IV. Zwei Werber

[58] »O sich, es schließt mein ganzes Leben

Vor Dir sich auf, mein bestes Sein:

Um Dich zu werben und zu streben,

Dir meine ganze Kraft zu weih'n.«

Franz Dingelstedt.


An jenem Morgen, an welchem Jaromir um Elisabeths Hand warb, war er vorher dem Geheimrath von Bordenbrücken begegnet, welcher so eben den zehnten Becher kalten Brunnenwassers glücklich hinabgewürgt hatte. Getreu seinem Plan, sich so viel als möglich an den Grafen zu drängen, hatte auch jetzt der Geheimrath ein Gespräch mit ihm angeknüpft und seinem Spaziergange sich angeschlossen.

So kam es, daß sie zusammen an dem Haus vorübergingen, welches der Oberst Treffurth mit seinen Angehörigen bewohnte. In der Stube des Parterres stand ein Fenster auf und eine Dame lehnte in demselben. Der Geheimrath[58] sagte fragend zu ihm: »Bieten wir der Frau Oberst einen Morgengruß?«

Jaromir warf einen Blick in das Fenster – er sah auf Amalien – er hätte sie wohl kaum erkannt, wenn er nicht gewußt hätte, daß sie hier sei und dies Haus bewohne – in diesem Augenblick begegneten Amaliens Blicke den seinigen und im Moment darauf stieß sie einen Schrei aus und warf das Fenster zu.

Jaromir blieb stumm.

Der Geheimrath aber hatte Alles beobachtet. Er hatte recht wohl gesehen, daß nicht die Oberst, sondern Amalie am Fenster war. Daß ein Verhältniß zwischen Beiden bestanden hatte, wußte er vom Doctor Schuhmacher – Dank dessen Haussuchung bei Thalheim! – er wußte nur nicht, ob es noch jetzt bestand, oder ob Jaromir es gelöst hatte; er glaubte das Letztere, zugleich auch, daß Amalie ihn nicht aufgeben wolle und absichtlich ihm hierher nachgereist sei. Dies schien ihm das Wahrscheinlichste und so hatte er es auch bereits Aarens erzählt. Da er nun gern Jaromir sich verpflichten wollte und ihm auch zugleich zeigen, daß er selbst ihm vielleicht auch gefährlich werden könne, so sagte er jetzt vertraulich leise zu ihm:

»Die Erscheinung dieser Person hier in unsrem kleinen Kreis, wo wir Alle wie eine Familie leben könnten, ist mir in Ihre Seele zuwider.«[59]

Jaromir sah mit unverstellter Verwunderung den Sprecher an und sagte unbefangen: »Man sieht sie ja nicht einmal in Gesellschaft.«

»Aber dennoch – hüten Sie Sich – ich habe in diesem Punkte traurige Erfahrungen gemacht, und wie mir scheint, werden dieselben auch für Sie nicht ausbleiben.«

Jaromir ward jetzt wirklich etwas verlegen, da er sich die Worte des Geheimraths gar nicht zu deuten wußte, obwohl sie ihn als wahr trafen. – So hatte vielleicht Amalie selbst sich ihres früheren Verhältnisses gerühmt? Der Geheimrath, als er dies bemerkte, hatte sich für jetzt selbst genug gethan und hatte vollkommen Grund, es zu vermeiden, daß Jaromir von ihm Rechenschaft fordere, wie er in den Besitz seines Geheimnisses gekommen – deshalb eilte er sogleich auf den daherkommenden Aarens zu und sprach mit ihm leise einige Worte, während welcher der jenen begleitende Wasserdoctor, der lange dürre Hofrath Wispermann, seine Worte an Jaromir richtete.

Aarens und der Hofrath waren nicht sobald vorüber, als der Geheimrath sich mit leuchtenden Augen zu Jaromir wendete – denn jetzt hatte er die Gelegenheit in Händen, diesen zugleich zu verwunden und doch auch ihm einen Dienst zu leisten, der Anspruch auf die größte Dankbarkeit hatte.

