X. Vereinigung

[154] »Der Zorn, daß noch der alte Fluch

Vom armen Volke nicht gewichen,

Daß aus dem großen Lebensbuch

Das Wort Despot noch nicht gestrichen;

Dann möge durch Dein Herz wie Gluth

Die Thräne Deiner Mutter lodern,

Dann gebe Gott Dir Kraft und Muth,

Die Schuldner vor Gericht zu fodern!«

Ludwig Köhler.


Waldows Diener, um den Brief gewissenhaft zu übergeben, den er von dem Doctor Thalheim erhalten, war auch frühzeitig nach der Fabrik gegangen. Er wußte sich den Tumult nicht zu deuten. Als er endlich näher kam und das Entsetzliche gewahr ward, kamen einige Arbeiter auf ihn zu, fragten ihn, ob er wie sie thun wolle und gegen die Reichen zu Felde ziehen, deren Sclave er ja doch auch nur sei? Andere verhöhnten sein Tressenkleid, sagten, daß er sich darin wohl gefalle und noch Staat mache mit seiner Sclaverei. Mit Schlägen und Schimpfreden umringten sie ihn.[154]

Da schrie der Gemißhandelte laut aus Leibeskräften nach Franz Thalheim.

Das rettete ihn, denn Franz war in der Nähe und nahm ihm den Brief ab. Er bat die Andern, den Diener laufen zu lassen, er möge es den Leuten immer erzählen, was hier vorgehe, verborgen könne es doch nicht bleiben. Von Mehreren wie ein Wild gehetzt entfloh der Befreite.

Unterdeß hatte Franz den Brief seines Bruders gelesen – erst leuchteten seine Augen – denn es war ihm, als griffen erbarmungslose Hände in sein Herz und rissen es in Tausend Stücke – und um die innere Empfindung im Aeußern nachzuahmen, zerriß er den Brief und streute die Blättchen rings um sich. Noch gestern – wenn er da den Brief erhalten, hätte er seiner Mahnung folgen, fortgehen und irgendwo eine andre Heimath suchen können – für die Kameraden hier konnt' er ja doch Nichts mehr thun, sein Werk hatte man ihm zerstört und gewehrt und die Kameraden liebten ihn und trauten ihm nicht mehr – hier war sein Geschäft aus.

Aber heute konnte er nicht gehen, heute nicht! Das wäre feige Flucht gewesen! – Man hatte ihn einkerkern wollen und die Kameraden hatten ihn befreit, das mußte er ihnen vergelten. Jetzt waren sie aufgestanden in wilder, zerstörender Wuth – sie hatten das Entsetzliche gethan und jede nächste Stunde konnte für sie eine entsetzlichere[155] Vergeltung bringen – nun durfte er sie nicht verlassen in der Stunde der Gefahr, da sie ihn nicht verlassen hatten – nun hatte diese Alle eng verbrüdert. Er mußte mit ihnen stehen und fallen, siegen und verderben oder sterben. Das fühlte er klar. Und Pauline? Welche Gefahren konnten ihr jetzt drohen? Wer sollte sie schirmen und schützen, wenn nicht er?

»Komm August!« rief er jetzt, indem er auf diesen zueilte. »Komm! Da ich das Verderben einmal nicht aufhalten konnte, das jetzt hereingebrochen, so wollen wir's auch redlich theilen! Nur stellt mich nicht hin zur blinden Zerstörung, ich mag nicht kämpfen mit wehrlosen Dingen! Aber wo Gefahr ist, da laßt mich sein – ich gehöre zu Euch, denn Ihr habt mich frei gemacht, und konnt' ich Euch im Leben nicht mehr nützen – wollte nun nur Gott, ich könnt's mit meinem Tod!«

Ein Wagen näherte sich der Fabrik und wollte durch ein Gedränge von Männern, Weibern und Kindern nach den Wohnhause zu – aber die Menge fiel den Pferden in die Zügel, zerhieb die Stränge und rief: »Auch die Pferde sollen heute frei sein, wenn sie's gleich im Leben besser gehabt haben als wir!«

Dann ward der Kutscher verspottet, der entsetzt vom Bocke sprang und den Pferden nachsah. Elisabeth hatte[156] ihren Wagen geschickt, um Pauline zu holen, und so ward er empfangen.

