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[97] Wie oft hören wir bei einer Eisenbahnfahrt Klagen über die Langsamkeit derselben, wie unleidlich finden die Passagiere im Sommer die darin herrschende Hitze, wie klagen sie im Winter über Kälte, wenn die Heizung noch eine etwas mangelhafte, wie unerträglich scheint ihnen das Anhalten von fünf Minuten, wenn es in nicht zu langen Zwischenräumen stattfindet!
Erst kürzlich hat man in England das funfzigjährige Jubiläum der ersten Eisenbahnfahrt gefeiert – heute fährt man mit der Locomotive und dem Dampfschiff um die ganze Erde und durch aller Herren Länder; schon kann das heutige Geschlecht nicht begreifen, daß es jemals anders gewesen.
Und es war doch vor vierzig, dreißig Jahren noch gewaltig anders –
Die erste deutsche Eisenbahn war die Leipzig-Dresdner, eine sächsische also, von einer Actiengesellschaft unternommen – sie ward 1839 eröffnet – die schon früher datirende von Nürnberg – Fürth war nur eine Pferdeeisenbahn. Wir werden später weiter auf diese Angelegenheit zurückkommen.
»Frei sein ist nichts – frei werden ist der Himmel!« Es war dies eine von den Sentenzen, welche im Jahre 1848 von Mund zu Mund gingen – ich betrachte[97] mich denn in diesem Sinne als ein Glückskind, daß ich in nächster Nähe diese erste deutsche Eisenbahneröffnung mit erlebt habe, daß ich durch die Lage meiner Heimath dabei mit wesentlich interessirt war, daß ich diesen welthistorischen Moment so zu sagen mit Bewußtsein genoß – und ich umschrieb das obige geflügelte Wort: auf der Eisenbahn zu fahren ist nichts – aber diesen Sieg des Menschengeistes zu erleben, der die Locomotive hinführte – das war ein Gefühl beseligenden Triumphes! – »Die große Rennbahn der Freiheit!« hatte ein zeitgenössischer Dichter Karl Beck, der Magiar, die Eisenbahn genannt. –
Meine Heimath, meine Kleinstadt Meißen – sie zählt jetzt 13000 Einwohner, damals besaß sie vielleicht nur 8000, nur einige Meilen von Dresden entfernt, lag an der großen Hauptstraße, die zwischen Dresden und Leipzig eine der befahrendsten Chausseen war. An dieser lag unsere frühere Sommerwohnung, wie auch nur ein wenig zurück von ihr der Weinberg, den später mein Vater kaufte.
Es war ein eigenthümliches Leben auf dieser Chaussee in meiner Kindheit, besonders wenn die Leipziger Messe sich näherte oder endete. Da sah man hochgepackte Frachtfuhrwagen, vier und sechsspännig oft in langen Zügen nacheinander dahinfahren, der Fuhrmann ging daneben, mit seinen Pferden um die Wette trabend. Im Sommer im leichten blauen Fuhrmannshemde, die kurze Pfeife im Munde, einen breitkrempigen, grauen oder schwarzen Hut, zuweilen von einem bunten Band umschlungen, im Winter in einen großen ledernen Schafpelz und dem entsprechender Mütze, immer die lange Peitsche in der Hand, neben sich[98] den klaffenden Stallspitz, dem der Herr des Wagens viel eher ein Plätzchen auf demselben gönnte als sich selbst: so wanderte der Fuhrmann neben seinen Wagen her, Tagelang, vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang durch den Schnee, so lange noch fortzukommen war, durch Schmutz und Staub – unverdrossen, nicht Wind, noch Wetter achtend. Den Hauptverkehr der Personen zu Wagen vermittelte die Post anfangs noch durch einen Postwagen, der den interessanten Namen »die gelbe Kutsche« hatte, der auf der Hälfte des Weges Nachtquartier – in Klappendorf oder Oschatz – machte, so daß die Reise zwei Tage dauerte, ebenso hielten es die zahlreichen Lohnkutscher und Botenwagen, welche dieselbe Tour zurücklegten. Es war ein großer Fortschritt schon in meiner Kindheit als »die gelbe Kutsche« abgeschafft und in eine »Diligence« verwandelt ward. Als ein außerordentliches Erreigniß ward die Einrichtung der, »Eilpost« begrüßt, welche vierspännig und oft in Begleitung zahlreicher Beiwagen, mit an vielen Stationen wechselnden Pferden die Tour von Dresden nach Leipzig in vierundzwanzig Stunden ohne Nachtquartier zurücklegte.
Neben diesen Fracht-, Post- und Botenwagen belebten die Chaussee noch zahlreiche Wanderer – die Schaar der Handwerksburschen, die jeden Begegnenden um eine Gabe ansprachen, so daß wir niemals auf dieser Straße gingen, ohne uns vorher mit Kleingeld zu versehen, Studenten und Schüler, die in die Ferien gingen, weil das Fahrgeld zu theuer war und weil es für gesund und eines deutschen Jünglings würdig galt, große Fußtouren zu machen und keine Strapazen zu scheuen – allerlei fahrendes Volk, von der Noth gezwungen, zu Fuß ihren Geschäften nachzugehen,[99] Botenleute, Haufirende aller Art, die mit ihren Waaren die Landbewohner versorgten, weit und breit umherzogen, auf ihren Fußreisen abzusetzen, was ihre Angehörigen daheim gearbeitet: Leinwand, Spitzen, Federn, Band und Zwirn, kurze Waaren aller Art, Holz- und Blechsachen, Rußbutten und Mänsefallen, Schwefelfaden und Stecknadeln. Da wanderten die Frauen eben so rüstig und abgehärtet einher, wie Männer, ebenso schwer bepackt und eben so muthig in jeder Jahreszeit, zu jedem Wetter. Sie hatten es wohl schlimm so allein in der Fremde, aber sie klagten nicht, so bald sie nur Absatz hatten und damit sich selbst, wenn auch kümmerlich unterwegs durchbrachten und noch etwas mit heim nehmen konnten für die Ihrigen! und neben diesen »Landreisenden« des Volkes sah man die Extraposten, deren sich die Reichen und Vornehmen bedienten oder deren eigne Equipagen, sah man die Kaleschen und offenen Wagen oder ganz geschlossenen kleinen Chaissen der Ökonomen. Das war oft ein Drängen und Treiben von Menschen, Wagen und Pferden, auch solchen, die ledig zurückkamen nachdem sie hatten als Vorspann dienen müssen. Dazwischen hin rasselte auch die Briefpost: »das Felleisen« bezeichnend genug genannt. In einem zweirädrigen Miniaturwägelchen von einem Pferde gezogen, zur Hälfte mit einem braunen Fell überdeckt, darunter die Briefbeutel lagerten, indeß der Postoffiziant, Kutscher und Postillion in einer Person, offen darin saß, wurden die Briefe von Meißen nach Dresden und in die am Wege liegenden Dörfer befördert.
Unter solchen Reiseverhältnissen war es immer ein Erreigniß, wenn Jemand eine Reise machte. Für die[100] Mitglieder des Stadtrathes in Meißen existirte in dessen sogenannten »Marstall« – es erschien dies wie eine ehrwürdige Reichsstädtische Einrichtung – ein sogenannter »Rathswagen« der ihnen je nach Bedarf unentgeltlich zur Verfügung stand. Was aber nicht an Gebühren zu entrichten war, ward durch hohe Trinkgelder bezahlt und dabei war der Wagen entsetzlich schlecht und rumplich, so daß sich mein Vater seiner nur im Fall der Noth bediente. Wenn in meiner Kindheit die Meißner nach Dresden reisen wollten, so besprachen sich gewöhnlich vier Personen zusammen und fuhren in einer Miethskutsche, und handelte es sich nur um eine Person, der eine solche zu theuer war, so ward in den Gasthöfen der Stadt herumgeschickt: ob etwa eine Gelegenheit nach Dresden da sei und ein Platz in einer zurückgehenden Extrapost oder in dem Lohnwagen eines Reisenden – und danach richtete man sich dann ein.
Später wagten intelligente Lohntutscher, Botenwagen einzuführen, welche erst zweimal wöchentlich, schließlich täglich zweimal von Meißen nach Dresden fuhren; so steigerte sich durch die Gelegenheit der Verkehr. Die Fahrt dauerte gegen vier Stunden (mit 2 und 3 Pferden) und war bei einem sehr gemischten Publikum, das sich immer durch die anwohnende Landbevölkerung ergänzte, wenig erquicklich. Die Wagen waren zu vier Sitzbänken für zwölf Personen eingerichtet, aber wenn unterwegs noch Passagiere Aufnahme begehrten, so wurden sie auch noch aufgenommen, trotz der Proteste der früheren Insassen. Damen wagten sich darum meist nur zu zweien hinein und hatten da oft noch genug zu leiden vom Tabacksrauch der Männer und noch mehr manchen rohen Worten und Späßen beider Geschlechter niederer Bildungsgrade, von[101] den Gerüchen verschiedener Victualien aus den Körben und Taschen der Mitreisenden u.s.w. Wer z.B. auf der ersten und letzten Bank des Wagens saß, konnte denselben nicht verlassen, ohne daß der Klappsitz der Mittelbank aufgeschlagen ward – dadurch entstand wenn Jemand von jenen Plätzen unterwegs auf den Zwischenstationen (die ganz beliebig gemacht wurden) aussteigen wollte und so im Hintergrunde saß, nicht allein immer ein unliebsames Gedränge, sondern ungeschliffene Mitreisende weigerten sich oft gerade zu Platz zu machen, wollten dadurch zum Uebersteigen veranlassen und dergleichen mehr. Da kam denn endlich auch dem Postmeister von Meißen der glückliche Gedanke eine Journalière zwischen Meißen und Dresden einzuführen, welche in 3 Stunden den Weg mit 3 Pferden zurücklegte und so den Botenwagen Concurrenz machte. Der Preis war um 2 »gute Groschen« (25 Pfennige) höher denn bei jenen, und so vollzog sich dadurch eine Art Reinigung des Publikums. Damen unsres Kreises fuhren nur noch mit dieser Journalière, welche für 9 Personen bestimmt war. Aber wenn sie gleich Sommer und Winter früh 6 Uhr nach Dresden und Abend 6 zurück fuhr, so war dennoch der Wagen niemals erleuchtet. Höchstens daß beim Einsteigen ein Schaffner, mehr im Interesse des Gepäck's als der Personen einmal flüchtig mit einer Stalllaterne in den Wagen leuchtete! Wie oft bin ich da nicht im Finstern eingestiegen, ohne zu wissen ob schon Jemand im Wagen saß oder nicht, habe mich bescheiden in eine Ecke gedrückt mit eine Art Herzklopfen der Nachbarschaft harrend! Wie oft ward da erst gefragt! »Sitzt hier Jemand?« oder auch ungefragt eingestiegen und Gepäck auf Füße und Schoos geworfen! Einmal[102] kam eine Dame, die sich mit aller Gewalt bemühte, den mich umgebenden Mantel und endlich mich selbst an die Wagenwand anzudrücken, bis ich endlich schüchtern stöhnte: »O bitte!« und dann die Dame ganz erschrocken rief: »Mein Gott, ich denke Sie sind ein Packet!« und nun tausendmal um Entschuldigung bat. Natürlich hallte nun der ganze Postwagen vom Gelächter der Mitreisenden auf unsere Kosten wider.
