Zweites Capitel
Propst und Mönch

[25] Auf dem Steig bei den zwölf Brüdern standen mehrere niedere Gebäude durch einen großen Hof verbunden. Vor dem Eingang am großen Hofthor, über dem sich ein zierlicher Spitzbogen mit durchbrochener Arbeit erhob, befand sich ein steinerner Lindwurm, der aus seinem weiten Rachen Wasser spie, das auch jetzt im Winter lustig daraus hervorquoll, nur daß es da und dort am Rande des Wasserbeckens, wenn es über dasselbe plätscherte, zu seiner kunstreichen Steinmetzenarbeit noch spitze Zapfen von Eis ansetzte und auch den Rachen des Ungeheuers mit einem Bart von silberhellglänzenden Eisfasern umgab, daß es dadurch eine noch einmal so drohende Miene erhielt.

Drinnen im Hof, ein langes Gebäude rechts war die Werkstatt des Meisters Adam Kraft. Hier arbeitete er umgeben von seinen Gesellen und Knechten. Eine große, glatte Steintafel lehnte vor ihm, an der er fleißig[25] feilte, um Figuren in Lebensgröße als Hochbilder daran herauszumeißeln.

Neben ihm standen Herr Martin Ketzel und der Propst Anton Kreß. Ersterer, der bei ihm die sieben Fälle Christi in ebenso vielen einzelnen Steintafeln und zwei Kapellein bestellt hatte – eine so große Arbeit, daß sie leicht mehrere Jahre bis zu ihrer Vollendung erfordern konnte, war gekommen, um einmal nachzusehen, wie weit sie vorgeschritten, und hatte auch den als Kunstförderer bekannten Propst dazu mitgebracht. Adam Kraft hatte ihnen die beiden fertigen Hochbilder gezeigt, lächelnd ihr Lob vernommen, ohne selbst viel dazu zu sagen, und jetzt fuhr er in seiner Arbeit fort, um den Besuch seiner Gönner sich weiter nicht kümmernd.

Neben ihm stand sein neuester Handlanger, ein Bauernknecht aus dem nächsten Dorfe, den man nicht anders als den Riesen-Jacob nannte, so groß und stark war sein Gliederbau. Meister Kraft hatte ihn kürzlich bei seiner Werkstatt vorübergehen sehen und ihn gefragt, ob er sich von ihm wolle zum Handlanger dingen lassen? Da es im Winter für den Knecht keine Arbeit und schlechte Zeit gab, so nahm er das Anerbieten für diese Zeit an. Er hatte gemeint, er sei gewählt worden,[26] weil er wohl fünf für andere starke Männer Körperkraft besaß und mit Leichtigkeit große Steinblöcke da und dorthin tragen konnte, die Andere nur mühsam fortzuwälzen vermochten; indeß erstaunte er nicht wenig, als der Meister nur selten solche Leistungen von ihm verlangte, dafür ihn aber oft an seine Seite nahm, und indeß er selbst die kunstreichsten Formen in den Stein trieb, dem Riesen-Jacob mit der größten Genauigkeit zeigte und erklärte, wie man selbst das mache und wie er versuchen müsse, ihm das nachzuthun. Der rohe Bauernbursche, der nur mit Ochsen und Pferden umzugehen verstand, Bäume zu fällen, und in Zeiten, wo die Ritter ihren Unterthanen und Hörigen die Ochsen geschlachtet und die Pferde entführt hatten, um sie bei ihren Raubzügen oder im Kriegsdienst zu verwenden, wohl auch selbst am Pfluge ziehen mußte – der verstand kein Wort von dem, was ihm der Meister sagte, lachte nur und wagte kaum einen rohen Versuch, den Meißel in den Stein zu treiben.

Die ihm nahe stehenden Steinmetzgesellen aber lächelten einander zu und merkten hoch auf, denn sie wußten: so war einmal ihres Meisters Art. Nie war er dahin zu bringen, Einem von ihnen, der bei ihm lernte, etwas ordentlich zu zeigen und mit seinen Gesellen[27] über seine Arbeit zu sprechen; aber von Zeit zu Zeit miethete er sich einen unwissenden Bauernknecht als Handlanger, und dem zeigte er alle Dinge, als ob er den kunstbegierigsten Steinmetzen vor sich hätte – so ward es auch jetzt.