In den nächsten Dörfern hatte man die Bauern aufgeboten, herbei zu kommen und die aufrührerischen Rotten von weitern Zerstörungen abhalten zu helfen. Aber Herr Felchner hatte sonst oft vor Gericht in Streitigkeiten mit ihnen gestanden, er hatte ihre Feld- und Gartenfrüchte immer so schlecht als möglich bezahlt, und sie waren in keinem Stück mit ihm in gutem Einvernehmen gewesen, So kam es, daß nur Wenige Lust hatten, ihm zu Hülfe zu eilen und die Meisten von Denjenigen, welche sich dazu entschlossen, waren solche, die nur gern bei Raufereien und Schlägereien waren. Sie bewaffneten sich mit Spaten, Sensen und Düngergabeln, tranken sich erst Muth und zogen singend und lärmend nach der Fabrik. Da kam ihnen ein Haufe junger Arbeiter entgegen, Wilhelm an der Spitze.

»Was wollt Ihr?« rief er ihnen zu. »Kommt Ihr als unsre Feinde – dann würdet Ihr verloren sein, denn Ihr seid nur eine kleine Schaar und wir sind viel mehr als Ihr. Aber wir können auch nicht glauben, daß Ihr so thörigt wäret, in uns Euere Feinde zu sehen. Wir sind von Natur Eure Freunde und Brüder, und nur die unbarmherzigen Reichen, welche elendes Geld aufhäufen, um Tausende verhungern zu lassen, sind unsere Gegner. Wir wollen nur[157] diesem geizigen Tyrannen hier zeigen, daß seine Reichthümer von Rechtswegen uns gehören müßten, und da er uns unser rechtmäßiges Eigenthum entzogen hat, so wollen wir es uns nehmen. Deshalb werdet Ihr nun uns doch nicht Uebles anthun wollen, weil wir in die Welt ein Bischen bessere Ordnung bringen mögten? Und wer von Euch arm oder dienend ist, der ist unser natürlicher Bundesgenoß und wird uns beistehen gegen diesen geizigen Tyrannen hier!«

Und so sprach er noch weiter – da stimmten ihm viele von den Bauern bei und schrien: »Ja wir wollen Euch helfen!« und mischten sich unter die Fabrikarbeiter; Andere aber, welche dies nicht mogten, ergriffen die Flucht und wurden von Steinwürfen und Peitschenhieben wieder zurückgejagt in ihre Dörfer. Einzelne, welche sich widersetzten, geriethen in ein fürchterliches Handgemenge, und eine blutige, entsetzliche Scene folgte auf die andre – aber überall zogen die Bauern den Kürzern.

Der Fabrikherr ward vor Schrecken noch bleicher, als er das hörte. – Wo nun Hülfe finden? Das Militair konnte kaum vor dem andern Morgen kommen – und was konnte nicht Alles geschehen bis dahin! Jetzt war es erst Mittag, und schon hatten die Leute fast alle seine Maschinen zerstört und wütheten noch in den vordern Fabrikgebäuden. Jetzt hatten sie den etwas entfernt liegenden, einzeln in den Felsen[158] gehauenen Keller erbrochen, ein Faß Wein heraufgeschroten und saßen nun um dasselbe herum und tranken die Gesundheit der neuen Zeit und der armen Leute in dem besten Französischen Weine des Fabrikherrn. Sie ruhten dabei aus von ihrem Zerstörungswerk, um sich neue Kräfte und frischen Muth zu trinken.

