Fünfter Auftritt

[508] Lips allein, tritt zur Mitte rechts während dem Ritornell des folgenden Liedes aus der Türe des Speisesalons auf.


Lied.


1

Ich hab' vierzehn Anzüg, teils licht und teils dunkel,

Die Frack und die Pantalon, alles von Gunkel,

Wer mich anschaut, dem kommt das g'wiß nicht in Sinn,

Daß ich trotz der Garderob ein Zerrissener bin.

Mein Gemüt is zerrissen, da is alles zerstückt,

Und ein zerriss'nes Gemüt wird ein'm nirgends g'flickt,

Und doch – müßt' ich erklär'n wem den Grund von mein' Schmerz,

So stündet ich da, wie 's Mandl beim Sterz.

Meiner Seel, 's is a fürchterlich's G'fühl,

Wenn man selber nicht weiß, was man will.


2

Bald möcht' ich die Welt durchflieg'n ohne zu rasten,

Bald is mir der Weg z' weit vom Tisch bis zum Kasten;

Bald lad' ich mir Gäst a paar Dutzend ins Haus,

Und wie s' da sein, so werfet ich s' gern alle h'naus.

Bald ekelt mich 's Leben an, das Grab nur mir g'fallt,

Gleich drauf möcht' ich wern über 1000 Jahr alt,

Bald ärgre ich mich drüber, daß 's Frauenzimmer gibt,

Gleich drauf möcht' ich, daß alle in mich wär'n verliebt.

Meiner Seel, 's is a fürchterlich's G'fühl,

Wenn man selber nicht weiß, was man will.


Armut is ohne Zweifel das Schrecklichste. Mir dürft' einer 10 Millionen herlegen, und sagen, ich soll arm sein dafür, ich nehmet s' nicht. Und was schaut anderseits beim Reichtum heraus? Auch wieder ein ödes abgeschmacktes Leben. Wenn einem kleinen Buben nix fehlt, und er is grantig, so gibt man ihm a paar Praker, und 's is gut. Vielleicht helfet das bei mir auch, aber bei einem Bub'n[508] in meinem Alter müßten die Schläg vom Schicksal ausgehn, und von da hab' ich nix zu reskier'n. Meine Gelder liegen sicher, meine Häuser sind assekuriert, meine Realitäten sind nicht zum stehlen – bin der einzige in meiner Familie, folglich kann mir kein teurer Angehöriger sterben, außer ich selber, und um mich werd' ich mir auch d' Haar nicht ausreißen, wenn ich einmal weg bin. – Für mich is also keine Hoffnung auf Aufrieglung, auf Impuls. – Jetzt hab' ich Tafel g'habt, wenn ich nur wüßt', wie ich bis zur nächsten Tafel d' Zeit verbring'! – Mit Abenteuer? mit Spiel? – Das Spielen is nix für ein Reichen, wem 's Verlieren nicht mehr weh tut, dem macht 's Gewinnen auch kein' Freud'! – Abenteuer? da muß ich lachen! für einen Reichen existieren keine Abenteuer. 's Geld räumt zu leicht d' Hindernisse auf die Seiten. Wo sollen da die Abenteuer herkommen? Man is und bleibt schon auf die faden Alletagsgenüsse reduziert, die man mit Hülfe der Freundschaft hinunterwürgt. Das is noch das Schönste, über Mangel an Freunden darf sich der Reiche nicht beklagen. Freunde hab' ich, und das was für Freunde! den warmen Anteil, den sie nehmen, wenn s' bei mir essen, das heiße Mitgefühl, wenn s' mit mir zugleich einen Punschdusel kriegen, und die treue Anhänglichkeit! ob einer zum Losbringen wär'! – keine Möglichkeit! Ich bin wirklich ein beneidenswerter Kerl, nur schad', daß ich mich selber nicht beneid'! –


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 508-509.
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