III. Wiedersehen

[40] »An dem hellsten Sommertag,

Unter Zweigen lichtdurchbrochen,

Bei der Lerchen Jubelschlag

Hab' ich Dich zuerst gesprochen.«

Betty Paoli.


Einige Wochen waren seit dem Tage vergangen, an welchem Graf Hohenthal und Rittmeister Waldow sich vergeblich bemüht hatten, Herrn Felchner zu einer kleinen Gestundung zu vermögen – er war im Recht gewesen und er hatte von diesem Recht Gebrauch gemacht – der Wald war ihm als Eigenthum zuerkannt worden.

Jaromir hatte eine der Hütten, welche zu der Wasserheilanstalt Hohenheim gehörten, für sich gemiethet und vollkommen Alles das ausgeführt, was er mit Waldow in Bezug auf die Heilanstalt verabredet hatte. Ehe er sich ganz in dieselbe begab, war er noch auf ein paar Wochen zurück in die Residenz gereist, um dort seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, da er vorher seine[40] Abwesenheit nicht auf eine längere Dauer berechnet hatte. Zugleich benutzte er die Zeit dieses Aufenthaltes dazu, den idyllischen Aufenthalt in Hohenheim mit entzückenden und glänzenden Farben in einigen aristokratischen Zirkeln so verführerisch zu beschreiben, daß ihm beim Abschied mehr als ein Mal, und von mehr als einer Person das Wort entgegentönte: »Ich denke, wir sehen uns wieder – in Hohenheim.«

Vollkommen befriedigt von den Resultaten dieser Wochen, vollkommen ermüdet und gelangweilt von der Gesellschaft in der Residenz, dagegen aber auch nach seiner elenden Hütte sich sehnend – vielleicht auch noch verlangender nach Etwas mehr kam er in Hohenheim an.

Der Restauration der Wasserheilanstalt gegenüber, welche ein speculativer Gastwirth auf Zureden des Wasserdoctors für einen geringen Pacht übernommen hatte, befand sich eine Baute aus Brettern, welche man den Kursalon zu nennen beliebte. Er war nach vorn geöffnet, von einigen Bäumen umgeben, mit Markisen von grauer Leinwand versehen und sein Fußboden mit grobem Kies bestreut. Weiß angestrichne Lattenbänke, ebenfalls weiß gefirnißte Tische und ein Duzend Feldstühle mit Sitzen von groben Gurtbändern, dies war das Meublement dieses Salons, welcher dazu bestimmt war, daß die Kurgäste zu den Stunden in ihm sich versammelten. wo sie ein solches[41] Mittelding von freier Luft und Bretterschutz gegen diese wünschenswerth fanden. In der That, ein Aufenthalt, welcher mehr als einfach war.

Jaromir hatte ihn sogar zu einem Lesesalon gemacht, indem er gefällig genug war, diejenigen Journale, welche er vermöge seiner literarischen Verbindungen zugeschickt erhielt, daselbst zur allgemeinen Lectüre auszulegen. Niemand war glücklicher als Hofrath Wispermann, in Jaromir eine so gute Acquisition gemacht zu haben, er überhäufte ihn dafür mit Artigkeiten, wiewohl es ihn im Stillen verdroß, daß der Graf durchaus seine ärztliche Behandlung, seine Bäder verschmähte.

Gleich am ersten Nachmittag nach seiner Ankunft besuchte Jaromir diesen Salon.

Der junge Waldow traf am Eingang mit ihm zusammen. »Hierher ist fast mein täglicher Spazierritt,« sagte er, »um zugleich jeden neuen Ankömmling mustern zu können und zu erfahren, wie er die göttliche Romantik dieses Ortes findet, mit welcher Ihre Schilderungen ihn so reichlich versehen haben. – Dort sitzt ja ein ganzer Klubb – lassen Sie uns die Gesellschaft erst aus der Ferne in Augenschein nehmen. Lorgnetten heraus! Dort das rothbackige Gesicht des Engländers mit dem großen Mund, der die verhältnißmäßig gleich großen Vatermörder zu küssen scheint, kennen wir schon – er behauptet ewig[42] dieselbe stereotype Figur – er sitzt allein und liest in einem Buche. Mein Himmel! Was muß der Mensch nicht Alles schon zusammengelesen haben, wenn er's immer so treibt wie hier – ich habe ihn noch niemals anders als lesend gesehen, ich kann mir ihn auch gar nicht anders vorstellen. Wie jene Wilden, welche, als sie die ersten Reiter sahen, glaubten, Mensch und Roß wären ein Wesen, so scheint mir der Engländer mit seinem Buch durchaus ein Ganzes zu bilden. Den eleganten Herrn mit den gelben Glacehandschuhen und der rothen Sammtweste kenne ich und werde Sie nachher einander vorstellen. Es ist ein Kammerjunker von Aarens, der sich nur Courmachens halber hier aufhält – er ist nämlich hierher gegangen, weil er den Grafen Hohenthal kennt und eine reiche Partie beabsichtigt – er ist seit einer Woche hier und schon sehr oft in dem benachbarten Schloß gewesen.«

Jaromir hatte zuletzt aufmerksamer als Anfangs zugehört, den eben Besprochenen mit prüfenden Blicken gemustert und sagte jetzt ruhig: »Der Mensch sieht sehr unbedeutend aus.«

»Was ihn aber bedeutend machen kann, ist ein alter Name, bedeutendes Vermögen und große Gunst, welche er an seinem Hof genießt. Den Herrn zwischen ihm und unsern Doctor, eben so lang und dürr wie dieser, aber mit einer so ausgesucht malitiösen Miene, kenne ich[43] nicht, es muß ein neuer Ankömmling sein. Der Geheimrath von Brodenbrücker daneben hat sich bis jetzt schrecklich gelangweilt, er ist aus Gefälligkeit für seine Frau, welche vollkommnes Pantoffelregiment geltend macht, hierher gekommen, denn sie will nämlich gern in jeder Mode den Ton angeben und hat sich es deshalb nicht nehmen lassen, krank zu sein und von einem gefälligen Arzt in eine Wasserheilanstalt geschickt zu werden. Sie scheint eine sentimentale Kokette zu sein, bei welcher man sich Etwas erlauben darf. Nun kommen Sie, ich stelle Sie den Herrschaften vor, Ihr Name wird frappiren, wenn ihn nicht etwa der Doctor schon ausgeplaudert hat. Bemerken Sie wohl, welche schmachtenden Blicke die Geheimräthin auf uns wirft – ich glaube, es ist ihr lange nicht so wohl geworden, die einzige Dame in einem Badeort zu sein.«

Waldow trat jetzt mit Jaromir zu der Gruppe und stellte diesen vor:

»Graf Jaromir von Szariny.«

Der Name frappirte allerdings – aber obwohl die Geheimräthin vor freudigem Erschrecken beinah in eine Ohnmacht gefallen wäre, war doch Niemand davon in gleichem Maaße betroffen, als der fremde, lange, dürre Herr. Als er Szariny's Namen nennen hörte, nahmen seine Augen einen ganz eigenthümlichen Ausdruck an, Schreck paarte sich mit Freude. Sein ganzes Wesen schien verändert zu[44] werden, er sah vor sich nieder, als beachte er den Grafen weiter nicht, aber wer ihn aufmerksam beobachtet hätte, würde gewiß bemerkt haben, wie sich seine Ohren sichtlich spitzten, als er diesen Namen hatte nennen hören.

Als Jaromir einige Worte mit dem Wasserdoctor sprach, stellte ihm dieser seinen Nachbar als: »Herr Schuhmacher, Doctor Juris,« vor.

Es wurden nur wenig Worte gewechselt. Diese Gesellschaft behagte Jaromir wenig, und als Waldow sich nach einem Stündchen wieder zum Nachhauseritt anschickte, brach auch er auf, ließ seine Droschke anspannen und fuhr hinauf nach dem Schloß.

Elisabeth saß auf dem Balkon, zu welchem man aus dem Gesellschaftszimmer gelangte und welcher über dem Hauptportal sich erhob. Sie war so in das Lesen eines Buches vertieft, daß sie erst, als der Wagen auf den Steinplatten des Hofes rasselte, durch das Geräusch aufmerksam gemacht wurde und hinab sah. Die Droschke hielt vor dem Haupteingang. Jaromir hatte Elisabeth längst gesehen – jetzt grüßte er, als er bemerkte, daß sie aufstand und ihn gewahr ward. Sie trat von dem Balkon in den Saal – er aus dem Hof in die Hausflur, Sie war ein Wenig in Verwirrung, denn ihre Eltern hatten einen Spaziergang in den Park gemacht, an dem sie nur aus zufälliger Laune nicht Theil genommen hatte. Sie wußte[45] nicht, wenn sie zurückkehren würden, wohin sie ihre Schritte gerichtet hatten – es war eben so gut möglich, daß sie in den nächsten Minuten, als daß sie erst nach Stunden zurückkommen würden. Sie wollte Jaromir's Besuch abweisen lassen, aber er hatte sie gesehen und gegrüßt, sie konnte sich nicht selbst verleugnen lassen – in dem Augenblick ihrer Unschlüssigkeit meldete ein Diener den Grafen.

