Zehntes Capitel
Die Juden

[210] Der Jude Ezechiel, der an dem Abend, wo eine Schaar von einer Zeche heimkehrender Handwerksgesellen ihn überfallen und gehänselt und die Baubrüder ihn beschützt hatten, von der Stadtwache mitgenommen und eingesperrt worden war, mußte mehrere Tage zur Strafe für seinen Gang durch die Stadt zu einer den Juden nicht vergönnten Stunde in einem düstern Loche zubringen, ohne daß sich weiter Jemand um ihn kümmerte.

Es war nicht das erste Mal in seinem Leben, und was ihn dabei jammerte, war nicht sowohl die Haft und der gräßliche Aufenthalt, als die Zeit, die er dabei für sein Geschäft verlor, und die Voraussicht auf die Schuldbuße, die er für sein Betreten des verbotenen Stadttheils zahlen mußte, ganz abgesehen davon, daß er schon auf der Gasse von den Gesellen so gut wie ausgeplündert worden war, und was er von seinen[210] Waaren noch selbst zusammengerafft, das hatte er dennoch nicht gerettet: denn was die Stadtsoldaten und Gefängnißwachen davon für sich verlangten, das mußte er ihnen geben, damit sie nur nicht gar zu unglimpflich gegen ihn verfuhren. Ein Trost war es ihm, daß Rachel entkommen und nicht mit ihm eingefangen war; das hübsche Mädchen wäre in diesen Händen wahrscheinlich einer rohen und schimpflichen Behandlung ausgesetzt gewesen. Aber worin dabei die Hauptfreude des Juden bestand, war, daß auf diese Weise doch der kostbarste Gegenstand, den der letzte Handelsgang in seinen Besitz gebracht, gerettet war: ein Ring von Gold mit einem ganzen Kranz herrlicher Edelsteine besetzt, den er seiner Tochter anstecken ließ, um ihn so unter deren wollenen Fausthandschuhen am sichersten zu wahren. Von dem Ritter von Streitberg, der wieder auf Weyspriach's Schlosse eingekehrt war, ehe er nach Nürnberg kam, hatte er diesen Ring zum Pfand gegen Darleihung einer ziemlich großen Geldsumme erhalten, die der Ritter bedurfte, um standesgemäß zur Zeit des Reichstags in Nürnberg zu erscheinen. Aber es sollte nur ein Pfand sein, das der Ritter versprochen in vier Wochen wieder einzulösen; bis dahin hoffte er das Geld zu erhalten – wenn nicht durch seine rechtmäßigen Einkünfte: durch[211] Straßenraub oder Glücksspiel, denn in dem damals noch nicht lange aufgekommenen Kartenspiel, das, ursprünglich als ein Kriegsspiel, eine beispiellos schnelle Verbreitung fand, wie denn in Nürnberg es bald eine ganze Zunft von Kartenmachern und Malern gab. Der Jude aber hatte schon oft erfahren, daß die Verfallzeit solcher Pfänder kam, ehe sie eingelös't waren, und daß auf diese Weise sich die besten Geschäfte machen ließen. Er hatte dieselbe Hoffnung auch in diesem Falle.

Indeß war Rachel in derselben Nacht, in der Ulrich sie beschützt hatte, durch die finstersten Gäßlein sich schleichend, wohlbehalten in ihre Wohnung gekommen, in der ihr Bruder Benjamin zurückgeblieben. Nicht ohne Mühe hatte sie den Schlafenden erweckt, der nun in dieser Winternacht die Seinen nicht mehr erwartet hatte.

Sie erzählte ihm, was vorgefallen. Der Bruder wunderte sich höchlich, daß sie christliche Beschützer gefunden und noch dazu hochmüthige Baubrüder, die da vollends meinten, wie er sich ausdrückte, aus ganz anderem besonderen Teige geschaffen zu sein, denn andere Menschenkinder. Rachel sagte ihm aber nicht die Namen derselben, noch daß sie schon seit früher sie kenne – alles, was sie hierauf bezog, war und blieb ihr Geheimniß.[212] – So wenig wie sie, so wenig wußte Benjamin einen Rath für den Vater; da er weiter nichts verbrochen, so hofften sie, daß man ihn nach einigen Tagen wieder entlassen werde, und daß ihnen nichts übrig bliebe, als ruhig auf ihn zu warten.

