Erstes Capitel
Ein Seefahrer

[1] Von herrlichem Frühlingswetter begleitet war das Osterfest herangekommen. Die Lerchen wirbelten im Sonnenschein triumphirende Auferstehungslieder, die Zugvögel kehrten zurück und suchten die alten Nester, oder bauten sich neue. Sie fanden an den Giebeln von Nürnberg, wie in den Bäumen seiner Gärten, manch' ein trauliches Plätzchen, darin sie nisten konnten, wo sie sich zwitschernd als gern gesehene Gäste niederließen. Sie flatterten um die hohen Zinnen der Burg und wiegten sich auf den Zweigen der Linde, welche die Kaiserin Kunigunde im Schloßhof gepflanzt.

Auf einem Spaziergange mit ihrem Gemahl hatte Elisabeth diesem Spiele zugesehen, und obwohl dabei heiter lächelnd, doch im Innern schmerzlich bewegt sich gefragt: ob und wann je einmal die Zugvögel wiederkehren würden, die im Winter nur kurze Zeit unter[1] ihrem Dache geweilt: König Max und Kunz von der Rosen, oder Konrad Celtes? Sie suchte jede heftige Regung in sich zu unterdrücken; aber sie fühlte sich seitdem wieder so allein und unverstanden an der Seite des ungeliebten und ungebildeten Gatten, der für alle höheren Interessen des Lebens kein Verständniß hatte, und nur aus Eitelkeit den Schein um sich zu verbreiten suchte, als ob Kunst und Wissenschaft in ihm einen Verehrer hätten, während er innerlich ihnen doch ganz fremd blieb.

Aber indem Elisabeth so auch wieder heimgekehrt an die Zugvögel unter den Menschen dachte und selbst Leid empfand, nicht zu ihnen zu gehören – kam plötzlich einer von denselben zurück, den sie am wenigsten erwartet hatte.

Ihr Bruder Georg trat bei ihr ein, und mit ihm ein älterer Mann in portugiesischer Tracht von schwarzem Sammet, mit gelben Puffen von Atlas in den Aermeln seines Wammses, einen runden Hut mit langer schwarzer Feder, auf seiner Brust ein schimmerndes Ritterkreuz. Er mochte etwa sechzig Jahre zählen und war von mittlerer Größe, aber die Straffheit seiner Haltung war die eines Jünglings. Sein braunes Haar, das die breitgewölbte vorspringende Stirn umspielte,[2] war nur mit wenigen Silberfäden untermischt, ebenso der Bart, der Oberlippe und Kinn bedeckte. Die Stirn zeigte einige Runzeln, aber vorherrschend in der Mitte über der Nase die tiefe Furche des rastlosen Denkens. Seine Gesichtsfarbe schien von einer tropischen Sonne gefärbt zu sein und erhöhte den blitzenden Glanz seiner Augen, die feingebildeten Hände zeigten sich wettergebräunt und hart.

Georg begrüßte die Schwester und sagte: »Ich bringe Dir einen Gast, Elisabeth.«

Sie verneigte sich mit edlem Anstand, aber einem fragenden Blick auf den Bruder, von dem sie zu erwarten schien, daß er den Fremden ihr vorstelle, und sagte: »Waret Ihr schon bei meinem Gemahl, oder hab't Ihr ihn nicht daheim gefunden?«

»Dieser Besuch gilt vor allem Dir und dann erst ihm,« sagte Georg.

»So ist es!« sagte der Fremde, und ließ seine Augen so durchdringend und prüfend auf Elisabeth's Antlitz und Gestalt ruhen, daß sie, unwillig diesen Blicken ausweichend, fragend zu Georg sah, als fordere sie von ihm eine Erklärung oder Schutz gegen einen Fremden.[3]

Dieser aber ergriff ihre Hand und rief: »Erkennt mich Elisabeth wirklich nicht?«

Da stieß sie einen Schrei aus und mit dem Jubelrufe: »Martin, Du bist's!« sank sie in seine Arme.

Er drückte sie fest an seine Brust und sagte: »Ich hätte Dich gleich wieder erkannt, wärest Du mir auch noch so unerwartet begegnet, und bist Du auch in den zwölf Jahren meiner Abwesenheit aus einer zarten Jungfrau ein blühendes Weib geworden; Deine Augen und Dein Mund sind geblieben, wie sie waren – und die giebt es nicht weiter so auf der Welt.«

»Aber wie konnte ich Dich auch hier erwarten?« rief Elisabeth; »eher glaubt' ich Dich am Capo di Tormentos oder weiter auf fernen Meeren schiffend, auf denen Du an wundersamen Inseln landetest, die zuvor Dein Prophetengeist aufsteigen sah aus dem dunklen Ocean!«

Martin Behaim lächelte: »O mehr als eine wundersame Insel, das ganze indische Königreich Congo haben wir entdeckt, als unter Diego Can unsere Schiffe immer weiter segelten in's Unbekannte hinein. Und der Herrscher von Congo, wie die meisten seiner Bewohner empfingen uns mit ungewöhnlicher Freundlichkeit; sie traten in Verbindung mit dem mächtigen[4] König von Portugal, in dessen Namen wir landeten, ja sie ließen sich taufen, und wo vorher mißgestaltete heidnische Götzenbilder standen, ist das christliche Kreuz aufgerichtet worden. Das ist eine neue Art von Kreuzzügen: neue Welten gilt es aufzusuchen und zu entdecken – nicht mehr rückwärts nach Osten wie der blinde schwärmerische Glaube – vorwärts nach Westen geht das Streben der hellsehenden Wissenschaft! – Und sprich nicht mehr von Capo di Tormentos! Diesen Namen schrieb ich Dir wohl damals, als ich mit Bartolomeo de Diaz das Vorgebirge von Afrika erreichte; er hatte es so wohl genannt zur Erinnerung an die hier ausgestandenen Drangsale, aber der Monarch Joiro, voll froher Erwartung nach glänzenderen Entdeckungen, gab ihm den bedeutungsvollen Namen ›Kap der guten Hoffnung‹ – und den wird es nun wohl für immer behalten. Jetzt hab' ich von der letzten Seereise in Lisboa bei meinem lieben Weibe ausgeruht, und nun bin ich einmal hierher gekommen, Euch wieder zu begrüßen, und weil ich mein liebes altes Nürnberg nicht vergessen habe, dessen kunstfertige Hände mir weiter dienen sollen, was die Wissenschaft mich gelehrt und die Erfahrung mir bestätigt, in einem neuen Instrumente faßlich darzustellen – wie[5] ja auch mein edler Lehrer Johannes Regiomontanus von Königsberg gen Nürnberg zog, weil er hier für seine Studien die besten mathematischen Instrumente gefertigt erhalten konnte.«

»Komm,« sagte Elisabeth und zog ihn zu sich auf das Sopha, »und erzähle so weiter. Wie freu' ich mich Deiner Rückkehr! Wie tausendmal haben wir in der letzten Zeit Deiner gedacht und uns gefragt, ob Du wohl noch am Leben – ob Du nicht zu Kühnes gewagt und gesonnen, ob Du nicht einer der Märtyrer geworden seist, welche, wie sie ihrer Zeit voraus sind, von dieser nicht verstanden, darum von den Anhängern des Alten verklagt und verurtheilt werden, beschuldigt, Irrlehren zu verbreiten und Unheil zu stiften, wo sie der Wahrheit und damit dem Wohle der Menschheit dienen?«

Martin Behaim versetzte mit klugem Lächeln: »Die Pfaffen sind mir allerdings nicht besonders hold und alle Freunde der Volksverdummung sind meine Feinde. Indeß können sie doch nichts wider mich aufbringen. Solche Gegner werden durch den Erfolg überwältigt – und da ich nicht eher etwas behaupte, bis ich es mit mathematischer Genauigkeit berechnet und klar beweisen konnte, so waren sie bald zum Schweigen gebracht.[6] Was mich aber vielleicht am meisten schützt, ist, daß ich niemals meine Person in den Vordergrund schiebe. Unter den stolzen, ruhmsüchtigen, aufgeblasenen Portugiesen mag man sich immerhin über die stille bescheidene Art des deutschen Mannes verwundern, der sein Wissen darbietet, ohne Anspruch auf Ruhm und Ehre zu machen, reich belohnt, wenn es nur wirklich der Menschheit nützt und zum Ziele führt; mag die Mit- und Nachwelt immerhin die Namen Bartolomeo Diaz und Diego Can als die Helden der Seeunternehmungen dieses Jahrhunderts nennen, die neue Welten finden und erschließen: mir genügt das Bewußtsein, daß ich die Seele dieser Unternehmungen war und daß ich die Schlüssel lieferte zu den sonst vielleicht noch unverschlossenen Pforten zu den neuen Wegen und Reichen.«

Elisabeth drückte ihm die Hand und sagte: »Wie lange Du auch schon unter den heißblütigen Nationen bist – Du bist ein ganzer Deutscher geblieben: Du läßt andern Nationen den Ruhm, den Deutschland haben könnte und der ihm vor allen gebührt!«

»Du bist auch noch immer die Schwärmerin für die deutsche Größe, die nun einmal nicht ein großes Deutschland werden kann!« sagte der weitgereiste Bruder;[7] uns Mathematikern ist es gleichgültiger, wir reden eine Zahlensprache, die für alle Nationen verständlich. Aber einen Ruhm wenigstens will ich dem Vaterlande und der Vaterstadt retten: wenn man sich einst von Portugals Seetriumphen erzählt und, wie ich vorhin sagte, dabei auch meinen Namen vergißt, so wird man doch Nürnberg nennen, in dem der erste Globus gefertigt ward. Ich bin hierher gekommen, um nach meiner Angabe die Erdkugel, auf die ich alle Länder und auch die neuentdeckten zeichnen will, von den geschicktesten Landsleuten darstellen zu lassen. Was man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann, bezweifelt man nicht mehr, und dann wird Niemand mehr glauben, daß die Erde eine Scheibe, sondern begreifen, daß sie kugelförmig sein muß.«

»Rüstet nicht jetzt auch Spanien zu ähnlichen Entdeckungen?« fragte Georg.

Martin Behaim zuckte die Achseln. König Ferdinand und Isabella scheinen noch immer zu zögern, auf die Pläne und Vorschläge eines strebsamen Genuesen einzugehen, der auch in Portugal vergeblich der Regierung dieselben machte. Ich hörte leider erst von ihm, als der König Joiro schon seine Anerbietungen verworfen hatte, und war damals selbst noch in der[8] Lage, ihm nützen oder mit ihm vereint wirken zu können. Ich war noch nicht lange in Lissabon, in den Handelsgeschäften unseres Hauses mich Anfangs nicht um die Seeprojekte kümmernd, als (es war im Jahre 1481) unter dem Oberbefehle Don Diego's von Azambuja eine ansehnliche Flotte nach Guinea segelte und durch die Anlegung eines Fortes an der Küste den dortigen Goldhandel sicherte. Mit großer Eifersucht verbarg man jedoch die Resultate der bisherigen Entdeckungen und verbreitete die abschreckendsten Gerüchte und abenteuerlichsten Sagen über die Gefahren der Schifffahrt in jenen Meergegenden. Selbst grausame Maßregeln vernichteten die Mühe verwegener Fremdlinge, welche, gegen das System des Hofes, zu ähnlichen Zwecken sich anschickten, mit ihren Personen zugleich. Da wies man auch jenen Genuesen Christoforo Colombo ab, wie es ihm schon in seiner Vaterstadt Genua geschehen war. In Lissabon kannte ich ihn wie seinen Schwiegervater Bartolomeo Perestrello, ein tüchtiger Seefahrer, der als Schiffscapitän unter dem Infanten Don Heinrich nach der Westküste Afrikas gesegelt war und an der Entdeckung von Madeira Theil genommen hatte. Colombo behauptet, daß die andere Halbkugel unseres Erdbodens festes Land enthalten[9] müsse, das man auf kürzerem Wege erreichen könne, indem man durch eine Fahrt nach Westen gerade aus in's offene Meer steuerte. Mir scheint das in der That auch nicht unwahrscheinlich und ich glaube, daß ihm sehr Unrecht geschieht, wenn er für einen tollkühnen Träumer erklärt wird. In Lissabon abgewiesen, versucht er jetzt in Spanien sein Heil, zuweilen heißt es, daß man ihm Schiffe ausrüsten wolle – aber bis jetzt ist er immer noch mit leeren Versprechungen hingehalten worden. Vor der gelehrten Junta von Salamanka hat er seine Ansichten vorgetragen, aber auch hier belächelte sie die Mehrzahl als Hirngespinnste eines müssigen Kopfes.«