»Haben Sie gesagt, daß der Graf und die Gräfin ausgegangen sind?«

»Ja, zu Befehl – der Herr Graf beauftragte mich, ihn bei Ihnen zu melden.«

Sie sah noch einen Augenblick schweigend vor sich aus, dann sagte sie: »Ich erwarte den Herrn Grafen.«

Der Diener entfernte sich – gleich darauf trat Jaromir ein.

Die gewöhnlichen Begrüßungen fanden statt. Sie sagte ihm, daß ihre Eltern ausgegangen wären und daß sie nicht wisse, ob sie dieselben bald oder später zurück erwarten dürfe. Er bemerkte, daß er sie, Elisabeth, bei seiner Ankunft auf dem Balkon gesehen, und daß nicht seine Gegenwart Ursache sein solle, die freie Luft mit der des Zimmers zu vertauschen.

So traten denn Beide hinaus auf den Balkon.

Die Gegend breitete sich malerisch vor ihnen aus in lichter Frühlingsklarheit. Das hochgelegene Schloß beherrschte[46] auf höherem Bergesrücken ein großes Panorama.

Es war ein schöner Nachmittag – man wußte nicht, war es noch Frühling oder schon Mitte des Sommers. Gegend und Luft gaben die Wonnen von Beiden. Der Himmel war ein glänzendes, lachendes Blau, die Luft ein ewiges lindes Wehen. Durchleuchtete Wölkchen zogen wie leichte Silberschleier hin und her und warfen kleine wandelnde Schatten auf die Gegend. Rechts erhob sich eine lange Hügelkette, die dem Berge sich anschloß, auf welchem die Burg stand. Die einen waren mit düstern Tannen und Fichten bewachsen, an welchen die jungen, hellgrünen Triebe wie zarte Finger von viel Tausend emporgehobenen Händen sich aufwärts streckten, als schwören auch die ernsten Gestalten der Tannen fröhlich dem Frühling Treue. Und so dicht war die Waldung, daß sie, wo das Auge zu ihr in die Ferne schweifte, wie ein großes weiches Bett von schwellendem Moos aussah, in dem sichs gut liegen und ruhen müsse. Andere Hügel waren von grauem Gestein nur spärlich von dunkeln, roth blühendem Moos und lichtgrünem, niedrem Gras bedeckt und mit getrennt stehenden Birken bewachsen. Ihre weißen Stämme standen aufgerichtet wie heilige Friedensstäbe mit grünen, wehen den Kränzen geschmückt. Zwischen diesen Hügeln trat ein kleiner Fluß hervor und schleppte mit seinen blau und silbern[47] blinkenden, tanzenden Wellen geduldig das Flößholz – die abgehauenen Glieder des Waldes – herab in's Thal, dann stürzte er sich brausend über ein hohes Wehr und die Scheite sprangen kühn und lustig mit dem Wasser taumelnd hinüber. Geradeaus that dem Blick ein weites Thal sich auf, die Landstraße zog sich durch und auf ihr wirbelte gerade jetzt eine läutende Heerde lichtweißer Schaafe eine gelbliche Staubwolke auf. Links gränzte an das Schloß der weite Park. Seine Eichen standen im prangendsten Jugendgrün und ihre stolzen Kronen überragten die andern Bäume. Alle Gesträuche blühten bunt dazwischen. Hier schlängelte eine Allee weiß blühender Kirschbäume sich wie eine lange Guirlande durch die blumigen Wiesen. Dort glich eine Gruppe von Apfelbäumen, deren rothe schwellende Knospen sich eben erschließen zu wollen schienen, einem riesenhaften, leicht hingeworfenen Rosenkranz. Und aus all' diesem malerischen Gemisch von Bäumen, Blüthensträuchen und Grasplätzen schimmerte hier ein weißer kleiner Marmortempel, wie ein ernstes Mausoleum hervor, wehten dort die Fahnen und Glöckchen eines japanischen Lusthauses, wie im heitrem Spiel grüßend mit Flattern und Läuten, erhob sich an einer andern Stelle ein grauer Thurm, und so noch manches abenteuerliche, malerische Gebäude. In weiter Ferne begränzte ein hoher Berg mit einer verwitterten Burgruine den Horizont.[48] Balsamische Blumendüfte zogen wie wallender Weihrauch von den Frühlingsopfern der Erde aus den nahen Gartenbeeten empor und eine Schaar wirbelnder Lerchen tummelte sich wie trunken im Aetherblau.