»Ich mißbrauche das Vertrauen,« sagte der Geheimrath,[60] »welches Aarens in mich setzt – aber der Wunsch, Ihnen, theurer Freund, einen Dienst leisten zu können, läßt mich alle andern Rücksichten vergessen.«

»Ich bitte,« antwortete Jaromir kalt und stolz, »beschweren Sie meinetwegen Ihr Gewissen nicht.«

»Sie werden bald anders denken – Aarens flüsterte mir zu, daß er gestern vom Grafen Hohenthal und seiner Gemahlin das Jawort zu einer Verbindung mit ihrer Tochter erhalten habe.«

»Wie? – Das ist nicht möglich!«

»Er versichert es auf seine Ehre.«

»Das ist seine gewöhnliche Redensart.«

»Aber bedenken Sie, Graf.«

»Es ist unmöglich! Das ist Alles, was ich bedenken kann!«

»Dennoch – bedenken Sie – wie kann er heute erzählen, was ihn, wenn er es widerrufen müßte, in den Augen aller Welt lächerlich machte? – Dazu ist er viel zu stolz und eitel.«

»Seine Eitelkeit verführt ihn selbst, sich das als gewiß zu denken, was er wünschen mag.«

»Sprechen Sie vielleicht aus Erfahrung?«

»Herr Geheimrath!«

»Ereifern Sie Sich nicht – glauben Sie mir, Ihrem alten Freund, ich meine es aufrichtig mit Ihnen und sehe[61] als unparteiisch und unbetheiligt ganz klar in dieser Angelegenheit: Sie sind vielleicht des Herzens der jungen Gräfin gewiß – Aarens ist, wie er mir sagt, des Willens der Eltern gewiß – und daraus entsteht ein sehr natürlicher Conflict und jetzt haben Sie Beide gleiche Macht auf dem Kampfplatze. – Es ist gewissermaßen die neue und die alte Zeit, welche hier zusammenkämpfen – sehen wir zu, welche in den Gesetzen des Schlosses Hohenthal vertreten wird: – Sonst warb man zuerst bei den Eltern, die Einwilligung der Tochter war Nebensache – jetzt will man es umgekehrt machen – mir scheint aber, als widersetzte man sich auf Schloß Hohenthal sehr standhaft dem neuerungssüchtigen Zeitgeist.«

Jaromir war wirklich zu bestürzt, als daß er den Geheimrath hätte unterbrechen sollen – auch fühlte er nur zu gut, daß dieser eigentlich vollkommen Recht habe. – Wie er dazu kam, von diesem Manne so in allen seinen Geheimnissen, in den ältesten wie in den neuesten ausgekundschaftet zu sein, dieser Umstand vermehrte zwar im Allgemeinen seine Bestürzung, aber es fiel ihm doch jetzt weit weniger auf, als es zu anderer Stunde der Fall gewesen sein würde, und darüber nachzudenken, hatte er gleich gar keine Zeit – er drückte dem Geheimrath wirklich herzlich die Hand und rief:

»Ich muß sie jetzt veranlassen – Tausend Dank für[62] Ihre Theilnahme, für Ihre Nachricht und ein ander Mal bessere als jetzt.«

Er stürmte fort in seine Wohnung.

Der Geheimrath sah ihm lachend nach und war jetzt außerordentlich mit sich selbst zufrieden.

Jaromir warf sich schnell in einen eleganten Anzug und eilte nach Schloß Hohenthal.

Er lief eine Seitentreppe hinauf, von welcher er wußte, daß sie gleich aus dem Garten nach Elisabeths Zimmer führte. Er hatte es noch nie betreten, nur ein Mal Elisabeth bis hinauf begleitet. Die Vormittage brachte sie dort meist allein zu, das wußte er. Seine plötzlich erregte Angst, die Dringlichkeit des Momentes, sagte er sich, berechtigte ihn zu Allem – Elisabeth werde ihm verzeihen – und im Uebrigen vertraute er seinem guten Stern. Er lauschte an der Thüre – wie erschrak er, als er Elisabeths weinende Stimme hörte – darauf die aufgeregte der Gräfin – er hörte die ganze letzte Hälfte ihrer Unterredung – wie gering die Gräfin von ihm dachte, mit welch' zuversichtlicher Liebe, welch' zärtlicher Begeisterung Elisabeth von ihm sprach – und so faßte er seinen Entschluß.

Als die Gräfin öffnete, hatte er bereits die kleine Lüge ersonnen, als sei er mit dem Vorsatz gekommen, bei[63] ihr um Elisabeths Hand zu werben – aber er segnete den Zufall, der Alles so für ihn gefügt hatte.

