitschuldigen der verruchten That machen muß, ist der Vortheil, den er von Herzog Friedrichs Tode haben – was sage ich – sich thörigter Weise versprechen konnte!

Und der wär? fragte Ida, indem sie angstvoll Kunigundens Hand ergriff – Kleine unschuldige[36] Einfalt! rief die Alte, das nicht errathen zu können! Der Herzog von Braunschweig war der Bräutigam der Gräfinn von Würtemberg, und der Ritter von Unna ist ihr Geliebter!

Kunigunde hatte die erstaunte Ida mit einem teuflischen Gelächter in einem Zustande verlassen, der sich schwerlich beschreiben läßt. – Ob der Gift, den die Furie ausstreute, im Stande war einen Zweifel an Herrmanns Unschuld in dem Herzen seiner Liebhaberinn hervorzubringen, ist kaum zu glauben, aber desto gewisser ists, daß sie die Dinge, welche wider ihn an geführt wurden, mächtig genug fand, auf die Gemüther anderer Menschen einen nachtheiligen Eindruck zu machen, und ihren Geliebten in neues Unglück zu stürzen.

Ihre Angst für Herrmann war bey diesen Betrachtungen unglaublich, und nichts konnte sie beruhigen, als daß sie oft gehört hatte: kein Mensch, der einmal vor dem gemeinen Fürstenrath unschuldig befunden worden sey, könnte zum zweytenmal um der nehmlichen Beschuldigung willen, vor demselben belangt werden.

Die Ruhe, die auf diese Erwägung Platz in ihrer Seele nahm, dauerte nicht lange, sie ward bald auf eine fürchterliche Art aus derselben aufgeschreckt. –

Johann von Maynz pflegte den Grafen von Würtemberg oft zu besuchen, und Ida zitterte allemal,[37] so oft sie diesen Feind ihres Geliebten erblickte. Sie sah ihn ungern bey ihrem Vater, und seine Erscheinungen wurden endlich so häufig, daß sie ihr Argwohn machten, und ihr geboten, für Herrmanns Wohl auf ihrer Hut zu seyn. –

Nie hatte sich die redliche Ida, so lang sie noch ein Bürgermädchen war, zum Lauschen herabgelassen; ob sie jetzt durch das Hofleben Talente zu diesem Geschäft erlangt, ob die Liebe sie dazu gebildet hatte, oder ob sie einst blos durch ein Ungefähr in dem Kabinet ihres Vaters hinter einer Tapete eingeschlafen war, als eben der Kurfürst von Maynz ihn eines geheimen Besnchs würdigte, das können wir nicht bestimmen, und müssen es also ganz unsern Lesern überlassen; genug Ida hörte etwas von einem Gespräch, in welchem Herrmanns Name oft genannt wurde, und was sie hörte, was sie dabey dachte, und was sie darauf unternahm, davon wird sich vielleicht etwas aus dem folgenden Kapitel errathen lassen, denn da diese Dinge nie völlig ans Licht gekommen sind, so muß man sich freylich nur mit Rathen behelfen.[38]

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 33-39.
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Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

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