Zuweilen erkannte man einander an den Stimmen und wagte sich dann mit der eigenen heraus, zuweilen wartete man auf das Morgengrauen, auf das Aussteigen in Zitzschwich, ein Dorf der Weghälfte, wo man in einer noch vom Abend vorher durchräucherten oder naß gescheuerten Wirthsstube, sich meist mit Warmbier zu erwärmen suchte. Die Männerwelt liebte stärkere Getränke – der »Schwager« verschmähte so wenig wie der Kutscher des Botenwagens sich damit von den Passagieren, traktiren zu lassen, und mußte jener auch seine Zeit besser einhalten als dieser, so kam es doch oft genug zu Anheiterungen des Einen wie des Andern, die unsereins nur mit Schrecken gewahrte. Man athmete auf, wenn man wieder im kalten Wagen saß und war dankbar für jedes Hälmchen Stroh, das in seinem Boden für die Füße sich vorfand.
Und so ähnlich ungefähr waren alle Lohnkutschen- und Postreisen auch in späterer Zeit und auf andern Strecken, auch mit der Eilpost und auf den befahrendsten Touren, den Weltstraßen. Je länger die Reise, je mehr eigenthümliche Erfahrungen konnte man in dieser Beziehung machen. Eine solche große Route, die als eine der besteingerichtetsten galt – das sächsische Postwesen zeichnete sich weit aus vor den anderer Staaten, z.B. auf der[103] Turn und Taxisschen Post – welche ich zuweilen befuhr namentlich von Dresden nach Chemnitz, wo mir Verwande lebten – war die: Dresden – Chemnitz – Hof. In Chemnitz hieß es nun, die Eilpost ginge um 11 1/2 Uhr nach Dresden Nachts ab man mußte sich natürlich zu dieser Stunde im Postgebäude einfinden. Allein weil eben auf die Ankunft der Post aus Hof gewartet werden mußte und die Bayern niemals pünktlich waren, so kam es vor, daß man dort bis gegen 1, ja 2 Uhr auf das Eintreffen der Post warten mußte! Warten, manchmal auf einer Steinbank vor dem Hause, allein beschützt von den hier und da einmal vorübergehenden Nachtwächter oder, wenn die Post endlich geöffnet war, in einer elenden Passagierstube, dessen einziges mit Wachstuch beschlagenes Sofa gewöhnlich von ein paar schlafenden Geschäftsreisenden usurbirt war, wo ein einziges Talglicht brannte und meist erst wenn wirklich endlich von allen Seiten die Posthörner der ankommenden Posten schmetterten und ein unklares Gewühl entstand, eine Tasse heißen Kaffees zu haben war, den man, weil es endlich an's Einsteigen ging, nun vor Hitze nicht trinken konnte. Draußen nun beim spärlichsten Laternenlicht ein Durcheinander von Wagen, Pferden, Gepäck, mit den Pferden schimpfende Postilione, grobe Schaffner und junge Postsekretaire, die mit der Feder hinterm Ohr sich wichtig machten. Man war verpflichtet, selbst auf sein Gepäck zu achten und konnte oft genug weder sehn noch erfahren, in welchen Wagen man denn eigentlich gehörte, Stieg man nicht vom äußersten Abgangsort der betreffenden Postroute ein, so unterrichtete darüber auch nicht die Nummer des Fahrbillets, denn die von dort Eingeschriebenen[104] gingen vor, man war zwar sicher, mit fortzukommen, aber doch vielleicht in einem Beiwagen.
Hatte man nun schon allerlei solche Unbequemlichkeiten und Fährlichkeiten, lästige und beängstigende Situationen auf den befahrendsten Reiserouten und besteingerichtetsten Posten zu bestehen, wie viel mehr nicht da, wo es eben gar keine Posten gab? Nach vielen kleineren Orten gab es nur etwa 1, 2, 3mal Postverbindung wöchentlich, nach noch andern auch gar keine. Wie kostspielig war es da, wenn eine Person ein Miethgeschirr für sich allein nehmen mußte, wie umständlich meist Alles was damit zusammenhing! – Nach vielen der berühmtesten Badeorte fuhren keine Posten, weil hier ja nur Sommerdienst gewesen wäre, sondern meist nur »Stellwagen« und weil eben das Publikum derselben ein sehr gemischtes und der Aufenthalt in diesen Wagen ein solcher, der am Wenigsten für Leidende paßte, so wurden die Badereisen meist mit einer extra dazu gemietheten Lohnkutsche gemacht – wer es aber haben konnte, reiste mit eigner Equipage. Ganze Karawanen solcher Wagen sah man damals den böhmischen, schlesischen und andern Bädern zurollen. Wie sind sie jetzt zur Sage geworden diese hochgepackten Reisewagen vornehmer Herrschaften! Innen im Wagen das Ehepaar – der Gemahl, der die Seinen in's Bad geleitete, die hüstelnde Gattin neben sich, gegenüber die bleichsüchtigen Töchter oder die Kinder mit der Gouvernante, 5, auch 6 Personen schachtelte man da zusammen, auf dem Bock aber thronte die Kammerjungfer neben dem Kutscher in Livree, die viel vom Wetter zu leiden hatte! Im Wagen selbst waren alle Kutschkasten und Seitentaschen mit Gepäck gefüllt und dahinter erhob sich noch ein ganzer Thurm von Kasten, Kisten, Schachteln[105] und Bettsäcken – denn auch die Betten führte man mit sich. Und wie schwerfällig waren die damaligen Koffer! Sie erschienen meist wie hochgewölbte Truhen mit haarigen Fellen – Seehund – überzogen und wenn sie nicht eiserne Ecken und Reifen hatten mit eisernen Nägeln beschlagen, so hielt man sie nicht für fest und tüchtig genug, die Strapatzen auszustehen, die ihrer warteten. Man kann denken wie langsam eine solche Reise ging und welche Ausgaben sie verursachte, ehe man nur an Ort und Stelle kam. Da waren noch überall Chausseegelder, war Zoll und Mauth zu entrichten, an allen Landesgrenzen wurden die Sachen visitirt, von eiligen oder gewissenhaften Zollbeamten durcheinander geworfen, mußten die Reisepässe in Ordnung sein, vorgezeigt und visirt werden und eher war an kein Weiterkommen zu denken. Dazu das mit jeder Landesfarbe wechselnde Geld, das überm nächsten Grenzvfahl nicht mehr genommen ward und verächtlich als »falsch« zurückgewiesen, indeß man es vielleicht nur ein paar Stunden vorher als einzig geltende Landesmünze eingenommen, wohl gar eingewechselt. Besonders bei einer Reise in Mitteldeutschland, Thüringen u.s.w. gehörte viel dazu sich damit zurecht zu finden.
Gewiß war es für die vom Geschick Begünstigten eine große Annehmlichkeit, Vergnügungsreisen mit eigner Equipage machen zu können, auf einer Tour durch die sächsische Schweiz, Thüringen, Riesengebirge, Fichtelgebirge u.s.w. an allen schönen Punkten beliebig rasten zu dürfen, nirgend abhängig zu sein von Post- und Bahnstationen, von Poststunden und Eisenbahnsignalen – man genoß da wirklich ganz und voll, man war unabhängig und unbelästigt. Aber das war ja eben nur den Reichsten möglich, die[106] große Mehrzahl mußte Post- und Stellwagen – und die eignen Füße benutzen.
Wer aber so gereist ist, weiß auch, daß es wohl strapaziöser und gelegentlich zum Verzweifeln, im Allgemeinen aber doch viel unterhaltender, interessanter und belohnender war.
Stieg man in einen Postwagen, so hatte man gleich alle Ursache auf seine Reisegesellschaft gespannt zu sein, man war eben eng zusammengepfercht und konnte darauf rechnen, es so stunden- und wohl auch tagelang bleiben zu müssen. Da Niemand eine Postkarte erhielt, ohne am Schalter seinen Namen zu sagen, der dann in diese und den Passagierzettel eingetragen ward, da ferner jedes Postgepäckstück mit den Namen seines Bestimmungsortes und des Besitzers versehen sein mußte, so war es gerade nicht schwer, sofern man es wollte, zu erfahren, mit wen man reiste und auf wie lange. Da richtete man sich denn oft förmlich mit einander ein und that gut daran, man saß ja oft so dicht nebeneinander und gegenüber auf den nummerirten Plätzen, die kein Ausweichen zuließen, daß es jedenfalls rathsam war, zusammen im guten Einvernehmen zu sein. Es gab ja der Gelegenheiten so mancherlei die Fahrt einander zu erschweren oder zu erleichtern. Wie viel Unfrieden entstand nicht allein über das Öffnen und Schließen der Fenster, über das Handgepäck, das mit im Wagen untergebracht werden sollte und wenn man es nicht eigenhändig festhielt bei dem Berg auf und Bergabfahren und sonstigen Stößen auf frisch mit Steinen »gebesserten« oder auch ganz vernachlässigten Straßen aller Augenblicke in eine andere Lage gerieth, welche die Mitreisenden incommodirte. Wie dehnten sich die Wege auf[107] den öden Landstraßen, wie wirbelte der Staub um und in den Wagen, wie drang der Regen gern von allen Seiten ein, wie schlich die Zeit dahin im Rütteln und Schütteln, wo immer ein Berg nach dem andern sich erhob, wo die Pferde bald angetrieben, bald in umständlicher Weise durch Anlegen des Hemmschuhs, wo das Schleifzeug nicht genügte, angehalten werden mußten. Da hieß es in Geduld sich fassen!