Jaromir und Elisabeth hatten eine Weile stumm nebeneinander gesessen und bewundernde und entzückte Blicke auf die reichen Naturschönheiten dieser Landschaft geworfen. Jetzt sagte Jaromir:

»Es ist das erste Mal, daß ich unwillkürlich durch Sie angeregt in Naturbetrachtungen versinke – vergeben Sie, wenn ein Blick auf dieses feierliche Frühlingswalten ringsum mich zu lange stumm gemacht.«

Sie sagte mit einem leichten Erröthen und ohne aufzusehen: »Mein früheres Zusammentreffen mit Ihnen fand außerhalb der gewöhnlichen Schranken und auf befremdende Weise Statt – ich fühle, daß ich Ihnen dafür eigentlich eine Erklärung schuldig wäre, aber ich weiß dennoch nicht, wie ich sie Ihnen geben könnte, und indem ich gerade fordern muß, mir sogar den Versuch dazu zu ersparen, fühle ich, daß ich vielleicht Viel von Ihnen verlange, wenn ich Sie bitte, ohne zu gering von mir zu denken, diese frühere Begegnung wo möglich zu vergessen – für sich selbst und für Andere.«

Sie ließ einen Moment ihre schönen Augen mit einem flehenden Ausdruck auf den seinen ruhen, dann senkte[49] sie wieder die langen Wimpern, während er rasch das Wort nahm:

»Vergessen?« sagte er mit sanfter Stimme. »Vergessen? Sehen Sie da unten die weiße Blume, welche ihr Haupt der Sonne zugekehrt hat, soll sie auch vergessen, daß der Lichtstrahl auf sie fiel, welcher ihren Kelch erschloß? Soll dort der Wanderer, den Sie von dem höchsten Berge langsam herabsteigen sehen, auch vergessen, daß er einen entzückenden Anblick dieser weiten Frühlingslandschaft genossen, der ihn vielleicht trunken schwärmen machte, wie der Blick in ein seliges Eden? Warum vergessen? Nein, ich werde ewig an diese Stunde denken müssen,« rief er schwärmerisch vor sich aussehend, »sie ist ein Theil geworden von meinem Leben.«

Elisabeth schlug die Augen nieder und schwieg.

Nach einer Pause begann Jaromir wieder, aber ruhiger: »Sie schweigen – vielleicht weil Sie die Sprache seltsam, finden, welche ich führe, vielleicht weil Sie Ihnen ungeziemend erscheint – aber wenn Sie mir vergönnen, aufrichtig fortzufahren – so werden Sie mir vergeben, wenn Sie es nicht schon jetzt thun.«

»Sie sind ja Dichter,« sagte Elisabeth, »da muß Ihnen schon gestattet werden, Ihre Träume auszusprechen, in welcher Form Sie wollen – weiß man doch, daß es eben poetische Träumereien sind, was man hört.«[50]

»Dieser Dichter hatte lange Zeit vergessen, daß er einer war, bis Sie ihn wieder dazu machten –« antwortete Jaromir und fuhr dann fort: »Sehen Sie, Ihnen allein gegenüber darf ich doch wahr sein? Sie haben es ja eben ausgesprochen, daß ich ein Dichter sei – nicht jedem Wesen entschleiert ein solcher seine Seele – und darum, als ich Sie das erste Mal in diesem Schlosse sah, als ich unerwartet in der Tochter dieses Hauses das weinende Mädchen wieder erkannte, das ich einst fern von hier begrüßt, da fesselte nicht allein das Erstaunen meine Zunge, daß ich es nicht aussprach, wie Sie mir nicht ganz fremd seien, sondern ich blieb darüber stumm, weil diese Begegnung immer ein süßes Geheimniß meiner Seele geblieben war, das ich nun nicht auf ein Mal mit gleichgültigen Worten gleichgültigen Ohren und Herzen Preis geben konnte. Und dann – ich wußte ja nicht, ob es nicht vielleicht auch Ihr stilles Geheimniß war, das keine Zeugen und keine Mitwisser duldete, an jenem Tag und an jener Stelle sich auszuweinen? Und lieber noch hätte ich mich selbst verrathen, als Sie!«

»Ich danke Ihnen für diese Rücksicht. Thränen, mit denen man sich in die Einsamkeit flüchtet, um sie auszuweinen, werden von Andern verstanden –« sagte Elisabeth.

