Erstes Capitel
Gobelins

[1] Die kalten Strahlen einer halbverschleierten Wintersonne brachen sich auf den Eisflächen der Pegnitz. Frisch gefallener Schnee lag auf den Dächern von Nürnberg, schmückte die zierlichen Giebelkanten mit glänzendweißem Besatz und wölbte über jedes Chörlein noch einen zweiten Baldachin, so weich und anschmiegend, als sei er aus sammetener Decke gewoben. Aus den Essen wirbelte grauer Rauch empor, am dichtesten aus den hohen Schornsteinen der Gießhütten.

In dem mit Marmor und Eisengittern von durchbrochener Gießarbeit verziertem Kamin in Elisabeth Scheurl's Wohnzimmer brannten große Eichenknorren, um den weiten Raum mit behaglicher Wärme zu erfüllen.

Die Thür des Nebenzimmers stand offen und auch darin loderte ein prasselndes Feuer. Dies Gemach erschien[1] zu einem Arbeitszimmer umgeschaffen. An der Wand befand sich eine große Holztafel, auf deren himmelblauem Grund eine Auferstehung Christi gemalt war. Der Engel des Herrn saß im leuchtenden Gewand im Grabe, die Jünger und Frauen standen bestürzt davor, zur rechten Seite zeigte sich der Auferstandene, die ganze Gestalt vom goldenen Heiligenschein umflossen. Die Farben waren sehr bunt und lebhaft, die Gestalten lang gezogen und eckig, aber einzelne Gesichter von sprechendem Ausdruck. In der im Vordergrund stehenden Maria Magdalena erkannte man ohne Mühe Elisabeth's Conterfei. Daneben lehnten noch kleinere Holztafeln mit schwebenden oder betenden Engeln, umgeben von Palmen oder Sternen, aus denen meist Ecken in verschiedenen Zusammensetzungen gebildet waren.

An den beiden hohen Bogenfenstern, von denen die schweren Damastvorhänge zurückgeschoben waren, um ungehindert alles Licht einzulassen, das die kurzen Wintertage spendeten, standen zwei ungeheure Stickrahmen, noch nicht groß genug, um den Stoff zu fassen, der darin verarbeitet werden sollte, und darum noch an den Seiten aufgerollt war. Hier sah man ein mühevolles Werk weiblicher kunstgeübter Hände begonnen. Das große aufgestellte Gemälde von der Hand des[2] Malers Hans Beuerlein diente als Muster, und sollte sich hier in damals üblichem Gobelinsstich noch einmal wiederholen. Ganze Körbe, von Wolle und Seide in strahlenden Farben, und mit Gold und Silberfaden angefüllt, standen bereit, das reichste Material zur Verarbeitung zu bieten.

Etwa seit Jahresfrist war Elisabeth auf den Gedanken gekommen, die Töchter der edlen Geschlechter Nürnbergs aufzufordern, mit ihr vereint einen Teppich vor das Hochaltar der Kirche von St. Lorenz zu sticken, an deren Verschönerung gerade jetzt so begeistert gearbeitet ward. War doch damals alle Kunst zu einem Ganzen vereint in der Kirche und strebte alle Kunstbegeisterung diesem erhabenen Mittelpunkt zu – so auch die der Frauen. Elisabeth aber ging immer Allen gern mit einem leuchtenden Beispiel voraus, stand immer gern an der Spitze und ordnete Alles nach ihrem Sinn und Geschmack, der denn auch durch seine Veredlung und Reinheit berufen war, vor dem Anderer zur Geltung zu kommen. Ihr geachteter Name wie ihr Reichthum fielen dabei nicht minder in die Wagschaale, und auch ihre Feindinnen und Neiderinnen mußten sich damit begnügen, sie im Stillen zu verspotten und zu verleumden, öffentlich aber ihr den[3] Vorrang zu lassen und persönlich ihr höflich zu begegnen. Bei einem so regen Geiste, wie dem Elisabeth's, und einem so glühenden Herzen, wie in ihrer Brust schlug, dem sie doch nicht mehr die einstige laute Sprache gestatten durfte und wollte, war das Bedürfniß um so dringender, immer für ein Großes oder Allgemeines zu wirken, durch ein edles Streben und eine anregende Thätigkeit sich selbst im Gleichgewicht zu erhalten. Ihr klarer Verstand erkannte das selbst, und halb berechnend, halb nur ahnungsvoll gestaltete sie darnach ihr Leben.

Ziemlich zwei Jahre war sie nun verheirathet. Christoph Scheurl war nach wie vor befriedigt und stolz durch ihren Besitz, ließ sie ungehindert über seinen Reichthum verfügen und freute sich, wenn sie denselben anwendete, den Glanz und die Ehre seines Namens zu erhöhen, wie es sowohl durch Unternehmungen wie die obige geschah, als auch dadurch, daß sie die Bevorzugten des Handwerkes und der Kunst theils für sich arbeiten ließ, theils mit einem Kreise von Gelehrten um sich versammelte, und so bestrebt war, so viel als möglich nicht nur mit den andern Nürnberger Geschlechtern zu wetteifern, sondern auch den Medicäern und anderen italienischen Großen es nachzuthun, so viel es in ihren[4] Kräften war. Daneben erfüllte Elisabeth treulich jede Pflicht der deutschen Hausfrau, war gegen ihren Gemahl so aufmerksam wie er gegen sie, und wie er sie, ließ auch sie ihn gern in allen Stücken gewähren. Bei ihr war die Begeisterung für die Kunst und alle höheren allgemeinen Angelegenheiten aus innerster Empfindung hervorgegangen, zum wahren Lebensbedürfniß geworden; bei ihm war nur Eitelkeit und Ehrgeiz dabei das leitende Motiv, im Uebrigen lebte er seinen Geschäften als Kaufmann und Rathsmitglied, und fand mehr Gefallen an Zechgelagen und Schmausereien als an gelehrten Gesellschaften und Kunstbestrebungen. Gern überließ er diese seiner Gemahlin, und diese grollte ihm ebenso wenig darüber, wenn er Tage und Nächte außer dem Hause in wüsten Gesellschaften zubrachte, die trotz der Betheiligung vornehmer und hochangesehener Rathsmitglieder keineswegs zu den mäßigen und sittenreinen gehörten. So lebte dies Paar glücklich und zufrieden vor den Augen der Welt; der Gatte war es wirklich, denn ihm genügte dieser äußere ungestörte Lebensgenuß, und sein Herz, das wohl einst auch Leidenschaften gekannt und wärmere Empfindungen, war jetzt doch längst alt und kalt geworden, nicht mehr gemacht für zartere Regungen, die in seinem männlichen Alltagsleben, dessen[5] Freuden im wechselnden Besuch der Trinkstuben und größerer Gastereien bestanden, gänzlich untergegangen. Elisabeth gehörte zu den edlen Frauenseelen, welche von sittlichen Grundsätzen erfüllt still dulden und entsagen, und den Schein des Glückes bewahren, auch wo sie dieses selbst als verloren erkennen, um sich so wenigstens vor dem Mitleid zu sichern, das sie wie eine Schande empfinden, wenn die Lebensschicksale, welche es hervorrufen, nicht, wie z.B. schmerzliche Verluste durch den Tod, Sendungen einer höheren Macht sind, sondern Folgen eigener und fremder menschlicher Handlungen.

Ueber ein Jahr war vergangen, seit sie auf's Neue das Opfer eines Complots hatte werden sollen, das Eberhard von Streitberg gegen sie eingeleitet. Die Erschütterungen, welche damit verbunden waren, das plötzliche Wiedersehen, der Schrecken, die ganze nächtliche Scene eines blutigen und ungewissen Kampfes, wohl auch der lange Aufenthalt nach solcher Erregung im feuchten Walde und der nächtlichkalten Luft – dazu der Entschluß, vor wie nach über Eberhard von Streitberg zu schweigen und das, was er ihr einst gewesen war, und dabei doch die Furcht, Alles, was ihr Stolz jahrelang verschwiegen, verrathen zu sehen; die Anstrengung,[6] um das demüthigende und schmerzende Geheimniß zu bewahren, alle verfänglichen Fragen zurückzuweisen, auch der Kummer und die Sorge um die doch nur um ihretwillen im Gefecht Verwundeten oder Erschlagenen – obwohl damals ein nach dem Recht des Stärkeren gemordetes Menschenleben selbst auf ein zartes weibliches Gewissen nicht mit so zermalmender Qual fiel, wie in späteren menschlicheren, zu höheren Anschauungen und reinerer Sittlichkeit geläuterten Jahrhunderten: so war dies Alles vereint doch genug, mit Elisabeth's Seele auch ihren Körper zu ergreifen und sie auf das Krankenbett zu werfen.

Herr Scheurl hatte sich beeilt, alle gelehrten Aerzte und Wunderdoctoren Nürnbergs um ihr Lager zu versammeln, so daß sie der eine mit seinen Mixturen und Salben immer mehr quälte als der andere, der eine ihr am Fuß, der andere am Arm zur Ader ließ, so daß sie – Dank ihrer guten Natur, aber wahrscheinlich trotz der Kunst der Aerzte – zwar mit dem Leben davon kam, aber doch erst, als es draußen wieder Lenz ward, sich nach Monden voll Fieber und Qualen wieder zu erholen begann. So war ihre Krankheit auch die natürliche Ursache, daß sie, in der ersten Zeit völlig bewußtlos und dann nur mit ihren Angehörigen und[7] der Dienerschaft in Berührung kommend, weder irgend eine Aufklärung über das gegen sie geschmiedete Complot erhielt, noch einem ähnlichen zum Gegenstand dienen konnte – und später wollte sie selbst lieber Alles vergessen wissen, als noch durch Fragen daran erinnern. Noch ehe sie selbst erlag, hatte sie den berühmtesten Bader zu den verwundeten Baubrüdern gesandt, und er hatte ihr die Nachricht gebracht, daß der eine leichter verwundet sei, der andere aber, Ulrich von Straßburg, sehr gefährliche Wunden habe, ohne Bewußtsein sei und wahrscheinlich sterben werde. Die Mutter des blonden Hieronymus, bei dem er wohne, pflege ihn, wenn der Baubruder in der Hütte arbeite. »Für mich gestorben!« hauchte Elisabeth – und von da an verlor sie die Besinnung. Anfangs, in ihren Fieberphantasien war sie immer mit Ulrich beschäftigt, sah ihn verwundet vor sich liegen, betete bald für ihn als ihren Retter, und schalt ihn bald, daß er sich überall in ihren Weg dränge, nur um sie zu demüthigen, sie wieder an die Schmach zu erinnern, die er ihr bereitet, als er die Rose aus ihrer Hand auf das Judenmädchen warf. Allmälig jedoch, wie das Fieber nachließ, schienen diese Bilder und Erinnerungen zu schwinden, ja sie es sorgfältig zu vermeiden, durch irgend etwas[8] wieder an die Ereignisse jener Nacht gemahnt zu werden. Es schien ihr am Angemessensten, ihre Umgebung glauben zu machen, als habe sie dieselben wirklich ganz und gar vergessen.

Jetzt, im Januar 1491 ist jede Spur der langen Krankheit von ihr verschwunden. Hat ihr edles Antlitz noch nicht ganz die frühere Frische und ihre majestätische Gestalt die frühere Fülle wieder erlangt, so erscheint ihre Schönheit dadurch nicht beeinträchtigt, daß der Eindruck, welchen sie jetzt macht, mehr ein geistig erhebender als ein sinnlich verlockender ist.

Vielmehr als sie selbst schien ihre Freundin Ursula Muffel in dieser Zeit gelitten zu haben, welche jetzt zu ihr in das Zimmer trat. Ihre sanften Züge drückten Leid und Sehnsucht aus, und ihren Augen sah man es an, daß sie manche kummervolle Nacht durchwacht und manche Thräne vergossen.

Die neue Glocke auf dem Thurm der Sebaldskirche hatte nicht lange zwölf Uhr geschlagen, als Ursula zu Elisabeth kam. Die übliche Zeit des Mittagessens war bei den Vornehmen wie bei den Handwerkern gleicherweise elf Uhr, und da man sich für gewöhnlich auch in den reichsten Häusern auf wenige Gänge beschränkte, dafür nur wenn Gäste zugegen waren oder bei außerordentlichen[9] festlichen Gelegenheiten die Gänge in's Unzählige steigerte und oft gleich von Abend bis zu Mittag bei Tische saß, so war eine gewöhnliche bürgerliche Mahlzeit in einer Stunde beendet. Um Ein Uhr pflegten sich an den bestimmten Tage die Stickerinnen bei Elisabeth zu versammeln.

Ursula sagte Elisabeth begrüßend: »Ich komme früher als die Andern, weil ich von Dir hören wollte, ob es wahr ist, daß für den nächsten Monat ein Reichstag hierher ausgeschrieben ist und ob König Max auch mitkommen wird?«

Elisabeth's Augen leuchteten bei dieser Nachricht. »Ich habe noch Nichts davon gehört,« antwortete sie; »aber mein Gemahl ist unwohl und heute nicht zu Rath gegangen. Hat Dein Vater diese Nachricht von dem Rathhaus mitgebracht?«

»Ja,« versetzte Ursula; »er kam entrüstet heim, und da ich ihn nach der Ursache seines Aergers fragte, sagte er, daß der Kaiser einen Tag nach Nürnberg ausgeschrieben, aber nur die Fürsten und nicht die Städte dazu geladen. Näheres erfuhr ich nicht und setzte meine Hoffnung wie immer auf Dich.«

Elisabeth seufzte und legte liebend ihren Arm um die ihr vertraute Freundin, der sie schon lange keinen[10] freudigen Trost mehr zu geben vermochte und auch jetzt deren Hoffnung nicht rechtfertigen konnte.

Seit Stephan Tucher den Fahnen des Königs Max gefolgt war, hatte er Anfangs an Ursula so oft geschrieben, als es im Felde und in der damaligen Zeit, wo die Briefe immer nur einer zufälligen und unsichern Gelegenheit anvertraut werden konnten, eben möglich war. –

Nachdem König Mathias von Ungarn Anfang April 1490 plötzlich in Wien gestorben war, hatte König Max den Krieg um seine östreichischen Erbländer begonnen. Am neunzehnten August hatte er seinen feierlichen Einzug unter dem Jubel des Volks in Wien gehalten, unter Lobgesängen in der St. Stephanskirche dem Herrn der Heerschaaren gedankt und auf offenem Markt die Huldigungen des Raths und der Gemeinde empfangen. Diesen glorreichen Tag hatte Stephan an Ursula geschildert – aber seitdem hatte sie keine Nachricht wieder von ihm erhalten. War er in der Schlacht gefallen? war er ihr untreu? hatte er sie vergessen?

Das Erstere war wohl möglich, denn König Max war mit bairischen Hülfsvölkern in Ungarn selbst eingebrochen, um auch dieses zu erobern, und hatte am ersten November selbst Stuhlweißenburg, die Krönungs-[11] und Begräbnißstadt der ungarischen Könige genommen – da konnte wohl Stephan mit bei dem Sturme gefallen sein. Aber von zurückkehrenden Nürnbergern, die auch mit unter den bairischen Hülfsvölkern gewesen, hörte sie, daß er noch am Leben sei. Aber Keiner brachte ihr einen Gruß von ihm. Freilich waren diese Rückkehrenden eigentlich Ausreißer aus dem bairischen Heere; denn in diesem war zwischen Reiterei und Fußvolk Streit über die Theilung der gemachten Beute entstanden, so daß das Fußvolk, als es weder von dieser den gewünschten größern Antheil, noch den rückständigen Sold ausgezahlt erhielt, rottenweise davon zog, wodurch der König sich genöthigt sah, sein Vordringen nach Ofen aufzugeben und sich nach Oestreich zurückzuziehen. Schwerlich würde der ritterliche, dem König ergebene Stephan mit denen, die den König verließen, gemeinschaftliche Sache gemacht haben. Allein jetzt war dieser nach Wien und dann nach Linz zurückgekehrt zum alten Kaiser Friedrich, der im October die Reichsacht über Regensburg ausgesprochen, das sich an den Herzog Albrecht von Baiern angeschlossen, der gegen des Kaisers Willen sich mit dessen Tochter Kunigunde vermählt, die der Vater deshalb verstoßen. Indeß sich Max jetzt bemühte hier ein Friedenswerk zwischen dem[12] Vater und dem Schwager zu stiften, während Friedrich die Hülfe des Schwäbischen Bundes und des Löwlerbundes für sich wünschte, hörte Ursula, und zwar von Stephan's eigener Schwägerin Eleonore Tucher, die bei einer festlichen Gelegenheit mit ihr zusammenkam, daß es Stephan in dem lustigen Wien sehr wohl gefiele, daß er ihrem Gatten geschrieben, wie es nirgend schönere Frauen und freiere Sitten gebe, wie dort, und daß es sich da gar angenehm von den Strapazen eines gefahrvollen Feldzuges ausruhen lasse.

Anfangs suchte Ursula für diese Nachricht Trost in der Hoffnung, daß dieselbe gefälscht sei, und bat Elisabeth um ihren Beistand, ihr den Brief oder doch Gewißheit über seinen Inhalt zu verschaffen. Wirklich erhielt ihn Elisabeth durch ihren Gemahl von Anton Tucher. Eleonore hatte Nichts hinzugesetzt oder erlogen: im Gegentheil, der aus Wien datirte Brief enthielt, was sie gesagt, noch begleitet von den rohen Ausdrücken und schmutzigen Späßen, welche damals, besonders unter der Männerwelt üblich waren. Das war der Brief eines lebenslustigen Mannes, der an jeden Genuß sich hingiebt, welchen der Augenblick bietet, unbekümmert, ob derselbe mit den Grundsätzen der Sittlichkeit sich vereinen lasse, unbekümmert, ob daheim eine[13] treue sehnsüchtige Geliebte seinen Schwüren vertraut und kummervoll die Stunden zählt, bis sie einen Gruß von ihm empfängt.

Elisabeth wollte Ursula gern die bitterste Kränkung ersparen, und sagte ihr nicht, daß sie selbst diesen Brief gelesen, aber doch daß ihr Gemahl das von Eleonore Gesagte bestätigt. Indeß fügte sie hinzu, es könne ja sein, daß Stephan seinem Bruder nur darum in einem solchen Ton geschrieben, um ihn und seinen Vater glauben zu machen, daß er Ursula aufgegeben und vergessen habe, da sie sich ja immer diesem Verhältniß widersetzt. Wie gern auch Ursula diesem Trostgrund Eingang in ihr banges Herz vergönnte: es blieb doch immer die Frage, warum er ihr nicht geschrieben, da doch sonst seine Briefe sie immer erreicht und sich noch stets gefällige Liebesboten gefunden hatten. Nur einmal war ein Brief von ihm verloren gegangen, aber das immer erwartend, hatte er wiedergeschrieben; so war dies auch ein Trost wohl für einige Wochen, auch Monate – aber nicht für ein halbes Jahr, wo er nicht mehr im Kampfe, sondern näher war und andere Briefe von ihm nach Nürnberg gelangten.

Und Elisabeth war auch eine Trösterin, welche selbst nicht glaubte, obwohl sie den Grundsatz hatte, jeden[14] schönen Traum in anderen Herzen so lange als möglich fortzunähren, da die Enttäuschung und das Leid immer zu früh genug komme; sie wußte, daß für ein liebendes weibliches Gemüth der peinlichste Zustand des Schwankens zwischen Furcht und Hoffen immer noch besser sei, als die entscheidende Gewißheit von der Unwürdigkeit und Untreue des geliebten Gegenstandes – sie konnte so aus Erfahrung empfinden! aber ihr eigenes Herz war ja selbst zu sehr verletzt worden in seinen heiligsten Empfindungen durch den Verrath eines Mannes, als daß sie nicht auch für andere Mädchen und von andern Männern die gleichen Erfahrungen erwarten sollte. Einem schönen, eitlen und heißblütigen Manne wie Stephan traute sie nur so lange Ausdauer in seiner Neigung zu, als das Weib, das seine Leidenschaft erregte, ihm nahe war und nicht andere verführerischere Frauen ihn lockten. Aber nimmer hätte sie Ursula's Herz in ähnlichen Besorgnissen bestärken mögen, sie trachtete darnach ihr so lange als möglich das Schreckliche zu ersparen, woran gerade stille und tiefe, reine Frauengemüther zu Grunde gehen. Bei solchen Betrachtungen mußte sich Elisabeth selbst gestehen, daß sie trotz ihrer geistigen Kraft und ihrer erheuchelten stolzen Ruhe auch zu den Zugrundegegangenen gehörte, weil[15] sie nicht mehr an das Ideal zu glauben vermochte, weil sie in zweifelhaften Fällen eher das Schlechte und Schlimme voraussetzte, als das Gute und Angenehme.

Kam nun wirklich König Max zu einem Reichstag in nächster Zeit nach Nürnberg, so war weit eher zu erwarten, daß bei dieser Gelegenheit Ursula's Geschick entschieden werde, als das von Krieg oder Frieden im deutschen Reich, oder was immer der Kaiser von den zähen Reichsfürsten und dem schleppenden Gang der Verhandlungen fordern mochte.

War Stephan treu, so würde er nicht verfehlen, im Gefolge des Königs sich wieder in sein Vaterland zu begeben, sei es auch nur für die Dauer des Reichstages. Blieb er aber ohne genügenden Grund aus, den man wohl von irgend einem seiner Gefährten erfahren konnte, so bestätigte dies seine Treulosigkeit; denn für so schlecht hielt ihn keine der Frauen, daß er kommen werde, um noch durch seine Gegenwart sein unschuldiges Opfer zu verhöhnen.

Wie natürlich, daß diese erste Nachricht von der baldigen Anherkunft des Königs einen ganzen Sturm von Empfindungen in Ursula erregte. Hatte sie doch auf die Huld dieses gütigen und ritterlichen Königs ihre ganze Hoffnung von da an gesetzt gehabt, wo er[16] im Tanze sie ausgezeichnet und ihr sein Wort gegeben, nicht anders denn zu ihrer Hochzeit mit Stephan Tucher wieder zu kommen, infern sie einander nur Treue bewahrten, und wenn sie sich auch immer sagte, daß ein so viel bewegter Monarch mehr zu denken und zu thun habe, als um das Geschick eines Liebespaares sich zu bekümmern, so hoffte sie doch sonst, daß, wenn Stephan in des Königs Geleit zurück nach Nürnberg käme und dieser, wie er versprochen, in Scheurl's Hause wohne, so werde Elisabeth wohl Gelegenheit finden, ihre Schützlinge seiner Gnade zu empfehlen. Wie würde sich Stephan beeilen ihr seine Rückkehr, seine Hoffnungen zu melden! – hatte Ursula vorher gedacht – und jetzt schwieg er, wie er seit einem halben Jahre geschwiegen! –

Außer den Regungen theilnehmender Freundschaft waren es noch Gefühle ganz anderer Art, welche bei dieser Nachricht Elisabeth ergriffen.

Wenn König Max wiederkam – würde er auch derselbe sein wie vor ziemlich zwei Jahren? Damals kam er eben aus den Niederlanden, ein sieggekrönter Fürst, der einen ehrenvollen Frieden geschlossen. Er kam nur nach Nürnberg, die alte freie Reichsstadt zum ersten Male zu begrüßen, er lebte unter ihren Bürgern[17] harmlose festliche Tage, gefeiert und geehrt von Allen, und sie wieder ehrend durch sein leutseliges Wesen und die frohe Art, wie er sich unter sie mischte, mit ihnen gemeinschaftlich freute.

Wie anders jetzt, wenn er Reichstag hielt! Da würden alle Fürsten und Herren, alle Großen des Reichs ihn umgeben und von den Nürnberger Bürgern trennen – schien doch der Senat ihn schon zu grollen, weil er nur die Fürsten und nicht die Abgesandten der Städte geladen: – es war eine Zurücksetzung, die gerade den Bürgerstolz am tiefsten verwundete. Auch in Elisabeth lebte der gleiche Stolz, der sich dagegen empörte. Wie oft sie auch die angenehmen Tage zurückgewünscht hatte, an denen König Max in Nürnberg weilte und ihr die ritterlichsten Aufmerksamkeiten widmete – tausendmal lieber wollte sie ihn nie wiedersehen, als wiedersehen und von ihm übersehen werden. Sie war immer stärker ein Unglück zu ertragen als eine Demüthigung, welche sie dem spöttischen Lächeln ihrer Feindinnen und Neiderinnen preisgab.

Die Sorgen des Reichstages mußten jetzt auf dem König lasten und noch schlimmere. Zwar hatte er seine Erblande wieder, aber er hatte doch den weiteren Eroberungszug nach Ungarn aufgeben müssen. Schlimmere[18] Sorgen aber waren in seinen eigenen Familienangelegenheiten erwachsen. Nicht nur der Zwist zwischen dem Vater und dem Schwager – Härteres hatte Max persönlich betroffen. Er hatte sich inzwischen um die Hand der Herzogin Anna von Bretagne beworben, und während er in Ungarn beschäftigt war, hatte er sich mit ihr durch Procuration – der Prinz von Oranien war sein Stellvertreter – zu Rennes trauen lassen. Aber am französischen Hofe ließ man sich durch diesen Schein der Ehevollziehung nicht abhalten, an Verhinderung des Unglücks zu denken, das durch Gründung eines fremden Fürstenhauses im Herzen der Monarchie herbeigeführt werden mußte, und faßte deshalb den Plan, Anna mit König Karl von Frankreich selbst zu verheirathen, obwohl dieser schon seit seiner Kindheit mit Maximilian's Tochter, Margaretha von Burgund, verlobt war. Karl wußte Anna endlich zu vermögen, um ihr Land und ihr kleines deutsches Hülfsheer zu retten, sich ihm zu ergeben und am 6. November 1491 den Heirathsvertrag mit ihm zu unterzeichnen. Im December erfolgte die päpstliche Lösung ihrer Verbindung mit Max. So erscholl eben jetzt durch ganz Europa das Volksgeschrei, der König von Frankreich habe dem römischen Könige seine Gemahlin entführt[19] und seine Tochter verstoßen. Maximilian's Aufbrausen bei der Nachricht von der ihm zugefügten Beschimpfung kannte keine Grenzen, und da seitdem erst nur kurze Zeit verflossen war, so konnte man wohl denken, wie er nicht empfänglich sein würde für harmlose heitere Festlichkeit wie in früherer Zeit, und vielleicht noch weniger für Gründung des Liebesglückes Anderer, da es ihm eben selbst auf so schmähliche Weise versagt war.

Und wenn er wiederkam – würde er sein Wort halten und in Scheurl's Hause Wohnung machen? Geschah es nicht, so fand Elisabeth schon darin eine Zurücksetzung – und geschah es, so erwachten jetzt schon die Sorgen der Hausfrau in ihr, den hohen Gast auch würdig und glänzend genug zu empfangen.

Die beiden Freundinnen wurden im Gespräch über diese Angelegenheiten unterbrochen, als ihre stickenden Genossinnen erschienen: Elisabeth's Schwester Margaretha, Beatrix Imhof, Crescentia Rieter, Charitas und Clara Pirkheimer und andere Jungfrauen aus den rathsfähigen Geschlechtern, denn nur solche hatte Elisabeth zu der Arbeit berufen.

Alle eilten die unterbrochene Arbeit neu zu beginnen.

Mit den Schwestern Pirkheimer pflegte Elisabeth den Umgang am liebsten, Ursula ausgenommen. Sie[20] waren beide von dem regsten Eifer für wissenschaftliche Studien sowohl als frommes Wirken beseelt, so daß man sie bald die gelehrten, bald die frommen Schwestern nannte. Zu jeder Arbeit waren sie bereit und tüchtig und für jedes Streben begeistert, das sich über die gewöhnlichen Lebenssphären erhob. Ihre Bildung war eine außerordentliche und besonders durch das früher gemeinschaftliche Lernen mit ihrem Bruder Willibald geförderte. Jetzt, wo er fern war und inzwischen auch ihre Mutter gestorben, hatte ihr Sinn sich dadurch immer mehr von den lauten Freuden der Welt abgewendet, ihren stillen Studien und einem beschaulichen Leben zu.

Jetzt waren sie auch die Eifrigsten bei der Stickerei der Gobelins, ja sie hatten es sich nicht nehmen lassen, beide allein die Figur des Auferstandenen zu sticken, darin eine besondere Befriedigung findend. War nun auch die schöne Elisabeth weltlicheren Sinnes als die beiden, von der Natur gerade nicht mit körperlichen Vorzügen ausgestatteten Schwestern, so erkannte sie doch ganz deren innern Werth und ehrte ihre frommen Lebensanschauungen, wenn sie auch selbst sich zu freieren emporgeschwungen. Es war immer ein klarer Friede um diese Beiden, der ihr wohl that und den sie ihnen[21] um so mehr beneiden konnte, als ihre unruhig bewegte Seele nur den Schein desselben zu behaupten suchte.

Sie fragte jetzt die Schwestern nach ihrem Bruder Willibald, von dem sie wußte, daß er Ritterdienste bei dem Bischof von Eichstädt, eines der Häupter des schwäbischen Bundes, genommen.

»Zu unserer Freude,« sagte Charitas, »wird er bald das Schwert mit der Feder vertauschen, um in Italien die unterbrochenen Studien fortzusetzen. Im rohen Kriegerhandwerk können es wohl Andere ihm gleich thun, aber mit seinem freien Geiste und seiner umfassenden Bildung paßt er besser in die stille Werkstatt der Gelehrten und wird seiner Vaterstadt und dem Reiche bessere Dienste leisten können, als mit dem Schwert. Kommt der Bischof von Eichstädt zum Reichstage her, so wird er ihn begleiten und kurz bei uns verweilen, ehe er auf lange Zeit nach Italien geht.«

»Ihr wißt es also auch schon von dem Reichstag?« fragte Ursula gespannt.

»Mein Vater sagte es diesen Mittag,« antwortete Clara.

Auch Crescentia Rieter mit Margaretha Behaim, die jüngste in diesem Verein, stimmte dieser Nachricht bescheiden bei.

Draußen ließen sich eben Männerschritte vernehmen[22] – Elisabeth hoffte, es werde ihr Gemahl sein, der nun auch die aufregende Kunde empfangen, und komme sie mitzutheilen – aber sie hatte sich getäuscht; statt seiner trat der Maler Hans Beuerlein ein, um zu sehen, welche Fortschritte der Gobelin mache, zu dem er das Gemälde geliefert.

Er war ein mittelgroßer Mann in den Fünfzigen, seine Gestalt hatte er in einem großen Zipfelpelz von dunkler Farbe gehüllt und auf dem Kopfe trug er eine Art Mütze von rother Farbe, ein Schläplein, wie diese wunderliche Kopfbedeckung hieß.

Freundlich gab er sein Lob über die vorgeschrittene Frauenarbeit zu erkennen, aber als er sich über Ursula's Schulter bog, ihr Werk zu betrachten, sagte er: »Aber was ist denn das: Ihr stickt der armen Maria Magdalena graue Haare statt der blonden – würde es Euch doch selbst sehr kränken, wenn man Euch plötzlich mit grauen Haaren sehe!

Erröthend erkannte Ursula das Unheil, das sie angerichtet, indeß ihre Gedanken ganz anders beschäftigt gewesen als mit ihrer Arbeit. Durch langes Sehnen und Harren, Fürchten und Hoffen schon zum Aeußersten erschöpft, brach sie in Thränen aus und rief: »Ach, das ist gewiß eine schreckliche Vorbedeutung!«[23]

Der Maler lächelte: »Trennt es herzhaft wieder her aus und macht den Fehler gut, den ihr begangen, so macht Ihr auch die Vorbedeutung zu Schanden. So ist's Männerart; aber die Frauenzimmer sehen immer Alles gleich mit weinerlichen Augen an, bis sie gar nichts mehr erkennen können.«

»Ei freilich!« entgegnete Elisabeth, »das ist bequeme Männerweisheit, die sich immer ihr Schicksal leicht macht: Wenn Ihr dies Haar mit einer falschen Farbe gemalt hättet, so bedürfte es nur einiger Pinselstriche von Eurer Hand aus einem andern Farbentopf, um dies Grau wieder in das schönste Blond zu verwandeln; das Frauenloos ist aber: hundert Stiche mühevoll aufzutrennen und wieder hineinzunähen – ein Geschäft, das vieler Geduld und Zeit bedarf; nimmer unterzieht sich jetzt ein Mann einem solchen, um seine Fehler gut zu machen.«

»Ei, was höre ich, Frau Elisabeth?« rief der Maler: »aber so geht es immer, wenn sich einmal ein Mann allein unter die Frauenzimmer wagt, da muß er immer sich Allerlei gefallen lassen – statt Hahn im Korbe zu sein, ist man der Hirsch, den die Windspiele umzingeln und ankläffen.«[24]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 1-25.
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