Meister Kraft hatte eben zur Abwechslung und um seine rechte Hand ruhen zu lassen, den Meißel einmal in die linke Hand genommen, mit der er in gleicher Weise geschickt zum Arbeiten war, als sich die Thür öffnete und die Frau Meisterin, mit vielen Knixen vor dem Propst, und Herrn Ketzel, einen Benediktiner-Mönch in die Werkstatt geleitete.

»Der fromme Vater da,« sagte sie zu dem Propst, »hat Euer Hochwürden schon überall gesucht, bis man ihn hierher gewiesen, indem man ihm gesagt: er würde Euch bei dem Drachen finden!«

»Ei, ei,« sagte der Propst, der immer zu einem Späßchen aufgelegt war und die Worte dabei nicht wog, oder auch seinen Witz dann für den gelungensten hielt, wenn er damit andere Personen in Verlegenheit bringen konnte, man hat dem frommen Bruder gesagt, daß er mich bei einem Drachen fände, und da ist er gleich auf den Einfall gekommen, mich bei der Frau Meisterin zu[28] suchen? – Was meint Ihr dazu, Meister Kraft? wie ist es mit dem Hausdrachen?«

Der Riesen-Jacob lachte unmäßig, und auch die Gesellen hatten Mühe sich das Lachen zu verbeißen, die Lehrlinge konnten ein leises Kichern nicht unterdrücken; alle wußten wohl, daß der Meister seit zwei Jahren erst mit dieser seiner zweiten Frau verheirathet in der glücklichsten Ehe lebte, aber auch daß, seitdem sie in das Haus gekommen, ein schärferes Regiment darin eingeführt worden. Die Lehrlinge mußten manche Hausarbeit verrichten helfen, kehren, schwemmen und räumen, denn im ganzen Gehöfe wie im Haus und überall duldete sie keine Unsauberkeit und verbannte sie auch aus den verborgensten Winkeln; den Gesellen rechnete sie auch die Freistunden pünktlich nach, und hielt es ihnen vor, wenn einmal einer über den Durst getrunken oder sonst einen Unfug verübt. Ihr Mann grollte meist nur still oder schickte fort, mit wem er unzufrieden war; sie aber suchte den Leuten in's Gewissen zu reden, sie durch moralische Vorstellungen und Kernsprüche zu bessern. So war ihr von den Leuten, die zwar Respekt vor ihr hatten, aber denen das frühere lose Regiment doch besser behagte, als dies strengere durch sie geführte, bald der Beiname des Hausdrachen[29] gekommen, und sie hatten keine geringe Freude, als jetzt selbst der geistliche Herr sie damit neckte.

Meister Kraft aber, obwohl er das ernste Gesicht auch zu einem Lächeln verzog, fühlte doch, daß er seiner Hausfrau sich annehmen müsse, und sagte kurz und gut: »Wir leben ja als Adam und Eva im Paradies und da kann wohl Einer leichtlich denken, Drache oder Schlange müsse sich einschleichen, und wie es immer gewesen, zur Frau zuerst; draußen aber sitzt er im Stein gezaubert vor dem Thor und weiset wohl den Weg zu uns, aber nicht uns hinaus.«

»Das ist brav,« sagte Herr Martin Ketzel, »daß Ihr Eure Hausehre in Schutz nehmet.«

Der Meister schien schon nicht mehr auf das zu hören, was weiter um ihn vorging, sondern trieb den spitzen Stahl immer tiefer in den sich gestaltenden Stein, daß es lustig klang und Funken und Sand um ihn sprühten und stäubten.

Ketzel wendete sich darum zu Frau Kraft und sagte: »Es ist wirklich wundersam, daß Meister Adam auch eine Eva gefunden.«

Diese erröthete und fuhr sich mit der Schürze über's Gesicht, der Meister lächelte schlau und der Propst sagte:[30]

»Das Wunder ist nun eben nicht so groß; wißt Ihr denn nicht, daß die Frau Kraft eigentlich Magdalena heißt, so steht sie im Kirchenbuch, und nur dem Meister da zu Gunst hat sie sich selber umgetauft, weil er sich's einmal in den Kopf gesetzt, keine Andere als eine Eva zu freien.«

»Ei was!« rief die Meisterin sich entschuldigend, »der Kraft ist auch nicht Adam getauft, sondern Ulrich, und hat sich selbst den Namen gegeben; warum soll eine Frau nicht das gleiche Recht haben?«

»Wenigstens wenn es ihr Mann ihr giebt!« sagte Meister Kraft, der doch seine Frau nicht wollte übermüthig werden lassen und sich die Oberherrschaft sichern.

