Dreizehnter Auftritt

[483] Sonders. Die Vorigen.


SONDERS kommt mit einer Leiter aus dem Vordergrunde rechts. Der Fund kam zur gelegenen Zeit, auf dieser Gartenleiter gelang' ich über die Mauer, dann heißt es, wieder einen günstigen Moment, wo ich mich meiner Marie nähern kann, mit Geduld abwarten. Geduld, – verdammtes Wort! – Im Wörterbuch der Liebenden ist's nicht zu finden. Will sich der Mauer nähern.

WEINBERL für sich. Soll ich ihn anreden –[483]

CHRISTOPH. Pst! Pst!

SONDERS. Geht das mich an –? Sieht zum Fenster hinauf. Ein Frauenzimmer – täuscht mich die Dunkelheit –!? nein, Marie, du bist's, meine geliebte Marie!

CHRISTOPH mit gedämpfter, verstellter Stimme. Ja.

WEINBERL für sich. Das is auf die Art niemand andrer, als der Herr von Sonders.

SONDERS. Oh, komm herab, die Leiter soll dich in meine Arme, und dann uns beide ins Freie führen.

CHRISTOPH wie oben. Wohlan.

SONDERS lehnt die Leiter an das Haus. So steig nur mutig zum Fenster heraus.


Christoph steigt herab.


SONDERS. Zittre nicht, ich werde die Leiter halten. Und nicht wahr, liebe Marie, das Paket mit den Dokumenten, die wir zur Trauung brauchen, hast du?

CHRISTOPH. Nein!


Ist eben auf der untersten Sprosse angelangt.


SONDERS bestürzt. Wo ließest du's?

CHRISTOPH auf das Fenster hinaufzeigend. Dort –

SONDERS. Vergessen dort oben? – das muß ich holen.


Eilt die Leiter hinan, und steigt rasch zum Fenster hinein.


CHRISTOPH. Auf'n Tisch rechts. Nachdem Sonders ins Fenster gestiegen. G'schwind, Weinberl, die Leiter is erobert!

WEINBERL hervorkommend. Die Nächstenlieb' fangt bei sich selbst an.

CHRISTOPH indem er mit Weinberl die Leiter zur Gartenmauer trägt. Ich bring' unsrer Fräuler Marie ihren Liebhaber in die Brisil, das is Satisfaktion für das, daß sie mich immer einen dalketen Bub'n heißt. Hat mit Weinberl die Leiter an die Gartenmauer gelehnt.

WEINBERL. Ich steig' voran.

CHRISTOPH. Nur g'schwind.

WEINBERL steigt sehr schnell die Leiter hinauf und schwingt sich von derselben auf die Mauer, auf welcher er in reitender Stellung sitzen bleibt. Kraxeln S' nach, Christopherl.


A tempo tritt der Mond aus den Wolken, es wird heller auf der Bühne.[484]


CHRISTOPH ebenfalls eilig die Leiter hinaufsteigend. Da bin ich schon. Wie er oben auf der Leiter ist, nimmt er den Frauenzimmer-Mantel und Hut ab, und wickelt beides in einen Knäul zusammen.

WEINBERL. Was machen S' denn?

CHRISTOPH. Geduld, jetzt kann uns nix mehr g'schehen.

SONDERS ans Fenster kommend. Marie –? Ich kann das Paket nicht finden.

CHRISTOPH in natürlicher Stimme. Nicht finden können Sie's? No, so nehmen S' das derweil. Wirft Mantel und Hut zum Fenster hinein, und steigt von der Leiter auf die Mauer, auf welcher er in sitzender Stellung bleibt.

SONDERS. Was seh' ich, ein Mann –?! Ich bin schmählich betrogen.

WEINBERL. Jetzt ziehn wir die Leiter herauf, und lassen s' auf der andern Seiten hinunter.


Tut es mit Christophs Beihülfe.


SONDERS. Die Leiter – wo ist die Leiter? Langt zum Fenster heraus, und merkt, daß die Leiter fortgetragen ist. Verdammt –!


Man hört im Hause mehrere Stimmen untereinander.


SONDERS. Man kommt –!


Man hört im Zimmer oben die Türe einbrechen, Zangler mit dem Wachter und noch ein paar Leuten erscheinen mit Lichtern im Kabinett.


ZANGLER. Ein Mann ist's –!

WACHTER. Nur angepackt!

ZANGLER. Herr Sonders –! Teufel, jetzt wird's mir zu arg!

WACHTER UND DIE ÜBRIGEN. Angepackt! Nur angepackt!

CHRISTOPH. Sie hab'n ihn schon. Das ist ein Jux!


Im Orchester fällt passende Musik ein.

Weinberl und Christoph verschwinden, während dem im Kabinett statthabenden Tumulte außerhalb der Mauer.

Der Vorhang fällt.[485]


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 483-486.
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