Erst am Morgen, da sich Rachel auf die Ereignisse der Nacht wieder besann, entdeckte sie mit Schrecken den Verlust des köstlichen Ringes, dessen sorgfältige Bewahrung ihr der Vater auf die Seele gebunden. Vergeblich suchte sie in ihrer Wohnung überall danach, wo sie ihre Sachen abgelegt. Hier war er nicht. Unterwegs konnte sie ihn nicht verloren haben, da sie die Handschuhe darüber getragen. Sie besann sich, daß sie diese in der Behausung der Baubrüder ausgezogen und erst an der Hausthür wieder an. Dort nur konnte er sein. Was blieb ihr anders übrig, als dort danach zu suchen, zu fragen?

Aber sie durfte sich nicht am Tage dahin wagen, auch hatte sie nicht den Muth, Jemand anders als Ulrich danach zu fragen, und darum mußte sie die Stunde des Feierabends abwarten. Indeß war es ihr unmöglich den ersten Tag auszugehen, sie fürchtete ihrem Bruder von dem Verlust zu sagen, und ohne genügenden Grund zum Ausgang ließ er sie nicht fort; es kamen[213] auch immer Leute, die es verhinderten, Judennachbaren und die ganze Sippe, die sich theilnehmend und wehklagend nach Ezechiel erkundigten. Endlich am zweiten Abend, wo Benjamin auch ausgegangen, konnte Rachel sich fortschleichen.

Aber als sie glücklich das Haus des Rädleinmachers Sebald erreicht und sich im Finstern die Treppe hinaufgeschlichen hatte, nun an der Thür lauschte, die zu den Baubrüdern führte, ob sie dieselben darin sprechen höre und ob sie allein seien – kam Frau Martha aus der entgegengesetzten Thür, einen brennenden Kienspan in der Hand. Als sie das Judenmädchen erkannte, stieß sie einen Schrei des Abscheues aus, dem bald die schrecklichsten Schimpfreden folgten.

»Verzeiht!« entgegnete Rachel zitternd; »ich wollte nur nach einem Ring fragen, den ich vorgestern hier verloren.«

»Das ist eine elende Finte!« rief Martha; »Du gemeine, freche Dirne! ich müßte nicht wissen, warum Du kommst! Aber Du kamst auf alle Fälle umsonst, denn beide Baubrüder sind weder hier, noch in Nürnberg, sondern heute in's Kloster zum heiligen Kreuz gegangen; dort wird Ulrich von Straßburg dafür Buße thun, daß er sich mit Dir eingelassen und Schimpf und[214] Schande über dies Haus gebracht – nie wird er wieder hierher zurückkehren. Nun weißt Du wohl genug – mache, daß Du fortkommst, Du schändlicher Balg!«

»O Gott!« rief Rachel; »Euer Schimpf trifft mich unverdient – ich kam um den kostbaren Ring –«

»Spare Deine Lügen, mir machst Du nichts weiß!« eiferte die Alte, »und wenn es wahr wäre, so laß Dir gesagt sein, daß Niemand von uns einen Ring aufheben wird, den Du verloren – wir haben weder Verlangen nach Hexengold, noch nach Sündenlohn. Unterstehst Du Dich wieder zu kommen, so lass' ich Dich vom Meister hinauswerfen und auf die Büttelei schaffen – heute will ich's noch selber thun!« Sie riß das Mädchen am Arme, gab ihr von hinten einen Fußtritt. der sie einige Stufen der Stiege hinabschleuderte, und spie nach ihr.

So ward Rachel vertrieben.