Nur die Factoren, Markthelfer und Kutscher waren dem Fabrikherrn treu geblieben, die Andern waren Alle gegen ihn. Helfen konnten diese wenigen Menschen gegen den überlegenen und wüthenden Feind auch nur Weniges – durchkommen konnte jetzt auch Keiner mehr, weder herein noch heraus. Georg war auch ganz wie vernichtet – er hatte nie weiter Etwas gekonnt als rechnen und schelten – jetzt wußte er nicht mehr, was zu thun sei. Es blieb Nichts übrig, als auf die militairische Hülfe zu warten, die von außen das umzingelte Wohnhaus der Fabrik gleichsam wie eine Festung entsetzen mußte. Man mußte sich darauf beschränken, dieses zu verschließen und zu verrammeln, desgleichen auch den Hof, der es umgab und die nächsten Gebäude, welche noch frei waren.

Ein Gewölbe mit Vorräthen von Fleisch, Butter, Kraut und Rüben, das sich neben dem Weinkeller befand, war auch eröffnet worden – an einem großen Feuer im Freien kochten die Weiber davon und die Männer ließen es sich dann mit ihnen trefflich schmecken, so daß jetzt Alles[159] ganz friedlich und gemüthlich aussah. War es ja doch eigentlich nur der Hunger, welcher die Meisten dieser Armen zum Aufstand gebracht hatte! Denn von communistischen Theorien, die sie etwa verwirklichen wollten, wußten sie Nichts, die spukten nur in Wilhelms Kopf, welcher sie in unklaren Reden zu verbreiten suchte, aus denen Jeder die Sache nur gerade so verstand, wie sie in seinem Gedankenkram paßte. Darin waren sie einig, daß sie Alle Etwas zu rächen hatten an dem Fabrikherrn: Hunger, Frost, Blöße, Krankheit, verstümmelte Glieder, Tod oder Elend ihrer Kinder, harte Behandlung und all' die Noth und Sorge von einem jammervollen Tag zum andern. Ihre leiblichen Bedürfnisse waren es, welche jetzt diesen Wuthausbruch hervorgerufen – und wie viel er hier unbefriedigt gelassen und doch hätte befriedigen können, wenn er menschlich gewesen, das wußten sie – aber ein unklarer Instinkt drängte sie in gleicher Weise zur Rache – jener Instinkt, welcher sie hieß, für Alles, was in ihren und ihrer Kinder Seelen Gutes und Edles und Bildungsfähiges erstickt und todtgeschlagen worden war, durch all' ihr äußeres Elend, sich auch dafür zu rächen und eben gerade dadurch, daß sie ihrer Entsittlichung und Verwilderung in ihrer schlimmsten Art und ohne Zügel verderbensvoll walten ließen.

Der Abend begann schon herein zu dämmern – im[160] Haus des Fabrikanten herrschte Todtenstille. Alles war in banger Erwartung des Kommenden, was man thun konnte, war gethan. Es blieb nichts Anders übrig, als zu warten. Dieses Warten war fürchterlich!

Pauline war nicht mehr eingeschlossen in ihrem Zimmer, die Vorsicht war nicht nöthig, da nun das ganze Haus verrammelt war. Aber sie war allein in ihrer Stube geblieben, weil sie bei diesem Ereigniß ganz anders dachte und fühlte, als die Andern alle, welche mit ihr in dies Haus eingeschlossen waren.

