Auf die Krönung K. Friedrich's I. von Preußen

Weltgepriesener Homer,

Dessen Kunst mit dir verschwunden,

Warum warst du doch so sehr

An Achilles Zeit gebunden?

Heute sollt'st du lebend sein,

Da die ungestimmten Flöten

Soviel hungriger Poeten

Fast auf allen Gassen schrei'n

Und dennoch mit ihrem Klingen

Kaum ein hartes Lied erzwingen!


»O wie kommt es« – dünket mich,

Würdest du voll Eifers fragen –,

»Da die muntern Brennen sich

Durch die halbe Welt geschlagen,

Da der Barbar sich gescheut,

Da die Römer, da die Griechen

Ihrer strengen Faust gewichen,

Daß doch ihre Tapferkeit,[385]

Die sich ja noch nie verloren,

Keinen Dichter hat geboren?«


»Mich empfing ein solches Land,

Wo die Helden Menschen waren;

Gleichwohl wußt' ich mit Verstand

Sie den Göttern beizupaaren;

Hätt' ich in der Mark gelebt,

Wo man mehr von einem Helden,

Als von Göttern, weiß zu melden,

Ach, wo hätt' ich hingestrebt!

Ach, was hätten unsre Zungen

Nicht für Thaten abgesungen!« –


O Homer, du klagest recht;

Denn wo1 Macht und Hoheit steiget,

Ist die Poesie zu schlecht,

Daß sie nichts, als Schüler, zeiget.

Friedrich pflanzt ein Königreich;

Wir vergessen unsre Reimen,[386]

Oder, so wir ja Was träumen,

Ist's kaum seiner Jugend gleich,

Weil er längst vorbeigegangen,

Wo wir denken anzufangen.


Doch du konntest mehr, als wir:

Du schriebst tausend schöne Lügen;

Deine Helden mußten dir,

Wie und wann du wolltest, siegen.

Friedrich aber glaubt es nicht;

Er geht fort und läßt uns sitzen.

Was fragt er, wie sehr wir schwitzen,

Und wie viel uns Zeit gebricht!

Was wir ganze Jahre dichten,

Kann er einen Tag verrichten.


Eh' man einen Vers erzwingt,

Weiß er Schlösser aufzubauen;

Eh' man seine Chur besingt,

Läßt er sich als König schauen.

Würde, Glück und2 Macht und Ruh'

Sind bei ihm vereinte Sachen.[387]

Was sonst Kriege pflegt zu machen,

Fällt ihm von sich selber zu;

Was Viel' mit Geschenken heben,

Hat ihm Gott und Recht gegeben.


Andre erben ihren Thron;

Er wollt' ihn vorher verdienen;

Darum hat sein Wesen schon

Längst uns königlich geschienen.

Was er nicht im Titul war,

War er doch in aller Herzen;

Denn wir wünschten es mit Schmerzen,

Und es spricht ein Jeder klar,

Daß er, was jetzund geschehen,

Lange schon vorher gesehen.3


O ihr Musen, wachet auf!

Friedrich duldet kein Verweilen.

Fördert unsern späten Lauf,

Um ihm schneller nachzueilen!

Nun er Preußens König heißt,[388]

Wird er auch bald Thaten üben,

Die uns Maro schon beschrieben,

Aber auch in Fabeln schleußt.

Uns wird Müh' genug verbleiben,

Wenn wir nur die Wahrheit schreiben.


Vormals pflegte, wie bewußt,

Kaisern dies gewünscht zu werden:

»Herrsche länger4, als August,

Besser, als Trajan, auf Erden!«

Zeit und Wunsch verändert sich,

Und man wird in Zukunft5 sagen:

»Wer will Kron' und Zepter tragen,

Herrsche so, wie Friederich!« –

Himmel, lass' es, wie wir flehen,

Unserm König wohl ergehen!

1

da.

2

glücke.

3

Die folg. Str. gestrichen.

4

weiter.

5

hinkünfftig.

Quelle:
Auserlesene Gedichte von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Wernike, Friedrich Rudolf Frhr. von Canitz, Christian Weise, Johann von Besser, Heinrich Mühlpforth, Benjamin Neukirch, Johann Michael Moscherosch und Nicolaus Peucker, Leipzig 1838, S. 383-389.
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