Das war das Resultat einer Stunde, die sie mit großen Schwierigkeiten erkauft und auf die sie ganz andere Hoffnungen gesetzt hatte. Die Behandlung, die sie erfahren, erregte ihren ganzen Zorn und alle Bitterkeit und Verzweiflung, über das Loos voll Schimpf und Qual, dem sie durch ihr ganzes Volk verfallen war, drohte ihr Herz zu zersprengen: dazu kam der Schmerz,[215] daß sie Ulrich nicht wiedergesehen, ihn nie wiedersehen werde, wenn er wirklich in's Kloster gegangen, um ein Mönch zu werden, wie sie denken mußte – und dazu kam noch ein anderer unklarer Gedanke, indem hinter einem tiefen Weh doch eine heimliche Freude lauerte: war er in's Kloster gegangen – um ihretwillen? um zu büßen – oder um sich zu bewahren? – Und diese Fragen verscheuchte wieder die Angst: was der Vater sagen werde, wenn sie gestehen mußte, daß der Ring verloren.

So waren die verschiedensten Empfindungen in ihr aufgeregt und alle waren sie quälender Art. Da hörte sie, nachdem Benjamin Erkundigungen nach dem Vater eingezogen, daß er zu zwei Wochen Gefängniß bei Wasser und Brod im finstern Keller und zu einer großen Geldbuße verurtheilt sei wegen nächtlicher Betretung eines um diese Stunde den Juden verbotenen Stadttheils und Betheiligung am nächtlichen Unfug. Natürlich war das nur bittere Nachricht für die Kinder, die an dem Vater hingen, und doppelt, weil sie wußten, wie viel er schon unter dem nächtlichen Unfug gelitten und wie wenig er ihn selbst verschuldet. Aber sie waren es schon gewohnt, daß da, wo Juden und Christen zusammen gekommen waren, allemal gegen die Juden[216] entschieden ward, auch wenn das Recht auf ihrer Seite sonnenklar gewesen.

Inzwischen kam die alte Jacobea mehrmals und fragte nach Ezechiel. Rachel haßte die Alte, von der sie wußte, daß sie sich immer nur zu bösen Anschlägen gebrauchen ließ, und suchte sie immer kurz mit dem Bemerken abzuweisen, daß ihr Vater wohl noch lange im Gefängnisse schmachten müsse; wenn er frei sei, möge er selbst zu ihr kommen, wenn sie Nöthiges mit ihm zu reden habe.

Die Alte, welche dem Mädchen mißtraute, ging trotzig fort, und kam dennoch wieder gleich am Tage nach Ezechiel's Freilassung. Rachel hatte nichts von ihr gesagt. Jacobea sagte ihm dies als neuen Beweis, daß seiner Tochter nicht zu trauen sei – und drang darum in ihn, mit ihr unter vier Augen zu sprechen und Rachel nicht erfahren zu lassen, was sie jetzt verhandelten.

Dann sagte sie ihm, daß der Ritter von Streitberg bei seinem jetzigen Herritt nach Nürnberg demselben Baubruder, Ulrich von Straßburg, begegnet sei, den er gehofft habe im Kampf um die Frau Scheurl ermordet zu haben. Oder vielmehr, er nannte uns Lügner, die wir ihm die Nachricht von seinem Tode gebracht hatten,[217] den wir damals doch wirklich glaubten, oder dann doch wenigstens hofften, daß er an den Wunden auf dem langen Krankenlager sterben, oder doch wenigstens zeitlebens ein Krüppel bleiben werde. Zweimal also hatte er ihn als seinen Beleidiger und als den Beschützer der Scheurl getroffen – und jetzt war dieser kaum seiner ansichtig geworden, als er auch schon dem Junker Pirkheimer einen Auftrag an sie gegeben, der es deutlich verrathen habe, daß sie in genauen Beziehungen zu einander ständen. Und da ich eingestehen mußte, daß es uns voriges Jahr noch nicht gelungen, einen Makel auf seine Geburt und seine Mutter zu werfen, so hat er nun einen neuen Racheplan ausgedacht, Beide zusammen zu verderben: dem Paare Gelegenheit zu heimlichen und verbrecherischen Zusammenkünften zu geben, und sie da Beide der Rache des Gatten und der öffentlichen Schande preiszugeben, die für sie doppelt groß ist, mit einem Steinmetzgesellen sich eingelassen zu haben – ihn aber träfe harte Strafe und wahrscheinlich Ausstoßung aus der Bauhütte.