Er fuhr fort: »Sie waren gewiß an jenem Morgen[51] so früh aufgestanden, der Schmerz hatte Sie nicht ruhen lassen – bei mir war das Anders, ich kam von einer festlich durchschwärmten Nacht – aber wessen Herz in diesen Stunden schmerzlicher gezuckt haben mag – das Ihre unter Ihren Thränen, das meine unter meinem Lachen – wer mögt' es entscheiden? Ich habe das Wort nicht vergessen, das Sie zu mir sagten: ›Sie scheinen auch nicht glücklich zu sein!‹ So hatten Sie mich allein verstanden, eine Fremde – unter all' den Hunderten, welche mich zu kennen meinen, welche mir täglich versicherten: ich sei der glücklichste Sterbliche.«

»Ich hatte Ihnen schon einmal begegnet, wo Sie noch trauriger aussahen –« fiel sie ihm rasch in's Wort, aber sie hielt plötzlich inne und erröthete und fragte sich mädchenhaft schüchtern im Stillen, ob sie nicht unvorsichtig zu Viel gesagt.

Fast war es auch für Jaromir zu Viel, zu viel überraschende Freude, daß sie dieses sagte – ihm wars, als müsse er ihr zu Füßen fallen, oder ihre Hand fassen und drücken, oder sie selbst in seine Arme ziehen – aber er bezwang sich, er blickte sie nur noch inniger an, doch wagte er nicht, sie zu berühren, oder sich ihr leidenschaftlich zu nähern – er sagte sich, daß er das schöne Vertrauen, mit dem sie ihn allein bei sich empfangen, nicht mißbrauchen dürfe. »Ja«, sagte er, »damals lag auf[52] Ihrer Stirn, in Ihren Blicken leuchtender, ungetrübter Friede und ich dachte, so müss' es immer sein – damals meinte ich nicht, daß ich nach wenig Monaten Sie so wiedersehen würde, wie es geschah. Jener erste Moment, in welchem ich sie sah, ist einer der erschütterndsten meines Lebens gewesen, ich werde ihn nie vergessen, und als ich Sie zum zweiten Male sah – darf ich es Ihnen gestehen? so hätt' ich dem Leben fluchen mögen, das auch aus Ihren Augen Thränen preßte, das auch Sie schon so schmerzlich fassen und bewegen konnte! Aber ich lernte auch von Ihnen – ich hatte oft das Weh meines Herzens übertäuben wollen in rauschender Lust, aber ich dachte dann, es sei besser, gleich Ihnen dies Leid auszuweinen in Gottes freier Natur, an der Brust der mütterlichen Erde – und so that ich – und so kam ich auch hierher, um in der heiligen Frühlingswelt alle kleinen menschlichen Schmerzen zu vergessen – und mir ist, als würde das Herz gesund, wenn es wie hier neben lächelnden Blumen und wirbelndenden Lerchen schlagen kann –« er wollte noch mehr sagen, aber er hielt inne.

»Das Herz wird still, wenn es wie hier auf dieser Höhe dem Himmel näher schlägt,« ergänzte Eisabeth, »ich bin jetzt zufrieden. Ich genieße den Fühling – was will man mehr?«

»Die Nähe verwandter Seelen,« sagte Jaromir.[53]

»O, ist man nicht selber reich genug, dem Wald, dem Bach, den Blumen allen verwandte Seelen zu geben? Und bringt nicht jede Schwalbe, die sich in unsrer Nähe anheimelt, nicht jede Lerche, die aus der Saat zum Himmel jubelnd emporschwirrt, jede Nachtigall, die im Stillen und Dunkel sich hören läßt, die verwandte Seele mit, nach welcher wir uns sehnen? Fühlen Sie nicht, daß das Lied, welches von dem wechselnden Vögelchen da drunten im Garten ertönt, alle die Regungen zur Sprache bringt, über welche Sie mit sympathisirenden Wesen sich unterhalten mögten? Nun und warum nicht mit diesen gefiederten Sängern?« fragte Elisabeth.

»Nun, wer von uns Beiden ist denn der Poet?« sagte Jaromir lächelnd.

In diesem Augenblick traten der Graf und die Gräfin in den Saal. Jaromir und Elisabeth hatten sie vorher nicht bemerkt – sie standen jetzt schnell überrascht auf und traten zu ihnen in den Saal.

Die Unterhaltung war allgemein und kam nicht aus der Sphäre des gewöhnlichen Conversationstones heraus. Jaromir hielt das nicht lange aus und entfernte sich sobald als es schicklich war.

Später sagte die Gräfin zu Elisabeth: »Du ließest[54] gestern den Kammerjunker von Aarens abweisen, weil Du allein warst, und nimmst heute im gleichen Falle den Grafen Szariny an – ich liebe solche Inconsequenzen nicht.«

Elisabeth verließ ohne Antwort das Zimmer.[55]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 2, Leipzig 1846, S. 40-56.
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