Nun waren sie zusammen zu dem Grafen geeilt. Er war nicht wenig verwundert, als er so unangemeldet und zu so ziemlich früher Stunde Jaromir eintreten sah und noch dazu an Elisabeths Hand.

»Mein Gemahl – Du wirst,« begann die Gräfin.

Elisabeth fiel ihr in's Wort und sagte gleichzeitig: »Du wirst verwundert sein, mein theurer Vater, über unser Kommen – sollen wir es entschuldigen, aufklären mit vielen Worten? Unsre Herzen sind dazu zu voll, wir haben nur ein Wort zu sagen: Laß Jaromir durch mich Deinen Sohn werden!« Und sie hing sich an den Vater mit süßer schmeichelnder Umarmung und einer Thräne in den sanften Augen.

Zugleich faßte Jaromir nach der Hand des Grafen und sagte: »Vergeben Sie dem liebebangenden Herzen, wenn ich nicht nach hergebrachten Formen, sondern mit dem Ungestüm allmächtiger Gefühle um die Hand Ihrer Tochter werbe.«

Die Gräfin stand äußerlich ruhig und kalt fern von der Gruppe und sah auf ihren Gemahl – er warf einen fragenden Blick auf sie, denn er stand bestürzt und unschlüssig und wußte so zu sagen gar nicht, woran er eigentlich war.[64]

Elisabeth bemerkte diesen Blick und sagte: »Die Mutter hat uns auf Deine Entscheidung verwiesen – sie sagte, Du habest etwas anders über meine Hand verfügt. – Du hattest Dich in mir getäuscht, als Du das thatest, denn Du wußtest nicht, daß ich Jaromir liebte; denn das weißt Du, daß ein Herz, welches liebt wie ich, nicht mit einem Andern und also ohne Herz zum Traualtare treten kann – diese Schmach, dieses Elend, dieses Verbrechen könntest Du nie auf mich bürden wollen und nie würdest Du mich willig finden, ein solches Verbrechen zu begehen! – Nein, so hast Du niemals von mir gedacht, Du willst mein Glück und weiter Nichts – segne uns jetzt – und so machst Du mich selig – so selig wie es weiter kein Herz ist auf der Welt.«

»Als das meine!« rief Jaromir und sank mit ihr zu den Füßen des Grafen.

Er stand noch immer regungslos – auch die Gräfin stand regungslos – nur daß sie jetzt nicht mehr auf den Grafen, sondern zu Boden sah – das Herz der Mutter begann in ihr eine Sprache zu reden für die flehende Tochter, welche jetzt leise zu schluchzen begann.«

Aber als der Graf noch immer schwieg, erwachte Jaromir's stolzer Sinn, und er sprang auf – er zog Elisabeth mit sich empor und rief:

»Hör' auf zu bitten, Elisabeth – sie verstehen uns[65] nicht – sie haben nie geliebt – sie verstehen unsre Sprache nicht – sie wissen nicht, was sie thun! – Zum letzten Mal denn,« rief er mit verzweifelnder Stimme, indem er sie küßte.

»Jaromir!« rief sie und umschlang ihn fest.

Er machte sich los und führte sie zu ihrer Mutter – er machte dieser eine kalte Verbeugung und wollte gehen.

Aber das Mutterherz ertrug nicht den brechenden Blick der zusammensinkenden Tochter. Sie ging auf Jaromir zu:

»Ihr Stolz,« sagte sie, »bezeichnet Sie als einen Verwandten und Theilnehmer an unsrem größten Familienfehler, und wenn Stolz dem Stolz begegnet, so müssen sie sich an einander brechen oder es giebt ein Unheil. – Bedenken Sie, mein Sohn, daß, wenn Sie Sich darüber empören wollen, daß Eltern über ihr heiligstes Eigenthum nach ihrem besten Ermessen verfügen wollen – es sie wohl kränken kann, wenn sie ohne ihr Wissen sich ihres Rechtes über ihr schönstes Kleinod schon verlustig sehen.«

Zugleich war der Graf zu Elisabeth getreten und führte sie jetzt in Jaromir's Arme.

»Du brichst das Wort, das ich gestern gab,« sagte er, »ich will es zurücknehmen – ich betrachte Euch als Verlobte, als meine Kinder – und die Welt betrachte Euch so – aber unter Jahresfrist dürfen Sie mir mein Kind nicht entführen – und den Elternsorgen dürfen Sie es[66] nicht verargen, wenn wir den, dem wir unser einziges Kleinod anvertrauen, eh' dies unwiderruflich geschieht, noch näher kennen lernen mögten.«

Kaum hörten die Beseligten den ziemlich ernst gesprochenen Nachsatz vor Glück und Ueberraschung.