Aber dabei hatte ja dies Reisen seine besonderen Vortheile, seine Unterhaltung und Poesie! Was wissen wir jetzt auf unsern geradlinigen Eisenbahnen, auf denen wir im Fluge dahingleiten von Land und Leuten und Gegend! Von der letztern erhaschen wir hier und da einen Fernpunkt – kaum freuen wir uns des Anblicks der burggekrönten Höhe – da fahren wir unter einer Straße weg zwischen hohen Seitenwänden und Alles ist verschwunden! Da freuen wir uns eine Station zu erreichen die einen berühmten Namen trägt, von wo aus man einen der schönsten Punkte besuchen kann – und unser Zug hält vor himmelhohen Stationsgebäuden und langweiligen Güterschuppen – wir sehen von der Gegend nichts und von den Menschen selten andere als die Massen der aus- und einsteigenden Mitreisenden – da gleichen die Gebäude wie die Leute einander und selten gewahren wir einmal eine Specialität. –
Fuhr man aber mit der Post – wie freute da der Wechsel, wenn die Landstraße mitten durch idyllische Dörfer und eigenartige Städtlein führte. Wie lustig schmetterte das Posthorn, wie fröhlich begrüßte es die Kinderschaar. Wie war es so drollig den Hahn von der Landstraße auf das nächste Staket fliegen zu sehen, die Hühner nachzulocken,[108] dabei flügelschlagend und krähend; die Kettenhunde riefen einander an, der glücklichere Spitz umkreiste kläffend den Wagen, die Katze im Fenstersims unterbrach ihre Siesta, blinzelte empor und erhöhte schweifwedelnd ihr Ansehen zu einem gewaltigen Buckel. Die Mägde am Brunnen ließen die Kannen stehen und schielten zum Wagen herüber, der alte Bauer, der auf der Steinbank sein. Pfeifchen rauchte, schob das Käppchen zurück und nickte zum freundlichen: Gott grüß! und die Knaben, die sich gerade balgten, stellten jede Fede ein um dem Postillon zu salndiren. Und welche wichtige, poetische Person war dieser nicht selbst, den alle Welt »Schwager« hieß, wobei er und sein Publikum sich wirklich dachten, es sei dies eine verwandtschaftliche Anrede. Und es war doch nur eine Verstümmlung des italienischen Wortes »Cavaliere«! der Thurn und Taxissche Postreiter, der im sechzehnten Jahrhundert die regelmäßige Beförderung von Briefen und Packeten überkommen. Am bestimmten Tage, ritt er z.B. Samstag in Augsburg aus und mußte am folgenden Samstag in Venedig sein. Das war nur mit stationsweise gewechselten Pferden möglich. Andere Pferdereisende schlossen sich ihm an und fanden ebenfalls Relais-Pferde zum Weiterritt. Die Italiener nannten die Postreiter im französirenden Grenzdialekt Cavaliere – Chavalier – sprachen »Schwalger,« daraus machten die Deutschen im Lauf der Jahrhunderte den gemüthlichen »Schwager«, Und die deutschen Postillone betrugen sich dann danach auch als die Reitposten längst aufgehört hatten und Fahrposten aus ihnen geworden waren, in denen auch Damen befördert wurden. Die Postillone hatten auch gegen diese wie gegen Jedermann wirklich[109] mehr vom Schwager als vom Cavalier in ihrem Betragen. Sie waren nicht allzu höflich und aufmerksam, aber an Pünktlichkeit und Ordnung gewöhnt, hielten sie darauf auch unter ihren Passagieren und im Nothfall konnte sich eine Dame getrost ihrem Schutze anvertrauen. Bin ich doch selbst mehr als einmal zu einem solchen in's Cabriolett oder gar auf den Kutscherbock gestiegen, wenn drinnen im Wagen ein Herr gegen mich oder Andere flegelhaft ward – flegelhaft im Rausch oder nüchtern, durch Rücksichtslosigkeit oder durch übergroße Artigkeit – dann genügte es immer auf der nächsten Station den Postillon in's Vertrauen zu ziehen – oder auch den sogenannten »Schaffner« eine noch wichtigere Persönlichkeit, die sich jedoch nicht bei allen Posten befand, – um sicher vor weiteren Unbilden des Weges zu fahren.
Doch das war nur eingeschaltet.
Wie hübsch war es auch, durch eine kleine Stadt zu fahren, selbst wenn das holbriche Pflaster uns einige Rippenstöße versetzte! In kleinen Städten haben ja die Leute noch jetzt Zeit und hatten sie damals erst recht vollauf, um zum Fenster heraus aus ihren einstöckigen Häusern auf die Straße zu gucken, wenn das Posthorn sich hören ließ. Sie suchten Unterhaltung und Zerstreung nicht außer dem Hause, sondern höchstens davor – die guten Hausfrauen saßen mit ihren Strickstrümpfen zum Feierabend vor den Hausthüren auf festgemauerten Steinbänken und die Nachbarin gesellte sich gern zur Nachbarin. Die jungen Mädchen wandelten Arm in Arm geschlungen, plaudernd und kichernd, davor auf und nieder und die Inhaber und Commis in den verschiedenen Läden standen zuschauend zwischen ihren Ladenthüren, da die Kundschaft meist nur[110] am Morgen sie in Anspruch nahm und konnten den Augenblick nicht erwarten bis sie auch schließen und im Vorübergehen ein Wörtlein mit den jungen Mädchen wechseln konnten, die ihnen wohl manchen holden Seitenblick zugeworfen. Fuhr nun die Post dazwischen, so konnte man sicher sein die Kleinstädterinnen studirten die Kostüme und Manieren der durchreisenden Damen und ärgerten sich, wenn die Herren Kleinstädter auch nach denselben Gesichtern blickten und einen wehenden Schleier nachsahen, dafür rächten sie sich dann eifersüchtig, daß sie die Grüße der durchreisenden Herren huldvoll entgegennamen, vielleicht provocirten und dann doch wieder sittig verschämt nach gutdeutscher Mädchenart kichernd die Flucht ergriffen, wenn sich einer noch mehr ihnen nähern wollte –
Und wie lustig war es an erleuchteten Fenstern des Abends vorüberzufahren in Dorf und Stadt – welche Ausbeute von Genrebildern, welche Blicke in das Haus auf den Heerd, in das Familienleben! – all dies machte das damalige Reisen so unterhaltend, gab Stoff zum Schauen, zum Plaudern, Sinnen, Denken, gewiß auch zum Malen und Schreiben – mehr als man das jetzt in unserm modernen Reiseleben findet, das so oft nichts weiter ist, als eine Fahrt von Hôtel zu Hôtel.
Wie anders auch war es beim Besuch von schönen Gegenden, bei Fußreisen und Gebirgstouren. Wurde man doch nicht wie jetzt schubweise auf einer bestimmten Station ausgesetzt, wo dann gleich ein langer Menschenzug den Weg zu der oder jener berühmten Höhe oder Ruine antritt und dabei verpflichtet ist, keinen »Schritt vom Wege« zu thun, weil man sonst die fahrplanmäßige Stunde der Rückkehr zum Bahnhof versäumen könnte,[111] wo man doch nur die Alternative hat entweder athemlos und abgehetzt zur rechten Zeit anzukommen oder die Zeit statt sie in Gottes freier Natur zu genießen im Wartesaal in eingeschlossener Luft oder auf dem Perron im Locomotivenqualm und -Lärm zu verbringen.
Wanderte man damals auf einsamen Gebirgspfaden nur den Wegweisern und den Specielkarten folgend, die man in der Tasche trug zu irgend einen berühmten Aussichtspunkt, so grüßten die Wandernden einander, man winkte sich fröhlich zu, gleichsam die Wanderfreude zusammen theilend, nun auch zur ersehnten Stätte pilgern zu können – zur Wartburg, zum Kyffhäuser – man war in der glücklichen Stimmung, in der man in allen Menschen Brüder und Schwestern sah, sie alle Kinder desselben allliebenden Gottes, der seine Erde so schön geschaffen. Man war eben auf Reisen ein anderes Wesen, hatte den Alltagsmenschen und noch mehr die herkömmliche Salonmiene daheim gelassen, man war einfach seelenvergnügt und nickte den Landleuten so herzlich zu als diese selbst ihr trauliches »Grüß Gott!« uns boten. Die zum selben Ziele zogen oder von dem unsern schon zurückkehrten, die wunderten sich nicht vornehm abweisend wie jetzt, wenn man um Auskunft bat oder sie selbst gefällig bot, das Eine ward, wie das Andere fröhlich dankend angenommen und gegeben.
Aber freilich war es eine Seltenheit, daß Damen allein reisten und nun vollends zum Vergnügen, und vollends junge! Was jetzt ein Alltägliches, war, wie schon erwähnt, damals ein Wagniß, es war ein Emanzipationsversuch beinahe der bedenklichsten Art.
