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[5] »Mein Herz, ich will Dich fragen,
Was ist die Liebe? – Sag'!
Zwei Seelen, ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag.«
Friedrich Halm.
Jaromir fühlte ein neues Leben, einen neuen Lenz in sich. Es gab für ihn Stunden, wo er sich selbst nicht mehr erkannte, wo er sich ganz wie verwandelt vorkam. Mit welch' neuem Reiz lag jetzt das Leben wieder vor ihm, wie füllte wieder ein seliger Hochgedanke seine ganze Seele aus, ein Hochgefühl, an das er lange nicht mehr geglaubt, das er oft im bittern Unmuth seines unbefriedigten Herzens, im Uebermuth seines stolzen Geistes verspottet und verlacht hatte. – Und wieder gab es andere Stunden für ihn, wo eine ganze Reihe zuletzt verlebter Jahre vor ihm wie ein böser Traum versunken, wo er sich wieder Jüngling fühlte und alle Begeisterung, alle süßen Schwärmereien seiner Jugendjahre wieder empfand. Er war wieder[5] Poet aus der Fülle seines Herzens, und jene seligen Momente kamen ihm wieder, wo in lauter, rauschender Sphärenmusik ein ganzer Himmel urewiger Harmonieen im Innern einer Menschenbrust aufweckt, die so lange wogen und dringen und nicht zur Ruhe kommen wollen, bis sie eine äußere Erscheinung gefunden – ein Lied, das jubelndes Zeugniß ablegt von ihrem Dasein, ihrer Macht und Herrlichkeit.
Ein seliges Liebeleben vereinigte ihn mit Elisabeth.
Und sie, die ernste, verschlossene Jungfrau, weihte ihm die ersten vollsten Blüthen eines Gefühls, dem bisher ihr Herz kaum eine leise Ahnung gezollt hatte. Man konnte ihr Inneres einer hohen weißen Lilie vergleichen, die schlank aufgesprossen ist und deren Blüthen über Nacht in heiliger, schweigender Ruhe bei melodischem, gleichförmigem Quellengeriesel träumend groß geworden sind und im weißen silberreinen Glanze viel heilige Geheimnisse in sich selbst noch ungeahnt und schlummernd verschlossen halten. Da strahlt der Morgenstern hell und tagverheißend auf die Blüthenkrone, der erste Morgenthan hängt sich an sie, mit einem zarten, durchsichtigen Perlenschleier sie noch verklärend, vorahnend schlägt die erste Lerche ihr Lied ihr vorüber im dunkeln Morgengrauen empor – es klingt mit seltsamer Bewegung wieder im Blumenkelch – er richtet sehnsüchtig sein Haupt noch höher auf – aber er bleibt verschlossen.[6] Nun graut es im Osten – nun fallen alle Nebel, wirbeln und singen alle Vögel zugleich – ein heiliges Schauern zieht erschütternd durch die ganze Natur, regt sich in der höchsten Eiche, wie im kleinsten Halme – ein tausendstimmiger Jubel bricht los – als plötzlich die Sonne aufgegangen und mit viel Tausend strahlenden Liebesbändern die ganze Schöpfung an ihr unsterbliches Herz zieht. Und einer dieser allmächtigen Strahlen rührt auch an den verschlossenen Lilienkelch – und die Blüthenseele wacht aus ihrem Traum auf, thut ihre verhüllenden Blätter auseinander, öffnet sich dem heißen Lichtglanz und läßt ihn segnend eindringen in ihre goldenen Tiefen, daß köstliche Nektartropfen darinnen hervorperlen. – Dieser hohen Lilie glich Elisabeth. Gleich einem strahlenden Morgensterne hatte einst Gustav Thalheim ihr nahe gestanden, zu dem sie mit heiligen Vorgefühlen emporschaute – aber Jaromir war ihr als eine leuchtende Sonne aufgegangen, ihr tief in's Herz gedrungen, so daß es all seiner Schönheit Fund seines Reichthums sich dadurch erst selbst bewußt geworden war und immer vollendeter Beides entfaltete. –
So war denn das ganze Maileben glühender keuscher Liebe für sie angebrochen. –
In den ersten sonnigen Stunden des Nachmittags eilte Jaromir täglich in den Park von Hohenthal und in die stille, von Bäumen verschwiegen beschattete Rotunde, in[7] welcher er Elisabeth zuerst seine Liebe gestanden hatte. Dort harrte er dann – und harrte selten vergebens – bis die Geliebte unter den Bäumen hervor ihm entgegentrat und zart erröthend in seine geöffneten Arme sich warf. Nur zuweilen, wenn Gäste zu Mittag im Schloß waren, blieb sie aus oder flog nur eilend hin zu ihm, um ihn nach wenig Momenten wieder fortzutreiben. Denn noch lag der zarte Schleier des Geheimnisses über ihrer Liebe und es war, als hätte Keines von Beiden ihn heben mögen. Zwar machte er jetzt noch öfter als vorher Besuche in Elisabeths Familie und ihre Eltern empfingen ihn gern, obwohl es schien, als ob sie Aarens noch mit freundlicherer Auszeichnung willkommen hießen.
So waren denn auch eines Nachmittags Elisabeth und Jaromir in der Rotunde bei einander. Er hatte ihr einen Strauß Rosen mitgebracht und wollte jetzt, daß sie diese sich zum Kranze winde.
»Wir wollen hier die kleinen Marmorsäulen unsers heiligen Liebestempels umkränzen,« sagte sie, »wir dürfen wohl heute ein geheimes Fest feiern, denn heut' ist es ein Jahr, daß wir zuerst uns sahen.«
»Sei mir nicht böse,« sagte er und küßte sie innig, »aber ich brachte Dir dazu die Rosen mit, um zu sehen, ob Du auch diesen Tag im treuen Gedächtniß bewahrt haben würdest.«[8]
»Nun, dafür, daß Du mich erst prüfen wolltest, verdientest Du wohl eine Strafe – geh, pflücke mir Eichenlaub, indeß ich die Kränze zu winden beginne –« erwiderte sie lächelnd.
Er gehorchte. »Das ist ja eine Scene, wie aus dem Sohn der Wildniß,« sagte er, als er mit den gepflückten Zweigen sich zu ihren Füßen setzte und ihr die Blumen zureichte.
Sie lachte und begann, um das Bild zu vervollständigen, mit ihrer schönen melodischen Stimme zu singen:
»Mein Herz, ich will Dich fragen,
Was ist denn Liebe? – Sag'!
Zwei Seelen, ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!«
Er hatte sie noch niemals singen hören – sie liebte es nicht, vor fremden Zuhörern auf Bitte oder Geheiß zu singen, sie that es nur in den Stunden, wo es ihr innerstes Bedürfniß war, dann lag ihre ganze Seele in ihrem Gesange, und so auch jetzt. Von Bewunderung hingerissen lauschte er bezaubernd den hellen Tönen, die so frei und freudig wie jubelschlagende Lerchen hervorflatterten aus der Brust seines theuern Mädchens. Er ließ sie das Lied vollenden, ohne sie zu unterbrechen, und bat dann nur einfach:[9]
»Sing' es noch ein Mal!«
Und sie antwortete der Bitte nur dadurch, daß sie es noch ein Mal sang.
Die Augen halb geschlossen vor sich niedergesenkt hörte er ihr träumend zu – wie oft hatte er sonst Bella's Töne bezaubert gelauscht – aber nie hatten sie ihn so im tiefsten Innern angegriffen, wie dieser einfache seelenvolle Gesang Elisabeths. Es war die Sprache glühender, oft wilder Leidenschaft, welche er aus Bella's Tönen hörte, Sirenenklänge, die mit wunderreichem Zauber verderbendrohend ihn umstricken – die ihn erst hinschmelzen ließen in weicher Wollust, rasend vor glühendem Verlangen, dann vernichtet in sich selbst zusammensinkend – bis er plötzlich ernüchtert, besonnen, aber innerlich ermattet und zerrissen aufwachte wie aus einem fieberheißen Traum. Aber jetzt, wo Elisabeth sang, war ihm als stimmten droben im Himmel alle Engel dazu ihre Harfen und spielten dazu auf ihren feinsten Saiten Elisabeths einfache Worte als heilige Gebete nach, es war ihm, als stimme die ganze Schöpfung vor leisem Jubel zitternd sanft mit ein in das Liebeslied. Wie Orgelgetön und Glockenklang, wie Vögelgesang im Mai, wie ein Liebespäan einer seligen Schöpfung, den fromme betende Menschen und eine ganze gottdurchgeisterte Natur zusammenstimmend aufsteigen lassen – so zog es jetzt durch seine Seele.[10]
Und als sie geendet hatte und er noch immer träumend vor sich niederblickte, sagte sie lächelnd:
»Nun, mein Lied hat wohl gar das große Kind in Schlummer gesungen?« Und wie sie ihre Wange an die seinige lehnte, sah sie eine helle Thräne in seinem Auge – sie küßte sie ihm hinweg, und unaussprechlich selig hielten sie einander in den Armen.
