Sechster Auftritt

[509] Stifler, Sporner, Wixer kommen aus der Mitte rechts.

Der Vorige.


STIFLER zu Lips. Aber, Herr Bruder, sag doch, was ist's mit dir? die Gesellschaft wird immer lauter, du wirst immer stiller, alle Gesichter verklären sich, das deine verdüstert sich, endlich laßt du uns ganz im Stich. –

WIXER. Sein auch richtig alle ang'stochen.[509]

STIFLER zu Lips. Es herrscht eine allgemeine Bestürzung unter den Gästen, weil sie dich nicht sehn.

LIPS. Sie sollen sich trösten, früher haben s' mich alle doppelt g'sehn, also gleicht sich das wieder aus.

WIXER. Wenn s' sehn, du kommst nicht, so verlier'n sie sich halt schön stad, die Anhänglichkeit, die wir haben, die kann man nicht prätendieren von so gewöhnlichen Tischfreund.

LIPS. Freilich!

WIXER. Bist du lustig, ist's recht, bist du traurig, sind wir auch da, und essen stumm in uns hinein, das heißt Ausdauer im Unglück.

STIFLER, SPORNER. Auf uns kannst du zählen.

LIPS. An euch drei hab' ich wirklich einen rechten Terno g'macht.

STIFLER. Komm, trink noch ein Glas Champagner mit uns.

LIPS. Ich hab' keine Freud' mehr dran. Wie ich noch zwanzig Jahr' alt war, damals ja – aber jetzt.

STIFLER. Ich finde jetzt alles am schönsten.

LIPS. Ja, wenn man so jung ist, als wie du.

STIFLER. Nu, gar so jung – ich bin wohl erst im Vierundfünfzigsten.

LIPS. Ich aber schon im letzten Viert'l.

STIFLER. Das schmeckt noch nach dem Flügelkleide.

LIPS. Und doch schon Matthäi am letzten.

STIFLER. Laß dir nichts träumen.

LIPS. Eben die Träume verraten mir's, daß es auf die Neige geht, ich mein' die wachen Träume, die jeder Mensch hat. Bestehen diese Träume in Hoffnungen, so is man jung, bestehen sie in Erinnerungen, so ist man alt. Ich hoffe nix mehr, und erinnre mich an vieles, ergo alt; uralt; Greis; Tatl.

WIXER. Du mußt dich zerstreuen.

LIPS. Das is leicht g'sagt, aber mit was?

WIXER. Wir begleiten dich, geh auf Reisen.

LIPS. Um zu sehn, daß es überall gleich fad is.

STIFLER. Nein, er meint Naturgenuß, Alpen, Vulkane, Katarakte –[510]

LIPS. Sag mir ein Land, wo ich was Neues sehe, wo der Wasserfall einen andern Brauser, der Waldbach einen andern Murmler, die Wiesenquelle einen andern Schlängler hat, als ich schon hundertmal gesehen und gehört habe. Führ mich auf einen Gletscher mit schwarzem Schnee und glühende Eiszapfen. – Segeln wir in einen Weltteil, wo das Waldesgrün lilafarb, wo die Morgenröte paperlgrün is. – Laßt mich aus, die Natur kränkelt auch an einer unerträglichen Stereotypigkeit.

WIXER zu Sporner. Gib ihm doch auch einen Rat, du Engländer ex propriis.

SPORNER. Ich sage Pferde, nichts als Pferde. Halte dir 10 bis 15 Vollblut, verschreibe dir Jockeis, besuche alle Wettrennen, und du wirst ganz umgewandelt.

LIPS. Nein, Freund! ich reit' gern aus zur Bewegung, ich fahr' gern aus zur Bequemlichkeit, aber besondere Freud' hab' ich auch keine damit.

WIXER. So mach sonst verruckte G'schichten, begeh Narrenstreiche, das is auch eine Unterhaltung.

SPORNER. Und zeigt überdies vom Spleen.

LIPS zu Sporner. Freund, blamier dich nicht, du mühsamer Gentleman.

STIFLER. Bruder, jetzt treff' ich das Rechte. Eins ist dir noch neu, – der Ehestand.

LIPS. Darüber hab' ich mir schon zu viel gehört. Sagen der Vorzeit, und Memoiren der Gegenwart.

STIFLER. Treffe nur eine originelle Wahl.

LIPS. Eine originelle Wahl? Wie is das möglich? Wähl' ich vernünftig, so haben schon hundert so gewählt, und wähl' ich dumm, so haben schon Millionen Leut' so g'wählt. Aber wenn ich – ja freilich – Von einer Idee ergriffen. ich hab's!

STIFLER UND WIXER. Was?

LIPS. Die originelle Wahl! ich wähle ohne Wahl, ich treffe eine Wahl, ohne zu wählen.

STIFLER. Erkläre uns, wie das zu verstehn.

LIPS mit festem Entschluß. Das erste fremde Frauenzimmer, was mir heut' begegnet, wird meine Frau.[511]

STIFLER. Bist du toll –?

WIXER zugleich. Laß nach –!

LIPS. Schön oder wild, gut oder bös, jung oder alt, – alles eins – ich heirat' sie.

SPORNER. Das ist fesch!

STIFLER. Wenn aber, setzen wir den Fall, –

LIPS in heiterer Stimmung. Kein Aber – kein positus! unbedingt die erste, die mir begegnet. Ich sag' euch, Freunde, ich g'spür' jetzt schon die heilsame Wirkung von diesem Entschluß; die Spannung, die Neugierd', wer wird die erste sein? –


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 509-512.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Zerrissene
Der Zerrissene

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon