Elftes Capitel
Vater und Sohn

[231] Wieder waren mehrere Tage nach jener nächtlichen Unterredung zwischen Ulrich und Konrad vergangen, und die Wiederherstellung des Tabernakels beinahe vollendet, als der Novize zu dem Baubruder sagte:

»Diese Nacht wird es möglich sein. Warte um Mitternacht vor Deiner Thür – ich hole Dich ab sobald ich kann.«

Schon lange vor dieser Zeit, sobald Ulrich merkte, daß Hieronymus fest schlief, der einen gesunden festen Schlaf hatte und nicht eher aufwachte, bis zur gewohnten Stunde zum Aufstehen, wenn er nicht mit Gewalt geweckt ward, stand er vor seiner Zellenthür. Heute schien der Mond nicht mehr, es war ganz still und finster im Kloster.

Todtenstille – Finsterniß und Kälte – es war eine schaurige Nacht![231]

In Ulrich nur pochte es laut und heiß von den Schlägen seines Herzens, wenn auch kalte Schauer ihn überrieselten – und die Finsterniß, die über seinem Leben lag, drohte ein schreckliches Licht zu erhellen, das vielleicht zur Brandfackel werden konnte, all' seine Zukunftspläne und Hoffnungen zu verzehren! War es kein Frevel, daß er selbst die Hand danach ausstreckte und nach den Funken dieses schrecklichen Lichtes begehrte?

Er fühlte, er konnte und durfte nicht anders handeln.

Endlich kamen ganz leise Tritte; er rührte sich nicht, bis eine leise Stimme rief: »Ulrich, komm! Wo ist Deine Hand?«

»Konrad, hier!« antwortete Ulrich eben so leise und reichte ihm die Hand.

»Ich muß Dich führen,« flüsterte jener; »wir haben einen weiten Weg, aber sprich nicht und halte Dich nur an mich. Tappe nicht an den Wänden, Du könntest Thüren streifen, hinter denen man nicht fest schliefe; es wäre schlimm für uns Beide, wenn man uns entdeckte.«

»Du wagst so viel um meinetwillen!« seufzte Ulrich.

»Wir sind Baubrüder!« antwortete Konrad; »ich halte fest an dem Gelübde von einst! – Aber nun still, keinen Laut mehr!«[232]

So wandelten sie schweigend weiter durch die finstern Gewölbe. Bald schienen es, dem Hall der Fußtritte nach, obwohl Beide mit bloßen Füßen wandelten, weite Hallen zu sein, bald waren es enge Gänge und Biegungen, wo sie an den Seiten die Wände streiften. Konrad hatte recht: es war ein weiter, endlos scheinender Weg. Dann stiegen sie eine Treppe hinab, und daran schloß sich wieder ein enger Gang, noch schmaler als jeder frühere – eine kellerartige Luft voll Dumpfheit und Moder herrschte hier.

»Jetzt können wir Licht machen!« sagte Konrad, nachdem er eine Eisenthür aufgeschlossen und wieder hinter sich zugemacht hatte; »wenn nur der Zunder fängt in der feuchten Luft.«

»Sind wir am Ziel?« fragte Ulrich.

»Wir haben nicht mehr weit – hier können wir auch sprechen, da hört uns Niemand. Hast Du die Uhr im Kopfe? Länger als eine Stunde können wir uns nicht verweilen,« sagte Konrad, indem er den Stahl an den Feuerstein schlug.

»Wie hast Du es heute möglich gemacht mich hierher zu führen?« sagte Ulrich; »oder warum nicht schon früher – kein Mensch ist uns begegnet.«[233]

»Sieh,« sagte Konrad, »das hab' ich ausgekundschaftet: dort hinter jener Thüre führt ein unterirdischer Gang bis in eine Kapelle, die am Waldessaume steht; der Weg ist gegraben worden, um für den Fall einer Belagerung oder eines Ueberfalles hier einen Ausgangspunkt zu haben; aber freilich wird er oft auch benutzt, wenn Einer der Obern sich einmal ohne Erlaubniß auf ein paar Stunden aus dem Kloster entfernen will. Da ich heraus bekam, daß dies Einer heute beabsichtigte, und weiß, daß die Thür nur von innen geöffnet werden kann und dann offen bleiben muß, so wußte ich, daß der Weg uns frei sein würde; aber wir dürfen nicht lange säumen – Jener ist schon ein paar Stunden fort und man weiß nicht, wann er zurückkommt – ich konnte nicht eher unbemerkt aus meiner Zelle.«

»Aber wo hast Du den Schlüssel her zu Amadeus Gefängniß?« fragte Ulrich.

