Epilog der »Lieder eines deutschen Mädchens. 1847

[130] Hab' manches Lied in dunkler Nacht gesungen,

Wenn heiße Glut durchlodert mein Gehirn,

Bis meiner Harfe Saiten schrill zersprungen

Und kalte Tropfen näßten meine Stirn,

Indes die Wangen wie im Fieber brannten

Und alle Pulse zuckend sich bewegt,

Wenn alle Lichter, alle Sterne schwanden,

Die sonst der Himmel für die Menschheit trägt.

Wenn alles sich in tiefes Dunkel hüllte,

Das eig'ne Leben und das Weltgeschick' –

Dann schrie ich auf im Weh, das mich erfüllte,

Und von dem Schreie blieb ein Lied zurück,

Ein Lied, das trotzig bald mit lautem Toben

Wie Nachtgevögel Unheil kündend lärmte.

Bald wie ein nächt'ger Falter, schwarz durchwoben

Um einen Funken todtesmutig schwärmte.

Um einen Funken jener Hoffnungssterne,

Die oft verbleichen in der nächt'gen Ferne.
[131]

Hab' manches Lied am hellen Tag gesungen

Bei lauter Sonnengold und Morgenrot,

Hab' mich zum Himmel jubelnd aufgeschwungen,

Der blau und lächelnd frohen Gruß mir bot.

Hab' unverzagt, wenn Wolken auch gewettert

In gläubig frommer, heilger Zuversicht,

So wie die Lerchen keck hervorgeschmettert

Ein stolzes Lied, ein fröhliches Gedicht;

Und sah ich Blitze auch herniedergleiten

Zerstörend was die Freiheit aufgebaut,

Sah ich die Not, das Irrsal dieser Zeiten,

Ein Anblick wohl, vor dem es jeden graut:!

Ich fühlte Kraft mit einer Welt zu streiten

Und meinen Glauben – ich bekannt ihn laut:

Die Freiheit kennt kein Enden, kein Vergeh'n,

Es muß ein Tag mit ros'gem Lichte kommen,

Da wird der Stein von ihrem Grab genommen,

Da wird sie schön und glorreich auferstehn.


Da steh' ich nun mit diesen Liedern allen

Und laß sie klingen in die Welt hinaus,

Sie sind ja dieser Zeiten Widerhallen!

Die Gegenwart, sie ist ihr großes Haus;

Drinn sind sie alle ja geboren worden,

Es steht die Freiheit an des Hauses Pforten –

Die diesen Liedern Seele einst gegeben,[132]

Sie treibt sie jetzt auch in das rasche Leben.

Drum sprecht nur nicht: »was sollen diese Klänge?

Es ist kein Genius, der sie uns weiht,

Es hat das Heute schon genug Gesänge,

Du ringst vergeblich nach Unsterblichkeit.«

Und fragt nur nicht: »Warum dies Freiheitssingen,

Warum dies Träumen von der künft'gen Zeit?

Warum dies trotzge, kühne Schwerterschwingen,

Dies Siegsgeschrei von künftger Herrlichkeit?«

Warum? müßt Ihr denn auch im Lenze fragen:

Warum das Grün Euch grüßt mit Hoffnungsgruß,

Warum die Vögel Jubelwirbel schlagen?

Das thut das Grün, das Vöglein – weil es muß.


So ist mein Los, so ist mein Lied erkoren,

Wie Osterglocken klingt es durch mein Leben,

Beim Frühlingsanfang ward ich ja geboren,

s' war Ostern, als dem Dasein ich gegeben.

Drum laß ich nimmer mir die Hoffnung rauben

Und halte fest im Lieben und im Glauben,

Die Freiheit kennt kein Sterben, kein Vergehn:

Es muß ein Tag in lichter Klarheit kommen,

Da wird der Stein von ihrem Grab genommen,

Da wird sie schön und glorreich auferstehn.

Und diesen Glauben allem Volk zu künden

Will ich als Boten diese Lieder senden.[133]

Sie mögen selbst sich eine Freistatt gründen

Ich streu sie aus mit hocherhobnen Händen.

Sie sind ja nichts als jene Frühlingssprossen

Die mitten unter Sturm und Schneeesflocken,

Von Thränen wie vom Regen übergossen

Doch Frühling künden, mit den Osterglocken

Das Fest der Auferstehung einzuläuten

Und allem Volk das hohe Wort zu deuten:

Der Gott der Liebe ist vom Grab erstanden,

Das Reich des Wahn's des Hasses wird zu Schanden!


So wirds geschehn. – Es wird ein Tag erscheinen

Wo alle Völker frei und stolz sich heben,

Zu gleichem Ruf, zu gleichem Thun sich einen:

Sei jedem Volk sein heilig Recht gegeben,

Das Recht der Sprache und der heimschen Sitten

Wie sie die Weltgeschichte jedem lehrt,

Nichts Fremdes sei im Vaterland gelitten

Doch auch kein Thun, das nicht die Menschheit ehrt.

Ein heilig Erbtheil von Natur empfangen

Sei jeglichem die eigne Nation:

Wohl mögen herrlich ihre Säulen prangen!

Doch hat die Menschheit einen höhern Thron

Vor diesen Thron solln sich die Völker neigen[134]

Als Brüder, Schwestern sich die Hände reichen.

Das ist der Menschheit neu errungnes Eden,

Das Reich des Herrn, um das wir täglich beten.


Ich weiß' nicht werd ich diesen Tag erleben,

Wo zu der Liebe kehrt sich jeder Sinn,

Wo sich ihr Reich alleinig wird erheben,

Doch fühl ich mich als dessen Bürgerin.

Dem Reich der Liebe will ich Bürger werben,

Als Priesterin ihm leben und ihm sterben!

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 130-135.
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