»Das Alles wäre nicht geschehen, wenn mein Vater nicht seine Härte und Unbarmherzigkeit auf's Aeußerste getrieben hätte, es wäre nicht geschehen, wenn seine Geschäftsführer und Diener auch in den armen Menschen den Menschen geehrt hätten! Und das Verbrechen, das jetzt diese armen entehrten, gemißhandelten, gequälten Menschen begingen, was war es denn anders, als ein zweites Verbrechen, um ein erstes zu rächen? Was war es denn anders, als eine zweite schlechte That, die eine erste voraussetzte, ohne welche sie nie geschehen konnte und die ihr Geschehen eben voraussetzte? Und selbst diese rohen abscheulichen Töne, welche wie ein thierisches Geheul durch die Luft hallten und doch von Menschen kamen – was waren sie anders als der Aufschrei der beleidigten menschlichen Natur, welche zum thierischen Stumpfsinn herabgestoßen[161] und entwürdigt war – durch andere Menschen?« So sagte sie zu sich – aber sie wollte die grauen Haare ihres Vaters ehren und nicht jetzt, wo er oft in Verzweiflung in sie hineinfuhr, um sie auszuraufen, seinen Jammer noch mit ihrer Anklage vermehren, sie wollte nicht zu ihm sprechen: »Vater – ich hab' es Dir vorausgesagt – wie ein Strafgericht Gottes kommt es nun über uns – und wir dürfen in der Stunde der Gefahr und des Entsetzens nicht frei und unschuldig unsere Häupter zu ihm aufheben, wir müssen sie in Demuth neigen und still Alles dulden.« Sie wollte ihm das nicht sagen, denn das Kind ist nicht berufen zum Richter des Vaters und sie fühlte es wohl: jetzt richtete Gott durch seine geschändeten, verstümmelten Creaturen – aber vielleicht hätte sie doch auf sein Klagen, das mit Beten und Fluchen abwechselte, etwas Hartes erwidert – und darum wich sie ihm aus.

Aber wie sollte sie Ruhe und Sammlung finden selbst allein in ihrem stillen Zimmer? Als sie es zum ersten Mal betreten, wo sie kurz vorher die erste Ahnung von dem Elend der Armuth empfangen hatte, war sie schon vor der Pracht dieses Zimmers erschrocken – es war ihr, als hänge der Jammer von Hunderten daran – und nun vollends! Sie schauderte vor diesem Ueberfluß und sie begriff, daß die Armen ein Recht hätten, die Reichen nicht nur zu beneiden, sondern auch zu verachten.[162]

Zuweilen lief sie dann auf den Oberboden des Hauses, um weiter sehen zu können, ob sie vielleicht eine neue Bewegung der Aufrührer erspähen könne – ob sie vielleicht Franz gewahre. Ihn sah sie nicht. Aber sie sah, wie die Arbeiter mit den Bauerburschen, Manche taumelnd vor Trunk unter sittenlosen Scherzen, mit den Frauen in dem Schutt eines zertrümmerten Gebäudes Steine zusammensuchten – und schaudernd wendete sich Pauline ab.

Dann lief sie wieder hinunter, fragte, was weiter geschehen sei. Man zuckte die Achseln. – »Die Gefahr und der Pöbel wächst wie eine anschwellende Wasserfluth – wir können noch Gräßliches erleben, ehe die Hilfe kommt.«

Dann faßte sie wieder Friedericken, die ihr das einzige fühlende Wesen schien, welches sie verstehen könne – aber Friedericke jammerte immer nur über das ganze Unglück und daß Wilhelm auch mit dabei sei – und nun könnten sie sich im Leben nicht heirathen!

So dämmerte denn der Abend herein.

Pauline lag in ihrem Zimmer auf ihren Knieen und betete still.

Sie hatte kein anderes Gebet als nur die vier Worte: »Herr, wie Du willst!«

Da war es plötzlich, als bebte das ganze Haus von einer ungeheuern Erschütterung.[163]

Sie fuhr zusammen – durch ihre Seele zuckte eben so plötzlich ein kleiner Gedanke: »Ach, möcht' es zusammenstürzen, dies auf Flüchen erbaute Haus, wenn es nur mich und ihn unter seinen Trümmern begrübe!«

Sie hatte nicht Zeit, den Gedanken weiter auszudenken. Sie stand auf, ruhig, muthig – eine seltsame Klarheit leuchtete auf ihrer Stirn – sie war gefaßt, denn sie fühlte, daß sie in Gottes Hand stehe. Wer einmal in der Stunde der Gefahr und der bangsten Entscheidung dies Gefühl so recht in seiner tiefsten Allgewalt empfunden hat, der allein begreift, wie Paulinens leicht erschrecktes Mädchenherz jetzt plötzlich ruhig schlagen konnte, wie in den stillsten Stunden.