Ich erinnere mich noch mit Vergnügen meiner ersten[112]
Reise, die ich nach begonnener Schriftstellerlaufbahn als ich vierundzwanzig Jahre alt war, unternahm, – weil mir großstädtische literarische Freunde so oft gesagt hatten, ich dürfe nicht immer so ruhig in meiner Kleinstadt sitzen, ich müßte mehr hinaus in's Leben und in der Welt mich ein Bischen umsehen. Der Culturhistoriker Gustav Klemm in Dresden, Oberbibliothekar der königlichen Bibliothek daselbst, den ich dort kennen gelernt, der sich für alle strebsamen Frauen interessirte und der mich meiner deutschen und fortschrittlichen Gesinnung willen schon damals nicht anders als die »Bürgerin« Louise Otto nannte (wozu noch kam, daß ich damals Besitzerin des von meinen Eltern mir hinterlassenen Hauses geworden) und in keinem Brief mich anders anredete als »Verehrte Bürgerin«, drang besonders darauf, daß ich eine selbstständige Reise mache, erbot sich, mir Plan und Empfehlungen mitzugeben. Diese erste Reise galt denn dem romantischen Thüringen. Zog doch die Sehnsucht zu den Dichterhäusern und Gräbern in Weimar, zur Wartburg! Doch bestimmte mich dies nicht allein. Ich konnte die Reise von meinem Meißen aus mit der »Vetternstraße« in Leipzig und Naumburg beginnen – ich hatte weniger Einreden von Verwandten und Bekannten zu befürchten, wenn mein Ausflug diesen »weiblichen« Anfang nahm. Zum Reisegeld diente das Honorar für meinen Roman »Die Freunde«, der schon mit auf der Wartburg spielte, noch ehe ich sie gesehen und zu dessen Helden, dem Herrnhuter-Jüngling Ulrich, ich das Modell auf einer vorjährigen Tour von Leipzig nach Naumburg kennen gelernt und von ihm einen Theil der Geschichte seines Lebens wie der seines Freundes, des Burschenschaftler Karl, erfahren. Es war damals[113] ja eben die Zeit als in Leipzig verschiedne Relegationen wegen burschenschaftlicher Verbindungen stattgefunden und das heilige deutsche Schwarz-roth-gold beinahe bei Lebens- und Todesstrafe verboten war, weshalb es mir auch eine schmerzlich-süße Genugthnung, meinen gesinnungsverwandten Freunden schwarz-roth-goldne Brieftaschen oder Cigarrenetuis oder Spiegelscheiden mit Perlen oder Chenille zu sticken, die doch nicht gar so gefährlich waren, wie die verpönten Bänder und Mützenränder. Jener Ulrich aber, der aus der Herrnhuter Gemeinde von Neudietendorf stammte und damals von Leipzig heimreiste, war mein Nachbar in der Wagenfahrt von Leipzig nach Naumburg gewesen und da in jenen Zeiten jeder Hauterer, dem seine Pferde lieber waren als seine Passagiere, bei jedem Berg, den es hinanging, an die Thierfreundlichkeit derselben appellirte: ob sie nicht lieber aussteigen und den Berg hinaufgehen wollten – der Weg gehe sich viel besser, als daß er sich fahre! (d.h. so sagten die »gemüthlichen« mit jovialen Lächeln, die andere Sorte öffnete den Wagenschlag und rief kurz und gut hinein: »Hier wird ausgestiegen! 's kommt a großer Berg!« und damit wurde man denn an die Luft gesetzt und höchstens mit unsereins unter der wohl volkswitzigen Bemerkung; »Die leichten Mamsellchen können sitzen bleiben!« eine Ausnahme gemacht.) Und so war ich denn mit Ulrich mehrfach ausgestiegen, den Wagen nebenher oder auch vorausgewandert, wenn der Hauterer in den zu passirenden Städtlein allzulange hielt, und er hatte mir so viel gesprochen vom romantischen Thüringen, dessen Sohn er war, daß es mir leid that, die Fahrt in Naumhurg abbrechen zu müssen. Von dort aus hatte ich dann wohl[114] mit der Freundin und ihrem Gatten, in dessen gastlichen Haus ich wochenlang weilte, die Umgegend zu Fuß und Wagen durchstreift, aber ich war doch eigentlich nur bis an die Pforte von Thüringen und nicht hinein gekommen. Wie sehnte ich mich nach dem Schauplatz eines eignen Romans – der schon geschrieben und gedruckt vor mir lag und es hatte seinen besonderen Reiz, das Honorar dafür eben dort zu verbrauchen.
Der Cultur-Klemm also, der um meine Cultur freundlich besorgt war, hatte mir vorgeschrieben: Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Reinhardsbrunn, Liebenstein, Wartburg Eisenach, Kassel, Minden, Weserfahrt bis zur Porta Westfalika, Hannover, Braunschweig, Magdeburg, Leipzig.
Es war dies eine »große Reise« von Meißen aus 1845, denn in Leipzig endete die Eisenbahn und in Hannover begann sie erst wieder. Auch gab es zum Führer noch keinen »Bädecker« – Ludwig Bechstein's »Thüringen« im »malerischen Deutschland« mit den schönen Stahlstichen war mein Vorstudium. Das von Klemm angegebene Programm fuhr ich denn gewissenhaft ab. Ueber das grauwollne gestreifte Reisekleid ward ein ecru-Staubmantel gezogen, für Nachtfahrten ein graues Mäntelchen, wattirt und mit blauer Seide gefüttert, ein italienischer Strohhut mit blauem Schleier, ein schwarzseidnes Kleid und die nöthigste Wäsche in der Reisetasche, den größten Theil der Baarschaft an Geld in's Corsett genäht: so begab ich mich statt eines fahrenden Schülers oder Musensohns, eine fahrende Schülerin oder warum nicht auch eine Musentochter? von Naumburg aus, nachdem ich schon in Kösen wie auf der alten Nudelsburg fast heimisch gewesen, nach Jena, der Musenstadt. Frei wie[115] die Lerche kam ich mir vor – und doch beschlich mich ein sonderbares Gefühl nun plötzlich unbekannt unter lauter Unbekannten zu sein! aber ich sprach mir Muth zu, nicht ein Pendant zum Peter in der Fremde abzugeben! Man hatte mir daheim genug abgeredet von dem Wagniß, dem Unpassenden, dem Abenteuerlichen einer solchen Reise – ich hatte widersprochen und was einmal geplant war, mußte nun glänzend durchgeführt werden. Meine bedenkliche, etwas engherzige Tante, mit der ich zusammen wohnte, die wohl wußte, daß ich nie etwas Unrechtes und Unwürdiges thun würde, mißbilligte wie überhaupt meine litarische Thätigkeit auch diese Reise als eine »Extravaganz« und hatte mich durch alle mögliche Schreckbilder und Prophezeihungen davon abzuhalten gesucht, ich wußte, sie ängstigte sich jetzt – ich mußte ihr beweisen, daß diese Angst überflüssig gewesen, mein Recht und meine Freiheit wahren – es hieß also: muthig vorwärts und hinein in's Thüringerland!
Und sonderbar genug! Wie ich da im Gasthof zur »Sonne« mich mit einigen Herzklopfen allerdings, denn es war zum Erstenmale allein in meinem Leben! in den Speisesaal zur táble d'hôte begebe, höre ich hinter mir bekannte Stimmen – sie kamen von zwei jungen Professoren mit ihren Frauen aus Meißen, die mir nah befreundet. Sie machten eine Thüringer Waldreise zu vier zusammen, wie damals immer das Räthlichste war, weil es bei vielen Punkten nur möglich war, sie in einem Miethwagen zu erreichen und da zahlten ja 4 Personen nicht mehr als drei u.s.w. Wir freuten uns des Zusammentreffens und brachten den Tag in Jena gemeinsam zu – u. A. gesellte sich der Wiener Publioift und spätere[116] Reichtagsabgeordnete des Frankfurter Parlamentes Franz Schnselka zu uns, der damals hier als Verbannter aus Östreich lebte; wir waren als Gesinnungsgenossen schnell bekannt und blieben von da an als solche verbunden. – Am andern Morgen fuhren die beiden Paare weiter in den Wald, indeß ich, da ich noch eine Freundin besuchte bis zum Nachmittag blieb und dann nach Weimar fuhr. Dort kehrte ich im »Erbprinzen« ein – wie aus alter Erinnerung seitdem immer wieder bis zum heutigen Tag; nie aber bin ich dort, ohne daran zu denken, in welcher Verzweiflung ich an jenem Abend war, als ich im Mondschein von einem Spaziergang im Park zurückkehrte und mich nicht besinnen konnte, ob ich im »Erbprinzen« oder »Mohren« eingekehrt, da beide am Markt gelegen. Eine Empfehlung Klemm's an den Bibliothekar, verschaffte mir nicht allein Gelegenheit dort auf manchen Schatz in der Bibliothek aufmerksam gemacht zu werden, sondern man war sogar so freundlich, mich dort ein Stündchen, wo sie nicht geöffnet war, einzuschließen! Ich empfand dies damals als eine Gunst, die mich ganz stolz machte! Nachher sah ich auch Schiller's Todtenmaske beim Bürgermeister Schwab – war im Schloß in den Dichterzimmern, an denen man gerade damals erst zu malen und einzurichten begann – und pilgerte nachher wie zum heiligen Grabe zum Friedhof – »An Schiller's Grabe holt ich mir die Weihe!« sang ich nachher. Damals schloß sich noch keine griechische Kapelle daran, wölbte sich keine goldene Kuppel darüber, wie jetzt – es war eine schlichte Gruft, aber da die Schlüssel in der Hand des Todtengräbers klirrten und ich allein hineinstieg und zitternd den Sarg erblickte auf den der Name: »Schiller!« stand, da kamen nicht nur Schauer[117] der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart und Zukunft über mich und ich betete voll seliger Inbrust! Den Rosenkranz, den ich mitgebracht auf den Sarg zulegen, erklärte da der Todtengräber für »nicht erlaubt.« Da durchrießelte mich's heiß und kalt zugleich und ein bittres Lächeln drängte sich auf die Lippen die eben gebetet hatten – ich legte den Kranz außen vor die Eingangsthür in den frischen Morgenthan – was ich damals fühlte, betonte ich später in folgenden Versen, die zuerst in Leipzig zu einer vom ersten Schillerverein veranstalteten sommerlichen Schillerfeier 1847 gedruckt wurden, und deren letzten Vers Robert Blum von der Rednertribüne herab, wo ich unfern bei ihm stand, den versammelten Tausenden am Schluß seiner Rede entgegendonnerte. Und dazu hatte ich mir damals dort die Weihe geholt. Das Gedicht steht in meiner Sammlung »Lieder eines deutschen Mädchens« (Leipzig 1847, A. Wienbrack), doch setze ich es hierher, da es Zeit und Situation kennzeichnet.
Es war ein Grab, dahin die Sehnsucht winkte.
Gleichwie in frommer Zeit dem Pilgerstabe
Ein Ziel nur der Begeisterung werth bedünkte,
So zog auch ich zu einem heilgen Grabe.
Ihr seht mich an, als fragtet Ihr erschrocken:
Wo willst Du hin, Du Kind der neuen Zeit,
Das nur zu ihrem Dienste sich geweiht,
Will es auch Dich vom Vorwärts – rückwärt's locken?
[118]
O fürchtet Nichts! im Grab, zu dem ich gehe,
Kann nur ein Bürge unsrer Hoffnung liegen,
Er starb der Zeit, für die ich kämpfend stehe;
Sein Name ist ein Zeichen, drin wir siegen.
An Schiller's Grabe hol' ich mir die Weihe
Um noch zu schlagen manche Liederschlacht,
Den Lerchengruß zu bringen nach der Nacht
Dem Tag entgegen, der die Welt befreie.
In Weimar, wo ein Sarkophag erhöht,
Dort, wo zwei Dichter schlafen, kniet ich nieder,
Dort lag ich lang im brünstigen Gebet,
Dort näßten Thränen meine Augenlider.
Ob Schillers Grabe keine Blumen blühen,
Nicht schmücken darf man es mit grünem Kranz,
Ihn deckt der Fürstenehren kalter Glanz,
Die Stein und Mauern um das Heilge ziehen.
Doch, wo ein Herz in Menschenliebe glüht
Und hoffend aufwärts zu dem Höchsten strebt:
Das ist die Blume seinem Grab erblüht
Die ihren Kelch dem Licht entgegenhebt.
