17.


Die Sucht nach lateinischen Namen.

[164] Im vorigen Jahrhunderte und bis in die Mitte des jetzigen war es sehr Mode, Nomina propria ins Lateinische zu übersetzen, oder ihnen eine lateinische Endigung zu geben, wenn man lateinische Werke schrieb. Fand man Ursache, sich zu maskiren, oder anonymisch zu schreiben: so wäre dieses noch wohl hingegangen, und man hätte immer Storch zu gute halten können, wenn er sich Pelargus genannt oder Büchner, wenn er sein Dispensatorium Brandenburg unter dem Namen von Faginus herausgab. Aber viele werden es pedantisch finden, Namen auch da zu latinisiren, wo der Verfasser nicht unbekannt bleiben[164] will; denn wer wird je errathen, daß quercetanus heißen solle du Chesne. Würde man Citois jemals an seinem Orte ausgefragt haben, wenn man unter ihm den Namen Citesius, du Bois unter Sylvius, Pois unter Piso, Ricise unter Riverius, Etienne unter Stephanus aufgesucht hätte.


Hätte der berühmte Buchhändler Pankouke zu Paris 100 Jahre früher gelebt: so hätte man ihn vielleicht eben so gut in Omelette umgetauft. Warum sich Albinus, dessen Familie von Dessau herstammen soll, nicht fernerhin Weiß gennant habe, erräth man eben so wenig. Noch weniger würde man, wenn man nach der vor einigen Jahren erschienenen Beschreibung der Insel Frankreich sich geneigt gefühlt hätte nach diesem Lande zu reisen, selbst in einem Deutschen, am wenigsten in einem Auswärtigen, einen Schiffer gefunden haben, mit dem man sich dahin hätte einschiffen können, wenn nicht geschwind Isle de France hinzugesetzt wäre. Man erräth zwar einigermaaßen die Absicht, wenn unser Heister zu Helmstädt seinen Gegner Peu, der über das Accouchement geschrieben, Dominus Paucus, und den Chirurgus Petit wieder Dominus Parvus nennt; vielleicht würde er, wenn er in seinen chirurgischen Schriften Gelegenheit gehabt hat, auch von Fontenelle zu reden, diesen eben so zierlich Dominus Fonticulus genannt haben; aber seinen[165] Witz haben jene in dieser Benennung wahrscheinlich nicht gefunden.

Wenn diese Veränderung von Namen aus Pedanterei oder Muthwillen sich erklären läßt: so verräth es dagegen bloß Eilfertigkeit, flüchtiges Lesen oder Unwissenheit, wenn der Ausländer, besonders der Franzose, fast immer auf eine zuweilen sehr lächerliche Art die Namen von Schriftstellern verstümmelt, verändert, umtauft, oder anstatt ganz andrer Dinge Nomina propria schmiedet. Freilich hat er bei der Schwierigkeit, unsre Sprache zu lernen, wohl eben so viel Entschuldigung, als wenn wir Deutsche die polnischen oder russischen Namen ein wenig verstümmeln, und gewiß eben so oft einige Consonanten von den vielen herauslassen. Aber so gar arg werden wir es doch nie machen. Bei ihnen ist es nichts Ungewöhnliches, aus Namen der Städte Namen von Schriftstellern zu machen, besonders wo sich diese nicht auf dem Titel genannt haben; oder sie setzen auch anstatt des Familiennamens bloß den Taufnamen.

Als unser berühmter Arzt und Botaniker zu Mannheim, Casimir Medicus, vor etwa 30 Jahren seine Schrift über die Ausrottung der Kinderblattern herausgab, wurde er in der damaligen Recension, im Journal de Médecine, immer nur kurz weg Monsieur Casimir genannt.

Einer der besten ehemaligen Wundärzte zu Paris, David, hatte kurz vor meinem Aufenthalte[166] daselbst seine sehr interessante Dissertation: Utrum cataractae tutior extractio forcipum ope – 1757 herausgegeben. Dieser führt S. 4. einen Autor celeberrimus Gottfried, und seine descriptio anatomica, an. Ich freute mich die Bekanntschaft eines mir bis dahin unbekannt gebliebenen großen Zergliederers gemacht zu haben, zumal da eben desselben Gottfried eximia oculi anatomia nachher wieder gerühmt wurde, und es kein Druckfehler war; ich suchte in vielen Pariser Buchläden diesen Gottfried auf, und da mir Niemand denselben nachweisen konnte, entdeckte ich endlich aus der angeführten Stelle, daß es unser vortrefflicher Johann Gottfried Zinn war, dessen ganzen Namen dem Franzosen zu lang und zu langweilig gewesen; dieß geschah zu einer Zeit, als zu Paris die medicinischen Dissertationen, Theses oder Quaestiones noch gewöhnlich unter dem Titel herauskamen: Deo optimo maximo, uni et trino, virgini deiparae et S. Lucae, orthodoxorum medicorum patrono. Ich bin so wenig mit der französischen Literatur bekannt, daß ich nicht einmal weiß, wer von den jetzigen dortigen orthodoxen Aerzten der Patron ist, unter dessen Schutze die Dissertationen jetzt erscheinen; ich vermuthe aber, daß man sich anstatt der heiligen Jungfrau, oder des heiligen Lukas, sonst Jemanden gewählt habe, und daß es der medicinischen Freigeister dort nicht weniger als der Orthodoxen gebe.[167]

In eben diesen lustigen Fehler, wo sie den Taufnamen in Familiennamen verwandeln, verfallen die Franzosen sehr oft, und ich entsinne mich, namentlich unsern Justi noch unter dem Namen: Monsieur Gottlob irgendwo angeführt gesehen zu haben.