Während dieses Gespräches war der Mönch an einem Seitenfenster stehen geblieben, das dem geöffneten Hofthor schräg gegenüber war, so zwar, daß man durch dasselbe auf die Straße und die bei dem Lindwurm Vorübergehenden sehen konnte. Anfangs blickte der Mönch nur mürrisch da hinaus, ungeduldig, daß der Propst, den er schon allenthalben gesucht, nun statt sich mit ihm zu entfernen, kurzweilige Späße trieb, die seiner Würde sehr wenig gemäß waren. Jetzt aber blickte der Mönch schärfer hin, wie gefesselt durch eine außerordentliche Erscheinung; ein sonderbares Zucken[31] flog über sein erdfahles Gesicht und seine dunklen Augen blitzten unter den grauen Augenbrauen.

Jetzt wendete sich der Propst zu dem schweigenden Mönch und sagte: »Aber Ihr werdet Eile haben, ich bin bereit Euch zu begleiten. Gehabt Euch wohl, Meister Kraft. Gottes Segen mit Euch Beiden: Adam und Eva! Herr Ketzel, guten Fortgang zu Euer frommen Stiftung in so wackeren Meisters Händen. Besucht mich bald einmal in der Propstei zu einem Becher edlen Rheinweins, wie er in meinem Keller lagert.« Er lächelte und schmunzelte dabei schlau, denn sein immer voller Weinkeller, obwohl täglich aus ihm geschöpft ward, machte ihm mehr Freude, als eine volle Kirche.

Martin Ketzel verstand den Wink, daß der Propst jetzt seine Begleitung nicht wünsche, er blieb daher zurück, als sich dieser mit dem Mönch entfernte, und sagte zur Meisterin:

»Ich muß schon noch ein Weilchen bei Euch verziehen, denn die geistlichen Herren da scheinen unter vier Augen zu verhandeln zu haben, wobei sie weltliche Ohren nicht gebrauchen können.«

Frau Eva war auf den Propst noch ärgerlich wegen des Drachen und sagte: »Es ist auch besser,[32] man hört es nicht; der Herr Propst hat immer andere Dinge im Kopfe, als man bei einem Kirchenhaupt erwarten möchte, und der Mönch sah auch nicht aus wie Einer, der Frieden im Kloster gefunden und sich wohl fühle in seinem Berufe.«

Meister Adam runzelte die Stirn und winkte seiner Frau schelmischstrafend zu, als wolle er sagen, daß sie wohl Recht habe, daß man aber vor den Leuten in der Werkstatt nicht so reden dürfe.

Gleichzeitig aber sagte der Riesen-Jacob: »O den Mönch da, den Bruder Amadeus, den kenne ich. Ich habe vorletzten Sommer als Handlanger einmal im Kloster mitgearbeitet – da hab' ich ihn in seiner Zelle heulen und toben hören, und weil ich darnach fragte, hat mir der Pförtner gesagt, da sei der Bruder Amadeus seit einem Jahre zum ersten Male mit einem Auftrag in Nürnberg gewesen und ganz verstört wiedergekommen; er wäre seitdem nicht mehr zu bändigen – von Buße und Besserung wollt' er gleich gar nichts hören.«

»Laßt doch das unnütze Reden!« sagte der Meister; »wir loben den Herrgott in unserer Kunst und in den Werken, die wir ihm zur Ehre mit allem Fleiß bereiten[33] – mögen sie in den Klöstern thun und treiben, was sie wollen!« –

Herr Martin Ketzel verabschiedete sich und die Meisterin gab ihm das Geleite bis zu dem Brunnen vor dem Hausthor. Es begann zu schneien, und der Lindwurm, dem große Flocken um den geöffneten Rachen spielten und an seinen Eiszapfen zu weichem Flaumenbart sich ansetzten, sah grimmiger aus als je vorher. Bei diesem Anblick schien die Erbitterung Frau Eva's auf den Propst auf's Neue erregt zu werden, und indem sie, nachdem Herr Ketzel sich entfernt, das Hofthor donnernd zuwarf, murmelte sie leise zwischen den weißen Zähnen: »Der Propst soll auch noch einmal an mich denken! will er mich einmal einen Drachen schimpfen, so mag er auch noch erfahren, daß ich's ihm gegenüber sein kann!« –

Indessen ging der Propst Kreß mit dem Benediktinermönch durch das Schneegestöber seiner Wohnung zu. Das Wetter war eben nicht darnach, Leute auf die Straße zu locken, welche nicht gerade die Nothwendigkeit heraustrieb. Auch die unverdrossenen Nürnberger suchten bei solchem Wetter lieber in ihren Häusern ihre Geschäfte abzumachen, als wie sonst auf Gassen und Märkten sich umherzutreiben. Darum begegneten die[34] Beiden nur Wenige und der Propst sagte zu seinem Begleiter:

»Ich bin neugierig zu wissen, wie es kommt, daß Ihr Urlaub erhalten und was Ihr für einen Auftrag habt?«

Der Mönch sagte mit einem fast verächtlichen bittern Lächeln: »Durch strenge Buße erhielt ich den Urlaub – und mein Auftrag ist allerdings so einfach, daß ich ihn Euch auf offener Straße sagen kann, auch wenn ganz Nürnberg uns zuhörte: am Sakramentshäuslein in unserer Kirche ist über Nacht der Aufsatz eingefallen und zertrümmert worden; wir brauchen kunstfertige Hände, das nicht nur zu repariren, sondern ganz neu wieder herzustellen – aber es soll bald geschehen, damit das Werk zur nächsten Feier wieder würdig vollendet ist. Das ist mein Auftrag an Euch, Herr Propst.«

»Hättet Ihr ihn doch gleich in der Werkstatt des Meister Adam Kraft gesagt,« antwortete der Propst, »das ist der kunsterfahrenste Mann in solchen Sachen –«

»Nicht doch!« fiel ihm der Mönch ein, »wir wollen in unserer Kirche kein Werk von profanen Händen, wenn es auch jetzt Sitte wird, zuweilen solche Steinmetzen in die Klöster zu berufen; der Auftrag ging an[35] Euch und den Hüttenmeister der St. Lorenzkirche, uns zwei der geschicktesten Baubrüder zu senden – den, dessen Zeichen ein Kreis ist mit einem Winkelmaß durchschnitten –«

Es war, als hemme eine plötzlich fallende Schneelavine die eilenden Schritte des Propstes – so blieb er einen Augenblick erschrocken und regungslos stehen! aber es fiel nicht ein Flöckchen mehr vom weißgewölbten Himmel herab, als vorher gefallen, und Nichts ließ sich sehen und hören, sein erschrockenes Stillstehen zu veranlassen. Aber er griff jetzt den Mönch heftig unter den Arm, entweder um sich zu stützen oder ihn eilend mit sich weiter zu reißen, und sagte:

»Amadeus! kein Wort weiter davon hier auf der Straße – das besprechen wir drinnen in der Propstei.«

»Ich gehorche,« sagte Amadeus; »aber jetzt seht Ihr es: nicht ich bin der Erregte, sondern Ihr seid es.«

So gingen sie schweigend und eilend noch die kurze Strecke nebeneinander, bis sie in die Propstei zu St. Lorenz kamen. Der Propst schlug mit dem eisernen Klöppel, der eine kolossale Eichel an einem Zweig von Eichenblättern darstellte, auf ein aus der Thür vorspringendes Eichenblatt gleichfalls von eiserner Arbeit, dreimal rasch nacheinander, und gleich darauf ward die Thür von[36] unsichtbaren Händen geöffnet und sprang eben so schnell hinter den Eingetretenen wieder zu.

In einem hochgewölbten Zimmer des Erdgeschosses loderte ein mächtiges Feuer, hohe Polsterlehnstühle, mit verschossenem braunen Sammet bezogen, standen am Kamin. Herr Anton Kreß deutete darauf und sagte:

»Ihr werdet müde sein und habt noch einen weiten Weg zu machen, wenn Ihr vor Nacht zurück müßt.«

»Die zwei Stunden bis zum Kloster,« sagte Amadeus, »werden mich nicht erschöpfen, wenn ich den Weg hierher nicht vergeblich gemacht habe.«

Eine Frau in mittleren Jahren, die Wirthschafterin des Propstes, trat ein, nahm dem Propst seinen Pelzmantel ab und brachte ihm einen Hausrock, blies mit dem Blasebalg in den Kamin, legte neue Scheite auf, warf dabei neugierige Blicke auf den Mönch und schien Lust zu haben, sich allerlei im Zimmer zu thun zu machen, um gegenwärtig bleiben zu können.