Im Herzen seines Volkes wird er leben,
Ob auch sein Sarg bei Fürstengräbern steht;
Ihm ward ein sichrer, fester Thron erhöht,
Statt Kron und Purpur Lorber ihm gegeben.
Er lebt im deutschen Volke – das ist sein! –
Drauf kam ich in ein stilles Dörfchen wieder,
Es sang die Nachtigall im nahen Hain
Wehmüthig froh das schönste ihrer Lieder.[119]
Da fand ich ihm ein Zeichen aufgerichtet,
An dessen Grabe ich noch jüngst gekniet,
Ich fand das Haus, drin er sein schönstes Lied,
Das Lied der Freude für sein Volk gedichtet.
Es klang sein Name aus der Kinder Mund,
Der Landmann wußte fröhlich ihn zu nennen,
Das Volk steht mit dem Dichter hier im Bund
Und lehrt ihn neu den zarten Enkeln kennen.
Da rief ich jubelnd in Begeistrung trunken:
An seinem Grab zu trauern ehrt ihn nicht!
Hier tönt ihm Ruhm sein ewiges Gedicht
Ihn feiernd: »Freude, schöner Götterfunken.«
So tönt es heut, so tön es fort und fort!
Fremd mög es nie dem deutschen Volke klingen,
Doch Schiller sprach auch ein gefeites Wort,
Das mag vom Volk bis zu den Fürsten dringen;
Drin ruht des Vaterlandes tiefstes Leben!
Drum ruft es laut in alle Welt hinaus,
Bringt's an den Thron, bringt's in das Ständehaus:
»Gedankenfreiheit müssen sie uns geben!«
Die erwähnte Sammlung von mir enthält noch viele Gedichte, die zu jener Zeit in jener Gegend entstanden; Der Dom zu Naumburg – Nudelsburg und Saaleck – Auf der Saale – Wartburg – Weserlied – Weserfahrt – und noch eines an Schiller, das an jene damals zuerst auftauchenden »historischen Berichtigungen« anknüpfte nach welchen Tell und die Jungfrau von Orleans in's Reich der Mythe verwiesen werden sollten und das unter andern die folgenden Verse enthält.
[120]
So müßt Ihr leugnen auch die Schäferdirne
Die Euch auch fragt, wie sie voll heilgem Muth,
Bekämpfte ihres Landes Feindesbrut
Mit von Begeisterung umstrahlter Stirne:
»Was ist unschuldig, heilig, menschlich, gut,
Wenn es der Kampf nicht ist um's Vaterland?«
Denn Euch ward kaum so hohes Wort bekannt.
Johannas Name wird zum Märchenklange –
Denn eine Jungfrau braucht kein Vaterland,
Sie liebe nur ihr Haus und Spiel und Tand,
So meint Ihr ja, so handelt Ihr schon lange.
Johanna aber stand in Gottes Hand.
Die niedre Magd ward von dem Herrn erkoren,
Weil Liebe sie dem Vaterland geschworen! –
Traun, Wahrheit könnt es wieder einmal werden
Daß, wie es Schiller uns im Bild gezeigt,
Ein zweiter Tell die Freiheitsalp ersteigt,
Den sichren Pfeil schickt auf Tyrannenfährten –
Daß eine Jungfrau nicht im Kampf erbleicht,
Dieweil es gilt aus schweren Druckes Ketten
»Das Vaterland, das theure, zu erretten!«
Diese Lieder charakterisiren die damalige Zeitstimmung und zumeist meine eigene, wie ich immer über Frauenwürde und Recht dachte und welche Mission ich schon in der Jugend und bei Beginn meiner literarischen Laufbahn mir zuertheilte. – Nach Weimar rastete ich in Erfurt, betrat den Dom und kletterte hinauf zur »Susanne«, damals die größte Glocke in Deutschland und stand kopfschüttelnd am Grabmahl des Grafen von Gleichen und[121] seiner beiden Frauen – der Edelmuth der weißen Gemahlin wollte mir doch nicht recht zu Sinn! – Uebrigens aber schrieb ich von jener Reise Briefe für die Zeitschrift »Wandelstern«, die lange, bevor an eine »Gartenlaube« zu denken war, der Redacteur derselben, Ernst Keil in Leipzig herausgab. Ich schrieb sie aber – obwohl meine Romane sogleich unter meinem Mädchen-Namen erschienen waren, unter dem halben Pseudonym Otto Stern und zwar weil es damals noch nicht vorkam, daß Schriftstellerinnen publicistische Artikel schrieben oder daß man dazu Vertrauen gehabt und jene Reisebriefe doch zunächst diesen Charakter hatten und nur den Tagesinteressen Rechnung trugen. – In Gotha war wieder ein Billet von Klemm der Schlüssel, mir alle Sammlungen zu öffnen und die bereitwilligsten Erklärer derselben zu schaffen. Die alten Herrn erschöpften sich förmlich in Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten gegen mich – war dies Klemm's Verdienst? war es das armselige Verdienst meiner – Jugend? war es doch Würdigung eines weiblichen Strebens nach wissenschaftlicher Belehrung, eines Sinnes, der nicht nur am bunten Flitter haftete? war eine alleinreisende Dame etwas Absonderliches? Diese Fragen kommen mir jetzt viel mehr als damals, wo ich im Jugendmuth das Alles, wenn auch dankbar, doch hinnahm als müsse es so sein. – Aber die alten Herrn sind längst heimgegangen, ich kann sie selbst nicht fragen, ob sie immer und ob sie auch gegen alte Damen so leutselig waren? Wie hab ich damals geschwärmt im Schloßpark und zumeist drüben auf »der Todteninsel«, auf die ich mich hinüberrudern ließ, hier, wo im Gegensatz von den Dichtergräbern der Fürstengruft, nur Blumenteppiche in[122] Herzform die Fürstensärge andeuteten, die darunter standen. Vorüber auch diese Romantik! Als wir im letzten Jahre in Gotha Frauentag hielten und ich nach der Todteninsel fragte, da erfuhr ich, daß man nicht mehr hinüber gefahren werde und daß auch dieser poetische an Jean Paul erinnernde Punkt und Cultus so gut wie in Vergessenheit gekommen. Damals hätte ich das so wenig gedacht wie daß ich dreißig Jahre später in eben dieser Stadt einen deutschen Frauentag erleben und ihn selbst eröffnen würde – solchem Fortschritt gegenüber kann man schon leichter auf das romantische Spiel verzichten und auch mit Schiller sagen: »Und der Lebende hat recht:«
Damals wohnte ich im Gasthaus »zum Riesen« am Markt und da mir mein Freund Klemm vorgeschrieben: von Gotha mit Gelegenheit oder Einspänner nach Neinhardsbrunn, Liebenstein, Altenstein, Eisenach und Wartburg »zwei Tage«, so wich ich nicht von diesem Programm. Da es keine Gelegenheit gab, ließ mir der Wirth einen Lohnkutscher kommen. Der stämmige Thüringer erschien am Abend auf meinem Zimmer, auf mein leises Herein! und schrie mich mit Stentorstimme an: »Wo ist denn die Herrschaft, die ich zwei Tage fahren soll?« Ich mußte die Antwort: »ich bin's!« ein paar mal wiederholen, ehe er sie begriff und da ich, ungewohnt mit fremden Kutschern, besonders wie dieser im Genre der Fuhrleute, zu unterhandeln, leise und schüchterne Antworten gab, sein Jarjon und seine Rechnung auch nicht recht verstand, sagte er ärgerlich: »Kann ich denn nicht lieber mit dem Herrn sprechen?« In der Ueberzeugung, er meine den Wirth des Hôtels, sagte ich, so möge er[123] ihn rufen, da er doch wohl von ihm auf mein Zimmer geschickt sei. »Ich meine den Herrn, der mitfährt!« polterte der Kutscher, ich dachte der Schlag rühre mich bei dieser Antwort: »Ich fahre allein oder gar nicht!« rief ich mit vor Zorn zitternder Stimme. »Ich will den Thüringer Wald genießen und nun macht es kurz: wollt Ihr mich fahren oder nicht?« »Ja wenn das Mamsellchen allein ist – mir kanns recht sein – aber passirt ist mir das noch nicht, da müssen's schon verzeihen!« und nun wurden wir Handelseinig und die Wogen meiner Aufregung legten sich um so mehr, als ich vernahm, daß er eben der Fuhrwerksbesitzer war und mich nicht selbst fahren, sondern mir seinen besten Knecht schicken wollte, der mich recht beschützen und mir alles Sehenswerthe zeigen werde. Damit meint ich aus der Verlegenheit heraus zu sein. Ich hatte ja schon sehr an die gute bedenkliche Tante gedacht! Der Knecht aber war nun nach seiner Weise gemüthlich, als er am frühen Morgen peitschenknallend erschien. »Der Herr hat's mir schon gesagt, daß ich heut' was Appartes zu fahren krieche« führte er sich ein, nun ich werd's schon gut machen! Und als ich nun so seelenallein im Einspänner, der Kutscher vor mir, zur Stadt hinausrollte in die Morgenfrühe und in den Wald hinein, wo die Morgennebel wie weißer Dampf in den Schluchten am Nadelholz hingen, und prismatisch flimmernde Thautropfen wie aufgeschichtete Edelsteine im Moose glänzten, bald kein Mensch mehr uns begegnete – da bekam ich erst wieder Herzklopfen von den Mahnungen der Tante – wie war ich so fern vom Hause, in vollständiger Einsamkeit und eigentlich auf Gnade und Ungnade einem fremden Mann in der Fremde übergeben! Aber der[124] Mann war ja ein Kutscher! er hatte auf sein Pferd, seinen Wagen zu achten – ich war ein thörichtes Kind mit meiner Angst. Sie verschwand auch – und als ich in Neinhardsbrunn ankam, genoß ich dort ganz den Anblick dieser »silbernen Perle in grüner Muschel« – und um so zauberhafter lag das Schlößchen da, als gerade ein Regenbogen über den See und seinen darinrudernden Schwänen sich wölbte. Damals war auch Friedrichsroda, worin jetzt die fremden als Sommerfrischler so zu sagen über- und aufeinander sitzen, daß es unmöglich ist ihnen auszuweichen, nur ein harmloses Walddorf, darin nur die Thüringer Wald-Reisenden, besonders die Besucher des Inselberges, einen kurzen Aufenthalt nahmen. In Reinhardsbruun aber weilte gerade die Königin Victoria von England – ich sah sie von fern auf einem Altan des Schlosses stehen; nur weil es englischer Sonntag, sei sie müssig, erklärte man mir, sonst sehe man sie oft auf einer Gartenbank sitzen und – Strümpfe stopfen für ihre Kinder. – Mir erschien dies doch sehr forcirte Mutterliebe für eine Königin! In Wilhelmsthal ward ich wieder an sie erinnert. Der Kutscher, der sich dort in gemüthlicher Thüringer Manier mit seinem Bierkrug an denselben Gartentisch zu mir setzte, daran ich vor dem Hôtel meinen Kaffee einnahm, flüsterte mir zu: »Man habe ihn gefragt, ob ich nicht vom Hofstaat der englischen Königin sei oder ob ich eine Audienz bei ihr gehabt – ?« »Wohl um einen Bettelbrief abzugeben?« warf ich hohnlächelnd ein. Der Kutscher meinte, er habe längst erzählt, daß ich nur zum Vergnügen durch den Wald fahre und eine reiche Dame aus Sachsen sei – ans Sachsen! ich dachte an Minna von Barnhelm und erschrak nun wieder[125] über das »reich.« Wenn man zu dieser Vermuthung kam, konnte man mich ja um dieses sonderbaren Verdachtes willen auf der einsamen Fahrt erschlagen oder ich war damit doch der gemüthlichen Thüringer Prellerei verfallen, obwohl sie damals noch nicht ihren jetzigen Höhepunkt erreicht hatte. »Sagen sie doch den Leuten: ich sei weiter nichts als ein deutsches Mädchen und besäße auch weiter nichts als meine Gedichte und das sei ein Reichthum, der leider für Niemand werth habe als für mich selbst.«
