Nadelarbeiten

[34] Bei den Erinnerungen an die Hauswirthschaft früherer Zeit ward schon erwähnt, wie die Näharbeit für den Familienbedarf auch in der Familie selbst gefertigt ward, wie es keine Geschäfte für fertige Wäsche, keine Nähmaschinen gab. In einem geordneten Haushalt, besonders wenn auch erwachsene Töchter in ihm lebten, galt es als eine Schande, als Zeichen schlechter Wirthschaft, wenn Näharbeit aus dem Hause gegeben und an Näherinnen verlohnt ward, obwohl eben dieser Lohn ein so geringer war, daß die Näherinnen nur dann bei diesem Erwerb nicht das elendeste Hungerleben führten, wenn sie noch bei Eltern oder Verwandten wohnten, oder zwei Schwestern zusammen: – denn Miethe, Kost und Kleidung davon zu bezahlen, wäre auch bei den bescheidensten Ansprüchen nicht möglich gewesen, selbst bei den damals auch dafür niedrigen Preisen.

Es galt als Ehrensache, gefüllte Wäschschränke und noch extra Wäschevorräthe zu besitzen, es galt als Ehrensache auch die Ausstattung einer Braut eigenhändig zu fertigen – aus welchem Grunde denn sorgsame Mütter schon gern nach der Confirmation einer Tochter anfingen, an deren Ausstattung zu denken, bei Gelegenheit Leinen zu kaufen und im Hause zu Wäsche zu verarbeten. Auch unsere Mutter liebte solche Vorräthe und begann sie anzuschaffen,[34] wie es grade ihre Mittel erlaubten und »damit immer etwas zum Nähen da war,« wenn auch mit dem vernünftigen Zusatz gegen uns gewendet: »Wenn Ihr auch nicht heirathet – Wäsche müßt Ihr doch haben, und wenn ich sterbe oder der Vater, so wird es Euch auch zu Statten kommen!« –

Wenn eine Hausfrau etwas von ihrem Wirthschaftsgeld oder ihrem sogenannten »Nadelgeld« erübrigt – oder von den »Geschenken«, die ihr der Mann zuweilen viel eher von ihren eignen Interessen macht, (da ihm ja das Dispositionsrecht über das Vermögen der Frau zusteht) als von seinem eignen Verdienst – so verwendet sie es gewöhnlich zu Luxus und Toilettengegenständen, wie sie gerade die Mode vorschreibt, oder auch zu Reisen und andern Vergnügungen: – wenn damals aber unsere Mütter und Großmütter solches Geld verwendeten, um Schränke und Truhen mit Wäsche zu füllen, so war dies gewiß entschieden viel ehrenwerther. Damals »arbeitete« ja das Kapital noch nicht, wie jetzt, von Actien und noch weniger von Actienschwindel hatte ja Niemand eine Ahnung – auch waren die Miethen so billig, daß es nirgend an Raum fehlte die Vorräthe aufzuhäufen. So war es im Sinne jener Zeit ganz correct gehandelt, wenn eine Hausfrau ihr Geld in Wäsche steckte, die sie den Töchtern aufhob, und es war gewiß jedem Vater einer Braut sehr erwünscht, wenn ihm die Vorsorglichkeit der Mutter dann, wenn die Ausstattung wirklich gebraucht ward, einige hundert Thaler weniger abverlangte und er, ohne daß er es bemerkt, diese schon bezahlt sah. In solcher Vorsorge suchte und fand sonst eben eine rechte Hausfrau ihren Ruhm, sie war dadurch in der That[35] eine Erhalterin für das Erworbene des Gatten, sie hatte durch ihre weise Eintheilung und ihre Arbeit für die Zukunft, vorgebeugt, daß nicht dann plötzlich eine Sorge über ihn kam, wenn er eine größere Summe zur Ausstattung schaffen sollte – die er vielleicht nur aufbringen konnte durch Leihung eines Kapitals oder durch Schuldigbleiben entnommener Waaren. – Jedenfalls zeigte es auch von solider Denkweise, wenn eine Hausfrau mehr Werth auf gute und dauerhafte Wäsche legte, als auf den zur Schau getragenen, vergänglichen Modeplunder.

