2. Geburtgetichte

[4] Komm, schöner Morgenstern, komm, komm unnd laß es tagen,

Aurora, spanne doch die Hengste vor den Wagen,

Komm eylends und zieh' an dein schön rothgelbes Kleid.

Wie lange wirstu dann die Sonne schlaffen lassen?

Ey, sprich, sie solle doch sich mit dem Zügel fassen,

Die Rosse stünden da, es sey schon hohe Zeit.


Dreymal sind jetzund gleich sechs Jahre Weg verlohren,

Daß die durch Gütigkeit deß Himmels ward gebohren,

In der ich alle Tag' auffs neue bürtig bin;

Und daß in diesem Bild' all' ihre hohe Gaben

Die grosse Göttinnen so sehr erschöpffet haben,

Daß ihre Schönheit ist fast über Menschen Sinn.


Deß Jupiters Gemahl und Schwester wolt' ihr geben

Viel Reichthumb, Gut unnd Geld, die Parcen langes Leben;

Die zarten Charites verehrten Freundligkeit,

Die Suada Witz und List, Minerva Kunst und Tugend,

Die Venus machte sie den Spiegel aller Jugend,

Natura gab mich ihr zum Sclaven jederzeit.


Ey komm, Aurora, komm, komm doch und laß es tagen,

Brich durch die späte Nacht; wie kanst du der versagen,

Der alle Göttinnen so günstig sich erzeigt?

Ach Phebus, magst du dann die Thetis noch umbfangen?

Komm doch, wach' auff, wach' auff, sieh' an die roten Wangen,

In denen alle Ziehr und Außbund sich eräugt.
[4]

Richt' auff dein klares Haupt, laß deinen Glantz erleuchten

Den angenehmen Tag und weiter nicht befeuchten

Den Perlentau das Feld, steig auff deß Himmels Saal,

Vertreib der Wolcken Dunst, mach' Anstand mit den Winden,

Und halt den Regen ab; laß dieses Fest empfinden

Den gantzen Erdenkreiß, erquicke Berg und Thal.


Heut' ist mein Augentrost, heut' ist mein Liecht gebohren,

In der vollkommentlich zusammen sich verschworen

Die Dinge, so doch sonst gar selten Freunde sind:

Die Schönheit und die Zucht. Ich wil mein Haupt bedecken

Mit einem Lorberkrantz'; ich wil viel höher strecken

Die Sinnen, die sie mir hat gantz und gar entzündt.


Verzeihe mir, mein Lieb, daß ich von dir zu schreiben

Mich unterstehen darff, ich wil dich einverleiben

Durch diese meine Faust der Unvergänglichkeit.

Wann andere Heldinnen forthin genennet werden,

Die durch ihr Lob erfüllt all' Oerter dieser Erden,

Wird auch dein hoher Nam' erschallen weit und breit.


Wann gleich auch meine Verß unnd diese schwache Sinnen

Dein' Hoheit und Verdienst nicht übersteigen können,

So ist doch Lobens werth mein Will und bester Fleiß.

Ob wohl der Phaeton sich allzuhoch vermessen,

So wird doch seiner auch noch jetzund nicht vergessen,

Weil er hat angesteckt den gantzen Erdenkreiß.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 4-5.
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