Achtes Kapitel.

[71] Herrmann hatte Mühe seine bekümmerten Schwestern zu beruhigen, nichts als die umständliche Erzehlung seiner Begebenheiten konnte dieses endlich bewürken, sie sahen aus denselben, daß (wenigstens wie Herrmann meynte) die Gefahr noch nicht so nahe sey als man hier glaubte, daß es ihm nicht an Mitteln zu seiner Sicherheit und Erhaltung fehle, und daß Verschwiegenheit das einige sey, was er zu wünschen habe. –

Die Gespräche der drey Geschwister waren zu wichtig, zu interessant für ihre Herzen um bald geendigt zu werden. Zum Glück war die Regel des Klosters nicht allzustreng, oder die Fräuleins waren beliebt genug unter der Schwesterschaft, um Nachsicht zu erhalten, genug das Gespräch ward durch nichts gestört, als nach einigen Stunden, durch die Erscheinung der Aebtissinn von Marienhagen, welche kam ihre Schwestern zu besuchen, und sich so wie die Frau von Senden über das ausbrechende Gerücht von Herrmanns Unglücke mit ihnen zu bereden.

Sie traf Herrmann noch am Sprachgitter, und – erkannte ihn sogleich, so wie auch sie augenblicklich von ihm erkannt wurde. Man sagt,[71] daß die geistlichen Frauen einen schärfern Blick und ein besseres Gedächtniß als die weltlichen haben. Es war dem Ritter unmöglich sich vor ihr zu verbergen, auch hielt er es seiner unwürdig und für die heilige Frau beschimpfend dieses zu thun. Sollte er Mißtrauen gegen eine Schwester äußern, von ihr verrathen zu werden fürchten, oder derjenigen, die man ihn, als er noch ein Kind war, wie eine Mutter verehren lehrte, die schuldige Achtung versagen?

Ursula umarmte ihn. Ihr Kuß war kalt, aber doch immer noch besser als das Betragen der Frau von Senden, das Herrmann noch nicht genug verschmerzt hatte, um keinen Unwillen gegen die Aebtissinn darüber zu äußern. Ursula schimpfte auf Katarinen, und machte denn einen zierlichen Uebergang ihrem Bruder in frommen Ausdrücken ohngefehr das nehmliche zu sagen, was jene vorher mit Hohn und Scheltworten gethan hatte.

Im Grunde sahe er, daß das Herz der einen so kalt gegen ihn war, wie der andern, doch flößte ihm das anständigere Betragen der Aebtissinn mehr Achtung ein, als die Wuth der Frau von Senden; er überwand sich, ihr seine Geschichte zu erzehlen wie sie war, und dadurch den bösen Verdacht, in welchem er hier gehalten wurde, weil er unglücklich war, gründlich zu vernichten.[72]

Ursula zuckte die Achseln, und wünschte, es möchte alles so seyn wie der Ritter sagte, und er möchte lieber sein Vaterland, wenn es so mit ihm stünde, nie wieder betreten haben, da man ihn hier doch nicht zu schützen wisse, und Beförderung seiner Flucht das einige sey, was man für ihn thun könne.

Herrmann schwieg und gerieth in tiefes Nachdenken über die unnatürlichen Gesinnungen, die er hier bey seinen Geschwistern fand, indessen Petronelle auf Befehl ihrer Schwester der Aebtissinn, Katarinens Gespräch umständlich erzählen mußte und dadurch die heilige Frau in großen Zorn jagte.

Ich merke ihr Absehen, schrie Ursula, sie wird, so bald sie Herrmanns Anwesenheit erfährt, den Herrn von Unna (so ward Bernhard allemahl ehrerbietig von seinen Geschwistern genennt,) abzuhalten suchen, daß er ihn nicht spreche, damit er nicht verleitet werde, etwas für ihn zu thun; aber es soll ihr nicht gelingen, und ungeachtet ich im Grunde das Gegentheil für besser hielt, so muß Herrmann nun einige Tage hier bleiben, muß sich allen seinen Geschwistern zeigen, denn im Grunde hat er eben das Recht auf die Hülfe seines Bruders, als die ungerathene Schwester, diese Katarine![73]

Herrmann schauderte zurück über die Feindseeligkeit, die Ursula mitten in der Aeußerung wohlwollender Gesinnungen zeigte, und versicherte daß er nicht hieher gekommen sey Hülfe zu suchen, nicht sich Tage lang hier aufzuhalten, und dadurch die Zeit zu seiner nöthigen Flucht zu verlieren, oder mit seiner Erscheinung jemand zu kränken. Die Ursach seiner Reise in sein Vaterland sey der Rath des Herzogs von Oesterreich, welcher ihm Hoffnung gemacht habe, der alte Graf von Unna würde als Oberrichter der Freygerichte in diesen Gegenden vielleicht etwas zu Untersuchung seiner Sache und zum Beweis seiner Unschuld thun können.

Der Name des alten Grafen von Unna war ein elektrischer Schlag für die Aebtissinn von Marienhagen. Sie schwur, sie würde es nimmermehr zugeben, daß ihr Bruder, den sie erzogen, den sie immer wie einen Sohn geliebt habe, Schutz bey dem Feinde ihres Hauses suchte. Alle alte Händel, die Herrmann schon als Knabe bis zum Ueberdruß hatte hören müssen, kamen wieder zum Vorschein, wie der alte Graf die Herrn von Unna wegen der würtembergischen Händel heimlich und öffentlich verfolgt, ihre Güter eingezogen, die meisten von ihnen, und auch sie genöthigt hätte, aus Mangel an Mitteln ihren Stand zu behaupten, das geistliche Leben zu wählen, wie er noch bis diese Stunde sie haßte und verachtete, und[74] fest entschlossen wär, da er ohne Kinder lebte, den Namen und die Güter der Grafen von Unna, eher an ein fremdes Haus zu bringen, ehe dem Kayser zufallen zu lassen, als sie ihnen zu gönnen.

Herrmann ward übertäubt, ward mit seinen Einwendungen nicht gehört, er mußte endlich schweigen und versprechen, vor der Hand zu bleiben, und sich des andern Tages durch sie seinem ältern Bruder Bernhard von Unna, der seinen Sitz zu Plettenburg hatte, vorstellen zu lassen.

Es ward späte, Herrmann mußte die geliebten Schwestern und die ungeliebte verlassen. Ursula schloß ihn beym Abschied zärtlicher in die Arme als anfangs; die Begierde andere zu kränken hatte ihr Herz gegen ihn erweicht, und sie gieng in ihrer Milde so weit, daß sie durch ihr Ansehn die Oeffnung des Sprachgitters bewürkte, damit auch Agnes und Petronelle den geliebten Bruder umarmen konnten.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 71-75.
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Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe