Zweites Capitel
Warnende Stimmen

[20] Ulrich von Straßburg war in's Clara-Gäßchen gezogen, das sich in der Nähe des Clara-Klosters befand und auf der Lorenzer Seite auch nur durch eine Straße von der Lorenzkirche, der Propstei und der Bauhütte von St. Lorenz getrennt war. Die dort beschäftigten Baubrüder suchten meist auf der Lorenzer Seite zu wohnen, und insofern war für alle diese Wahl der Wohnung gerechtfertigt – nur der Propst Kreß hatte ein bedenkliches Gesicht gemacht und Ulrich abgerathen dahin zu ziehen, weil er den geheimen Beweggrund errathen konnte: Ulrich suchte die Nähe seiner Mutter, von der er nun wußte, daß sie im Kloster zur heiligen Clara lebe.

»Ich will ja nichts, als nur eine Luft mit ihr athmen, dasselbe Geläut der Glocken hören, das mich zur Arbeit und sie zum Gebete ruft!« antwortete Ulrich. »Laßt mich gewähren! Wohnte ich nicht dort, so würde[20] ich vielleicht jeden Tag in der Nähe des Klosters auf- und abgehen, und wenn Ihr fürchtet, ich möchte mich selbst verrathen, so würde dies viel eher dadurch geschehen, als jetzt, wo ich nur ein Unterkommen gesucht und ein solches zufällig für die bescheidenen Wünsche eines Baubruders passend im Claragäßlein fand, aus dem ich so nah' zu unserer Bauhütte habe. Ich verspreche Euch, keinen Schritt zu thun, wenn Ihr meint, daß dadurch der fromme Frieden ihres Gemüthes gestört werden könnte!«

»Um Ihretwillen, wie um Deinetwillen,« sagte der Propst, »muß Alles bleiben, wie es jetzt war. Es ist auch darum, daß ich Dich nicht selbst bei mir wohnen lasse, wie ich am liebsten thäte. Ja weil Du Deiner Mutter ähnlich siehst, woran Dich Amadeus erkannte, oder wenigstens so von Deinem Anblick ergriffen ward, daß er Dir nachforschte, hast Du auch einen Zug von mir – und man hat es schon gewagt, Dich meinen Sohn zu nennen, weil ich Dich vor Andern begünstigt; müßte ich nicht den Schein vermeiden, so würde ich Dich gar nicht von mir lassen. Ich beschwöre sonst wieder ein Gerücht herauf, das meiner geistlichen Würde schadete und Dir ebenso gefährlich wäre, als das an den Tag Kommen der Wahrheit.«[21]

Ulrich versicherte noch einmal, daß er keine Vorsicht und Rücksicht aus den Augen setzen werde, die ja selbst seine eigene Zukunft am allermeisten erfordere.

»Wenn nur Amadeus nicht selbst zum Verräther wird!« seufzte der Propst. Von dem Augenblicke an, wo Konrad ihn aus der Kapelle waldeinwärts gesendet, wußten sie nichts von ihm. Nachforschungen irgend welcher Art konnten sie nicht anstellen, um sich nicht selbst zu verrathen. Ob er lebend oder todt, sie wußten es nicht. Im Stillen wünschte der Propst das Letztere. Was sollte auch der verirrte Mönch im fremdgewordenen Leben? und dem Sohne konnte sein Leben gefährlich werden! – Der Oheim wünschte nur nicht, daß Ulrich eine Schuld fühle am Tode des Vaters, und darum war er froh, daß dieser jenem seine Befreiung verdankte.

»Noch Eines muß ich Dir sagen,« begann der Propst; »eine Warnung ganz anderer Art. Als Herr Stephan Tucher mit Jungfrau Ursula Muffel getraut ward, zwei Fürsten sie zur Kirche führten und ein stattlicher Brautzug folgte: da war auch die schöne Scheurlin mit darunter und ragte wie immer auffallend unter Allen hervor, als sei sie selbst eine Königin. Die Kirche war von Zuschauern dicht gedrängt, und[22] auch auf dem erhöhten Platze, den ich mit andern Geistlichen und Patriziern einnahm, hatten sich Fremde eingefunden. Darunter auch ein Ritter, der sein Augenmerk besonders auf die Scheurlin geworfen, und der da meinte, er kenne sie gar wohl, seit ihren schönsten Jugendtagen, und nach dem, was er jetzt von ihr höre, müsse er glauben, daß sie immer noch so leichtfertig sei, wie damals, und für Jeden zu haben. Ich meinte, das Letztere sei nun gar nicht wahr und als leichtfertig kenne sie Niemand; sie sei immer eine spröde Jung frau gewesen und lebe auch jetzt ganz ehrbar mit ihrem Gemahl. Aber er lachte und sagte: Das müsse er besser wissen; da sie noch Mädchen gewesen, habe er selbst ihre Gunst besessen, aber sie aufgegeben, weil er keine Lust gehabt, dieselbe mit Andern zu theilen – und wie ich selbst ja wohl, gleich der ganzen Stadt, wissen müsse, daß sie es darauf anlege, wenigstens so lange der römische König in Nürnberg sei, seine Buhlerin zu sein – wie sie daneben aber auch es nicht verschmähe, seit Jahr und Tag eine Liebschaft mit einem armen Steinmetzgesellen zu haben.«

Der Propst hielt inne, wie um zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte wohl auf Ulrich machen würden. Dieser war allerdings überrascht, auch den[23] Propst ihm gegenüber von Elisabeth sprechen zu hören, und noch mehr über diesen Schluß; seine Wangen glühten vor Zorn und Scham bei den letzten Worten, aber ruhig, fest und stolz blickte er in die Augen des Propstes und sagte nur: »Vollendet!«

»Ich schüttelte zu solch' unsinnigem Mährlein den Kopf,« fuhr der Propst fort; »aber der Ritter meinte, er wisse es ganz gewiß, und fügte hinzu, daß es noch dazu ein Baubruder sei, den ich kennen müsse, da er in der Lorenzhütte arbeite, und nannte ihn: Ulrich von Straßburg –«

»Das hat der Bube nur gewagt, weil er wußte, daß ich von Nürnberg fern war im Benediktinerkloster!« rief Ulrich, jetzt Alles errathend. »Nicht wahr, der saubere Ritter von Streitberg hat's Euch zugeflüstert? Der haßt mich freilich auf Leben und Tod. Und Ihr könntet wirklich mehr auf das Wort eines so frechen Ritters geben, der nichts ist als ein Placker, Straßenräuber und Frauenentführer, als auf das meine? König Max glaubte mir mehr, als ihm, und verwies ihn damals aus Nürnberg, wo ich zum ersten Male mit ihm und der Scheurlin zusammen getroffen und er wider mich und Hieronymus klagbar geworden – aber Ihr glaubtet ihm!«[24]

»Das war damals derselbe Ritter von Streitberg?« fragte Kreß erstaunt, denn damals war weder in der Bauhütte noch außerhalb der Name des Ritters, dem Ulrich das Schwert abgerungen, genannt worden.

»Derselbe,« wiederholte Ulrich; »und damit ich es nun gestehe: es war auch derselbe, den ich und der mich zu Tod verwundete, da ich zum zweiten Male die Scheurlin vor ihm rettete – derselbe, der mir jetzt auf dem Wege nach dem Kloster begegnete, wo Junker Pirkheimer mit mir sprach, und ich durch ihn die wahrscheinlich auch jetzt noch von ihm Verfolgte vor ihm warnen ließ. Er hatte sie nicht in seine Gewalt bekommen können, und nun versucht er es durch Verleumdungen, durch schnöde Angriffe auf ihre und meine Ehre. Um ihrer Frauenehre Willen habe ich gegen Alle und gegen Euch geschwiegen, wo sie es schon verletzen könnte, daß solch' ein wüster Geselle sie verfolgt und ihr selbst Alles an diesem Schweigen gelegen zu sein schien, denn sie hat für mich nie ein Wort des Dankes oder des Vertrauens gehabt – es schien ihr eben Alles darauf anzukommen, daß ihr Begegniß mit diesem Menschen ein Geheimniß bleibe, ja daß es auch von mir selbst vergessen würde. Da müßt Ihr nun[25] freilich der verleumderischen Beredtsamkeit mehr glauben, als meinem rücksichtsvollen Schweigen.«

Gerade dieser Eifer, mit dem Ulrich jetzt sprach, erschien dem Propst bedenklich, obwohl er Ulrich's Worten vollkommen glaubte und von dem ihm übrigens unbekannten Streitberg gleich durch dessen Betragen nicht die beste Meinug hatte, die sich nun leicht zu einer schlechten wandelte. Aber waren diese Beiden nicht eben darum Feinde, weil sie Nebenbuhler? War denn etwas natürlicher, als dies? Der Propst hatte viel gelebt in der Welt und kannte seine Zeitgenossen, die Geistlichen wie die Laien, den Adel und die Patrizier, wie das niedere Volk, die Männer wie die Frauen – und er kannte sie nicht von der besten Seite. Die großen Verbrechen und heimlichen Sünden, die man ihm im Beichtstuhle bekannt, waren noch nicht die schlimmsten; es gab dunkle Thaten, die selbst dies Bekenntniß scheuten, und Gedankensünden, die es nicht einmal bis zur Erkenntniß brachten, um wie viel weniger, daß sie hätten laut werden mögen. Er war selbst nicht frei von Fehltritten, deren er sich bewußt war, und die er doch mit der Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigte, und über die er sich, weil sie eben nur aus dieser hervorgegangen, keine großen Gewissensskrupel[26] machte; er hatte weder je an seine eigene, noch an die Tugend Anderer schwärmerische Ansprüche erhoben, und so auch sich selbst mehr auf der Mittelbahn des Lebens erhalten; aber er wußte, daß, wer titanenhaft nach den Höhen strebe, oft am leichtesten in einen Abgrund falle; daß, wer seiner Zeit in vielen Dingen voraus sei und über blinde Vorurtheile sich erhoben, sich auch an manche Vorschriften der herrschenden Moral oder des Glaubens minder gebunden achte, als Andere und so Gefahr laufe, mit dem falschen Vorurtheil selbst das richtige Urtheil zu opfern über gut und böse, recht und schlecht. Gerade darum war ihm bange für Ulrich, weil er dessen hochfliegende Seele kannte; sie konnte sich auch verfliegen und gleich der Motte, weil das Licht ihn anzog, im Lichte fangen und verbrennen. Weil er keine gemeine sinnliche Natur war, konnte es ihm um so eher geschehen, nicht auf gemeine leichtsinnige Weise, sondern durchdrungen von einer poetischen Schwärmerei sein Gelübde, das ihn alle Frauen meiden hieß, zu brechen – so daß doch immer das Resultat, der gebrochene Schwur, dasselbe blieb – ob nun die Verführung von einer realistischen oder idealistischen Anschauung und Seite kam, die Sache blieb sich gleich.[27]

Der Propst nahm Ulrich bei der Hand und sagte gutmüthig: »Vergieb dem älteren, erfahrenen Manne, der es recht gut weiß, daß Keiner so fest steht, daß er nicht falle. Mag es nun Zufall oder Absicht gewesen sein, was den Ritter und Dich um die Scheurlin zusammenführte – sei gegen sie auf Deiner Hut.«

»Aber ich bitt' Euch, unterbrach ihn Ulrich ärgerlich, »eine so stolze Patrizierin – und ein armer Steinmetzgeselle; wozu hier noch eine Warnung, und sei sie noch so wohlgemeint.«