Der Propst aber sagte zu ihr: »Bringt uns schnell einen Krug Wein, etwas Brod und Schinken, und dann sehet auf den Boden; mich dünkt, die Fenster standen offen und der Schnee wird sich drinnen häufen.«

Ehe nicht die Wirthschafterin wiedergekommen war, das Verlangte gebracht und auf einen kleinen Eichentisch[37] am Kamin zwischen den Lehnstühlen zurechtgestellt, auf denen die Beiden Platz genommen, sprachen sie kein Wort zusammen. Erst da sie sich entfernt, sagte der Propst:

»Nun, Amadeus, Euren Auftrag?«

»Ich habe ihn schon gesagt,« versetzte dieser; »der hochwürdige Abt läßt Euch sagen, uns zwei der geschicktesten Baubrüder aus der Lorenzer Bauhütte zu senden, noch besser, sie mir gleich mitzugeben. Da im Winter ja doch nur in der Hütte und nicht außen an der Kirche gearbeitet werden kann, so meinen wir, Ihr könnet sie jetzt entbehren.«

»Gleich heute geht das nicht,« antwortete Kreß unruhig; »ich muß es erst mit dem Hüttenmeister besprechen – – aber jetzt sind wir allein, hier hört uns Niemand, darum jetzt keine unnützen Redensarten mehr: wie hab't Ihr es angefangen, daß man gerade Euch und gerade mit diesem Auftrag zu mir gesendet?«

»Ich rede die Wahrheit,« antwortete Amadeus; »ich bin still und fromm geworden, habe Buße gethan und verstanden mich selbst zu zähmen, so ist mir der Abt wieder geneigt worden wie vordem. Heute um Mitternacht hatte mich die Pflicht der Buße allein in die Kirche geführt – da sah ich das Sakramentshäuslein[38] zertrümmert, und meldete es dem Abt noch zur selben Stunde zuerst und schlug ihm auch vor, daß wir es eilend wollten durch Nürnberger Baubrüder wieder herstellen lassen, und da er weiß, daß Ihr mir gewogen, und da ich der Erste war, der das Unglück gesehen, so gab er mir Urlaub und sandte mich hierher. Und soll ich weiter die Wahrheit reden: der Abt kümmert sich nicht um die Monogramme Euerer Steinmetzgesellen, ich aber kenne das des Einen und bitte Euch: sendet uns den mit dem Zeichen des Kreises, den das Winkelmaß durchschneidet.«

»Amadeus! was soll daraus werden?« sagte Kreß unruhevoll, lehnte sich bekümmert in seinen Stuhl zurück und drehte hastig einen Daumen um den andern an seinen über den wohlgenährten Leib gefaltenen Händen.

»Da Ihr mir keine Gewißheit geb't, will ich sie mir selbst suchen!« antwortete Amadeus.

»Und wenn Ihr sie hab't, so wird sie Euch in's Verderben stürzen!« warnte der Propst.

Der Mönch lächelte: »Dem bin ich so oder so verfallen, daran liegt nicht das Geringste.«

»Da habt Ihr recht,« antwortete der Propst, »aber mit oder ohne Gewißheit; schon durch Euer Forschen, eine einzige Unvorsichtigkeit, ein verdächtigendes Wort[39] werdet Ihr den edlen Jüngling in's Verderben stürzen, sei er, wer er sei – das bedenkt!«

»Ich werde ihn nicht verrathen,« antwortete Amadeus, »und schon am wenigsten dann, wenn er mein –«