Sie hatte zwei Guirlanden vollendet und wand sie um die Marmorsäulen. Die schönsten Rosen hatte sie noch zurückbehalten.
»Aus diesen winde Dir selbst eine Krone!« bat er.
Sie begann das anmuthige Geschäft von Neuem. Er saß neben ihr; sie umschlungen haltend, sah er über ihre Schultern hinweg ihren regen Fingern zu.
Da rauschte es plötzlich wie von Tritten und im Grase schleppendem Seidenzeuge – Elisabeth sah auf, sprang erschrocken empor – die Rosen fielen von ihrem Schoos zu ihren Füßen – ein Ausruf der Ueberraschung drang aus ihrem Munde.
»Du streust mir Blumen, Elisabeth!« rief lachend eine jugendfrische Stimme. Sie kam von einer jungen Dame mit einem hübschen muntern Gesicht, zu dem schwarze Locken und ein blumengeschmückter Strohhut recht gut paßten.
»Aurelie!« rief Elisabeth – und die jungen Verwandtinnen[11] umarmten und bewillkommten sich mit Herzlichkeit.
Jaromir ging einstweilen in dem nächsten Gange etwas unbehaglich hin und her.
»Aber wie kommst Du hierher?«
»Gerade hierher? Nun sieh – ich wollte Dich überraschen, obwohl ich nicht wissen konnte, daß meine Ueberraschung für uns Beide so groß sein würde.«
»Du bist noch immer muthwillig. – Aber wie kamst Du gerade hierher?«
»Durch meinen vortrefflichen Ortssinn und Deine getreue Beschreibung diese Platzes. Du hattest mir in einem Deiner Briefe diese Rotunde beschrieben und erzählt, daß Du alle erste Nachmittagsstunden hier allein zubrächtest – was freilich der Wahrheit nicht ganz gemäß war –«
»Aurelie, doch – damals!«
»So, nur jetzt ist es anders – ich nahm mir also vor, ehe Du etwas von meiner Ankunft erführest, ehe ich das Schloß beträte und Deine Eltern begrüßte, Dich hier zu überfallen. Im Park war ich noch ziemlich bekannt und so ist es gerade kein Wunder, daß ich mich zurecht fand.«
»Und Tausend Mal willkommen, Du Gute! Wir werden uns Viel zu erzählen haben –!«
»Ja, nun beichte – Dein Ritter dort wird seiner Irrgänge müde werden –«[12]
»Ich werde Dich ihm vorstellen – aber Eins, Aurelie! Du bist die Vertraute unsers Geheimnisses – vergiß das nicht – wir lieben uns – aber Du bist die Erste, welche es erfährt –«
»Das würde für mich sehr schmeichelhaft sein, wenn es minder zufällig wäre – um so neugieriger bin ich – Dein romantischer Hang hat Dich am Ende einem Dichter oder Künstler entgegengeführt, der nicht recht in unsere Verwandtschaft paßt. – Hab ich Recht oder nicht? –«
»Beides zugleich –« und Elisabeth rief »Jaromir« und stellte ihm Elisabeth vor: »Meine Cousine, Aurelie, von Treffurth.« Dann nannte sie ihr seinen Namen –
Sie war fröhlich erstaunt – »Ich begreife Deine Wahl,« sagte sie halblaut zu Elisabeth und gegen Jaromir gewendet, fügte sie hinzu:
»Und über die Ihrige erstaun' ich gar nicht – auch hört' ich Manches aus der Schule schwatzen – Elisabeth wollte immer nur Gedichte von einem neuesten Dichter lernen und war deshalb auf einem ihrer Hauslehrer gar nicht gut zu sprechen, welcher behauptete: die neuen Dichter taugten alle nicht und gerade die, welche die Besten hießen, wären der Leute Verderben – was würde er gesagt haben, wenn er jetzt, wie sonst so oft, mich auf der Wanderung hierher begleitet hätte.«[13]
So scherzte Aurelie ungezwungen und muthwillig, wie immer ihre Weise gewesen war.