»Jetzt aber laßt mich allein,« sagte der Graf Hohenthal, »vielleicht habe ich noch Zeit, mein gegebenes Wort schriftlich zurückzunehmen. – Sie, Szariny, bleiben doch den Tag über bei uns, und wir besprechen und erörtern dann alles Nähere, was unser neues Verhältniß betrifft.«

Die Gräfin blieb noch bei ihrem Gatten.

Jaromir und Elisabeth entfernten sich.

»Wir gehen doch in den Park?« fragte sie – und so lenkten sie ihre Schritte die breite Treppe vor dem Schloß hinab. Sie gingen Arm in Arm und konnten jetzt auch nicht sprechen, sondern waren nur Eines verloren im Anschaun des Andern. So hatten sie nicht gleich bemerkt, wie so eben Aarens mit festen, siegesbewußten Schritten aus dem großen Hofthor trat und der Treppe zuschritt. Elisabeth an Jaromir's Arm! Das brachte ihn außer Fassung – aber er baute zu fest auf seinen Sieg – es konnte nur eine Höflichkeit sein, wie sie Elisabeth ja auch von ihm selbst schon zuweilen angenommen hatte.

Jetzt stand Aarens grüßend vor dem Paare.

Elisabeth überlegte schnell, daß sie, wenn sie jetzt[67] unbefangen Jaromir als ihren Bräutigam vorstelle, ihrem Vater eine schwere Pflicht und Aarens eine Kränkung ersparen könne, indem er dann glauben werde, Jaromir habe um sie angehalten, eh' sie selbst von Aarens Werbung erfahren – im Augenblick bedachte sie nicht, daß jener um so beleidigter sich fühlen könne, wenn man nicht einmal seine Werbung gegen die Jaromir's in die Waagschaale geworfen, und so stellte sie, bedacht und unbedacht zugleich, Jaromir als ihren Bräutigam vor und fügte bei:

»Und so bitt ich denn den werthen Freund unsres Hauses, uns auch in Zukunft ein solcher zu bleiben!« Sie sagte dies mit der freundlichsten, herzlichsten Stimme, denn so glücklich, wie sie jetzt war, hätte sie gern auch nur lauter glückliche Menschen um sich gesehen, und empfand daher Mitleid für den Getäuschten.

Er stand wie vom Donner gerührt.

Nach einer Weile sagte er sehr gezwungen: »Ich werde nachher die Ehre haben, Ihnen Glück zu wünschen – jetzt erwartet mich Ihr gnädiger Herr Vater.«

Damit eilte er die Treppe hinauf.

Die beiden Glücklichen aber gingen in die Rotunde, welche so oft schon zum Tempel ihrer Liebe geworden war – um auch jetzt dort vor einander die selig klopfenden Herzen zu entlasten.

Zu derselben Stunde, in der Jaromir nach Schloß[68] Hohenthal ging, hatte sich Gustav Thalheim nach der Fabrik des Herrn Felchner begeben, um dort seinen Besuch zu machen. Zwar hatte der Rittmeister von Waldow versucht, ihn zurückzuhalten, hatte Herrn Felchner als einen gemeinen, groben und unerträglichen Menschen geschildert, mit dem ein wohlerzogener Mensch gar nicht verkehren könne – denn der Rittmeister konnte es niemals vergessen, daß sein schöner Wald mit all' seinen stolz und aristokratisch hochgewachsenen Bäumen ein Eigenthum des Fabrikanten geworden war, der mit diesen Bäumen nun seine Fabrik heizte. – Zwar hatte der Rittmeister Paulinen, die ihm einst für seinen Sohn eine so wünschenswerthe als nun unerreichbare Partie gewesen – als eine überspannte Närrin geschildert, welche mit den untergeordnetsten Arbeitern auf eine seltsame Weise verkehre – aber Thalheim ließ sich nicht in seinem Entschluß irre machen und seufzte nur innerlich, daß auch hier in dieser Abgeschiedenheit gerade das Edelste und Weiblichste einer zarten weiblichen Natur so falsch beurtheilt werden konnte.