»Schlüssel?« sagte Konrad verwundert; »den giebt es nicht – er ist eingemauert.«

»Eingemauert?« rief Ulrich; »wir können nicht zu ihm?«

Konrad's Zunder hatte endlich gefangen, indeß lange alle Funken aus dem Stahl vergeblich hervorgesprungen waren. Jetzt zündete er damit ein kleines Lämpchen[234] an, das er in einer Art Blechlaterne unter seiner Kutte verborgen bei sich getragen. Während er noch den Zunder anblies, konnte er nicht antworten; der glimmende Docht warf einen blendenden Schein auf Ulrich's todtbleich gewordenes Gesicht.

»Ich meinte, ich hätte Dir das gesagt,« antwortete Konrad jetzt dem Entsetzten. »Es ist hier eine Reihe solcher Katakomben. Wenn eine spätere Zeit diese Löcher öffnet und Menschengebeine darin findet, wird sie meinen, es seien hier Todtengrüfte gewesen – nun, es sind auch welche, aber für die lebendig Begrabenen. – Weil Amadeus sein Verbrechen als Wahnsinniger büßt, so hat man ihn nicht zum Tode verurtheilt. Man hat ihn nur hier eingemauert, aber ein Loch in der Mauer gelassen, durch das man ihm täglich Wasser und Brod hereinschiebt und Gebete vorspricht.«

»Das ist gräßlich!« rief Ulrich; »da wäre ja der Tod eine mildere Strafe!«

»Ich glaube, er wird bei ihm nicht lange auf sich warten lassen – indeß so lang' er noch lebt, wird er nach einer Labe schmachten; ich konnte es nicht über's Herz bringen, hierher zu gehen, ohne sie ihm zu bieten – warte, laß mich erst allein zu ihm – ich glaube, hier ist das Loch.«[235]

Er leuchtete an der Wand hin, wo man frischgemauerte Steine sah; ungefähr eine Elle vom Erdboden entfernt war zwischen den Steinen ein Raum von etwa einer halben Elle ein Quadrat gelassen. Konrad brachte die Lampe dahin und rief: »Amadeus!«

»Licht – wer kommt?« rief von innen eine heisere Stimme; »ist denn schon wieder ein Tag vorbei?«

»Nein,« antwortete Konrad; »sieh her – ich bin Konrad, den Mitleid zu Dir treibt – hier ist einmal Wein statt Wasser!« Er schob eine thönerne Flasche durch die Oeffnung und sagte: »Da nimm und trink'!«

»Dank!« rief es von innen und man hörte gierig schlucken. Dann rief Amadeus: »Gott, was hast Du gethan! wozu hab' ich mich verführen lassen! – Verhungern will ich, damit dies gräßliche Leben ende! und nun wird es noch länger währen – das vergaß ich über das thierische Bedürfniß. Aber habe Dank, daß Du kamst – mit Dir kann ich reden – sind die Baubrüder noch im Kloster?«

»Ja,« antwortete Konrad, »und Ulrich von Straßburg ist in Verzweiflung über Dein Loos, weil er meint Deine That an das Licht gebracht zu haben.«

»In Verzweiflung?« fragte Amadeus. »Sage ihm,[236] daß ich ihm vergeben – aber daß ich nicht wahnsinnig bin. Nicht wahr, Du bist auch ein Baubruder gewesen?«

»Ja darum bin ich sein Bruder,« antwortete Konrad.