Der Propst zuckte die Achseln. »So wie ich diese Frau kenne, ist es möglich, daß sie aus Stolz vor der Welt die Huldigung des römischen Königs und künftigen deutschen Kaisers annimmt und im Stillen ihn von sich weist, nicht mehr gestattet, als die Welt eben sehen darf – aber auch, daß sie im niedern Steinmetzgesellen den Kunstgenius herausfindet und ihm gegenüber keinen Stolz mehr kennt – wenn nur die Welt nichts davon erfährt.«

Ulrich schüttelte den Kopf zu diesen Warnungen. Freilich war es ihm, seit er Elisabeth's Retter gewesen und seit sie, da er im Kampfe für sie in ihre Augen geschaut und sie über ihn gebeugt verzweiflungsvoll gehaucht hatte: »todt – und für mich« – als[28] sei er da durch nicht nur belohnt für das, was er für sie gethan, sondern auch geweiht, als sei er berufen, für sie noch mehr zu thun. Aber das lebte als ein so heiliges Gefühl in ihm, daß er es sich selbst und Andern verbarg, und weil ihm war, als habe er damals einen Blick in Elisabeth's Inneres gethan, nicht duldete, daß man sie verunglimpfe – ja, nach dem, was Kreß jetzt sagte, erschien sie ihm seiner Verehrung um so würdiger, weil sie von einem Buben gelästert ward sowohl, als auch dadurch, daß sie gerade im Gegentheil zu dem, was man ihr hier nachsagte, die stolzeste Zurückhaltung gegen ihn beobachtete.

Wenig Tage nach diesem Zwiegespräch schlich der Jude Ezechiel im Abenddunkel in Ulrich's Wohnung, die er nach langen Nachforschungen ausfindig gemacht. Ulrich meinte, er komme, um sich doch noch für die im Kloster ihm übergebenen Kleider die Bezahlung zu holen, die er damals verweigert hatte. War Ulrich auch in manchen Beziehungen über die ärgsten Vorurtheile hinaus – er fühlte sich doch sehr gedrückt und erniedrigt durch den Gedanken, daß ein Geheimniß von ihm in den Händen dieses Juden sei; denn wenn er auch nicht wußte, zu welchem Zweck er, Ulrich, im Kloster die Kleider bedurfte, so gab es doch, wie bei[29] jedem Geheimniß, das nicht mehr unser alleiniges Eigenthum, Möglichkeiten und Zufälligkeiten genug, es theilweise wenigstens zu verrathen, oder doch diese Mitwissenschaft des Israeliten gefährlich werden zu lassen, um so mehr, da die Verschlagenheit dieser Leute und ihr Streben, keinen Christen zu schonen bekannt, und in der That mehr als Vorurtheil war. Deshalb galt auch allerdings vor Gericht ihr Zeugniß nicht, und darum war wieder ein Jude eine ungefährlichere Person in diesem Falle, als jede andere; aber da eben dieser durch seinen Trödlerkram und sein großes »Geschäft« sich schon manchem Christen unentbehrlich gemacht und ihn sich verpflichtet, so hatte er überall Einfluß und Leute, die in seiner Hand waren und nach seinem Willen handeln mußten. Ulrich fühlte sich gedemüthigt, daß Ezechiel ihn diesen wohl gar schon beizählen könne. Kam er auch jetzt nur im Dunkeln und hatte er einen verhüllenden Mantel um sich, so lag doch die Möglichkeit nahe, daß Jemand ihn oder doch den Juden in ihm erkenne – und da der Umgang mit einem Juden, besonders für einen christlichen Baubruder, schimpflich war, so wollte er sich des unwillkommenen Besuchs so schnell als möglich entledigen, indem er sogleich fragte; wie viel er ihm schulde?[30]

Aber Ezechiel wies noch einmal standhaft jede Bezahlung zurück, und erzählte, daß er der Frau Scheurl den Ring gebracht, und wie diese ihm, dem Finder, selbst dafür danken wolle – denn es sei ihr gar viel an dem Ringe gelegen. Sie lasse ihn daher bitten, ihr eine Abendstunde zu bestimmen, in welcher er bei ihr selbst diesen Dank empfangen könne; sie werde dann auch Alles einrichten, daß sein Kommen ganz unbemerkt bleibe, da ihm das wohl erwünscht wäre.