Als Thalheim in die Fabrik kam und nach Herrn Felchner fragte, sagte man ihm, daß er in die Stadt gefahren sei und vor Abend nicht zurückkäme.

Er fragte nach dem Fräulein.

»Ich will sie suchen,« antwortete die Magd, »warten[69] Sie – unten wird gescheuert, weil der Herr nicht da ist – kommen Sie mit herauf.«

Thalheim folgte der vorauseilenden Magd und sie schob ihn in eines jener Prachtgemächer des oberen Stockes, welche gar nicht benutzt wurden und in denen daher eine schwüle, dumpfe Luft herrschte.

Die Ueberladung, der Luxus dieses Gemaches, dessen Einrichtung in einer geschmacklosen Ueberhäufung prachtvoller Meubles und kostbarer Kleinigkeiten bestand, machte einen höchst widrigen Eindruck auf Thalheim und versetzte ihn in eine peinliche Stimmung.

Pauline ließ lange auf sich warten.

Endlich trat sie ein – die Magd hatte ihr nur gesagt, ein Herr warte auf sie – wie groß war ihr Erstaunen, als sie jetzt den Lehrer wieder erkannte! Sie bot ihm herzlich die Hand und hieß ihn mit froher Ueberraschung willkommen.

Thalheim erzählte, wie es gekommen, daß er jetzt für einige Tage hier sei.

»Sie treffen außer mir noch zwei Menschen hier, die sich innig dieses Wiedersehens freuen werden,« sagte sie leise erröthend, »Ihren Bruder und Elisabeth,« und hastig fügte sie bei: »waren Sie schon auf Schloß Hohenthal?«

»Ich beabsichtige, von hier dorthin zu gehen.«[70]

»Das trifft sich gut – so darf ich hoffen, daß wir zusammen dahin fahren – ich beabsichtigte dies schon, da ich Elisabeth lange nicht gesehen.«

»Sie leben hier in gut nachbarlichem Verhältniß?«

»Nicht mehr so ganz – es gab Differenzen zwischen unsern Eltern – Sie hatten nur zu Recht: unsrer Freundschaft standen Kämpfe bevor – aber wir hielten sie aus – Elisabeth kam dann wohl noch zu mir – aber ich mußte des Vaters Geheiß befolgen – heute aber ist er in die Stadt gefahren in Geschäften, weil ihm eine neue Handelsspeculation gelungen ist – er war sehr vergnügt und sagte – ich möge ihm eine Bitte nennen, er werde sie gewähren, und so –«

»So baten Sie darum, die freundlichen Beziehungen zum Schloß wieder anknüpfen zu dürfen?«

Sie schwieg und sah vor sich nieder, wie um zu prüfen, ob sie Etwas sagen oder verschweigen solle – dann begann sie und eine Thräne glänzte in ihrem Auge:

»Sie kennen ja doch einmal die Einrichtungen in unsrer Fabrik, warum Ihnen nicht die Wahrheit sagen? – Die Freundschaft gilt mir viel – aber ihrer bin ich ja doch sicher und selbst wenn es nicht wäre, warum nicht ein Gefühl meines Herzens der Zufriedenheit vieler Unglücklicher zum Opfer bringen? Ich bat meinen Vater:[71] den Arbeitern, denen er gestern gebot, ihren Verein aufzuheben – denselben doch wieder zu gestatten.«

Thalheim ergriff ihre Hand und drückte sie mit warmer Herzlichkeit, indem er wehmüthig fragte: »Es war umsonst?«

»Umsonst – er ward zornig – er sagte, das sei keine Bitte für mich – und so that ich erschreckt die zweite, die er gewährte.«

»Und da wir denn einmal auf diese beängstigenden Zustände gekommen sind – waren es nicht fremde Einflüsterungen, welche Ihren Vater dahin brachten, etwas zu verbieten, das er Jahre lang wenigstens als unschädlich geduldet hatte?«

»Ja, ein Fremder sagte ihm, daß communistische Principien sich hier eingeschlichen, daß er das Schrecklichste erleben würde – er war lange ungläubig, und je schwerer er sich erst zum Mißtrauen bringen ließ, um so hartnäckiger beharrt er nun in demselben.«