Das Haus war erschüttert worden von dem Wehruf der Hunderte, welche jetzt in den verrammelten Hof gebrochen waren und einen Steinhagel nach dem Hause schleuderten, Pauline ward das gewahr und sah von der Seite durch das Fenster.

Da sah sie, wie Franz todtenbleich aus der Menge hervorsprang, nach einem gegenüberstehenden Haus sich wandte und laut schrie:

»Hierher, Brüder! Auf dies Haus! Was wollt Ihr dort? Ich weiß, in diesem Hause hat er seine besten Schätze aufbewahrt – kommt hierher, wir wollen dies Haus erbrechen!«[164]

Das Haus, auf welches er deutete, war nicht bewohnt und enthielt nur Vorräthe der Fabrikerzeugnisse – Pauline hatte Franz verstanden – um sie zu schonen, warf er sich auf dies Haus und leitete die Kameraden irre. Viele folgten seinem Wink. Wilhelm aber schrie:

»Nein, nicht dorthin – hierher, komm Franz, wir holen uns unser Liebchen!«

Klirrend stürzten von neuen Steinwürfen einige Fenster ein.

Tiefer sank der Abend herab – es ward endlich ganz dunkel.

Die Arbeiter begannen mit ihren Aexten an der Thüre zu arbeiten, um sie aufzusprengen.

Da schoß Georg zum Fenster heraus über ihnen eine Flinte ab und rief:

»Wenn Ihr nicht zurückgeht, so schießen wir mit Kugeln – es sind Soldaten im Hause!«

Das kam unerwartet – im ersten Schrecken zogen sich die Arbeiter zurück.

Bald aber rief Wilhelm: »Laßt Euch nicht auslachen, Laßt Euch nicht belügen! Wie wären Soldaten hereingekommen? – Da würden sie uns nicht blos damit drohen! Kommt, wir wollen doch nachsehen, wo diese Soldaten stecken – und wer uns belogen hat, den spießen wir auf!«

»Brüder,« rief Franz, »ein Menschenleben darf's nicht[165] kosten – wir wenigstens wollen kein Blut vergießen! Die armen Leute müssen barmherzig sein, sonst dürfen sie die Reichen, die es nicht waren, auch nicht zur Rechenschaft fordern!«

Mit erneuter Wuth drangen nun die wilden Rotten auf das Haus ein – alle Versuche zur Gegenwehr waren fruchtlos – endlich waren die verrammelten Thüren doch aufgestoßen und ungehindert strömten die rasenden Aufrührer hinein. In blinder Rachewuth zertrümmerten sie unter Lachen und Fluchen die Spiegel, alle Meubles und alles Geräthe. Der roheste Spott ward damit getrieben, der schrecklichste Vandalismus machte sich geltend.

Franz war mit Einer der Ersten, die in das Haus gestürmt, nicht um mit zu zerstören, sondern um zu retten. Da er die Wüthenden einmal nicht hatte zurückhalten können, so wollte er wenigstens nun nicht zurückbleiben, wo er vielleicht Paulinen gegen diese Entsetzlichen beschirmen konnte.

Er wußte den Weg zu ihrem Zimmer – er lief hinauf – die Thüre war schon aufgerissen – da stand sie allein vielen rohen Männern gegenüber. Zwei von ihnen waren trunken und wollten sie umfassen, August aber hielt die Axt vor sie hin und schrie:

»Rührt sie nicht an – sie hat uns Nichts zu Leide[166] gethan; wenn sie gekonnt hätte, wie sie gewollt, wir hätten's ganz anders gehabt.«

Und ein Anderer sagte: »Fürchten Sie Sich nicht, Mamsellchen, wir thun Ihnen Nichts, denn Sie haben Gutes an unsern Kindern gethan – aber kommen Sie mit uns herunter, denn, sehen Sie, wenn wir das Haus anbrennen, müssen Sie erst heraus sein.«

Da trat Franz ein.

»Franz,« rief sie, als sie ihn sah – »ich will mit Dir gehen – ich weiß es, daß ich Dir noch trauen darf – aber schütze mich vor diesen –«

Er faßte sie fest in seine Arme und wehrte mit August die Trunkenen zurück, die sie ihm streitig machen wollten. So trug er sie die Treppe hinab.