Da man es wenigstens im Mittelstand als ganz schlechte Haushaltung betrachtet hätte, wenn die Frauen des Hauses nicht alle Wäsche für den Haus- und ihren eignen Gebrauch gefertigt hätten, so galt es auch als erste Nothwendigkeit, daß die Mädchen frühzeitig lernten mit der Nadel umzugehen. Gleichwohl war damals in keiner Schule von Handarbeitsunterricht die Rede, sondern er wurde von ihr getrennt gelehrt. Da es weder Kindergärten noch solche Arbeiten gab, wie sie jetzt durch Fröbels System schon den kleinsten Kindern geboten werden, so waren die Stricknadeln und der Strickstrumpf schon für vierjährige kleine Mädchen die erste ernste Arbeit. Stricken lernen galt für die erste Nothwendigkeit. Hatte die Mutter keine Zeit, sich selbst damit zu plagen dies ihrem Töchterchen beizubringen oder wollte sie dasselbe für ein paar Tagesstunden gern los sein oder doch wo anders gut aufgehoben wissen, so ward' es in die Strickstunde geschickt und zwar früher als in die Schule.

So erging es denn auch mix. Ich weiß, daß ich mich sehr ungeschickt zum Stricken anstellte, daß die älteren Schwestern, die es erst mir lehren sollten, ihre liebe Noth[36] mit mir hatten und daß ich deshalb in ihrem Geleit mit zu ihrer Handarbeitlehrerin ging: sie hatten gleichzeitig Näh- und ich Strickstunde. Da saß ich dann mit etwa noch fünf bis sechs Altersgenossinnen von fünf bis sieben Jahren auf einem hölzernen Fußbänkchen und würzte an dem Strickstrumpf, dabei aber sehr wenig an die Maschen denkend, sondern auf die leise geflüsterten Gespräche der größeren Mädchen hörend, die an den Nähtischen saßen, noch lieber das Nothkehlchen beobachtend, das zahm im kleinen Arbeitszimmer hin und wieder lief – wenn ich einmal »ein mal herum« glücklich ohne verlorene Maschen gestrickt hatte, ward mir als Belohnung erlaubt, dem Nothkehlchen einen Kürbiskern zu verabreichen – die Aussicht auf dieses Vergnügen war noch am Ersten im Stande mich bei der widerwärtigen Arbeit anzuspannen. Dabei war es seltsam, daß, während andere Kinder anfänglich so fest strickten, daß die Nadeln kaum zu erschieben waren, meine Maschen viel zu locker ausfielen und die Lehrerin zu der geistreichen Bemerkung veranlaßten: man sähe, wie gern ich das Stricken an den Nagel hinge, denn meine Maschen wären groß genug dazu. Die kleinen Fingerchen, denn ich war ein sehr schwächliches Kind, konnten aber die Stahlnadeln kaum dirigiren und ich segnete stets den Moment, wo die Strickstunden beendet waren. Auch habe ich mich später noch lange geplagt, bis ich einen Strumpf wirklich allein vom Anfang bis zum Schluß regelrecht fertig stricken konnte – allein es galt, wie gesagt, damals für nothwendig, daß jedes Mädchen ihre Strümpfe selbst stricke; ich hatte Freundinnen, die es eigenhändig bis zu hundert Paar gebracht und zu einer Ausstattung galten wohl meist so viel als[37] erforderlich. Gewebte Strümpfe kamen anfänglich nur in ganz feiner Qualität auf, so daß sie meist nur zu Ballstrümpfen benutzt wurden. Sie hatten erst nur schlechte Façons bis die Industrie sie auf den Stand der heutigen Vollkommenheit brachte. Da man die Strümpfe früher mit ganz breiten, äußerst mühsamen Rändern versah, später mit durchbrochenem Fußplatt, so gehörte dazu schon gleiche Kunstfertigkeit wie zum Spitzen-, Gardinen-Decken-, Börsen-, Käppchen-Stricken u.s.w.