Ezechiel schüttelte den Kopf und meinte, daß dies eine Sache sei, die gar nicht in sein Geschäft schlage, mit der er sich darum nicht einlassen könne und sie allein der klugen Jacobea überlassen müsse.[218]

»O was Ihr kurzsichtig seid!« rief diese; »hätte das in meinem Leben nicht von dem weisen Ezechiel gedacht! Aber freilich, das Eine könnt Ihr nicht wissen, wenn Ihr nicht selbst darauf gekommen seid, weil in dem Ring, den Euch Streitberg gegeben, ein E B steht.«

»So genau hab' ich mir noch gar nicht angeschaut den Ring,« versetzte der Jude.

»E B,« wiederholte Jacobea: »das heißt Elisabeth Behaim – den hat sie als Mädchen dem Ritter von Streitberg gegeben. Da sie nun nichts mehr von ihm wissen will, so wird ihr sehr viel daran liegen, wenn sie ihn wieder in ihre Hände bekommt. Gehet darum damit zu ihr – sag't ihr, daß ihn Euch Streitberg zum Pfande gegeben, und daß Ihr ihr ihn für dasselbe Geld lassen wollt – wenn ihr damit gedient sei.«

»Lassen für dasselbe Geld?« rief der Jude; »oho! ich glaube, da ist zu machen ein gutes Geschäftchen!«

»Das mein' ich wohl auch!« rief Jacobea; »es ist, als hättet Ihr in einen Glückshafen gegriffen, daß der Ring in Euren Händen. Dadurch, daß ihr ihn ausliefert, erwerbt Ihr Euch das Vertrauen der stolzen Frau – und dadurch, daß sie sieht, Ihr wißt ihr Geheimniß, hab't Ihr sie schon ganz in den Händen. Wer einmal eins von einer solchen Frau weiß, dem[219] vertraut sie auch noch ein zweites an. O müßt' ich nur nicht fürchten, von ihr erkannt zu werden, ich wollte diese Sache vortrefflich anfangen! Ihr redet dann von Ulrich von Straßburg, sag't, wie Euch sein Schwert beschützt, und daß Ihr ihm zu lebenslänglichem Dank verpflichtet seid –«

»Meint Ihr das nicht im Ernst?« fragte Ezechiel.

»Ei ja doch! dafür, daß er Euch der Wache übergab und ihr so schwere Strafe bekommen hab't!« lachte Jacobea höhnisch.

In dieser Weise ging die Unterredung noch eine Weile fort und in's Genauere ein im Hin- und Herberathen.

Als Jacobea fort war, verlangte Ezechiel von Rachel den Ring: es war ihm gar nicht eingefallen, daß er nicht da sein könnte, er hielt ihn für gut aufgehoben bei den andern Kleinodien.

Da mußte Rachel das Geständniß machen, daß sie ihn verloren.

Ezechiel brach in Jammer und Wuth darüber aus; erst hielt er es für unglaublich – ja er glaubte, Rachel könne irgend wodurch geahnt oder gehört haben, daß Jacobea irgend einen Plan mit dem Ringe verbinde, und ihn deshalb verstecken, weil sie immer nichts von[220] der Alten wissen wollte und es schon eben jetzt auf's Neue durch ihr Betragen bewiesen; aber die Tochter schwor hoch und theuer, daß sie nicht wisse, wo der Ring hingekommen, und gestand endlich, daß sie ihn im Hause des Meisters Sebald verloren, in das sie sich geflüchtet, weil aus diesem die Baubrüder gekommen, die ihnen geholfen hätten und die sie dann auch ein paar Stunden in einer finsteren Kammer versteckt, bis es draußen ruhig geworden und sie sicher habe nach Hause gehen können. Und dort und nirgend anders könne sie den Ring mit dem Handschuh abgestreift haben. Daß ihr die beiden Baubrüder und ihre Wohnung schon von früher gar wohl bekannt, verschwieg sie, wie es auch immer ihr alleiniges Geheimniß geblieben war, daß sie in Männerkleidern während Ulrich's Krankheit häufig dahin gegangen war und ihm allerlei Unterstützungen gebracht hatte – Gegenstände, die sie freilich ihrem Vater veruntreut: aber doch nur so, daß sie vorgab, dieselben in seinem Trödlerkram verkauft zu haben und das Geld dafür behalten zu dürfen bat, um es zu irgend einem Bedürfniß, Kleidungsstück oder dergleichen für sich verwenden zu dürfen; denn eine solche Bitte schlug ihr der Vater niemals ab, der sie gern geputzt sah, um den Reichthum des Vaters zu bezeigen – natürlich[221] nicht auf der Straße, wo dergleichen den Juden verboten war und Ezechiel sich auch immer den Christen und besonders der christlichen Obrigkeit gegenüber arm zu stellen suchte, damit er nicht noch mehr von ihr gebrandschatzt würde, sondern bei den jüdischen Festen, die sie nur in ihren Häusern und in der Synagoge, allein unter ihren Glaubensgenossen feierten.