»Franz,« rief sie, »rette meinen Vater!« Und weiter bat sie in höchster Angst, »laß' mich! Du siehst, ich finde immer noch Beschützer, wenn ich gleich ein wehrloses Mädchen bin, thun sie mir doch Nichts – aber meinen Vater hassen sie, denn er ist ihnen niemals freundlich gewesen – rette Du ihn, rette ihn um meinetwillen, Franz, wenn Du mich liebst!«

Da rannte Wilhelm an ihm vorüber. »Ha,« lachte er, »Du hast Dein Mädchen und das meine ist entwischt!«

»Wo ist Friedericke?« fragte Pauline bebend.[167]

»Durch die Hinterthüre fort mit dem Herrn Papa,« lachte er, »aber entgehen können sie uns nicht!«

»Mein Vater ist geflohen?«

»Ja, sie haben ihn laufen sehen – wie eine Maus ist er fortgewischt – aber ich werd ihn schon finden!« Und Wilhelm lief fort.

»Gott sei Dank! Er wird ihn ferner schützen!« sagte Pauline, indeß Franz durch den Hof und das finstre Gedränge lief mit der süßen Bürde.

Sie waren schon aus den Hof heraus auf einen freien Platz gekommen, wo Franz einen Augenblick ruhte in der tiefen Dunkelheit.

»Du bringst mich doch nach Hohenthal – zu Elisabeth?« fragte sie. O, ich werd' es Dir ewig danken.«

»Ach, Pauline, Du siehst mich mit unter den Schuldigen und Du vergiebst mir?«

»Ich habe Dir Nichts zu vergeben, Du hast es nicht so gewollt. – Was kann Einer wider Hunderte. Du hast Dich ihnen nicht widersetzen können, wie ich mich nicht meinem Vater – Du und ich, wir Beide haben Nichts verbrochen, daß es so kommen mußte.«

»Ach unsere Herzen sagen's uns, daß wir nur das Beste gewollt haben – aber das Schicksal ist grausam.«

»Nein, klage es nicht an – es hat uns ja auch selbst in diesem Schrecken zusammenzeführt. – Du hast mich[168] gerettet – ich werde Dich dann wieder retten können, wenn die Menschen Dich verklagen wollen.«

In diesem Augenblick kam eine schreiende, heulende Bande auf sie zu und die Beiden befanden sich plötzlich Mitten in dem Getümmel, ohne zu wissen, woher es so plötzlich kam.

»Sie kommen! Sie kommen! Weh uns!« schrie es durcheinander von allen Seiten. »Sie kommen! – Die Soldaten! Die Schützen – weh uns! Sie sind schon da!«

Und sie waren da.

Und sie riefen die Aufrührer an, daß sie auseinander gehen mögten.

Aber der Ruf ward übertönt von dem Geschrei der Menge.

Und da tönte das Commando: »Feuer!«

Und da knackten die Hähne.

Da war's geschehen!

Wehruf ertönte – das entsetzlichste Geheul schallte zum Himmel auf und überschallte auch das Röcheln der Sterbenden.

Die Kugel folgt ihrem blinden Lauf und weiß nicht, wohin sie trifft – und die Hand, die im Dunkeln und auf Commando den Hahn abdrückt, die Hand weiß auch nicht, daß sie das Herz des Bruders treffen kann.

»Pauline – das traf!«[169]

»Franz – Du auch? – Die Kugel steckt in meiner Brust – ach, so sind wir vereint, so ist's ja gut – der Himmel ruft die vereinten Seelen vereint – hinauf.«

»Pauline! Nun bist Du mein!«

Und sie drückten sich fest aneinander und ließen ihr Blut zusammen strömen und im heißen Kuß der Liebe flohen die Seelen nach kurzem Erdenkampf aus den jugendlichen Körpern.[170]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 3, Leipzig 1846, S. 154-171.
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