Wird jetzt von manchen Seiten das Stricken ganz für überflüssig erklärt, so möchten wir dennoch dem nicht beistimmen. Es giebt im Frauenleben immer Stunden wo ein Strickstrumpf nicht zu verachten. Man kann so gut dabei lesen, vorlesen in häuslichem Kreis, im Garten spazieren gehen, plaudern. Der Strickstrumpf läßt stets unsern Gedanken den freiesten Spielraum und es wird doch etwas Nützliches dabei fertig – denn es ist doch mehr als Vorurtheil, daß ein selbstgestrickter Strumpf besser hält als ein gewebter. Da in den früheren Zeiten das weibliche Lesen immer als Zeitverschwendung galt, so war es doch gestattet, wenn man dabei strickte und so geistige Nahrung und realistisches Schaffen miteinander Hand in Hand gingen. Was wäre in früherer Zeit aus so mancher weiblichen Bildung geworden, wenn nicht die strengen Mütter, sobald sie das Strickzeuch in der Hand der Töchter dabei sahen, ihnen das Lesen gestattet hätten! Auch wir Schwestern saßen an allen Abenden, wo kein Besuch da war, um die Mutter am Tisch herum und strickten, wobei jede entweder für sich in einem Buch las und es mäuschenstill im Zimmer war, oder nur eine[38] strickte und vorlas, indeß sich dann die Andern auch mit andern Handarbeiten beschäftigten. –

Auf die langweiligen Strickstunden folgten dann die etwas unterhaltenderen Nähstunden; da ich kränklich war und nicht zu viel sitzen sollte, der Schulunterricht aber doch einige Tagesstunden in Anspruch nahm, so war ich oft Monate lang vom Nähunterricht dispensirt; indeß hieß es dann auch wieder, daß es im letzten Schuljahr und dem darauf folgenden Jahr nachgeholt werden könne. Nach der obigen Schilderung kann man denken, daß es sich besonders darum handelte, gut Wäsche nähen zu können und daß eben darauf aller Fleiß verwendet ward, indeß Häkeln, Stricken und andere weibliche Kunstarbeiten erst in zweiter und dritter Linie folgten. All dieser Unterricht war durchaus empirisch. Es gab noch keine »Schallenfeldsche« und andere Lehrmethoden dafür, es gab keine Musterzeitungen, keine Schnitt und Zeichenvorlagen, keine angefangenen Arbeiten u.s.w., es gab auch keine geprüften Lehrerinnen dazu. Irgend ein in weiblichen Arbeiten geübtes älteres Mädchen entschloß sich, das Stundengeben an Mädchen gebildeter Familien zum Erwerb zu wählen. Meine Nählehrerin war die Schwester eines Malers, mit dem sie zusammenwohnte und hatte einige Mädchen in Pension. Auch bei ihr spielte ein Vögelchen eine große Rolle. Ein schmetterndes Kanarienvögelchen, das immer auf ihrem hohen Kamm saß und oft genug an unseren Arbeiten zauste und sie beschmutzte. Sie wollte durchaus nicht Fräulein genannt sein, sondern gab der »Mamsell« den Vorzug und prägte ihren ländlichen Pensionärinnen ein, daß sie zu gewöhnlichen Leuten immer »Sie,« zu »distinguirten« Personen aber immer[39] »Ihnen« zu sagen hätten. Wie witzelten wir heimlich über diese und andere ihrer komischen Manieren! Allein sie war doch eine sehr respectable Person und etwas von dem Kunsttalent ihres Bruders war auch auf sie mit übergegangen.