Wohl aber erzählte sie, daß sie die Baubrüder Ulrich und Hieronymus nach dem Ringe habe fragen wollen, daß sie aber von deren Mutter Martha mit Schimpf empfangen und zur Treppe hinabgeworfen worden sei – zugleich auch die Nachricht erhalten habe, daß die beiden Baubrüder in's Kloster zum heiligen Kreuz gegangen seien.

»Gewiß hat die Alte den Ring und verhehlt ihn nur, um selbst damit zu machen ein gutes Geschäft; diese Christen denken ja noch obendrein, daß es verdienstlich ist, den Juden abzujagen so sauer erworbenes Gut. Du hättest laufen sollen zu allen Goldschmieden Nürnbergs und beschreiben den Ring, damit keiner ihn etwa kaufe, sondern der Frau abnehmen, wozu sie auf unrechte Weise gekommen.«

»Ich wußte ja nicht, ob Jemand wissen durfte, daß der Ring uns anvertraut worden sei,« sagte Rachel.[222]

»Ach, wenn es sich handelt um einen so großen Verlust, darf man sich von keinem Bedenken abhalten lassen, wiederzukommen zu seinem Kleinod oder dem Geld,« belehrte der Vater.

»Die Baubrüder sind ehrlich,« sagte Rachel, »und wenigstens Ulrich von Straßburg kennt kein Ansehen der Person; wenn der den Ring hat gefunden, so giebt er ihn uns ganz gewiß wieder heraus.«

»Hast ein gutes Zutrauen zu diesen christlichen Bauleuten!« höhnte der Alte; »das sind die Rechten.«

»Sie haben uns ja geholfen –«

»Nur um mit den andern Gesellen Streit anzufangen und mich in's Loch zu bringen – schöne Hülfe!«

»Nein, daran sind sie unschuldig; ich danke meine Rettung ganz allein diesem Ulrich; er hat mich nicht nur auf der Straße, er hat mich auch im Hause vor der rohen Frau beschützt. Wenn er weiß, wo der Ring hingekommen, so hilft er uns zu unserem Eigenthum – darauf schwör' ich!«

»Du redest, wie Du es verstehst! Wenn ihn hat der Ulrich, so ist das gerade das allergrößte Unglück. Der giebt ihn der Scheurlin – und dann sind wir Alle geprellt.«

Rachel starrte den Vater fragend an.[223]

»Hast Du nicht gesehen, daß in dem Ring ein E B steht? Er hat einst Elisabeth Behaim gehört. Daran wird der Ulrich gleich denken, mit dem sie sich eingelassen, und wird ihr ihn geben« – – Aber Ezechiel besann sich, daß er eben Jacobea versprochen, seine Tochter von ihrem Plan nichts ahnen zu lassen, und so schwieg er. Er hatte sich niedergesetzt, die Ellenbogen auf den Schooß gestemmt und den Oberkörper vorgebeugt hatte er sein runzliches Gesicht in die Hände gedrückt, daß nur der lange Bart darunter hervorwallte, und so saß er da und sann nach, wie er diese Sachen noch leiten könne. Nach langem Schweigen sich wieder aufrichtend sagte er:

»Vor allen Dingen mußt Du doch zu den Goldschmieden gehen und fragen, ob ihnen Jemand hat zu verkaufen gebracht den Ring oder wirklich verkauft.«

Rachel schickte sich an zu gehorchen, ohne weiter ein Wort zu erwiedern. Aber auch sie hatte dabei ihre stillen Gedanken. Was redete da der Vater von Ulrich und der Scheurl? Was wußte er weiter, was konnte er wissen, als daß damals der Baubruder sein Leben gewagt, und war das doch auf ihre, Rachel's Veranlassung geschehen, hatte doch damals erst Ulrich noch erklärt, daß ihm die Scheurl nichts anginge, und daß[224] lieber Rachel selbst sie warnen möge – nur auf ihre Bitten hatte er Jener sich angenommen. Dann, wußte sie, waren Beide, Elisabeth wie Ulrich, gleichzeitig über ein halbes Jahr in Todesgefahr gewesen und hatten so in keiner Weise einander sich nähern können. War es nachher geschehen – oder dachte es nur ihr Vater, hatte nur Streitberg diesen Verdacht? Rachel war wohl selbst noch unschuldig und rein geblieben; aber in der gemeinen Sphäre, in der sie lebte, in der sie nicht nur selbst die gemeinsten und unsittlichsten Dinge geschehen sah, sondern es oft mit anhören mußte, wie gerade die christlichen Vornehmen der Stadt niedere Buhlschaft trieben und zur Ausführung dahin führender Bubenstücke sich ihres Vaters oder der alten Jacobea bedient: da hatte sie gerade keinen großen Respect vor der Unschuld und Tugend der honetten Nürnberger. Elisabeth's hohe Schönheit und die Art von Stolz und Freiheit, mit der sie sich über manche hergebrachte Form hinwegsetzte, hatten schon zu manchem nachtheiligen Gerücht über sie Veranlassung gegeben – und seit jetzt König Max, der sie bei seinem ersten Hiersein so öffentlich ausgezeichnet, gar in ihrem eigenen Hause eingekehrt war, nannte sie der gemeine Volkshaufe seine heimliche Buhlerin, und fand eine neue Bestätigung dafür darin,[225] daß ihrem Gatten der König den Adel verliehen. Freilich war es nun ein weiter Abstand von dem höchsten Haupte in Deutschland, das die römische Königskrone trug und dazu bald auch die deutsche Kaiserkrone fügen würde, bis zu dem armen Steinmetzgesellen herab, der nichts sein nannte – nicht einmal einen Namen. Aber für Rachel erschien dieser Abstand ausgeglichen – in ihren Augen gab es keinen edleren, herrlicheren Mann als diesen Baubruder – sie fand es ganz in der Ordnung, wenn das Weib, für das er sein Leben gewagt, ihn in ihr Herz geschlossen hatte; aber eben so überzeugt war sie von Ulrich's hohem sittlichen Werth, daß er weder sein Gelübde der Keuschheit verletzen, noch gar ein ehebrecherisches Verhältniß eingehen werde. Was sie jetzt von ihrem Vater gehört, hielt sie für Lüge, und nur das für möglich, daß zwischen Elisabeth und Ulrich ein Band der Dankbarkeit sich geknüpft haben könne – wie ja auch zwischen ihm und ihr selbst, und daß es jetzt mehr als je ihre Pflicht sei, Alles daran zu setzen, Ulrich vor den finstern Plänen zu behüten, die jedenfalls gegen ihn im Werke waren, und wieder unter der eigenen Betheiligung ihres Vaters – wenn nicht Ulrich dagegen schon Schutz im Kloster gefunden. Aber bei der Vorstellung, er könne für immer dahinein gegangen[226] sein, empfand Rachel doch einen heißen Schmerz, der ihr bittere Thränen erpreßte: denn dann sah sie ihn ja niemals wieder und konnte die Schuld der Dankbarkeit nicht abzahlen, die sie gegen ihn empfand.