»Halt!« fiel ihm der Propst in's Wort; »Ihr hab't es gezeigt, wie wenig Ihr Eurer mächtig seid! Ich hab' ihm meine Gunst erwiesen, aber nur als wackerem Künstler, und sonst bin ich ihm immer fern geblieben; aber ich habe im Verborgenen über ihn gewacht und ihn geschützt, wo es Noth that. Schon wollte sich der böse Leumund an ihn wagen, schon munkelte man über sein Herkommen und wollte seine Mutter verunglimpfen – noch haben ihn die Zeugnisse geschützt, die er mitgebracht, noch glaubt er denselben fest. Er ist stolz und edel und sein Lebenswandel frei von jedem Makel; er ist hochbegeistert für seine Kunst und kennt kein anderes Streben und kein anderes Glück, als ihr zu dienen: nun drängt Euch an ihn, forscht und spähet und macht ihn selber irre an sich selbst und seinem Herkommen, nehm't ihm die Ruhe des Gemüthes, den freudigen Stolz auf niedere, aber brave Eltern, auf die Zeugnisse der Benediktiner – und Ihr vernichtet in ihm die frohe Kraft des Schaffens, die Zuversicht, die ihn jetzt beseelt; aber noch mehr: findet und bringt[40] Beweise, lähmt seine Hand, seinen Muth, macht ihn zum Lügner und Heuchler – noch mehr: nehmt ihm die ehelichen Eltern, verrathet Alles, was ihr jetzt denkt, im halben Wahnsinn vielleicht hofft – kaum Tage werden vergehen, und er wird ein Ausgestoßener sein aus der Zunft der freien Steinmetzen; Schimpf und Schande wird über ihn kommen, die seine stolze Seele nicht erträgt; mit Fingern wird man auf ihn zeigen, und es wird ihm nirgends eine Freistatt werden für sich und seine Kunst und sein ganzes verfehltes und verunehrtes Leben!«

Anton Kreß hatte lange nicht so viel und im Eifer gesprochen; kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, und wer ihn jetzt gesehen, der konnte ihm manches vergeben und denken, daß in diesem Manne doch ein guter Kern war, an den man nur einmal zu pochen brauchte, so klang er hell und rein, trotz der dichten Hülle alltäglicher Erscheinung, die ihn umgab. In seinen Augen standen Thränen, und während der Ausdruck seines Gesichtes sich drohend auf den Mönch richten sollte, ward er vielmehr angstvoll und flehend.

Dieser starrte vor sich nieder und sagte dann: »Wenn man fünfzehn Jahre im Benediktinerkloster ist, so lernt man sich selbst beherrschen.«[41]

»Das ist nicht wahr, Bruder Amadeus, das ist von Euch nicht war!« antwortete rasch der Propst; »denkt, in welchen Zustand Ihr vor anderthalb Jahren kamet, da Ihr zuerst ihn wiedergesehen, nur seinen Namen und sein Alter erfahren hattet – und als Ihr darauf hörtet: er sei todt!«

»Eben weil ich das nicht vergessen kann!« sagte Amadeus; »es kam zu plötzlich – und ich erlag. Seitdem hab' ich gebüßt und mich geprüft, und bin vorbereitet. Aber wie könnt Ihr denken, daß ich etwas thun oder sagen würde, das Ulrich's Dasein vergiften könnte? Ihr habt Ulrika vor mir verborgen, daß ich weder weiß, ob sie noch unter den Lebenden wandelt oder nicht – und wenn ein Wunder selbst mir Ulrich zugeführt, so habt Ihr kein Recht, Euch dem entgegen zu stemmen.«

Der Propst sah zwar noch kummervoll aus, aber um seinen Mund spielte ein schlaues Lächeln, mit dem er sagte: »Glaubt Ihr wirklich an die Wunder der Heiligen? Die haben wohl auch um Euretwillen das Weihbrodgehäuse umgeworfen? Was bildet Ihr Euch ein, daß sie noch weiter thun werden? – Antwortet mir lieber kurz und bündig: Was gedenkt Ihr zu thun, wenn ich nun wirklich Ulrich von Straßburg und seinen[42] treuen Gefährten, den blonden Hieronymus auf Arbeit in das Kloster sende?«

»Ihr kennt die strengen Regeln des Ordens,« sagte der Mönch: »ich werde ihn nur beim Gebete sehen, und wenn ich mit ihm zu sprechen komme, so wird das nicht allein sein.«

»Ich kenne die gelockerten Ordensregeln,« versetzte der Propst, »und daß es jetzt in den Klöstern nicht so streng hergeht wie ehedem und wie die Welt noch glauben soll, aber doch nicht glaubt: Ihr werdet es schon schlau anfangen, daß ihr mit Ulrich allein zu sprechen kommt – Ihr werdet darum doch keine Ruhe finden und die seine werdet Ihr ihm rauben.«

»Nun denn,« antwortete der Mönch aufstehend, »was hinderte mich denn gleich selbst in die Bauhütte zu gehen, ehe ich zu Euch ging, und dort meinen Auftrag zu sagen?«

»Ihr habt das Paßwort nicht und hättet keinen Einlaß gefunden,« entgegnete der Propst.