Da es keine Nähmaschinen gab, so war das Weißnähen gerade zu einer seltnen Stufe der Accuratesse und Verschiedenartigkeit gediehen und forderte keine geringe Geschicklichkeit. Doch da in allen Dingen Uebung den Meister macht, so gelangten Viele zu dieser Meisterschaft, da in einem geordnetem Haushalt der alten Zeit die Töchter eben fast den ganzen Tag der Näharbeit widmen konnten und dieselbe beinah als Hauptsache galt. Man saß darum dazu auch gern plaudernd beisammen, oder ließ sich dabei vorlesen, wenn man die nöthige Ruhe erzielen konnte und mehrere Mädchen beieinander weilten, die sich dann wechselnd im Vorlesen ablösten. Daher kam es wohl auch, daß die Mädchen in früherer Zeit allerdings im Durchschnitt, da der Schulunterricht ein weit geringeres Zeitmaß in Anspruch nahm, als jetzt, zwar viel weniger – wissenschaftlich unterrichtet, aber dafür wieder viel belesener waren, als man es jetzt findet.

Es war wie gesagt damals nothwendig, daß die weiblichen Hände Wäsche nähten, sie leisteten und ersparten dem Hause etwas und da es, wie gesagt, doch wieder manchmal nicht so viel zu nähen, auszubessern und zu sticken gab, als eben dazu bei fleißiger Gewöhnung Zeit war, so hatte es ja auch etwas für sich, auf Vorrath zu nähen, so bald man nur so glücklich war, auf Vorrath anschaffen zu können. Aber daneben erging man sich auch in Stickereien aller Art. Da es keine Musterzeitungen,[40] keine vorgedruckten Muster auf dem betreffenden Material, keine Metallschablonen und alle diese Hilfsmittel der Gegenwart gab, in frühester Zeit nicht einmal Geschäfte, in denen man das Material zu den Buntstickereien wie: Perlen, Seide, Wolle, Canevas und andern Stoff gleich vereinigt fand, so mußte man sich selbst zu helfen suchen, so gut wie es eben ging. Diese Selbsthilfe kam zwar nicht immer den gefertigten Arbeiten zu Gute – aber doch dem weiblichen Geist, Talent dem Erfindungsvermögen, der Phantasie und Geschicklichkeit. Wenn damals eine Dame eine Arbeit ihrer eignen Hand verschenkte, so hatte sie in der That mehr Werth als heutzutage: es war in der Regel keine Schablonenarbeit, es waren sinnige Gaben, welche vortheilhaft das eigne Nachdenken sehr in Anspruch genommen hatten, so z.B. die bunten Plattstickereien in Wolle und Seide, die zum Theil der Malerei, zum Theil der Natur selbst nachzuahmen suchten. Freilich wurden, wie nothwendig diese, eine Zeit lang auch alle Namen und Weißstickereien, auch die meisten Canevasarbeiten, anfänglich im Rahmen ausgeführt, so lag darin für die jungen Mädchen die Gefahr, sowohl schief als engbrüstig zu werden. Vernünftige Lehrerinnen und Mütter drangen darauf, daß die Mädchen sich gewöhnten, bald die rechte, bald die linke Hand oberhalb des Rahmens zu haben, oder, wenn schon Neigung zur Rückgradsverkrümmung vorhanden war, überhaupt die Linke oben zu halten, was, wenn man es einmal gewöhnt, im Grunde auch leichter war, als das Wechseln – doch blieb immer das viele Gebücktsitzen schädlich – zumal für Kurzsichtige, welche ja anders den ihren Augen gemachten Zumuthungen gar nicht entsprechen konnten.