»O ich wollte, ich wäre an Isabella's Stelle!« rief Elisabeth; »ich gäbe diesem Manne Schiffe und Alles, was er wünscht, und wenn ihn die ganze Welt einen Abenteurer hieße! noch lieber wagt' ich mit ihm selbst die Fahrt. Wer Riesenpläne in seinem Kopfe wälzen kann, der verdient auch die Mittel zur Ausführung. Es muß herrlich sein, so mitten hinein zu schiffen in's grüne, wogende Meer, und zu spähen, bis irgendwo eine goldene Küste emportaucht, die noch kein menschlicher Fuß betreten, oder auf der man doch ganz[10] neue Menschen findet und Alles neu und anders, als das bisher Bekannte.«

Martin lachte: »Ja, Du paßtest gerade dazu! Du denkst es Dir wohl wie in einer venetianischen Gondel, oder auch wie im Schiffe des Dogen in das adriatische Meer hinaus. Die Lustbarkeit ist nicht gar so groß, tage- und wochenlang nichts zu sehen als Himmel und Wasser, und nicht zu wissen, wo man ist, trotz dem Compaß, und wär's der beste aus unserer besten Nürnberger Werkstätte. Du paßtest unter die rauhen Seeleute mit Deinen feinen Sitten, der hier die Reichsstädter noch zu roh sind, und Deiner feinen Haut, die von kostbaren Salben duftet. Und die neuen Menschen! Nun wir haben welche gesehen, die wir erst für eine große Art Affen hielten, und dann wieder welche, die zwar weniger wie wilde Thiere aussahen, aber sich doch so geberdeten und große Lust hatten uns zu schlachten und zu fressen.«

In diesem Augenblick trat plötzlich Christoph Scheurl ein mit sehr verstörtem Gesicht, warf einen verwunderten Blick auf den ihm unbekannten Martin und sagte zu Georg Behaim:

»Schlechte Nachricht, Herr Schwager! Eben wird mir gemeldet, daß ein großer Waarentransport, der[11] für Euch angekommen, einige Stunden von hier, aber noch auf Nürnberger Gebiet, überfallen und geplündert worden ist. Es sollen ganz absonderliche Sachen dabei gewesen sein, die der Bote gar nicht zu nennen und zu beschreiben wußte.«

»Um's Himmels Willen!« rief Martin, »es wird doch nicht mein Reisegut sein, dem ich vorangeeilt und dessen Führer ich an Dich wies?«

Elisabeth sagte: »Mein Bruder Martin – mein Gemahl« – die beiden Männer einander vorstellend.

»Das ist Dein Gatte!« fuhr Martin Behaim heraus, der, obwohl er wußte, daß derselbe zwanzig Jahre älter war als Elisabeth, und schon darum ein unpassender Lebensgefährte für sie, doch wenigstens die Würde des älteren Mannes, wie er selbst sie besaß, aber nicht diese Geckenhaftigkeit, die sich seinem ganzen Aeußern aufprägte, und diese Ausdruckslosigkeit des Gesichtes, die auf den alltäglichsten Weltmenschen schließen ließ, von ihm erwartet hatte. Er begriff mit einem Blick, daß seine Schwester, die sonst seine Schülerin gewesen, die er mit Theil hatte nehmen lassen an seinen Studien und an seinem Wissen, so weit dies einem jungen Mädchen möglich gewesen, neben diesem Flachkopf unglücklich[12] sein mußte. Er reichte dem Schwager die Hand und sagte:

»Seid mir als werther Verwandter begrüßt, wenn Ihr mir auch der Ueberbringer einer Unglücksbotschaft sein solltet!«

»Willkommen, Herr Bruder und wackerer Seefahrer!« antwortete Scheurl; »aber ich fürchte in der That, wenn an die Behaim eine Sendung von Euch in diesen Tagen unterwegs gewesen, daß die ausgeraubte die Eure ist, da es kein gewöhnlicher Waarentransport, sondern Reisegepäck gewesen sein soll, das von Augsburg kam.«

»Laßt mich den Boten sprechen!« rief Martin aufgeregt.

Elisabeth zog die Klingel und gab der erscheinenden Dienerin den Befehl, den Boten hinaufzuführen.

»Es wäre weniger umständlich gewesen, selbst hinabzugehen!« sagte Martin, als man noch auf den Boten wartete.