»Nun, dann sage ihm allein – aber Niemanden Andern, daß ich den Frevel mit Wohlbedacht beging; ich wünschte Ulrich einmal zu sehen und zu sprechen – und damit er in's Kloster selbst beschieden würde, schien es mir zweckmäßig, eine Arbeit für den geschicktesten Baubruder nöthig zu machen – darum zertrümmerte ich das zierlichste Werk in der Kirche! aber das sage ich nur Dir für ihn – die Andern mögen immerhin glauben, daß, was ich klug berechnet, eine That des Wahnsinnes und blinder Wuth gewesen! Bring' ihm meinen Gruß und meinen Segen.«

»Geb't ihn ihm selbst – hier ist er!« antwortete Konrad, und indem er sich von der Oeffnung zurück zog, neigte sich Ulrich an diese Stelle.

»Amadeus!« sagte er in tiefster Seele bewegt, »ich habe Euere Worte vernommen – die eigene Unruhe und Angst trieben mich hierher – ich wäre längst gekommen, wenn es möglich gewesen wäre!« Er neigte sein Haupt durch die Oeffnung, der Schein der Lampe fiel voll auf sein edles Antlitz.[237]

Amadeus preßte dieses Haupt zwischen seine beiden Hände und starrte auf Ulrich. »Habe Dank, daß Du kommst – ich wollte Dich nur einmal sehen und meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen. Beim ersten Sehen, da Du meinen Rosenkranz zerrissest, floh ich vor Dir, weil Du Ulriken glichest – mir war, als habe ich ihr Gespenst gesehen. Seitdem konnt' ich keine Ruhe finden – alle Schmerzen und Wünsche, die ich seit länger als einem Jahrzehent mit mir selbst in diesen Mauern begraben wähnte, wachten in mir auf; damals war ich allerdings wie wahnsinnig – ich wüthete gegen mich selbst und das Kleid, das ich trug – dann geißelte ich mich selbst und ließ mich geißeln, bis ich ein hitziges Fieber bekam und still ward – und dann hieß es, ich habe Buße gethan und sei genesen und wieder begnadigt!«

»Ihr kanntet meine Mutter?« unterbrach ihn Ulrich.

»Ob ich sie kannte?« rief Amadeus; »so Zug für Zug lebt ihr Bild in meinem Herzen, daß ich an ihm Dich erkannte! Wenn sie noch lebt, so sage ihr –«

»O Gott!« rief Ulrich, »ich weiß nichts von ihr, von dem Augenblick an, wo unser Heimathdorf im Elsaß verwüstet ward, indeß ich im Kloster eine Zuflucht gefunden – sag't mir, was Ihr von ihr wißt!«[238]

»Es ist doch besser, ich nehme das Geheimniß mit in das Grab,« sagte Amadeus nach einigem Besinnen; »oder vielmehr ich behalte es darin – ich bin schon im Grabe! – Ulrich, wenn es sich Dir jemals entschleiert, so mache Dir dennoch keinen Vorwurf, daß Du mich in dies Grab gebracht; es ist eine Sühne für meine Schuld und Rache für Deine Mutter; Du warst berufen dies Amt zu vollstrecken – ich will meine Hand segnend auf Dein Haupt legen. Du hast es nun schon gehört, daß es nicht gemeine Bestialität meiner Natur war, die mich den Frevel an dem Heiligthum begehen hieß, für den Du so entsetzlich strafende Worte hattest, daß ich erst in diesem Augenblick, da Du sie sprachst, fühlte, ich habe wirklich eine Schandthat begangen. Es war ein Frevel und eine Verirrung – aber in dem Augenblick einer ungezügelten Sehnsucht überlegt man weiter nichts, als daß man das Mittel wählt, was sie am sichersten zu befriedigen verspricht. Ich erreichte meinen Zweck, ich durfte gen Nürnberg zum Propst Anton Kreß gehen und Dich von ihm zur Arbeit erbitten – es ahnte mir nicht, daß ich damit einen doppelten erreichen würde: daß Du das langersehnte Ende meines Lebens herbeiführen werdest!«[239]