Ulrich trat einen Schritt zurück. Im ersten Augenblick dachte er wohl an des Propstes Warnung, wie an dessen Urtheil über Elisabeth; im nächsten aber, wo er einen Blick auf das cynischlächelnde Gesicht des Juden warf und dessen ganze widerwärtige Erscheinung – da begriff er, daß Elisabeth nicht einen solchen zu ihren vertrauten Aufträgen wählte, selbst wenn ein Zufall ihn wie durch die Uebergabe des Ringes in einer Angelegenheit vielleicht zu ihrem Vertrauten gemacht. Er fühlte sich versucht, den Juden zu packen und die Treppe hinabzuwerfen; aber – er mußte ihn ja schonen, weil ein Geheimniß und mit ihm vielleicht er selbst und seine Ehre, vielleicht das Leben seines Vaters in den Händen des Juden war; er mußte vermeiden[31] ihn zu beleidigen, ihm seine Verachtung zu zeigen – er antwortete nur stolz:

»Ein christlicher Baubruder bedarf nie eines Dankes dafür, daß er seine Pflicht thut – er nimmt ihn nicht an, selbst wo er ein Opfer gebracht hätte. Aber hier kann von gar keinem Dank die Rede sein – das ist die einzige Antwort, die ich für Frau von Scheurl haben kann.«

»Die wird ihr sehr wenig gefallen,« sagte Ezechiel; »eine schöne Frau, die einen jungen Mann auffordert zu kommen im Dunkeln in ihr Haus, die ist nicht zufrieden mit solcher Antwort.«

»Kein Wort weiter!« fuhr Ulrich auf, »und seid froh, wenn Ihr weiter keines von mir hört!«

»O ich merke wohl,« begann Ezechiel dessen ohngeachtet von Neuem, »ich merke wohl, daß Ihr nicht trauet dem armen Juden, und für diesen Fall hat mir die Frau Scheurl in der Eile auch ein Blatt gerissen aus einem schönen Buche und mir mitgegeben, darauf geschrieben steht ihr eigener Name von ihrer eigenen zierlichen Handschrift.«

Ulrich griff nach dem Blatte: es war ein Titelblatt aus der Beschreibung Nürnbergs von Konrad Celtes;[32] unten am Rande stand mit blauen Buchstaben: »Elisabeth Behaim.«

Ulrich schwankte einen Augenblick, ob er das Blatt zurückgeben sollte oder behalten. – »Darauf sollet Ihr schreiben die Antwort, wenn Ihr sie nicht wollt geben mündlich,« sagte der Jude. »Das Blatt muß ich wieder bringen.«

»So bring es ihr, wie es ist,« sagte Ulrich nach einigem Besinnen: »das ist auch eine Antwort.«

Vergeblich war alles weitere Reden des Israeliten. Ulrich mußte mit aller Gewalt an sich arbeiten, daß er ihn noch glimpflich statt schimpflich behandelte.

Endlich mußte er doch unverrichteter Sache gehen. Das Titelblatt des Buches nahm er wieder mit.