[41] Denn diese erreichten z.B. den allerhöchsten Grad, als es Mode ward, von Canevasmustern in Mosaikcanevas oder Lignon mit ganz seiner Seide zu sticken – es waren Miniaturarbeiten, die zum Herüber- und Hinübersehen, zum Abzählen nöthigten und so feiner Art, daß oft Wochen gebraucht wurden, ehe die fleißigste Arbeiterin ein kleines Bild in eine Brieftasche und dergleichen zu Stande brachte. Welche Zeitverschwendung! Mit Erschrecken denke ich selbst an die eigne zurück, denn diese Arbeiten fielen gerade in meine Jugend- und Liebeszeit – und darum muß ich doch sagen, sie erregten Staunen nicht allein um ihrer Zierlichkeit, sondern auch um der Geduld willen, die dabei geübt werden mußte. Man dachte eben dabei an die Mutter, die Freundin, den Geliebten, an Diejenigen, welche diese mühsame Arbeit empfangen sollten, man freute sich an der Arbeit gerade weil sie so viel Zeit und Arbeit erforderte, man hoffte durch ein solches Opfer, durch eine solche Anstrengung seine Liebe zu beweisen. Die jetzige Zeit sieht das anders an. Man hat ohne Zweifel sehr recht, solche Arbeiten jetzt geradezu für Wahnsinn, für Zeitverschwendung, für Versündigung an seinen Augen zu erklären und umsomehr, als man das höhere Motiv dabei übersieht – aber man sollte consequent sein und auch an die Zeitverschwendung denken, welche in der Anfertigung der heutigen Damentoiletten liegt! Damals war diese so einfach, daß man wenige Zeit brauchte, ein Kleid für sich selbst herzustellen, man hätte sich überhaupt geschämt, für sich selbst das Unnöthige, Mühsame zu arbeiten – nur für Andere machte uns eine mühevolle Arbeit Freude. Das war es, was diese Vergangenheit charakterisirte im Gegensatz zur Gegenwart: Die Selbstlosigkeit,[42] die Hingebung, die Bereitwilligkeit zu jedem Opfer. Jetzt ist der Egoismus an der Tagesordnung. Jetzt wählt selbst die Braut für den Bräutigam am Liebsten eine Arbeit, die recht schnell geht, eine angefangene, die kein Kopfzerbrechen und keine Anstrengung kostet – und zwar nicht, weil sie sich sagen könnte, daß die Zeit zur Ausbildung ihres Geistes für sie und damit auch für ihn besser angewendet sei, sondern weil sie lieber für sich selbst an ihrer Wäsche die überflüssigsten Stickereien, an ihren Kleidern die endlosesten Garnirungen in der gleichen Zeit verfertigt – im Uebrigen aber doch nur an ihrer Ausstattung sich mit den Luxusstickereien abgiebt – für alles Andere ist ja die Nähmaschine da und mit ihr die bezahlte Arbeiterin, das Wäschgeschäft.