Ulrich antwortete: »Amadeus! hier hört uns Niemand, Konrad's Verschwiegenheit bin ich sicher; wahrscheinlich versteht er uns nicht einmal – er steht dort fern, um zu wachen, daß uns Niemand entdeckt – ich weiß von dem, was Ihr mir nun verschweigen wollt, zu viel, um die Ruhe finden zu können, die Ihr vielleicht denkt mir durch Euer Schweigen zu bewahren, und wieder zu wenig, um in irgend einer Gewißheit gegen das Quälende meiner Ahnungen einen Trost zu finden – was wißt Ihr von meiner Mutter? warum nehm't Ihr Antheil an mir?«

»Weil ich glaube, daß Du mein Sohn bist!« rief Amadeus; »nun weißt Du es!« fügte er erschöpft hinzu.

Ulrich zuckte zusammen und unterdrückte mühsam einen Schrei. Nun müßt Ihr Alles sagen,« sagte er tonlos.

»Vor achtundzwanzig Jahren,« sagte Amadeus, »war Amadeus von Wildenfels ein stolzer feuriger Ritter, als er bei einem Reichstag in Kostnitz die liebreizende Ulrike Kreß kennen lernte, die dort als eine alleinstehende Verwandte in der Familie lebte, in deren Haus er wohnte. Ein Vierteljahr hatten sie sich täglich gesehen und mehr und mehr geliebt; obwohl der Ritter wußte, daß die Seinigen einer Verbindung mit einer[240] Bürgerlichen entgegen sein würden, so verlobte er sich doch mit ihr und versprach, sobald er aus dem Kampf, in den er eben mitziehen mußte, heimkehren werde, sie zum Altar zu führen. Aber in der Aufregung der Trennungsstunde nahmen sie das dann verheißene Glück voraus. – Ein Jahr verging, ehe der Ritter zurückkehren konnte. Er fand Ulrike, die eine Waise war, nicht mehr in Kostnitz; von der Familie, bei welcher sie gewohnt, erfuhr er nur, daß sie vor einem halben Jahr dieselbe verlassen habe, und daß man ihr auch nie wieder die Aufnahme in sie gestatten werde, weil sie sich derselben unwerth gemacht. – Ueberall forschte ich vergeblich nach ihr; von einem gemeinschaftlichen Bekannten hörte ich einmal, daß man etwa vor einem halben Jahre eine weibliche Leiche im Rhein gefunden habe, und daß man glaube, es sei Ulrike gewesen, die sich, um der Schande zu entgehen, den Tod gegeben. Verzweiflungsvoll irrt' ich noch immer umher nach ihr fragend und suchend, aber nirgend erhielt ich eine andere Antwort. Ich entsann mich, daß sie einen Bruder Anton gehabt hatte, der Geistlicher war – ihn fand ich endlich in Worms, aber es ging ihm wie mir: er wußte auch nichts von seiner Schwester.«[241]

Ulrich hörte mit äußerster Spannung zu und sagte: »Meine Mutter war eine geborene Waise –«