Als wir auf Altenstein ankamen, wo ich eigentlich übernachten wollte, schallte mir im Gasthaus bekanntes Gelächter entgegen. Da waren sie wieder, die Meißner Professorenpaare – aber in einer halben Stunde reisten sie weiter. Wir fanden es wieder lustig uns hier zu begegnen und nannten uns fortan nur die Thüringer Waldmenschen. Indessen, auch sie, obwohl an meine kleinen Extravaganzen gewöhnt, fanden es doch mindestens – komisch, daß ich mutterseelen allein mit meinem eigenen Geschirr reiste, indeß gab ich ihnen Grüße in die Heimath mit und that ganz heldenhaft, ließ mir von ihnen noch den Weg zur Riesen-Aerlsharfe beschreiben und lehnte nun jede andere Führerschaft dahin ab. Ich hatte auf Altenstein übernachten wollen – da aber der Herzog von Meiningen im Schloß anwesend, war das Hôtel von seinem Gefolge in Anspruch genommen und ich mußte nach Liebenstein fahren. Dort kehrte ich im Kurhaus ein. Es war Sonntag gegen Abend, als ich da vor einem geputzten Conzertpublikum sehr bestäubt von der Reise, abstieg, mein Pferd, während es der Kutscher ausschirrte mit Zucker fütterte und streichelte und dann meinen Thee an einen noch unbesetzten Tisch vor dem Kurhaus einnahm. Ein[126] Herr in den mittleren Jahren – da ich damals selbst jung war, rubricirte ich ihn zwischen 40 und 50 und darum ohne Weiteres als »alt« – eine vornehme Erscheinung, die ein Ordensstern vervollständigte, begrüßte mich artig als neuangekommenen Kurgast und nahm an meinem Tische Platz. Ich sah darin nur eine Badefreiheit, das Gespräch drehte sich um die Gegend, ich fragte wie wie weit es nach der Burgruine sei? Er meinte, nur eine Viertelstunde. Dann kann ich ja die Partie noch heute machen und »oben die Sonne untergehen sehen«, sagte ich, stand auf und ging mit kurzem Gruß davon. Es war mir auf dem einsamen Promenadenwege doch wohler, als unter den bunten Menschenschwarm. Aber meine Einsamkeit dauerte nicht lange. Der Ordensherr tauchte plötzlich hinter mir auf und bat um Erlaubniß, mich zu begleiten, ich würde den Weg allein im Walde wohl nicht finden. Was konnte ich dagegen thun? Er war ja ein »alter« Herr und gewiß gingen viele Leute dieses Weges, es war wohl herkömmliche Badesitte und Freiheit. Ja, aber alle Spaziergänger begegneten uns nur, des gleichen Weges ging Niemand, schon begann es zu dämmern, der Fremde ersuchte mich, vom Steigen auf einer Bank zu ruhen, da ich schwer athmete, er setzte sich neben mich, nahm jetzt einen zärtlichen Ton an und wollte meine Hand küssen, ich sprang auf, rief nur: »Sie täuschen sich in mir!« und lief hastig denselben Weg zurück und hinunter. Zitternd und wüthend ging ich in mein Zimmer und verließ es bis zum andern Tag nicht wieder – von dem Kellner erfuhr ich, daß der Weg zur Ruine viel weiter war und ich sie also nur im Dunkeln hätte erreichen können – dann fragte ich auch nach dem Herrn mit dem[127] Orden – es war in der That ein vornehmer Herr am Hofe eines Kleinstaates – so viel ich weiß, lebt er nicht mehr. – Ich dachte wieder an meine Tante – war es denn in der That nur einer Abenteuerin, als welche ich ja wohl erschien, vergönnt, in Gottes schöner Welt sich umzusehen? und welches Recht haben die Männer, uns nur unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob es ihnen wohl vergönnt ist, ein unwürdiges Spiel mit uns zu treiben, wenn wir gerade im Bewußtsein unsrer sittlichen und weiblichen Würde, keines fremden Schutzes bedürfen und es verschmähen, immer eine Ehrendame oder einen Vormund und Wächter an unsrer Seite zu haben? Wie erbitterte mich schon damals eine solche Erniedrigung unseres Geschlechtes! Aber sei es wie es immer sei – ich wollte diesen albernen Vorurtheil keine Concessionen machen, diese Erniedrigung nicht auf mich nehmen.
Noch in mädchenhafter Entrüstung und nach einer schlaflosen Nacht verließ ich Liebenstein – wie edel erschien mir mein Kutscher dem Ordensherrn gegenüber! Dem Manne aus dem Volke konnte ich meine Person tagelang vertrauen – der feine Cavalier hatte keine Stunde gebraucht, meinen Abscheu hervorzurufen, mich tief zu beleidigen. Als dann auf der abschüssigen Chaussee das Pferd einen Seitentritt trat und plötzlich unter der Deichsel lag, eine kräftige Thüringerin herzusprang und mir aus dem Wagen half, Burschen herzukamen, Pferd und Wagen wieder auf- und einzurichten, da wollte dieser Schreck lange nicht so viel besagen wie jener – im Gegentheil: er zeigte mir das Volk von seiner liebenswürdigsten Seite, überall boten sich helfende Hände und freundliche Worte. Der Vorfall hatte nicht viel zu besagen, das Thier kam[128] bald wieder auf die Beine und ich in den Wagen. Ich hatte nach Schweina bei Glücksburg schicken lassen, daß die dortige Höhle Jemand zu sehen wünsche. »Eine Herrschaft« war wieder der übliche Ausdruck gewesen, und wieder ward ich auch dort gefragt: wo die Herrschaft sei? und als ich sagte, daß die Bestellung von mir komme, ob ich nicht warten wolle bis Gesellschaft komme? Ich erklärte, daß ich das Uebliche allein bezahlen würde und eben Gott danke, wenn ich dafür auch allein sei – und ich war allein in dieser Unterwelt mit zwei halbwüchsigen Burschen, die da und dort Fackeln und Windlichter anzündeten, mich durch die wunderbaren Säulengänge führten und im Nachen fuhren über den finstern, unterirdischen See. – Damals erschien mir die Sache unendlich märchenhaft und großartig; gerade um mir diesen Jugendeindruck nicht zu verderben, bin ich später nicht hineingegangen, so oft ich auch in der Gegend war – es möchte mir doch nun vielleicht Alles klein und kleinlich vorkommen!
Aber mit welcher Ehrfurcht, welchem Triumph, welcher Seligkeit durchflammte es mich, als ich nun die Wartburg erblickte, als ich zu ihr hinaufwanderte! Da freilich nicht allein – es war die halbe táble d'hôte aus dem »Rautenkranz«, die sich da gemeinsam auf den Weg machte. – Damals war die Burg noch nicht »restaurivt«, sie trug noch ihr altes rundes Dach, man begann eben erst den großen Rittersaal freizulegen, den eine geschmacklose Zeit ganz vermauert. Das Lutherzimmer war in seiner alten Einfachheit, die weißgetünchte Wand mit dem Tintenklex, die alten Geräthe, der Leviathan zu Füßen – es heimelte dies Alles gar traulich an, ganz anders als heut. Heut ist aufgeputzte Reliquie, was damals ursprüngliches[129] Heiligthum. Noch gab es keine Gemälde an den Wänden, die Geschichte der Wartburg verherrlichend – aber vor mir stand sie lebendig. Es war ein Gewitter im Anzug – die Gesellschaft, die gemeinsam herumgeführt worden, trieb zur Eile, um vor dem Gewitter unten zu sein – aber für mich konnte es nichts Erwünschteres geben, als hier ein Gewitter abzuwarten – ich blieb im Zimmer des Castellans, an jenem Fenster, daran man heute noch in der altdeutschen Restauration so gern weilt und hinabschaut in das unendliche Grün. Da hab ich die Wartburg besungen, wie schon erwähnt, und ich lasse Einzelnes des größeren Gedichts aus eben jener Sammlung hier folgen, weil es die Zeit und meine Jugend charakterisirt, und weil ich mich darauf berufen darf, daß ich niemals den Idealen meiner Jugend untreu geworden! Das Motto dazu ergab sich dort auch:
»Hier, diesen Harnisch hat ein Weib getragen«,
Sprach in der Burg der alte Castellan.
Wohl gilt's jetzt nicht, das Herz in Erz zu schlagen,
Daß nicht ermordend ihm die Feinde nahn!
Mein weiblich Herz wollt ihr mit Gift verwunden –
Wohl bitter hat es euer Thun empfunden!
Doch mag es nimmer andern Schirm und Schild,
Als die Begeistrung, die vom Herzen quillt.
Hoch am Himmel stand die Sonne,
Gleich einem Engel mit goldenen Flügeln
Ausgesendet vom Thron des Höchsten,
Zu segnen die Erde mit Glanz und Wärme.
[130]
Und der Engel breitete
Die strahlenden Arme weit aus –
Und es war als zög er die aufathmende Erde
Näher dem Himmel, näher der Gottheit.
Goldene Strahlenringe zog der Engel von seinen Fingern,
Vertheilte sie dahin und dorthin;
Und die Ringe wurden zu Heiligenscheinen,
Zu Himmelsglorien auf den Gipfeln der Berge,
Dahin sie der Engel geworfen.
Und solch eine Himmelsglorie,
Solch ein Heiligenschein krönte noch einmal
Die Krone der Burgen des Thüringer Waldes:
Die uralte Wartburg.
Ich stand und schaute.
So lang ich daheim verweilt
Ein spielendes Kind, eine sinnende Jungfrau
An den Ufern der Elbe, wo uralte Burgen
Verwitterte Klöster unheimlich mahnen
An des Mittelalters eiserne Gestalt:
An den Ufern der Elbe, wo grünende Reben
Mit reifenden Trauben verheißend mahnen
An der neuen Zeiten gährende Gewalt:
So lang ich daheim verweilt an den Ufern der Elbe
Den reben- und burgbegränzten, so lang auch weilte
Die Sehnsucht in meiner Brust nach der Krone der Burgen
Des Thüringer Waldes: der uralten Wartburg.
Nun stand sie in Himmelsglorie mit dem Heiligenschein
Vor den trunkenen Blicken.
Meine Hände waren gefalten,
Thränen mir aus den Augen wallten,[131]
Im Herzen wallte ein Hochgefühl:
Ich war am Ziel.
Es folgen nun vier längere Abschnitte, deren Hauptinhalt der Schlußgesang kurz zusammenfaßt:
Sinnend trat ich hinaus
In den mauerumgebenen Schloßhof,
Wo junge Gräser sprossten, Kinder der neuen Zeit,
Die nichts gesehen von der vergangenen Tage Herrlichkeit,
Von der vergangenen Tage Leid.
Hinter den wallenden Wolken
Schaute noch einmal ruhig strahlend hervor
Die unvergängliche Klarheit der Sonne,
Und beleuchtete zu meinen Füßen,
Ein Werk der spielenden Natur,
Im dreigeblätterten Klee – ein Vierblatt.
Ich pflückte es als Angedenken – als vierfaches,
An diese Burg, die erinnerungsreiche
Und that dabei einen Schwur, einen vierfachen:
Elisabeth, die Heilige,
Sei mir ein Vorbild in stiller Demuth
In allumfassender Menschenliebe
Der Armen mich zu erbarmen.
Und in dem Sängerkrieg, dem neuen, heiligen
Will ich stehen und fechten, bis mit dem letzten Lied
Der letzte Odemzug der Brust entwallt!
[132]
Und protestiren will ich nach Luthers Wort,
Und für den freien Glauben
Mit freier Rede in die Schranken treten! –
Und fest verbrüdert mit der deutschen Jugend
Weih' ich dem Vaterlande all' mein Streben.
So steh ich ernst und frei vor allem Volk.
Und wollt Ihr nun mich höhnen und verdammen,
Weil nur die schwache Jungfrau zu Euch spricht:
Nicht löschen könnt Ihr der Begeistrung Flammen,
Könnt sie nur schmähen, aber dämpfen nicht!
Und wenn mein Herz von Euch verstoßen, bricht,
So bricht's mit Luthers Worten doch zusammen:
»Gott helfe mir! – doch anders konnt ich nicht!« –
Von Eisenach bis Kassel mit der Eilpost war damals eine lange Tour – eine Nachtfahrt. Da ich das Unglück hatte, wieder einen artigen alten Herrn darin zum Nachbar zu haben und Aussicht, die letzte Station mit ihm allein zu fahren, indeß vorher noch mehrere Passagiere darin saßen, so ersuchte ich den Schaffner, mich zu sich in's Cabriolett zu nehmen »um dort den Sternenschein besser genießen zu können!« Freilich ward mir da wenig Schutz vor der Nachtluft, aber doch Schutz vor männlichen Flegeleien der widerwärtigsten Art. Mit Tagesgrauen erreichte ich Kassel. Da es am Mittwoch war, so sprangen die Wasser in Wilhelmshöh und da mich an der table d'hôte eine englische Familie, zwei Damen und ein Herr fragten, ob ich in ihrem Wagen dahin die vierte Person abgeben wolle? war mir dies gerade recht.[133] Allein sie machten dann die Sache in englischer Manier ab, fuhren nur zu den Wasserkünsten »um sie gesehen zu haben« und ließen das ganze schöne Wilhelmshöh mit all den herrlichen Parkanlagen im Habichtwald unberücksichtigt. Da beschloß ich denn, noch einen Tag in Kassel zu bleiben und die Partie nochmals, aber zu Fuß zu machen. So geschah es denn; es war ein wundervoller Sommertag für meine Wanderung auf einer vielbesuchten Chaussee. In der Restauration ließ ich mir dann den Weg zur Löwenburg beschreiben und von da zum Herkules dem großen Christoph. Allein der Pfad, der Wald, die Höhe – Alles nahm größere Dimensionen an, als ich erwartet – kein Lüftchen wehte, kein Vogel regte sich im Wald, nur da und dort huschte und guckte ein Eichhörnchen neugierig herab – keine Burg, kein Herkules, kein Mensch ließ sich sehen – doch ja, da stand einer – als wär's der große Christoph selbst, so riesenmäßig und wie jener die mächtige Keule, eine große Art auf der Schulter. Er grüßte und ich fragte, ob ich auf dem rechten Weg zur Löwenburg sei? Er sah mich verdutzt an: »Dahin gehen Sie so allein? – Es war immer dieselbe Frage! auch im Marienthal bei Eisenach hatten sie die Buschweiber gethan und als ich geantwortet: »Warum denn nicht? Ich denke es giebt in Thüringen nur lauter gute Menschen! da fürcht ich mich nicht!« hatten sie geantwortet: »Das schon, aber es ist doch plaisirlicher mit einer Mannsperson!« und da ich gesagt, daß ich das nicht fände, hatten sie mir ein schallendes Gelächter nachgesandt. Also überall derselbe Standpunkt. Jetzt war ich nun nicht mehr im gemüthlichen Thüringen, ich kam mir entsetzlich weit vom Hause vor und als der[134] lebendig gewordene große Christoph weiter erklärte, ich fände mich nicht allein, er müsse mitgehen und mir den Weg zeigen, war ich doch im ersten Augenblick froh darüber und unüberlegt genug, als er mich weiter examnirte ihm wissen zu lassen, daß ich allein gereist und weil er an der Sprache hörte, daß ich keine Kattentochter mich als sächsisches Mädchen verrieth – da erschrak ich plötzlich vor dem Blick mit dem er die Ringe an meiner rechten Hand betrachtete, von der ich den Handschuh abgezogen, eine mir unbekannte Blume zu pflücken – da dachte ich plötzlich: wenn dich der Mann hier erschlägt und ausplündert, denn zerlumpt und grimmig sah er aus, so erfährt kein Mensch etwas davon – er hat dich gewiß auf falsche Fährte gelockt, denn von der Burg ist ja nichts zu sehen! aber umkehren war so gefährlich wie weiter gehen – ich redete nur manchmal sehr laut, wenn doch vielleicht noch ein menschliches Wesen in der Nähe sei – schwül und endlos erschien Weg und Zeit – aber da kamen Stufen, dort oben lag die Burg! Ich athmete auf, bat in meinem Herzen meinem Führer jeden Verdacht ab und gab ihm ein reichliches Trinkgeld, das er freudestrahlend nahm – nur darum war es dem armen Holzfäller zu thun gewesen.
Damals war eben Ernst Bandel mit der Idee des Hermanndenkmals aufgetaucht – in der Keule des »Herkules« wieß man hinüber nach dem Teutoburger Wald. Dorthin solle der Hermann zu stehen kommen – und die beiden mächtigen Gestalten würden einander grüßen können. Wie Wenige glaubten damals daran! Wie konnte aber auch Jemand etwas ahnen von dem Humor der Weltgeschichte, daß erst ein Napoleon Kaiser und dann[135] Gefangener von Wilhelmshöh werden mußte, ehe das Hermannsdenkmal vollendet, aufgerichtet und würdig geweiht werden konnte! Das kleine Dampfschiff, das mich auf der Weser von Münden bis zur Porta stromab trug, hieß »Germania« und eine Büchse zur Sammlung für das erwähnte Denkmal befand sich am Cajüteneingang. Ich steckte mein Scherflein hinein, aber die meisten lächelten darüber und sagten es sei eine romantische Grille. Ich sang in meinem »Weserlied«:
Ist denn kein Hermann da?
Kein Hermann und keine Germanen
Zu Schutz und Trutz bewehrt,
Die heilge Freiheit der Ahnen
Zu wahren mit dem Schwert?
Wie wunderte man sich auch auf dem Dampfschiff über die allein reisende junge Dame und meinte, ich wolle irgendwo in Bremen oder sonst mich einer auswandernden Familie zugesellen!
Von Hannover an gab es dann Eisenbahn und da war ja das Reisen ziemlich so wie jetzt, nur hatte man noch keine Damenconpees eingerichtet – sie sind erst in neuerer Zeit eingeführt worden, – seitdem man sich eben nicht mehr wundert, daß Damen allein reisen.
Ich habe dies hier so umständlich aus meinem eignen Jugendleben erzählt, um der jetzigen Generation zu zeigen, wie es noch vor dreißig Jahren gewaltig anders in der Welt war und wie, was mit Post u.s.w. eine große Reise, jetzt nur eine kleine Tour ist, zu der man kaum so viel Tage als damals Wochen brauchte. Zugleich mag auch daran sich nachweisen lassen – eine Mahnung[136] die auch nicht schaden kann – wie man damals noch unter andern Gesichtspunkten, gleichsam weihevoller, reiste nicht nur um die Mode mit zu machen und auch mit sprechen zu können. Auch meine ich man kann nicht oft genug daran erinnern wie damals engherzige Menschen durch das Alleinreisen die Weiblichkeit gefährdet glaubten und eine gewisse Sorte von Männern geneigt war, solche Damen für vogelfrei zu halten, wie man also von allen Seiten die Frauen von jeden selbstständigen Schritt, jeden Sichselbstgenugsein, jeden kleinsten entschiednen Sich-auf-sich-selbst-stellen und verlassen zurückzuhalten suchte. Gerade auf diesem Gebiet ist die Welt eine ganz andere geworden.
Ich reiste damals wie auch später, nicht um nach Stoffen zu jagen, nicht um bestimmte Studien zu machen, noch um zu dichten – ich reiste aus Liebe zu Gottes schöner Natur, zum deutschen Vaterlande, in reiner, fröhlicher Wanderlust und – um mindestens mir selbst und auch womöglich Andern beweisen zu können, daß auch Frauen dazu ein Recht hätten und nicht erst nöthig haben sollten, zu warten, bis ein Bruder oder später der Gemahl die Güte hätte, unter seinem Schirm sie mitzunehmen. Die deutschen jungen Männer – man war und ist ja noch heute so frech von »der deutschen Jugend« zu reden und dabei nur an Jünglinge, nicht auch an Jungfrauen zu denken – kannten ja kein schöneres Vergnügen und »Bildungsmittel« als zu reisen, warum sollte es den Frauen nicht zugänglich sein? – Freilich, damals wanderten jene noch gern mit dem Nänzchen und Knotenstock ihres Weges, was jetzt kaum noch auf der interessantesten Bergtour geschieht. Daß die Frauen gleiche Strapazen dieser[137] Art wie die Männer aushalten, finden wir nicht für nöthig, obwohl viele es können – und eben darum wurden die Eisenschienen auch zum besten Hilfsmittel »neue Bahnen« einzuschlagen auch für die Frauen. Das Reisen ward dadurch gleich, und gleich leicht für beide Geschlechter.
Wie man uns berichtet, betragen die Schienenwege auf dem Erdenrund jetzt schon mehr als 300,000 Kilometer – und am 27. September 1825 befuhr zum Erstenmale, wie damals ein Berichterstatter der »Times« meldet, »eine nur durch Dampf getriebene Maschine die ohne Pferde auf eisernen Schienen lief und noch 38 mit Kohlen beladene Wagen hinder sich herzog die 41 Kilometer lange Strecke von Stockton bis Darlington in England.« Dasselbe Blatt warnte vor den Uebertreibungen und Hoffnungen, die sich hieran knüpften, denn eine Verallgemeinerung dieser Einrichtung und eine Verbindung großer Strecken in solcher Weise anzunehmen sei doch Ueberspannung. – Freilich waren es nicht die Regierungen, noch Gelehrte, welche diese Unternehmungen weiter förderten, sondern einfache Gesellschaften von Privatunternehmern, die endlich Georg Stephensons Erfindung und Idee verwirklichten und der Menschheit nutzbar machten und bald in Belgien und Mitte der dreißiger Jahre auch in Deutschland in Angriff nahmen.
Ich weiß, welche ernste Debatten und welche komische Geschichten von Mund zu Mund gingen, als die Leipzig-Dresdner Eisenbahn zu bauen beschlossen ward und als 1837 die ersten kleinen Anfangs und Endstrecken derselben: Leipzig – Machern und Dresden – Oberau befahren wurden, da war des Staunens kein Ende. Als dann im Frühling 1839 die Eröffnung erfolgte – da freute sich wohl[138] Jedermann des gelungenen Wunders, aber man hielt doch nur solche Haupthandelswege wie gerade dieser einer war, solchen Unternehmen günstig und trotz aller Feierlichkeiten und allen Menschenzusammenfluß an den betreffenden Tagen. hatten die wenigsten Menschen eine Ahnung von. der Tragweite dieser Eröffnung. Ich war auch mit den Schwestern und Bekannten hinüber nach Oberan gefahren, diese Eröffnug zu sehen und den mit bunten Lampen erleuchteten Tunnel – ein neues Weltwunder. Ich liebte nie den Zusammenfluß von Menschen – aber ich vergesse die heiligen Schauer dieses Tages nicht, die da mein junges Mädchenherz bewegten!
Ich war still unter der heiter scherzenden Gesellschaft – aber daheim konnte ich nicht eher schlafen bis ich ein Lied geschrieben »Einst und jetzt« mit den Schlußversen:
Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren,
Indeß die Wagen fliegen hört sein Flehen:
»Nun Herr laß Deinen Knecht in Frieden fahren
Nun er die Wunder dieses Tags gesehn!«
Er ahnt es wohl, doch wußt er's nicht zu sagen
Als ihn Bewunderung auf's Knie gesenkt:
Es weht ein neuer Geist um diese Wagen,
Der rastlos fort auf Eißenschienen drängt!
Rings lärmt er auf zum rüstigen Bewegen
Und dieses Läuten ruft: Habt Acht: habt Acht!
Mit jeder Schiene, die sie weiter legen
Wird neues Leben in die Welt gebracht.
[139]
Und eh sie noch die Gotteskraft verstehen
Sind sich die Völker jubelnd nahgebracht
Und lassen ihre Freiheitsbanner wehen
Und durch die Lüfte saust's: Erwacht! Erwacht!«
Gönne man und vergönne man einer Frau meines Alters diese Errinnerungen – nicht allein als Beweise, daß sie schon im zarten Mädchenalter sich ein Wenig auf ihre Zeit verstand, oder daß sie, wenn auch nur »ahnungsvoll«, wie man das ja gemeinhin den Frauen zuschreibt oder ihnen allein vergönnen will, den Blick vertrauend und prophetisch in die Zukunft – in die Zukunft ihres Volkes, ihres Geschlechtes und der Menschheit richtete und Manches sah und empfand, was der Verstand der Verständigen nicht sah, was ihnen darum als Phantasie galt, als Schwärmerei im besten Falle – sondern auch als Trost: daß auch ihre jetzigen Zukunftshoffnungen, die gerade so wie jene belächelt, verspottet, bekämpft und selbst von Wohlmeinenden nur mit Achselzucken vernommen werden, in aber dreißig, funfzig Jahren nicht allein Wirklichkeit geworden, sondern von derselben noch überflügelt sein werden –: wir meinen die Ziele der Frauenbewegung, die Ueberzeugung, daß es über kurz oder lang doch zur vollständigen Gleichberechtigung beider Geschlechter kommen müsse, so daß man gerade so, wie man jetzt sich wundert, wie man einst geduldig und fröhlich im Postwagen reisen konnte und wenn man auch schon von der englischen Eisenbahn hörte, doch fest überzeugt war, daß dergleichen sich in Deutschland nicht verwirklichen werde, noch daß man je selbst auf einer fahren würde – sich dann auch wundern wird, wie die[140] Frauen je die heutige Nichtbeachtung vor Gesetz und Staat, die Zurücksetzung, die Schranken in Bezug auf ihre Bildung, ihren Wissensdrang, ihre Selbstständigkeit ertrugen – und wie sie so ängstlich und bescheiden nur begonnen auf »neuen Bahnen« zu wandeln – und wie es von uns selbst sogar ein Wagniß war, ein Frauenorgan zu gründen und so zu nennen, indeß wir doch uns schon um jener Erfahrung und der damit verknüpften Hoffnung Willen diesen Titel mit geheimer Simbolik wählten – die vielleicht Vielen noch gar nicht klar geworden!
Nicht minder freudig wie die erste Locomotive in meiner Heimath, ward auch – nicht lange vorher – das erste Dampfschiff auf der Elbe begrüßt. Als es da zuerst fröhlich läutend und grün und weiß bewimpelt daher gefahren kam, wo der Strom unweit unsres Weinberges vorüberfloß, da hatten auch wir dort die Flagge aufgezogen und wir Schwestern standen weißgekleidet am Ufer, wehten mit unsern Tüchern, und warfen Blumen hinüber – es war dies eine von uns improvifirte, nicht etwa irgend eine officielle Huldigung, und als wir ein paar Tage darauf selbst mit der »Saxonia« fuhren, so ward dies wieder zu einem außerordentlichen Genuß. Freilich – wenn auch ein Schiff, das nicht, wie an der Elbe damals üblich, von Menschen gezogen zu werden brauchte, mit den plätschernden Radwellen und der funkensprühenden und eine Rauchsäule entsendenden Esse und nun überhaupt in so zierlicher Bauart und Ausstattung ein sehr holder Anblick ist, daran ich mich heute noch gern erfreue: die weißen Segel – in deutscher oder römischer Weise gespannt – waren doch eine romantischere Erscheinung, die nun immer seltener wird, seit auch die Güterschiffe[141] durch Kettendampfer befördert werden. Aber auch damit ist ein gutes Theil weiße Sklaverei und Rohheit aus der Welt gekommen! Wie es entwürdigend war, Menschen – wie anderwärts die Pferde – so zum Ziehen zu verwenden, so waren auch diese erniedrigten Menschen die gemeinsten und von allen Frauen gefürchtetsten. Es war in meiner Kindheit und Jugend bedenklich, an den Elbufern – die damals sehr vernachlässigt waren – auf den sogenannten »Leinenpfaden« zu wandern, welche die Schiffszieher, an die Leine gespannt und mit großen Stöcken, die sie vorwärts einstämmten und dazu oft im Takt das Schiffs »Hoi-ho« sangen, beschritten. Man suchte da immer eine Stelle zu erreichen, wo der Weg breiter ward oder sonst eine Gelegenheit zum Ausweichen sich bot. Allein, merkten sie diese Absicht, so machten sie rohe Bemerkungen, sperrten den Weg und suchten ihre Knüttel neckend zu gebrauchen. Ohne Schimpfworte und lautgerufene Zoten ließen sie selten Jemanden vorüber. Auch diese Zunft hat bald ihre Endschaft erreicht, auch diese Beleidiger der Frauenwürde werden bald nur noch der Culturgeschichte angehören. Die Fortschritte der Gesittung und damit das Aufhören der Verletzung der Sitte und speciell weiblichen Anstandsgefühls bemerkt man am Meisten, wenn man sich dessen erinnert, was in diesen Beziehungen noch vor dreißig Jahren ungestraft hingehen durfte und gleichsam als das Privilegium dieser Menschenclasse betrachtet ward. Man bekam von ihnen Worte zu hören, die seitdem selbst aus der gemeinen Volkssprache fast ganz verschwunden sind.
Je mehr die Menschen aufhören niedrige Dienste zu verrichten und erniedrigende Behandlung zu erfahren, je[142] mehr schreitet auch ihre Bildung und Gesittung vorwärts, Seit der Dampf einen großen Theil der Menschenarbeit übernommen hat, geschieht dies täglich mehr und mehr – die Menschen können sich ihrer Menschenwürde bewußt werden – und dabei darf und kann denn auch auf die Länge daß Bewußtsein der Frauenwürde nicht ausbleiben – und zwar von beiden Seiten. Jeder Mensch hat einen Selbstzweck, auch die Frau hat den ihrigen und beginnt ihm zu erkennen.
Es ist wahrlich anders geworden in der Welt und wie das Licht das Streichhölzchen in die Wirthschaft, in das Haus neuen, ungeahnten Segen trug, so trägt ihn der Dampf in die Volkswirthschaft in das ganze öffentliche Leben und die erste Locomotive ward der Bahnbrecher einer neuen Aera für Alle.[143]
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