»Aber der Hüttenmeister wäre herausgekommen,« versetzte Amadeus, »und ich hätte mein Gesuch vorgebracht; ich hätte auch draußen warten können, bis Ulrich herauskam, und ihn begleiten; noch mehr: als Ihr vorhin beim Meister Kraft mit seiner Ehefrau scherztet,[43] da sah ich Ulrich draußen beim Lindwurm vorübergehen – ich hätte auf ihn zueilen können, mit ihm reden, was ich gewollt, ohne daß ich erst meine Bitten bei Euch erschöpfe. Urtheilt, ob ich mich bezwingen kann und gehorsam sein, daß ich das nicht that? Ich weiß auch, daß er beim Rädleinmacher Sebald beim Sonnenbad wohnt, und könnte jetzt zu ihm gehen, statt mit Euch nutzlose Worte zu wechseln – wenn ich nicht ein Gelübde und noch mehr: wenn ich nicht seine Ruhe berücksichtigen wollte. Was also habt Ihr noch zu fürchten? Kann ich aufrichtiger gegen Euch sein, als ich es gewesen bin? Verdiente ich nicht dafür, daß Ihr es auch wäret? Geb't mir Gewißheit, und Ihr ersparet mir weiter zu forschen!«

»Ich habe selbst keine Gewißheit!« sagte der Propst nach langem Sinnen und mit sich selbst Ringen; »wie oft soll ich es Euch sagen! Er ist nicht der einzige Oblate, der in jenem Kloster erzogen worden, und ich mag keine Nachforschungen anstellen, die ihm schaden könnten. Ich liebe und achte diesen wackern Gesellen und erweise ihm meine Gunst, mag er mir nahe stehen oder nicht; es bringt durchaus keinen Nutzen, Geheimnissen nachzuspüren, bei denen wir Gott danken müssen, daß[44] sie es vor der Welt sind – mögen sie es auch vor uns sein und bleiben.«

»Wohlan!« sagte Amadeus, »so laßt mich Eurem Beispiel folgen – ich will nur thun wie Ihr und Nichts verrathen, was dies alte Herz dabei empfindet.«

Er reichte dem Propst seine Hand; dieser nahm sie, stand auch auf und sagte: »Euch selber träfe der größte Fluch, wenn Ihr Fluch und Schande auf Ulrich brächtet.«

»Ich will Nichts als meine alte Hand segnend auf seinen Scheitel legen – vielleicht find' ich dann die Ruhe, die mir bis jetzt noch niemals geworden.«

»Ich will Euch vertrauen,« sagte Kreß; »vertraut mir auch. Wie Ihr alles Auffallende vermeiden wollt und müßt, will und muß ich es auch. Morgen in der Hütte werd' ich mit dem Hüttenmeister sprechen, ihm sagen, daß Ihr die geschicktesten Steinmetzen verlangt, und daß es eine Ehre für die sein wird, welche wir senden. Ulrich und Hieronymus sind die besten; wählt der Werkmeister sie selbst und schlägt sie vor, so werde ich freudig beistimmen – einen Vorschlag selbst kann und mag ich nicht machen; ich habe Ulrich schon mehr als einmal gegen seine Neider und Feinde geschützt – ich werde Nichts thun, was sie vermehren könnte. –[45] Und nun eilt Euch, damit Ihr zur rechten Zeit heim kommt, ehe sie zur Hora läuten. Dem Abt vermeldet meinen Gruß und daß übermorgen die Steinmetzen kommen würden; die Bedingungen wird ihnen der Werkmeister schriftlich mitgeben. – Da, leert noch einen Becher, ehe Ihr in die Winterkälte hinauswandert.«

»Auf Ulrich's Wohl – und Euch zum Dank!« sagte Amadeus, mit seinem frischgefüllten Humpen an den des Propstes stoßend. Dann zog er die Kaputze über sein Haupt, nahm seinen Wanderstecken und verließ das Haus.

Der Propst sah ihn bekümmert nach und überließ sich eine Weile bangen und traurigen Gedanken. Aber es war seine Gewohnheit, denselben nie zu lange nachzuhängen; er schellte der Wirthschafterin und sagte ihr, daß er noch einmal ausgehen werde – er hatte das Bedürfniß sich in heiterer Gesellschaft zu zerstreuen, und die Collegen und Rathsherren, in deren Mitte er sich bald gesprächig und frohgelaunt wie immer bewegte, merkten ihm nicht an, daß er eben eine so ernste und ihn quälende Unterredung gehabt.[46]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 25-47.
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