Das alles ließe sich bei der einmal bekannten Flüchtigkeit der Franzosen noch verzeihen, wenn sie bloß Titel von Büchern anführen müssen, und der Inhalt oder das deutsche Buch sie weiter nicht interessirt. Aber wenn sogar Kritiker, die eigentlich sich mit dergleichen beschäfftigen, und also genau citiren sollten, ähnliche Fehler begehen: so fällt doch die Schuld schwer auf sie.

Zu meiner Zeit gab zu Paris ein berühmter Literator, den man wegen seiner großen Bücherkenntniß mit unserm Vogt zu Bremen (Catalog. lib. rarior.), Clement zu Hannover (Biblioth. curieuse) und andern in eine Reihe setzte, le Bure, eine Bibliographie curieuse et critique heraus, die eine Sammlung von merkwürdigen und seltnen Büchern nach dem Alphabete enthält. Wer dieses Buch in der Nähe hat, der schlage den Buchstaben G nach, und er wird sich selbst bei der traurigsten Stimmung seiner Seele des Lachens nicht enthalten können, wenn er da einen Monsieur Gedruckt findet.

Man wird sich leicht erklären, wie der Franzose diesen lächerlichen Fehler begehen können, da vielleicht das Wort: Gedruckt bey N.N. in einer[168] Zeile gestanden, oder hervorstechende Lettern gehabt hat.

Eben so geht es auch, wenn die Franzosen aus dem Englischen übersetzen. Bekanntlich pflegen die Engländer bei anonymischen Schriften zuweilen auf den Titel zu setzen: by an unknown, by unknown hand. Dieses nun sehr zierlich in Monsieur Unknown verändert zu sehen, das muß manchem meiner Leser, auch bei geringer Belesenheit, nicht selten vorgekommen sein.

Bald nachher, als der große englische Wundarzt Pott seine Methode bekannt gemacht hatte, die Lähmung der untern Gliedmaaßen zu heilen, erschienen: Further remarks upon a method of curing the palsy of the lower extremities; das heißt, wie ein jeder weiß, oder wenigstens immer wissen sollte, der ein Buch aus dem Englischen übersetzen will: Fernere Bemerkungen über etc. Ein Franzose kündigte bald darauf eine Uebersetzung an, die er von den Bemerkungen des Monsieur Further herausgeben wollte. Man kann wohl erwarten, daß diese Uebersetzung sehr treu und buchstäblich gerathen ist; ich habe sie aber nicht gesehen.

Doch wir Deutsche sind von solchen lustigen Fehlern auch nicht frei. Man weiß die alte Geschichte von Iuste Lipse, der durch Iusti zu Leipzig übersetzt wurde, etc.

Ein Hospital zu London, das wegen seiner Bauart und Reinlichkeit unter die besten daselbst[169] gehöret, aber freilich nicht frei genug liegt, ist von einem reichen Buchhändler, Namens Guy, gestiftet. Bei diesem war ein berühmter Wundarzt angestellt, der eine Schrift vor einigen Jahren herausgab, wo er sich Surgeon to the Guy's hospital, wie gewöhnlich, nannte. Der deutsche Uebersetzer, mit jener Stiftung nicht bekannt, übersetzte dieses: N.N. berühmter Wundarzt zu Guy.


Vor 20 Jahren eröffnete ein jetzt angesehener deutscher Arzt seine schriftstellerische Laufbahn mit einem kleinen Buche, worin er ein französisches Werk: Code de médecine militaire par Colombier, anführt, und sagt: Code schreibt im 3ten Bande seiner médecine militaire etc. Wie ich ihn erinnerte, daß sich in seiner Schrift ein kleiner Druckfehler eingeschlichen habe, war unser Freundschaftsband, welches er mit Wärme anzuknüpfen schien, sogleich zerrissen, und ich erhielt nun seit jenen 20 Jahren, zu meinem großen Leidwesen, keinen Brief weiter von ihm.


Die Synopsis universae medicinae von Allen ist bekanntlich eine Compilation aus verschiedenen Schriftstellern, die namentlich angeführt werden: Ettmüller, Sydenham etc. und zuletzt wird ein gemischtes Urtheil von mehrern über eine Krankheit unter der Rubrik: Farrago, beigefügt. Bei einer gewissen Gelegenheit schlug ich einmal mit einem Arzte dieses Werk nach, dem[170] es schon als brauchbar bekannt war, und der mir denn entdeckte, daß ihm aus der ganzen Compilation immer am besten gefalle, was Farrago darin aufgezeichnet habe, ohne mir jedoch anzugeben, ob er den Farrago für einen Dänen oder Holländer halte.


S. Hufelands Journal der praktischen Arzneikunde. 5. Band 3. Stück. Erholung des praktischen Arztes, von Wichmann.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 164-171.
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