Ulrich glaubte nicht, daß Elisabeth den Juden zu ihm gesendet – und doch konnte er auch wieder nicht begreifen, zu welchem Ende derselbe irgend ein freches Spiel mit ihm treiben sollte; er hatte ihm ja nur Gutes erwiesen, und Ezechiel selbst hatte sich in Lobreden und Dankesworten für ihn erschöpft. Aber um ein Geschäft zu machen, meinte Ulrich, sei solch' einer Judenseele Alles möglich. War er nicht mit Streitberg in Verbindung, da er dessen Ring besaß? – oder wieder, da er ihn an Elisabeth ausgeliefert, hatte er[33] nicht diesem damit einen schlechten Dienst erwiesen, oder auch hiermit »ein gutes Geschäft gemacht«? Und war es nicht einst Rachel gewesen, die Streitberg's Anschläge wider Elisabeth gekannt und ihm, Ulrich, zu ihrem Schutze zum Theil verrathen hatte? Woher wußte sie das, wenn nicht ihre Umgebung wenigstens mit Streitberg in Verbindung war? Hatte nicht dieser gegen Kreß ihm und Elisabeth versucht durch bösen Leumund zu schaden – hatte er nicht auch hier die Hand im Spiele? Ulrich kam mit all' diesen Fragen zu keinem klaren Resultat – und doch fühlte er, daß ihn und Elisabeth eine dunkle Macht bedrohe, und daß jetzt mehr als je etwas geschehen müsse sie zu schützen und selbst auf seiner Hut zu sein – aber es vergingen wieder Wochen, und es war Alles geblieben, wie es war.

Da scholl die Kunde durch Nürnberg, daß der berühmte Reisende Martin Behaim zurückgekommen sei, und daß ihm wenige Meilen von der Reichsstadt entfernt und noch auf deren Gebiet der Wagen, der sein Reisegut geführt, überfallen und ausgeraubt worden von frechen Raubrittern und Straßenräubern. Den Seinigen und seiner Vaterstadt und deren Gemeinwesen habe er die herrlichsten Dinge mitgebracht, die nun in die Hände der Verbrecher gefallen, die nur den allerunwürdigsten[34] Gebrauch davon machen oder sie gar vernichten würden. Und wie die Fama die Erzählung weiter trug von Ohr zu Ohr und von Mund zu Mund, so wurden die mitgebrachten kleinen Affen zu fürchterlichen Waldmenschen mit Schwänzen und die indianischen Raben zu fabelhaften Vögeln, die mit menschlichen Zungen redeten und goldene Eier legten, und die wundersamsten Schilderungen liefen um von Martin Behaim's indischen Schätzen.

Nicht nur der Rath bot all' seinen Scharfsinn und all' seine Macht auf, die Thäter zu entdecken, sondern jeder einzelne Nürnberger schien es sich zur Ehrensache zu machen, so viel an ihm war auch mit zu forschen und zu spähen, ob nicht irgendwo etwas zu sehen und zu erhalten sei von dem absonderlichen Eigenthum ihres berühmten Landsmannes.

Und diesmal – um ihres Bruders und um ihrer Vaterstadt Willen – schwieg auch Elisabeth nicht. Nach der Beschreibung des Boten nannte sie zwar nicht Streitberg, aber den Ritter von Weyspriach und einen Gefährten als die muthmaßlichen Thäter.

Indeß das Wort gilt immer noch: die Nürnberger hängen Keinen, den sie nicht haben. Und wie konnte man der Ritter habhaft werden? Die saßen sicher auf[35] Weyspriach's alter Burg – und wer konnte sicher beweisen, daß dieser mit dabei gewesen? Wie konnte man ihn zur Rechenschaft ziehen? oder wie konnte man allein auf diesen Verdacht hin etwa mit reichsstädtischer Mannschaft ihm vor die Burg rücken und entweder Einlaß begehren, nach den geraubten Schätzen zu suchen, oder jene zu belagern? Dann hätte Nürnberg zuerst den Landfrieden gebrochen, das so streng auf dessen Wahrung hielt, und nicht jener Ritter, der vielleicht ja doch unschuldig war, vielleicht auch das verrätherische Gut längst in einer sichern Räuberhöhle geborgen. So blieb es immer nur bei öffentlichen Erlassen und Preisaussetzen für Diejenigen, die irgend etwas von dem Gute gewahren, oder eine Auskunft darüber geben würden.