Da dieser endlich erschien erstattete er Bericht, daß er in Begleitung von einem Trupp Berittener, welche im Solde der Herren Fugger von Augsburg ständen, von diesem beauftragt sei, ein vierspänniges Waarenfuder an die Herren Behaim nach Nürnberg zu führen[13] und daß er ein Verzeichniß der Waaren mit erhalten; in einem besondern Kasten wären auch Affen und in einem andern einige wunderbare ganz bunte große Vögel mit krausen Köpfen und langen Schwänzen gewesen.

»Meine indianischen Raben!« rief Martin. »Elisabeth, ich hatte Dir sie mitgebracht, da ich weiß, wie Du über solche Dinge Dich freust! – Wo sind sie? – es sind meine Sachen! es braucht keiner weiteren Beschreibung – wo sind sie hingekommen?«

Der Bote zuckte die Achseln. »Wegen dem Viehzeug mußten wir öfter einkehren, ihm frisches Wasser zum Saufen zu geben, wie uns geboten war. Ueberall, wo es geschah, liefen die Leute zusammen, die gerade in der Nähe waren, die absonderlichen Thiere zu sehen, Land- oder Stadtvolk, Ritter oder Knappen, was gerade auf den Beinen war. So auch gestern Mittag in Altdorf ein paar Ritter. Ich suchte gerade etwas in meiner Tasche, und da hatte ich das Waarenverzeichniß mit herausgenommen. Der eine Ritter fragte uns, ob wir noch mehr solche närrische Dinge mit uns führten? Ich meinte, das möchte wohl sein, aber wir wüßten es nicht, da wir nicht lesen könnten – und da er das Verzeichniß sah, sagte er, er wollte es uns[14] vorlesen, und las zuerst darauf, daß die Sendung an die Herren Behaim ginge. Bei manchen Worten und Namen stutzten sie und verstanden sie nicht und wir noch weniger. Wir setzten dann unsern Weg weiter fort; aber der Regen hatte die Straße, die noch vom Winter her nicht ausgetrocknet war, so schlecht gemacht, daß wir Mühe hatten fortzukommen, und darum kam uns die Dunkelheit über den Hals, als wir noch im Reichsforst waren, indeß wir gemeint hatten, wir könnten vor Nacht in Nürnberg sein. Nun ging es immer langsamer mit uns vorwärts. Da brach plötzlich ein bewaffneter Haufe durch den Wald und überfiel uns. Meint nicht, daß wir uns nicht tapfer gewehrt – es gab Todte und Verwundete auf beiden Seiten. Aber sie überwältigten uns – wir mußten fliehen – sie waren uns weit überlegen – der Wagen sammt den Pferden und Waaren fiel in die Hände dieser Straßenräuber und Ritter. Ich meine die Beiden in ihnen erkannt zu haben, die am Mittag mit uns sprachen, obwohl sie jetzt die Visire geschlossen hatten; denn sie wußten auch, an wen unsere Sendung ging, und Einer sagte: Wenn die Affen für Elisabeth Behaim gewesen, so sag't ihr, sie brauche keinen, da sie sich schon seit zwei Jahren einen angeschafft.«[15]

Elisabeth erröthete und trat zurück; sie verstand nur zu gut die dreiste Anspielung auf ihren Gatten, die der Bote in seiner Dummheit getreulich wieder berichtete, und die also doch auf Raubritter ihrer Bekanntschaft schließen ließ – und sie nahm sich vor, sobald sie den Boten allein sprechen könne, sich eine genaue Beschreibung der Ritter geben zu lassen, indeß Martin, mit den Füßen stampfend, zornig fragte:

»Also ist wirklich Alles in ihre Hände gefallen?«

»Alles,« antwortete der Bote.