»Höre weiter!« sagte Amadeus. »Jahre vergingen, und man sagt ja, daß die Zeit jeden Schmerz heilt. Ich heirathete ein ebenbürtiges Edelfräulein, das mich zärtlich liebte und das ich glücklich machte. Ich selbst war es wohl auch einige Zeit – aber das Umhertreiben in Kampf und Gefahr in allen Landen war mir lieber, als daheim auf meinem Schlosse zu sitzen bei Weib und Kind. So kam ich auch einst an der Spitze einer Schaar in das Elsaß, und dort gab es bei einem Dorfe ein Gefecht, welches dasselbe ganz verwüstete. Wer kampffähig war, mußte mitziehen, und die Frauen, die unsern Leuten gefielen, wurden auch nicht geschont. Da hört' ich den Namen Ulrike – in der dürftigen Tracht einer Bäuerin erkannt' ich die Geliebte meiner Jugend nach zehn Jahren der Trennung wieder und sie erkannte mich. Die Zeit und Alles, was inzwischen geschehen, versank vor uns – wir hatten Beide einander für todt beweint – wir lebten und hatten uns wieder! So wunderbar zusammengeführt, gehörten wir einander an. Ich erfuhr von ihr, daß ihr ein halbes Jahr nach der Trennung von mir die Kunde gekommen, daß ich im Kampf geblieben sei, und[242] daß sie verzweiflungsvoll von ihren gegen sie wüthenden Verwandten in die weite Welt geflohen sei – um den Tod zu finden. Wohl war ihr oft die Versuchung gekommen, Hand an sich selbst zu legen, aber gerade um ihrer Mutterschaft Willen hatte sie ihr widerstanden. So war sie immer rheinab gepilgert, arbeitend oder bettelnd, je nachdem es gekommen. In einem Stall, auf einem Meierhof im Elsaß, wo man sie mitleidig aufgenommen, hatte sie einen Knaben geboren. Dort durfte sie eine Zeitlang bleiben, und so viel es ihre Kräfte erlaubten, mitarbeiten. Ein Bauernbursche, der auch hier arbeitete, fand Wohlgefallen an ihr; in seiner Heimath hatte er eben ein kleines Grundstück geerbt, und da er es ohne Frau nicht bewirthschaften konnte, so fragte er die fleißige Ulrike, ob sie mit ihm ziehen wolle, sie wollten sich hier trauen lassen und er ihr Kind als das seine anerkennen – in seinem Dorfe wisse man viel, ob sie schon ein Jahr verheirathet wären oder nicht. Mußte sie es nicht als ein Glück betrachten, so sich vor Schande bewahrt und die Zukunft ihres Knaben gesichert zu sehen? Freilich war es ein großer Schritt abwärts aus dem höheren Bürgerstande, dem sie angehört, zu der niedern Frau des rohen Bauers,[243] die sie nun ward. Aber sie fühlte sich ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft – sie mußte froh sein, wenn sie in dieser untersten Stufe ihr wieder angehören konnte. Sie wollte auch todt und vergessen sein für Alle, die sie sonst gekannt – so war sie dessen am gewissesten, und alles Leid, das ihr nun das Leben noch zu bieten wagte, das betrachtete sie als Strafe und Buße für ihren Fehltritt. Glücklich war sie keinen Augenblick gewesen, außer durch ihr Kind, das ihr einziges blieb. Ihr Mann hatte sie später viel mißhandelt und gepeinigt. So bekannte sie mir – so fanden wir uns in der alten Liebe. Es war leicht, sie von ihrem Peiniger zu befreien; gegen hohen Sold ging er mit uns – er willigte darein, sich von Ulriken zu scheiden und nie wieder in das Elsaß zurückzukehren.«

Amadeus holte tief Athmen, Ulrich faßte seine Hand und sagte: »So seid Ihr mein Vater!«

»Wenn das die Geschichte Deiner Mutter ist,« sagte Amadeus, »nur das wußt' ich nicht gewiß –«

»O es trifft Alles,« sagte Ulrich, »bis auf jenen Namen.«

»Sie hatte ihren Geschlechtsnamen verändert, auch ihr Mann hat nie ihren wahren erfahren, und den meinigen[244] nicht eher, als bei meiner Rückkehr, da ich sie von ihm forderte – kaufte.«

»Weiter – was ward weiter?« bat Ulrich.

Jetzt kam Konrad, blies die Lampe aus und sagte: »Man kommt, wir müssen fort.«

Ulrich warf seinen Meißel durch die Oeffnung und sagte: »Der Sohn muß den Vater befreien! Hier – meißele von innen die Steine locker – in ein paar Nächten komme ich zurück und befreie Dich.«

»Fort, fort!« drängte Konrad.

So schnell es in der Dunkelheit und bei den verwickelten Wegen ging, eilten die Beiden zurück.

»Nun weißt Du es, daß Dein Geschick das meinige ist!« sagte Ulrich leise zu ihm.

»O hättest Du es doch nie erfahren!« jammerte Konrad, »hätte ich Dich doch nicht hierher geführt und Amadeus wäre damit gestorben.«

»Nein, er darf hier nicht sterben und verderben!« rief Ulrich, »und wenn es dadurch gleich die ganze Welt erführe und alle Schmach mich träfe: ich kann nicht hierher gekommen sein, um der Mörder meines Vaters zu werden – ich muß sein Retter sein!«

»Still jetzt!« gebot Konrad.[245]

So erreichten sie wieder Ulrich's Thür. »Sinn' auf Mittel, wie wir ihn retten – und habe Dank!« sagte er zu Konrad; »ich habe viel gehört – aber das Ende noch nicht!«

»Ich will sehen, was ich thun kann – armer Bruder!« sagte Konrad.

