1.


Einer Strasburger medicinische Dissertation wegen einer außerordentlich langen Nase.

[52] Tristram Shandy's Lehen und Meinungen. Th. IV.


»Keine der gelehrten Fakultäten hätte ein helleres Licht über die Materie verbreiten können, als die medicinischen, wenn sie sich bey allem ihrem Disputiren darüber nicht immer bey den Wind- und Wassergeschwülsten aufgehalten hätten, wovon sie kein Henker abbringen konnte. Des Fremden Nase hatte weder mit Wind- noch mit Wassergeschwülsten etwas zu schaffen.«


»Soviel wurde indessen zur Genüge erwiesen, daß eine so schwere Masse heterogener Materie sich[52] nicht sammeln und an die Nase hätte anhäufen können, so lange das Kind in der Bärmutter gelegen, ohne das Gleichgewicht der Lage des Fötus aufzuheben, und ihn neun Monate zu früh senkrecht auf den Kopf zu stellen.«


»Die Opponenten räumten diese Theorie zwar ein, leugneten aber die Folgerungen.«


»Und wenn nicht für einen erforderlichen Vorrath von Venen, Arterien u.s.w. sagten sie, zur nöthigen Nahrung einer solchen Nase gleich in den ersten Urstoffen und Elementen ihrer Bildung gesorgt worden wäre, ehe sie noch auf die Welt gekommen, so hätte sie (den Fall von Wind- und Wassergeschwulst ausgenommen) hernach nicht ordentlich wachsen und genährt werden können.«


»Dieses wurde alles in einer Dissertation widerlegt, die von der Nahrung handelte, und von der Wirkung der Nahrung auf die Ausdehnung der Gefäße und auf das Wachsthum und die Verlängerung der fleischigten Theile bis zu ihrem größt möglichen Wuchse und Ausstreckung. Man gieng in der Freude des Herzens über diese Theorie so weit, zu behaupten, daß in der Natur keine Ursache sey, warum eine Nase nicht bis zu der Größe eines Menschen selbst heranwachsen könnte.«


»Die Respondenten überführten die Welt, dieser Fall könne sich niemals ereignen, so lange[53] der Mensch nur einen Magen und ein Paar Lungen hätte. Denn, sagten sie, da der Magen das einzige Werkzeug ist, das die Speisen zu empfangen und in den Nahrungssaft zu verwandeln bestimmt ist, – und die Lungen die einzige Maschine, das Blut zu erschaffen1, so können diese unmöglich mehr bearbeiten, als was ihnen der Appetit zubringt; oder die Möglichkeit angenommen, daß ein Mensch seinen Magen überlade, so hat diese Maschine ihre bestimmte Größe und Kräfte, und kann also in einer gewissen Zeit nur ein bestimmtes Maas bearbeiten – das ist, sie kann nur eben so viel Blut absondern, als für einen Menschen, und für mehr nicht, hinreicht; also, wenn eben so viel Nase, als Mensch, vorhanden wäre, bewiesen sie, müßte nothwendig eine Ersterbung erfolgen, und deswegen, weil nicht Nahrung genug für beyde vorhanden wäre, muß entweder die Nase von dem Menschen abfallen, oder der Mensch unvermeidlicher Weise von seiner Nase


»Die Natur richtet sich nach diesen Bedürfnissen ein, schrien die Opponenten – oder wie würden Sie den Fall erklären, da ein ganzer Magen und ein ganzes Paar Lungen und nur ein halber Mann vorhanden wäre, dem unglücklicher Weise seine beyde Lenden abgeschossen worden sind?«
[54]

»Er stirbt an der Vollblütigkeit, sagten sie, oder er muß Blut speyen, und in etlichen Wochen an der Schwindsucht darauf gehen.«


»Es fällt anders aus, erwiederten die Opponenten.«


»Das sollte es nicht, sagten sie.«


»Die genaueren und innigeren Untersucher der Natur und ihrer Verrichtungen giengen zwar eine gute Strecke Wegs ganz einig Hand in Hand fort, allein zuletzt entzweyten sie sich über die Nase fast eben so sehr, als die medicinische Fakultät selbst.«


»Sie machten freundschaftlich aus, daß die verschiedenen Theile im Bau des menschlichen Körpers ihre richtige geometrische Einrichtung und Verhältniß zu ihren verschiedenen Bestimmungen, Diensten und Verrichtungen hätten, die sich nur in gewisser Einschränkung überschreiten ließen, – daß die Natur wohl zuweilen spiele, – und wie weit und wie eng dieser Zirkel – ja, da lag der Zankapfel!«[55]

Fußnoten

1 Dieses ist unrichtig.


Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4).
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