Die Nähmaschine! Ihr erstes Auftreten in Deutschland in den vierziger Jahren war ein sehr sonderbares: man ließ sie auf Jahrmärkten für Geld sehen, ganz ähnlich wie die Elektrisirmaschinen auf offener Straße zur Belustigung des Publikums, von dem man einen Neugroschen die Person eincassirte. Diese ersten Nähmaschinen arbeiteten nur Kettelstich und waren zu nichts zu gebrauchen als zwei Stücken Stoff zusammen zu nähen – wer aber für seine Schaulust am Jahrmarkt noch ein zusammengenähtes Läppchen als Zugabe erhielt, trug es triumphirend nach Hause, untersuchte die Naht, staunte und kam schließlich doch zu dem Resultat: – daß die Sache doch wohl Jahrmarktsschwindel sei – endlich fand man, daß sie doch nicht ganz zu verwerfen und daß vielleicht Schneider und Schuhmacher (eigentlich Schaftmacher) durch eine Nähmaschine sich einen Gehülfen ersparen könnten. Kein Mensch aber hätte sich träumen lassen, daß sie je[43] in die Familie Eingang finden würde. Als dies dann wirklich zu geschehen anfing, nachdem die Nähmaschinen bereits bedeutende Verbesserungen erfahren: da rangen alle Näherinnen die Hände und hätten lieber alle Nähmaschinen zertrümmert, wie einst die Weber die Webstühle und Maschinen, die ihnen Concurrenz machten – und wie diese das Maschinengespinnst dem Handgespinnst gegenüber für unhaltbar und untauglich erklärten, so verhöhnten die Näherinnen von Profession die Nähmaschinenarbeit und sagten ihr die entsetzlichsten Dinge nach. Und im Hause kam den Nähmaschinen auch dasselbe Vorurtheil entgegen – bald erklärte man alle Nähte, welche die Maschine nähte, für unsolid und Pfuscherarbeit – es ging den Nähmaschinen noch schlimmer als den Streichhölzchen: man sagte ihnen alles mögliche Ueble nach. Und dann kam wieder eine andere Zeit, wo man alles Mögliche und auch Unmögliche von ihnen verlangte! Fortschrittliche Hausfrauen beeilten sich, eine Familiennähmaschine anzuschaffen, in der Hoffnung, nun habe alle Noth und Arbeit ein Ende, nun könne die Maschine Alles verrichten, wozu man sich sonst so unendlich angestrengt. Da kaufte man denn erst die kleine billige Handmaschine und als man sah, daß diese doch sehr hinter den von ihr gehegten Erwartungen zurückblieb, schaffte man eine große Nähmaschine an und räumte ihr den Platz des Nähtisches ein. Allein man sah, daß auch diese Arbeit nicht so leicht war, wie sie aussah, daß auch sie erst ordentlich gelernt und geübt werden mußte, ehe es dabei zu einem gewünschten Resultat kam. Die Träume, daß nun fast keine weibliche Hand mehr zu nähen, noch nähen zu lernen brauche, haben sich als trügerisch erwiesen[44] und es wird nach wie vor gut sein, wenn jedes Mädchen auch ohne Maschine Alles zu nähen versteht, was früher erforderlich war – ebensowohl um es anzuwenden, die Maschine zu bedienen, als auch gerade in Lebenslagen, wo es selbst nicht nöthig hat, den ganzen Tag zu nähen, sondern einen höheren Beruf sich widmen kann, doch mindestens die eignen Sachen in Ordnung halten und im Nothfall sich selbst helfen zu können. Auch jene Hoffnungen des Familienlebens: nun immer schnell mit aller Näharbeit für den Haus- und eignen Bedarf fertig zu sein – sowie auch jene Befürchtungen der Arbeiterinnen, die von der Näharbeit lebten: nun nicht mehr genug Arbeit und Verdienst bekommen zu können, haben sich nicht erfüllt. Im Gegentheil! wären die Nähmaschinen nicht erfunden worden, so würde man Wäsche und Kleider nicht mit so vielen Steppnähten, Fältchen, Garnirungen etc. verzieren oder überbürden, möchte man lieber sagen, wie es jetzt geschieht, so ist für jede Familien-Nähmaschine genügend Arbeit vorhanden und für jede Arbeiterin genügender Erwerb, denn, sobald sie im Besitz einer Nähmaschine, findet sie viel lohnenderen Erwerb und braucht sich weit weniger anzustrengen, als bei dem früheren Handnähen.

