1.


Ode an den Leibstuhl.[119] 1

Du kleiner Sitz, von dessen eignem Namen

Man mit Respect nur spricht,

Den täglich doch die ekelste der Damen

Besteht und fühlt und riecht;


Du bist der größte aller Opferheerde,

Auf deinem Altar nur[119]

Zollt täglich der galantre Theil der Erde

Sein Opfer der Natur.


Du bist der Götze, der selbst Majestäten

Ihr Hinterhaupt entbloßt;

Der Freund, vor dem sogar sich ohn' Erröthen,

Die Nonne sehen läßt.


Erhaben setzt, wie auf den Sitz der Götter,

Der Weise sich auf dich;

Sieht stolz herab, und läßt das Donnerwetter

Laut krachen unter sich.


Du bist das wahre Ebenbild der Thronen

Auf diesem Erdrevier;

Denn immer sitzt von vielen Millionen

Ein Einziger auf dir.


Du bist's allein, den Prunk und Etikette

Selbst mehr als Thronen ziert;

Denn sag', bei welchem Thron wird so zur Wette,

Als wie bei dir, hofirt?


Worin jedoch von allen Sorgestühlen

Kein einziger dir gleicht,

Ist das: Auf Thronen sitzt man oft sich Schwielen;

Auf dir sitzt man sich leicht.
[120]

Du beut'st als Freund den Menschen hier auf Erden,

Gefällig deinen Schoos,

Und machest von den drückendsten Beschwerden

Der Menschlichkeit sie los.


Zu dir wallfahren groß' und kleine Geister,

Wenn sie die Milzsucht quält;

Du nimmst von ihnen weg den Seelenkleister,

Der sie umnebelt hält.


Man sieht dich täglich viele Wunder wirken:

Du bist der Ort, wohin,

So wie nach Mekka die bedrängten Türken,

Die armen Kranken ziehn.


Du bist der Heilthumstuhl, an dem der Kranke

Nie fruchtlos Opfer zollt,

Weil er dafür gewiß mit regem Danke

Sich die Genesung holt.


Du bist der Chef, für den auf seinem Stuhle,

So mancher H.. schwitzt;

Der Gott, für den so manche Federspule

Des Autors ab sich nützt.


Der Richterstuhl, wo über die Gehirne

Man streng Gerichte hält;[121]

Der Schlund, worein, gebrandtmarkt an der Stirne,

So manches Wischchen fällt.


Drum, daß du mich dereinst nicht auch als Richter

Verschlingst mit Haut und Haar:

So bring ich dir, du Erbfeind aller Dichter,

Dieß Lied zum Opfer dar.


Blumauer.
[122]

Fußnoten

1 Der Leibstuhl spielt in der Geschichte der Arzneikunst eine so wichtige Rolle, daß eine Ode an denselben hier wohl eine Stelle verdient.


Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4).
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Apuleius

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.

196 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon