[243] Es ist erwähnt worden, wie im Jahre 1865 am 18. Oct. in Leipzig der Allgemeine deutsche Frauenverein gegründet ward.
Schon am 24 Februar desselben Jahres waren in Leipzig eine Anzahl Frauen zusammengetreten und hatten daselbst einen Frauenbildungsverein gegründet. Es war der erste Frauenverein, der sich nicht mit Wohlthätigkeit oder Gründung wohlthätiger Anstalten u.s.w. beschäftigte, sondern die weibliche Bildung, so wohl zur Befähigung des Erwerbes und der damit verknüpften Selbstständigkeit, als überhaupt einer würdigeren Frauenstellung zu seinem Zwecke wählte, die Existenz einer Frauenfrage anerkannte, wie die Nothwendigkeit dieselbe in Frauenkreisen in's Auge zu fassen und sich zur weiblichen Selbstständigkeit zu erheben.
Der Verein gründete zuerst belehrende und bildende Abendunterhaltungen mit lauter weiblichen Kräften für unbemittelte Frauen, eine Fortbildungsschule für unbemittelte Mädchen, daran knüpften sich, wie von selbst unentgeltliche Stellenvermittlung, Bibliothek u.s.w.
Heute schon scheint es unglaublich, daß die sich so vereinenden Frauen dazu ein gutes Theil Muth und Vorurtheilslosigkeit nöthig, daß sie noch viel mehr[243] Vorurtheilen entgegenzutreten und viele Kämpfe zu bestehen hatten und daß, als zuerst der Vorschlag an sie herantrat durch Einberufung eines deutschen Frauentags mit Frauen und Männern andrer deutscher Städte die Frauenfrage zu erörtern, kaum drei oder vier unter ihnen waren, die von einem solchen nicht nur als gewagt, sondern auch was bedenklicher als Alles! als lächerlich bezeichneten Schritt sich einen Erfolg versprochen hätten.
Als wir nun im vorigen Jahre das zehnjährige Stiftungsfest des Leipziger Frauenbildungvereins im Kreise von ein paar hundert Frauen feierten, trugen die Schülerinnen der Schule desselben die folgende von mir verfaßte Dichtung vor, welche denn auch hier unsre Blicke in die Zukunft einleiten möge.
Drei Schwestern treten wir in Eure Mitte
Zum Stiftungsfest Euch freudig zu begrüßen;
Wir Jahre nah'n und geh'n mit schnellem Schrite
Als hätten Flügel wir an unsern Füßen.
Und so, aus hundert Jahren auserkoren
Drei Jahre sich bei Eurem Fest vereinen.
Ich bin das Jahr, das noch nicht lang geboren
Und dessen Sterne heute Euch bescheinen,
Die Schwester hier hat dam als zugeschaut,
Als ihr zum Erstenmale Euch erhoben,[244]
Auf Gott und eure eigne Kraft vertraut
Ein festes Band um Hunderte gewoben.
Und jene dort, die noch von ferne steht,
Kommt erst in Zeiten, wie wir kaum sie ahnen
Wenn man das erste Säculum begeht
Der Frauen Einigung auf neuen Bahnen.
Wohl bin ich fern, doch heute komm ich doch
Vom Reich der Zukunft einen Gruß zu bringen,
Wo wie ein Märchen scheint das alte Joch,
In dem noch heute alle Frauen ringen.
Daß ich den Glauben an die Zukunft stärke
Grüß ich Euch heut zum zehenjährgen Werke.
Doch mögen erst die andern Schwestern reden
Die zaghaft Euer Streben aufgenommen;
Ich bin im Dienst von kühneren Propheten,
Der Sonne, die dem Morgenroth entklommen.
Wie Morgenroth – ja, so war mir's zu Muthe,
Als mit dem Thauwind, fast zum Erstenmal
Die Eiseslast – die drückend auf mir ruhte
Hinwegschmolz in der Sonne warmen Strahl!
Ein Weckruf ging an Euch, an Leipzigs Frauen:
»Vereinigt Euch« und prüft das Frauenloos
Und wagt es auf die innre Stimme trauen
Legt nicht die Hände müssig in den Schooß,
Weiht Eure Kraft dem eigenen Geschlecht!
Der Wahlspruch lautet: »Arbeit, Bildung, Recht!«[245]
Die Einen lächelten, die Andern lachten,
Doch Manchen klang solch Wort gar wohl bekannt,
Die lernten auf des Herzens Stimme achten
Und reichten sich zum neuen Bund die Hand.
Und durch das Wort, daß Leben – Streben sei,
Vor Hunderten von Frauenmund gesprochen
War kühn des alten Bannes Macht gebrochen –
Zwar nicht das Weib, doch ward sein Kampfplatz frei!
Bescheiden, schüchtern und im kleinen Kreise
Ward da das neue Werk mit Muth gepflegt
Wohl kam der Kampf, der Hohn, bald laut und leise
Der Gegner Drohn, es fand Euch unentwegt,
Es drängt Euch nur nach Größeren zu streben
Und alle deutsche Frauen aufzurufen,
Daß sie zu gleichem Zweck sich miterheben
Und einen allgemeinen Bund sich schufen.
Und wie der Februar Euch hier verbunden,
Sah der October schon – ein Flügelschlag
Der neuen Zeit, wie selten er gefunden –
In Leipzig auch den ersten Frauentag.
Und ruhig konnte ich von hinnen scheiden
Sah ich Euch doch auf »neuen Bahnen« schreiten.
Zehn Jahre sind seid jener Zeit erschienen,
Verschwunden in das Meer der Ewigkeit;
Sie mußten all der Frauenfrage dienen,
Dem Kampfe dienen, dem Ihr Euch geweiht. –
Es kam der Krieg, – das Eisen nur regierte,
Es kam die neue Zeit – das deutsche Reich –
Es kam der Sieg – und mit ihm die Begierde
Nach Gold und des Genusses Zauberzweig;[246]
Doch immer rief dazwischen Euer Mahnen:
Es ziemt der Frauenhand mit Friedensfahnen
Zu winken in das sturmbewegte Treiben,
Doch nimmer ziemt's der Frau zurückzubleiben!
Da, wo es gilt nach edlen Zielen streben,
Muß sie sich selbst und ihr Geschlecht erheben.
Und so geschah's. Hier seid ihr treu geblieben
Dem kleinen Kreis, hier herrscht im Schwesternbunde
Ein rastlos Schaffen und ein dankbar Lieben! –
Wohl Manche fehlen aus der ersten Nunde,
Doch segnend blickt vielleicht von bessern Sternen
Ihr Geist herab aus hohen Himmelsfernen.
Doch die in ird'sche Fernen nur gegangen
Noch fest am alten trauten Bunde hangen.
Denn was einst eine kleine Zahl erkannt
Von einer Frauenfrage leis gesprochen –
Das pflanzte weiter sich von Land zu Land
Auf einer Bahn, die muthig Ihr gebrochen,
Und mehr als damals nur zu denken war,
Das stellt sich heute als erreicht schon dar!
Schon als erreicht – und doch, wenn Euch schon heute
Zehn Jahre später das Erreichte freute,
Wie würde dann es Euch zu Muthe werden,
Wärt Ihr, wenn ich dereinstens hier erscheine
In neunzig, hundert Jahren noch auf Erden?
Dann giebts nicht Frauenfrage. noch Vereine,
Die für das Frauenrecht wie ihr erglüh'n
Dann wär's ein thöricht kindisches Bemüh'n,[247]
Für etwas kämpfen das Niemand versagt.
Das spätere Geschlecht wird kaum verstehen,
Daß Ihr einst kämpftet, daß Ihr viel gewagt.
Denn keine Schranken wird es um sich sehen.
Und wo Ihr jetzt erst ängstlich schüchtern fragt,
Da wird das Leben längst die Antwort haben:
Verschieden theilt der Schöpfer seine Gaben,
Doch was der Mensch erreichen will und kann
Das kommt ihm zu, sei er ein Weib, ein Mann.
Doch nun genug! verrathe nicht zu viel!
Noch gilt es Kampf, noch sind wir nicht am Ziel.
So waren als drei Jahre wir gesendet –
Doch jetzt nehmt unser Aller Dank und Gruß,
Für all' den Segen, den Ihr uns gespendet
Und unsern Glückwunsch zu des Festes Schluß!
[248]
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Frauenleben im deutschen Reich
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