So schieden sie.

Der folgende Tag verging für Ulrich peinlich wie die Nächte. Konrad flüsterte ihm zu, daß es ihm erst am dritten Tage möglich sein werde ihm beizustehen.

Ulrich war wie im Fieber. Wenn sein Vater indeß stürbe? – und wenn auch nicht, wie sollte der Plan der Rettung gelingen? Immer machte er einen neuen, und verwarf ihn wieder, weil irgend ein unüberwindliches Hinderniß oder ein Mangel dabei war. Gern wagte er sein Leben selbst – was war es ihm jetzt? vielleicht war es in Kurzem dem Schimpf und der Schande geweiht – seine That selbst, ein Wort von Amadeus konnte verrathen werden und ihn verrathen! – Konrad hatte Recht: wenn Amadeus hier starb, so war mit ihm sein Geheimniß vermauert – draußen, ein flüchtiger, von Kerker und Alter geschwächter Mann, konnte es mit ihm selbst leicht an den Tag kommen. Und war ihm denn dieser Mann, der seine Mutter unglücklich[246] gemacht und den er nie gekannt hatte? Und war es denn wirklich seine, Ulrich's, Schuld, daß er hier für den Frevel litt, den er ja in der That begangen? Hatten nicht Hieronymus und Konrad gleich ihm die Untersuchung gefordert?

Der Versucher rief diese Frage in Ulrich auf; aber sein Gewissen und der Ruf der Natur sprachen gleichzeitig: Hebe Dich weg! Lieber unschuldig leiden für eine fremde Schuld, als sich selbst vor äußerm Unglück schützen durch das Aufsichladen einer eigenen Schuld.

Eines Morgens meldete ihm der Pförtner, daß drüben im Oeconomiegebäude Leute wären, die nach Ulrich von Straßburg fragten. Mitten in der Nacht wären sie ganz erfroren angekommen und hätten um Obdach gebeten, das man ihnen auch nicht verweigert – obwohl sie Juden wären, Vater und Sohn. Da sie gehört, daß er hier sei, hätten sie nach ihm verlangt.

Ulrich war zwar wenig erbaut von dieser Nachricht, die ihn in ein zweideutiges Licht setzte; aber er ging, denn er gedachte des Ringes, den er gefunden und an einer Schnur sich umgehangen – ja er erzählte gleich dem Pförtner ohne Weiteres, daß sie wahrscheinlich wüßten, daß er einen Ring gefunden, den die Juden[247] vor seinem Haus verloren, und den er noch nicht abgegeben, weil auch er seiner Sache nicht gewiß sei.

Man hatte den Juden nicht in der allgemeinen Herbergsstube Quartier verstattet, sondern nur auf einem Heuboden.

Dort fand Ulrich den Vater Ezechiel und seinen – Sohn; aber in der Männertracht erkannte er Rachel.

Die Unterhaltung kam schnell zu Stande. Nach Rachel's erster Frage nach dem Ringe ließ er sich denselben von ihr beschreiben, und da die Beschreibung paßte, lieferte er ihn sogleich aus.

Ezechiel war überglücklich und redete etwas von Finderlohn.

Ulrich wies das stolz zurück und wollte sich entfernen – da fiel sein Blick auf ein Bündel, das der Jude neben sich liegen hatte, dachte daran, wie derselbe immer einen Trödlerkram mit sich zu führen pflegte – ein Gedanke schoß plötzlich in ihm auf; aber ehe er ihn noch ausgesprochen, begann Ezechiel:

»Wir sind Euch verpflichtet zu gar so viel Dank – Ihr solltet uns nicht halten für zu schlecht, ihn Euch abzutragen. Hab't Ihr nicht errathen, wen das E B bedeutet in dem Ring?«[248]

»Darüber habe ich nicht nachgedacht,« antwortete Ulrich.