»Nun das muß ich sagen!« rief Martin Behaim, »ich denke, der von Kaiser Friedrich auf acht Jahre gestiftete Landfriede ist erneuert worden, der schwäbische Bund wie die Löwler und die Reichsstädte wachen sorgfältig, daß er gehalten werde, und indeß ich mein Gut von den neuentdeckten Inseln, dem Kap der guten Hoffnung über die weite See, dann durch die ganze pyrenäische Halbinsel und Frankreich glücklich hereingebracht in's deutsche Reich und in ihm bis vor die Thore der friedlichsten Reichsstadt – wird es auf ihrem Gebiete mir noch geraubt! Das freilich ließ ich mir nicht träumen, daß es noch also zugehe im heiligen römischen Reich; indem man von dem neuen römischen Könige große Dinge und Wunderthaten erwartet, geht[16] es im Innern des Reichs schlimmer zu, als bei den Nationen des Südens, die sich nicht solcher Bildung und Gesittung rühmen und sich noch mit dem heißblütigen Charakter des Südländers entschuldigen können. Wie hab' ich mich oft in die Heimath gesehnt, nach biederer deutscher Art – und nun empfängt sie mich so! Mir scheint, als sei hier eine bodenlose Verwilderung unter die Menschen gekommen. Das Gute hat es, daß ich nun wohl das Vaterland nicht überschätzen und auch in der Ferne von Heimweh geheilt sein werde.«

»Wir müssen diese Sachen wieder haben!« rief Herr Scheurl, und auch Georg stimmte bei, daß der Rath von Nürnberg den Schimpf nicht könne auf sich sitzen lassen, daß ein Behaim, der nach zwölf Jahren zurückkehre, mit dem Ritterkreuz des portugiesischen Königs geschmückt, der seiner Vaterstadt und seinen Landsleuten so viel Ehre gemacht, so um sein Reisegut betrogen werden dürfe.

»Gott sei Dank,« sagte Martin, »daß ich wenigstens meine Instrumente, Karten und Pläne bei mir behielt; ihr Verlust wäre mir unersetzlich gewesen. Was ich da mitgebracht und was man geraubt, das habe nicht ich sowohl verloren, als Ihr und der Rath von Nürnberg; denn es waren meist Gegenstände seltsamer[17] Art von meinen Entdeckungsreisen, dergleichen man hier noch nicht gesehen, und ich darum Euch und dem Rath, der ganzen Stadt zu Nutz und Letze mitgebracht und geschenkt hätte.«

»Eben das,« sagte Georg, »daß es noch nie gesehene Gegenstände sind, muß zur Entdeckung der Thäter und Wiederhabhaftwerdung jener führen.«

»Wir wollen sogleich das Nöthige anordnen bei dem Rath,« sagte Scheurl, sich wichtig und geschäftig zeigend.

»Zum Glück,« sagte Martin, »habe ich eine Abschrift des Verzeichnisses zur Vergleichung, die mögt Ihr einreichen. Ich klage wider Friedensbruch, auf Straßenraub und Ueberfall, auf Todtschlag des Geleites für friedliche Handelsleute. – Bis Augsburg war ich bei den Gütern geblieben, weil ich aber unterwegs in Eichstädt einen alten Freund aufsuchen wollte, trennte ich mich von ihnen, allein schneller reisend, und blieb dort zwei Tage, wonach ich berechnete, daß ich wohl ziemlich zugleich mit den Gütern ankommen werde, denn um Euch zu überraschen, wünschte ich nicht, daß sie mir zuvorkommen.«

»Nun kommt und laßt uns gleich alle drei auf dem Rathhause die nöthigen Schritte thun,« sagte Georg.[18]

»Gehab' Dich indessen wohl, Elisabeth,« sagte Martin; ich bin Dein Gast, wenn ich zurückkehre. Du siehst, ich habe nicht die Schuld, wenn ich Dir nicht einige Affen und indianische Raben zur Gesellschaft lassen kann, damit sie Dir von ihrer mährchenhaften Heimath erzählten.«

»Ich erwarte Euch wieder zum Nachtmahl,« antwortete sie; und wen Du etwa von alten Freunden wiederfindest, den bringe mit, oder nenne mir ihn, damit ich nach ihm sende.«

»Wir können ja auch unter uns bleiben,« versetzte Martin; »Du hast mir ja selbst noch gar nichts erzählt!«

Damit gingen sie, und Elisabeth seufzte bei den letzten Worten; was sie am meisten bewegte, mochte sie doch nicht erzählen! –

Als sie allein war, ließ sie sich von dem Boten die Ritter, die den Ueberfall gemacht und ihn erst gesprochen, genau beschreiben. Sie konnte nicht zweifeln, daß der eine Eberhard von Streitberg war. Er hatte auch die Bemerkung mit dem Affen gemacht.[19]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 1-20.
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