Wie aber immer, bald mit Recht, bald mit Unrecht, Alles, was Schlechtes oder Unerklärtes geschah, auf die Juden geschoben ward, so geschah es diesmal wieder, nachdem einige Tage unter andern vergeblichen Bemühungen hingegangen waren. Das Volk grollte den Juden, hieß sie, wenn nicht die Stehler so doch die Hehler, und schon zeigte sich im dumpfen Grollen die Lust, das Judenviertel zu stürmen – bis jetzt aber war es noch bei einzelnen Excessen geblieben.[36]

Als Ulrich zu dieser Zeit einmal im Dunkeln nach Hause kam, kauerte eine weibliche Gestalt auf der Treppe.

»Ulrich!« flüsterte es leise.

Unwillig erkannte er Rachel's Stimme. »Was willst Du wieder?« fragte er rauh.

»Euch bitten, mir zu helfen, tausende Unschuldige zu retten!« flehte sie. »Ihr wißt's, ich habe nie gelogen – hört mich auch jetzt! glaubt mir auch dieses Mal!«

»So rede wenigstens schnell, und sag' es kurz, was Du willst?« unterbrach sie Ulrich ungeduldig.

»Hier hört uns doch Niemand?« fragte sie ängstlich.

»In der That,« antwortete er, »das hab' ich wohl mehr zu fürchten wie Du!«

»So laßt mich mit in Euer Zimmer!« bat sie, »und macht Licht, ich hab' Euch etwas zu zeigen!«

Ulrich öffnete das Zimmer und schob sie mit hinein; während er Feuer anschlug, sagte er: »Rede und fasse Dich kurz, denn lange dulde ich Dich hier nicht!«

Es war noch finster und er sah nicht wie sie erglühte und zitterte. »Ach, Ihr wißt es gewiß selbst!« begann sie; »unser Volk soll wieder die Schuld tragen von der Ungebühr, die einem christlichen Bürger geschehen,[37] indeß die Uebelthäter doch Christen waren! Ein wüthender Haufe zog durch unsere Gassen und verkündete, daß man uns die Häuser über den Köpfen anzünden werde, wenn wir nicht herausgeben, was dem Martin Behaim geraubt ist – wenn nicht bis morgen Alles zur Stelle – so lange lasse man uns Zeit –«

»Aber was kann ich dabei thun?« unterbrach sie Ulrich, der jetzt einen Kienspan in Brand gesetzt hatte, wieder ungeduldig.

Sie hatte einen alten grauen Sack neben sich gelegt, in welchem sich etwas unruhig raschelnd zu bewegen schien; jetzt hob sie ihn auf, streifte ihn zurück, und hervor kam ein wunderschöner Vogel mit purpurrothem Gefieder, das wie Atlas glänzte, und blau und grün, hell und dunkel schattirten Flügeln und langem Schwanz. »Seh't,« sagte sie, »da ist das Schönste von Behaim's Schätzen; dies Thierchen hab ich heimlich gerettet, wie sie es mit den andern würgen wollten, und bring' es Euch.«

Ulrich betrachtete den Vogel, dergleichen er noch nie gesehen, mit unwillkürlicher Bewunderung, und dann rief er drängend: »Aber wo hast Du den Vogel her? Also weißt Du doch um das geraubte Gut und Deine Glaubensgenossen sind schuld an dem Frevel?«[38]

»Nein und tausendmal nein!« rief sie; »aber weil sie unschuldig sind, müßt Ihr die Schuldigen verkünden. Aber mich hört ja Niemand, mir glaubt ja Niemand – oder vielmehr, die Männer würden mich steinigen, wenn sie wüßten, daß ich verriethe, was verschwiegen bleiben soll. Da nehm't den Vogel – dem sichtbaren Zeichen wird man glauben, wenn nicht Euch; geht damit zum Rath oder zu dem Behaim, oder Scheurl, oder zu wem Ihr wollt, und sagt, daß der Vogel Euch zugeflogen und es Euch gesagt habe: Die Ritter Weyspriach und Streitberg sind die Räuber und haben das Gut zum Theil auf ihrer Veste – ein anderer Theil davon aber ist in großen eisernen Kästen im Walde in einer Grube verscharrt. Führt nur die Leute hin rechts von der Heerstraße; es stehen zwei hohe Tannen da, die sich einander zuneigen, dahinter liegen runde bemooste Steine, gleich Wellen übereinander geschichtet. Ihr könnt nicht fehlen, Ihr müßt die Stelle finden.«

»Aber Kind,« sagte Ulrich staunend, »auch wenn ich Dir glauben will – ich kann doch nicht selbst die Stelle angeben und aufsuchen, ohne den zu nennen der sie mir gezeigt.«

»Nein! nein! rief sie, »das werdet Ihr nicht[39] thun! – Nennt den Vogel da, Ihr könnt sicher sein, den Beweis zu liefern, daß er die Wahrheit geredet.«

»Ich lüge niemals!« fiel ihr Ulrich in's Wort; »ich werde vor Gericht nicht lügen und alberne Mährchen werden nie über meine Lippen kommen.«

»Hab't Ihr nicht auch Geheimnisse,« sagte sie plötzlich, ihn fest ansehend, »von deren Verrath vielleicht das Glück oder das Leben einer Person abhängt, die Euch theuer ist? Ist da nicht auch selber Schweigen Pflicht – fordert Ihr es nicht von Andern?«

Er sah unwillkürlich beschämt zu Boden. Das war der Fluch, der über ihn gekommen, seitdem er die Eltern verloren, und noch mehr, seitdem er den Vater gefunden: er durfte nicht mehr in allen Fällen wahr und offen sein. – »Warum wählst Du immer mich zu Deinem Werkzeug in Dingen, die mich gar nicht berühren?« sagte er.

Sie sah ihn verwundert mit ihren dunklen Augen an, als begriffe sie diese Frage gar nicht. »Weil ich Euch allein traue von allen Christen!« sagte sie einfach, und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ihr wißt, ich kann nicht schreiben. Könnte ich's, so hätte ich, was ich da vorhin Euch gesagt, auf einen Zettel geschrieben und den Vogel um den Hals gehangen, dann hätt ich[40] ihn im Sack vor Eure Thür gelegt, ohne Euch selbst zu erwarten – und Ihr redet keine Unwahrheit, wenn Ihr sagt, daß Ihr so die Kunde von dem Vogel erhalten. Hab't Barmherzigkeit und thut also – wenn solch' ein kleines Geheimniß meinem ganzen Volke Leben und Eigenthum retten kann, das es unschuldig verliere –«

»Unschuldig?« unterbrach sie Ulrich; »wie kommst denn dann Du dazu, von dem Verbrechen und den Verbrechern genaue Kenntniß zu haben?«

»Frag't mich nicht weiter!« rief Rachel sich groß aufrichtend. »Daß ich die Noth abwenden will von meinem Volke, unter dem nur Einer weiß, was ich weiß – das sollte Euch meinem Flehen geneigt machen und Euch genug sein, mich nicht mit Mißtrauen zu quälen – nicht mich zwingen zu wollen, noch durch ein weiteres Geständniß ein Verbrechen zu begehen, wo ich immer nur sinne, eines um das andere zu verhüten.«

»Es ist gut,« sagte er milder; »ich thue Deinen Willen – so bleibe auch das unser Geheimniß.«

Er schrieb den Zettel so, wie sie gesagt hatte. Sie war damit zufrieden und schlich sich leise fort, wie sie gekommen.[41]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 20-42.
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