»Ei, was hieße es denn anders, als Elisabeth Behaim?« schmunzelte der Jude. »Ich will ihr ihn wieder ausliefern und will sagen, daß Ihr ihn gefunden.«

»Das ist nicht nöthig,« sagte Ulrich, und im Augenblick mit ganz andern Dingen beschäftigt, fuhr er fort: »Hab't Ihr da nicht einen Mantel und ein Sammetbaret in Eurem Bündel? Wolltet Ihr es mir verkaufen, ohne Jemanden davon zu sagen – so würde ich daran Euren Dank erkennen.«

»O, Schweigen gehört zum Geschäft!« rief Ezechiel.

Und Rachel fiel ihm in's Wort: »Von verkaufen ist nicht die Rede: wählt Euch aus, was Ihr von den Sachen wünschet – es ist Alles zu Eurem Dienst; aber Geld nehmen wir nimmer von Euch!«

»Nein, gewiß nicht!« murmelte der Vater.

Ulrich wählte ein Baret und einen langen schwarzen Mantel aus, und bat Rachel, es ihm recht fest in ein weißes Leinentuch zusammen zu wickeln. Er ließ sie ungewiß, ob er sie in der Verkleidung erkannte oder nicht. Sie willfahrte dienstfertig seinem Wunsch. Er gab ihr zum Danke die Hand – sie drückte sie erglühend und demüthig an ihre Lippen; dann ging er.[249]

Er eilte mit dem Päckchen in seine Zelle und verbarg es unter das Stroh seines Lagers. Dann ging er an die Arbeit.

Konrad flüsterte ihm zu: »Heute Nacht!«

Er wußte genug; es war auch die höchste Zeit – denn morgen hatten die Baubrüder ihr Werk vollendet und sollten wieder zurückkehren.

Wie das erste Mal gingen Konrad und Ulrich stumm durch die Klosterhallen bis zu den unterirdischen Gewölben. Ulrich trug außer dem Kleiderpäckchen auch die Maurerkelle und Kalk bei sich, den er sich gleichfalls heimlich verschafft.

Konrad zündete am Ziele die Lampe an und rief: »Amadeus!«

Niemand antwortete.

»Amadeus!« rief Ulrich lauter.

Alles blieb stumm.

»O Gott, wenn wir zu spät kommen – wenn er todt ist!« wehklagte Ulrich. Mit starker Hand griff er in die Oeffnung und riß die nächsten Steine heraus. Es ging leicht – Amadeus mußte sie von innen mit dem Meißel gelockert haben.

Bald war das Loch so groß, daß ein Mensch hindurch konnte. Ulrich griff mit der Hand hinein –[250] und fuhr zurück; etwas Naßkaltes hatte sie berührt – eine Ratte war darüber gesprungen.

War es der Schrei, den er dabei ausstieß, oder das Geräusch der fallende Steine, oder die Berührung seiner Hand – jetzt begann Amadeus sich zu regen und zu röcheln. Ulrich beugte sich zu ihm hinein und flößte ihm Wein ein. Nach einer Weile kehrten die halbentschwundenen Lebensgeister zurück.

»Amadeus!« rief Ulrich, »wir kommen Dich zu befreien. Flüchte aus diesem Loch, aus dem Kloster – komm!«

Konrad und Ulrich reichten ihm die Hände – sie zerrten ihn heraus.

Der Sohn hielt den Vater in den Armen.

»Ulrich!« rief dieser jetzt, »ich soll wieder leben?«

»Ja, Dein Ulrich ist nicht Dein Mörder, sondern Dein Befreier – aber eile! wir haben keine Zeit zu verlieren. Konrad geleitet Dich und beredet das Uebrige mit Dir – ich mauere indeß Dein Gefängniß wieder zu.«

Konrad zog den halbbewußtlosen Amadeus zur Eile treibend mit sich fort. Indeß mauerte Ulrich die aufgerissenen Steine wieder ein und harrte bei der Arbeit Konrad's Rückkehr.[251]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 231-252.
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