So hat die Maschine eine neue Art weiblicher Arbeit geschaffen, so hat sie auch einen andern Theil der weiblichen Arbeitskraft frei gemacht für andere Zwecke; statt daß, wie die Näharbeiterinnen fürchteten, sie ihnen die Löhne herabdrücke oder ganz das Brod entzöge, sind jene gestiegen und wird dies um so reichlicher geboten. Der Markt und die Kundschaft für die Nähmaschinenarbeit[45] sind größer ausgebreiteter und mannigfaltiger geworden als vordem für die Handarbeit und dieser Erwerb ist doch zum allergrößten Theil in Frauenhand geblieben, indeß frühere Erfindungen und die damit verbundenen Fortschritte – z.B. als der Webstuhl an Stelle des Spinnrades trat – Arbeit und Verdienst den Frauen abnahmen, theilweis oder ganz, und ihnen so den Verdienst entzogen oder die im Hause nebenher geübte Arbeit zur Fabrikarbeit machten – das Mädchen nöthigten, tagüber das Haus, die Familie, die Wohnstube zu verlassen und aus einer selbstständigen Arbeiterin die Sklavin der Maschine, der Fabrik zu werden.

Hat doch auch so manche andere Nadelarbeit diese Wendung der Dinge herbeigeführt. Die Spinnmaschine verdrängte das Spinnrad, der Strumpfwirkerstuhl die Stricknadeln und ihre häusliche Handhabung, die kleine Tamburirnadel ward ein Werkzeug für die große Industrie, die Spitzenweberei brachte die Klöpplerinnen dem Hungertode nahe, die Maschinenweißstickerei lieferte auch die Stickerinnen in großer Anzahl in die Hände der Fabrikanten – der Nähmaschine gebührt der Vorzug, daß sie in das Haus gekommen ist und nicht die Frauen zwang, das Haus zu verlassen, daß der Vortheil, den sie gewährt, auch wirklich der Familie wie der selbstständigen Arbeiterin und nicht den Beherrschern des Kapitals und der Großindustrie zu Gute kommt.

Wie es aber immerhin sei: Segen über jede Maschine, welche der Menschenkraft einen Theil der Arbeit abnimmt oder erleichtert!

Es war im Jahr 1845 – die Fabrikarbeiter, besonders[46] die Weber, begannen überall da und dort sich gegen die Arbeitgeber zu erheben und in blinder Wuth die neu, meist nach englischem Muster consternirten oder direct aus England eingeführten Maschinen, Spinn- und Web-Maschinen zu zerstören. Die Volkswirthschaft war eine noch wenig gepflegte und discutirte Wissenschaft, der Sozialismus kaum dem Namen nach bekannt und die sozialistischen Ideen tauchten erst vereinzelt und in der allerunklarsten Weise auf. Damals schrieb ich in meinem Roman »Kathinka« die Stelle: »Jeder neuerbaute Jaquardstuhl webt eine neue Siegesfahne der Menschheit!« Ich wiederhole heute mit der gleichen Freude, was damals bei manchen Lesern und Kritikern Kopfschütteln erregte – und freute mich, daß ich als junges Mädchens »ganz von selbst«, halb durch Nachdenken, halb meinetwegen durch die Inspiration des – »Unbewußten«, mich schon auf den Standpunkt erhoben hatte, auf dem ich heute mit Bewußtsein stehe. Je mehr niedere und mechanische Arbeiten durch die Fortschritte der Industrie der Menschenhand abgenommen werden, je mehr kann der Menschengeist dabei gewinnen, kann zu einem höheren Gebiet geistiger Ausbildung und freudigen Schaffens, wie edleren Lebensgenusses sich emporarbeiten, ja, ist nicht nur berechtigt, sondern sogar genöthigt, eine solche höhere Stufe zu erklimmen.

Das ist so nicht allein in Bezug auf die Männer, auch die Frauen stehen unter den gleichen Verhältnissen. Je mehr ihnen durch neue Erfindungen, durch die Fortschritte der Industrie an Handarbeiten entzogen[47] wird, je mehr muß ihre Kraft zu höheren Zielen heran gezogen werden, je mehr drängen die Verhältnisse damit der endlichen Lösung der Frauenfrage entgegen.

Gleiches Recht für Alle! Gleiches Recht auf Entwickelung der eignen Anlagen, auf Bethätigung der Kraft, keine Schranken für die selbstständige Entfaltung![48]

Quelle:
Louise Otto: Frauenleben im Deutschen Reich: Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1876, S. 34-49.
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