Dies Alles überlegend war sie in die Stadt und in die Goldschmiedsstraße gekommen, wo die meisten Gold- und Silberarbeiter wohnten. Die meisten von ihnen machten mit den Juden heimliche Geschäfte, und so war bei ihnen die Jüdin weder eine fremde, noch gar zu mißliebige Erscheinung. Aber bei Allen erhielt sie auf ihre Frage nach dem Ringe dieselbe Antwort. Es hatte keiner einen solchen zu sehen bekommen, und so beschrieb sie ihn nur für den Fall, daß ihn etwa später noch Jemand zum Verkauf böte.

Dann ging sie auch in die Winklerstraße zum Goldschmied Albrecht Dürer. Er war nicht allein. Sein alter Freund, der Harfenschläger und Mechaniker Hans Frey, war bei ihm, so wie der Junker Willibald Pirkheimer. Vater Dürer hatte gestern einen Brief von seinem Sohn Albrecht erhalten, der nun seit länger als einem Jahre in Calmar lebte, wo er den berühmten Maler Martin Schöngauer zwar nicht mehr am Leben gefunden hatte, aber von dessen Brüdern Schön (Schöngauer war nur der angenommene Künstlername des[227] Malers) herzlich aufgenommen worden war. Jetzt wollte er seinen Wanderstab weiter setzen und in deutschen Landen lernen, um in ein paar Jahren wieder nach Nürnberg zurückzukehren. Ein Brief des Lieblingssohnes war immer ein Ereigniß in dem Leben des Vaters Dürer von größter Wichtigkeit und Freude, und um diese mit Andern zu theilen, von denen er wußte, daß sie den Jüngling eben so herzlich liebten, hatte er Frey und Willibald zu sich rufen lassen, damit sie auch mit von Albrecht hörten. Willibald war der geeignetste Vorleser für die Worte der ihm wohlbekannten Freundeshand.

Die Drei sahen nicht eben freundlich auf, als durch den Eintritt des Judenmädchens eine Störung in ihre Vorlesung kam. Kurz beantwortete Meister Dürer ihre Frage nach dem Ringe mit Nein.

Dennoch zögerte Rachel zu gehen; sie hatte vorhin Willibald von dem alten Frey Junker Pirkheimer nennen hören, und besann sich, daß sie ihn früher in Ulrich's Gesellschaft gesehen – wer weiß, wußte nicht dieser, was ihn in's Kloster getrieben, denn sie selbst wußte nicht, daß Willibald inzwischen von Nürnberg entfernt gewesen. Sie faßte sich darum ein Herz und sagte sich an ihn wendend:[228]

»Verzeiht, Junker Pirkheimer, aber mich dünkt, daß Ihr mit dem Baubruder Ulrich von Straßburg bekannt seid; er hat uns in großer Gefahr beigestanden, und mein Vater möchte ihm gern einen Theil seiner Dankesschuld bezahlen; er ist jetzt nicht in Nürnberg, und wir wüßten gern, ob und wann er wieder hierher zurückkehrt.«

Willibald maß das Mädchen mit verwunderten Blicken – einmal, daß die Jüdin es überhaupt wagte, ihn anzureden, und dann, daß sie nach einem Baubruder fragte. Er antwortete kurz: »Wann er wieder zurückkommt, weiß ich nicht. Jetzt ist er wohl noch auf Arbeit im Benediktinerkloster zum heiligen Kreuz, in das er mit seinem Kameraden berufen ward.«

Rachel wußte genug, dankte und ging. Mit dieser Nachricht kam sie heim. Ihr Herz war leicht, denn Ulrich war nicht in's Kloster gegangen, um Mönch zu werden! Ihrem Vater brachte sie die gewisse Kunde, wo er war und daß er später, aber wohl noch nicht gleich zurückkehren werde.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte er, »wir müssen in's Kloster – die Baubrüder müssen uns Rede stehen, ob sie nicht gefunden den Ring; wenn sie[229] nicht gutwillig Rede stehen, muß es versucht werden mit List und Drohung.

Rachel's Augen strahlten von der Hoffnung Ulrich wiederzusehen. Zuversichtlich sagte sie: »Mit Drohung richtet Ihr bei dem nichts aus – laßt mich ihn bitten, und er wird uns den Ring geben, wenn er ihn gefunden, oder wenn ihn Jemand sonst im Hause hat, versuchen, uns dazu zu verhelfen.«[230]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 210-231.
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