Die Drei nahmen auf den Moosstufen neben einander Platz, so gut es eben gehen mogte.
»Aber nun erzähle, wie Du eigentlich hierher kommst,« sagte Elisabeth zu Aurelie, »so allein und überraschend – und Du siehst eher aus, als ob Du von einem Spaziergang kämst, als von einer Reise!«
Aurelie nahm ihren Hut ab, knöpfte die Handschuh auf, zog sie aus, wickelte sich aus der seidnen Mantille heraus, warf Alles zusammen neben sich in's Gras und sagte lächelnd:
»Sieh, da wirst Du Dich wundern; ich bin nicht etwa gekommen, um wie sonst Euer Gast zu sein – ich bin nun Eure Nachbarin und wahrscheinlich Ihre nächste, Herr Graf!«
»Ich wohne in der Wasserheilanstalt;« sagte dieser.
»So ist mir, hab' ich gehört,« fuhr Aurelie fort, »und ich wohne auch da –«
»Du? – Nicht möglich!« rief Elisabeth.
»Ich glaube, ich bin noch im Stande, Deinen Neid zu erregen,« plauderte Aurelie neckend weiter, »ich bin mit Oberst Treffurth hier, meinem Onkel. Die Tante ist schon lange kränklich, wie Du weißt, und der Arzt rieth ihr die Wasserkur. Seit der Verheirathung ihrer Tochter fühlt[14] sie sich sehr verlassen und einsam, und da sie zu kränklich ist, um nur irgendwie dem Hauswesen noch vorstehen zu können, hingegen einer weiblichen Pflege und Umgebung bedarf, so hat sie sich eine Gesellschafterin in's Haus genommen. Erst hatte die Tante ihre Tochter in deren neue Heimath begleitet, mit dem festen Entschluß, sich selbst dort anzusiedeln – allein das gebirgige Klima hat ihr nicht zugesagt, die Aerzte haben es ihr als eine Unmöglichkeit geschildert, daß sie dort länger als ein paar Wochen zubringen könne, ohne ihre Gesundheit ganz zu untergraben. So hat sie denn nachgeben und ihren frühern Wohnort behalten müssen. Sehr verstimmt kam sie dahin zurück und bat mich zu ihr zu kommen, um ihr wenigstens auf kurze Zeit die Tochter zu ersetzen zu suchen. Wie ich nun ankam, war bereits davon die Rede, daß sie eine Wasserheilanstalt besuchen solle – es fragte sich nur welche? Ich war natürlich gleich für Hohenheim um Deiner Nähe willen, doch flüsterte man sich in der Residenz leise zu: eigentlich sei die hiesige Anstalt erbärmlich, und Alles, was man darüber geschrieben und lobpreisend gefabelt, sei Nichts als eine Mystification des Publikums, eine neue Art Markschreierei, welche der Wasserdoctor von Hohenheim zu seinem Vortheil erfunden habe.«
Jaromir lachte und sagte: »Man thut dem guten Doctor Unrecht – an der ganzen Mystification sind Sie[15] allein Schuld, Elisabeth, das will ich Ihnen ein Mal später erklären, da Sie jetzt ungläubig lächeln.«
Aurelie sagte: »das wäre wirklich so allerliebst, als seltsam – aber um meine Erzählung fortzusetzen: die Nähe von Hohenthal in dem neuen Badeort wirkte endlich auch entscheidend auf meine Tante und schneller als mit dem Entschluß ging es mit unsrer Abreise, daher erhieltst Du auch keine vorbereitende Nachricht. Gestern am späten Abend sind wir hier eingetroffen und haben uns nothdürftig placirt. Onkel und Tante folgen mir in einem Stündchen zu Euch nach. Unterdeß mag die Doctor Thal – –« Aurelie unterbrach sich plötzlich: »Ach, das hab' ich Dir noch gar nicht einmal gesagt. Die Gesellschafterin meiner Tante ist nämlich niemand Anders, als die Doctor Thalheim, die Frau unsers Lehrers, welchen Du so schwärmerisch verehrtest und welcher –«