»Aber wenn ein Fremder ihn nach der einen Seite hin mißtrauisch machen konnte – vermöchte nun nicht ein andrer Fremder dasselbe nach der andern Seite? Sollte es ihm nicht einleuchten, daß es gefährlich ist, den Unglücklichen durch Härte zur Verzweiflung zu treiben? Sollte man nicht von dieser Seite ihn warnen können? – Ich[72] gestehe, um deswillen thut es mir leid, Sie allein getroffen zu haben.«

»O, wagen Sie das nicht – Sie am Wenigsten – er mißtrauet Ihrem Bruder – er könnte das Schrecklichste vermuthen. Es ist Alles vergebens! Er hört auch kein Wort von mir mehr an über diesen Punkt – und mein Bruder ist noch mißtrauischer und strenger als der Vater. – Ach, ich sehe das Fürchterlichste kommen – aber der Blick der ungehörten Kassandra ändert Nichts an dem kommenden Unheil – es wird kommen, schrecklich kommen über uns Alle und seine Opfer fordern – und dann wird Alles sein wie vorher!« Pauline sagte dies mit so tiefem Grausen, daß kalte Schauer über ihren Körper rieselten und sie sichtbar zu zittern anfing.

»Sie haben ein trauriges Loos, Pauline, nur weil Sie ein Herz für die Menschheit haben.«

Sie raffte sich zusammen und stand auf: »Wir wollen einander nicht erweichen,« sagte sie, »ich glaube, ich werde noch viel Kraft brauchen! – Drunten läutet eben die Mittagsglocke. – Wollen Sie vielleicht mit Franz sprechen? Unterdeß mach' ich mich zur Fahrt zurecht und bestelle den Wagen.«

Er stand auf, stimmte bei und ging.

Unten traf er bald auf Franz, der mit gesenktem[73] Haupt daher kam. Er schüttelte ihm die Hand und sagte, daß er von Paulinen komme.

Franzens Augen leuchteten: »Begreifst Du nun, wie Alles kommen mußte?« fragte er traurig.

Andere Arbeiter gingen vorüber, machten böse Gesichter und murmelten mit einander:

»Habt Ihr gesehen – was er für einen Bruder hat, sieht aus, wie was Rechtes.«

»Der bringt ihm vielleicht noch den Verstand zu Recht, das ist so Einer, die's mit dem Volke halten, wenn's der Franz auch nicht zugeben will – ich weiß es besser! Er kommt aus der Schweiz, wo die armen Leute viel aufgeklärter sind als hier und besser zusammenhalten – und wo auch Leute, die fein angezogen gehen wie er, mit denen zusammenkommen, die in schlechten Blousen und geflickten Lumpen gehen wie wir!« sagte Anton.

»Was Du nicht immer wissen willst!« meinte ein Anderer.

»Wißt Ihr's, zischelte ein Dritter, »der Alte ist heute verreist, und wenn die Kaße nicht zu Hause ist – nun da wißt Ihr schon.«

»Bleibt er über Nacht weg?«

»Nein – das nicht.«

»Nun, da ist auch Nichts – die Mäuse können nur[74] die Nacht tanzen und pfeifen – die Nacht muß es losgehen!«

»Ja, die Nacht! Und mag der alte Kater selber das Zusehen umsonst haben!«

»Pst, Brüder, pst!« ermahnte Wilhelm. »Wenn Jemand Euch hört – und wenn Ihr auch murmelt – jetzt, hat jedes Steinchen im Wege ein Ohr.«

Die Burschen gingen ruhiger vorüber.

Jetzt fuhr der Wagen vor und Pauline stieg ein – der ältere Thalheim kehrte um und setzte sich zu ihr. Franz blieb am Wege stehen, bis der Wagen vorbeifuhr. Seit jenem Abend, wo sie von ihrem Gefühl überwältigt an seine Brust gesunken war, hatte er noch weniger als vorher gewagt, sich ihr wieder zu nähern – aber jetzt in dieser Entfernung, in diesem Moment konnte er es schon wagen, ihr einen Blick zuzuwerfen, in dem seine ganze Seele lag und sie erwiderte ihn mit einem gleichen.

Dann besprachen die Beiden noch Manches, das sie einander nur immer werther machte und näher brachte.

So kamen sie gerade kurze Zeit nach Aarens im Schloß an. Man sagte ihnen, daß der Graf und die Gräfin im Augenblick nicht zu sprechen wären, die Comtesse aber sei in der Rotunde.

Dorthin eilte Pauline mit dem Lehrer.[75]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 3, Leipzig 1846, S. 58-76.
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