Elisabeth fiel ihr in's Wort: »Nicht möglich!« rief sie. »So haben sie sich ganz und für immer getrennt? Und hat er ihr auch sein Kind nicht länger anvertrauen mögen?« Sie war zu sehr überrascht von Aureliens Neuigkeit, zu gespannt auf deren Antwort, als daß sie hätte bemerken sollen, wie ein leises, bitteres Zucken, eine vorübergehende schauernde Blässe der Bestürzung über Jaromirs vorhin so glückstrahlende Züge flog – auch ward er bald dieser äußern Bewegung Meister; doch Aureliens Blick war zufällig[16] während derselben auf ihn getroffen; jetzt fuhr sie fort:
»Ich glaube, die Thalheim hat gesagt, sie sei von ihrem Mann geschieden, ihr Kind ist gestorben – das mag sie noch zusammengehalten haben, jetzt soll er gar nicht mehr nach ihr fragen. Man könnte wirklich neugierig sein zu wissen, was eigentlich zwischen den beiden Menschen vorgefallen, es hieß ja immer, er sei der beste Gatte von der Welt, und auf einmal, als sie kaum von der schwersten Krankheit genesen, verläßt er sie, um sich auf einer Reise zu amüsiren. Verdenken kann ich's ihm nicht, denn häßlich ist sie und furchtbare Langeweile mag er auch bei ihr gehabt haben. Aber daß er das nicht schon viele Jahre vorher empfunden hat! Da nannte man aber die Armuth sein einziges Unglück! Du weißt es ja selbst.«
»Aber vielleicht ist sie doch nicht sein größtes gewesen, oder vielleicht war sie es allein, die ihn bestimmte, die Reiseofferte von Graf Golzenau anzunehmen;« sagte Elisabeth.
»Sie lebten in Noth?« fuhr Jaromir hastig heraus – »und Golzenau – ich besinne mich – dieser Thalheim, welcher mit meinem Vetter Eduin Golzenau reist, ist derselbe, dessen Gattin jetzt hierher kommt, ist Ihr Lehrer, von dem Sie, Elisabeth, mir noch jüngst mit Begeisterung sprachen. – Sie hatten mir seinen Namen nicht genannt.«[17]
»Der nämliche, Jaromir,« sagte Elisabeth. »Aber Sie sind so bewegt, nehmen Antheil an diesem Thalheim? – Sie kennen ihn ja – vor einem Jahr, als wir uns zuerst sahen, kamen Sie von ihm.«
»Und eine neue Liebe ging in meinem Herzen auf!« rief er, den ganzen Sturm seiner aufgeregten Empfindungen in diese Worte pressend und zog ihre Hand heftig an seine zuckenden Lippen.
Sie nahm diese Aufwallung für den einfachen Ausdruck der überwältigenden Erinnerung an jene erste Stunde, wo zwei Menschen sich begegnen, welche trotz der Bewegung ihrer Herzen dabei und der wunderbaren, unerklärten Empfindung, welche in ihre Seelen schlägt, auch nicht ahnen können, daß einst ein Himmelsgefühl und ein Himmelsglück sie vereinigen werde – und so blickte sie ihn zärtlich an und vergaß darüber, was sie und er noch im letztverwichenen Moment gesprochen.
Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Elisabeth zu Aurelie: »Durch den Rittmeister von Waldow, der mir zuweilen von der Reise seines Sohnes erzählte, habe ich auch von Thalheim sprechen hören – auch lebt ihm ein Bruder hier –«
»Ein Bruder?« sagte Aurelie. »Nun da wird die Doctor Thalheim gewiß um so weniger ausgehen, als sie dies schon zum voraus erklärt hat – es wird ihr unangenehm[18] sein, da ihr Gatte Nichts mehr von ihr wissen will, in der Gesellschaft mit einem Schwager zusammentreffen.«
»In der Gesellschaft? – Das wird sie nicht!« lächelte Elisabeth. »Franz Thalheim ist Fabrikenarbeiter –
Aurelie schlug ein lautes Gelächter auf und sagte ungläubig: »Du bist sogar witzig geworden, Elisabeth.« –
Unterdeß hatte Jaromir an seine Uhr gesehen: »Man wird Sie im Schloß erwarten, es ist Zeit, daß ich gehe, sagte er und entfernte sich nach kurzem Abschied.[19]
Ausgewählte Ausgaben von
Schloß und Fabrik
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