Zweite Szene.


[12] Nero; Seneka; später Burrus und Tigellinus.

Nero geht allein, tiefsinnig, die Hände auf dem Rücken, auf und ab. Aus seinen gelegentlichen Gestikulazjonen sieht man, daß er stark innerlich bewegt ist. Er scheint freudig[12] das Verlebte nachzuempfinden. Geht auch zum Tisch, liest, nachläßig hingelegt, eine der dortliegenden Rollen mit vielem Behangen nochmals durch und begleitet diesen stillen Genuß mit gelegentlichen Kopf-Niken, Kopf-Schütteln und gestikulatorischen Zeichen, die alle starkes künstlerisches Empfinden ausdrüken.


SENEKA alter, verwitterter Filosofenkopf, im grauen Vollbart, vom Zenturjo hereinbegleitet, tritt von Rechts ein, mürrisch besorgt. Heil, Zäsar!

NERO auffahrend, freundlich. Ah, du bist es, Seneka! – Schön! – Was bringst du Neues?

SENEKA langsam, mürrisch. Schweres, dumpfes Wetter liegt über ganz Rom.

NERO. Ueber ganz Rom? – Nun?

SENEKA sucht. ... Schwer, – bei diesem Wetter seine Gedanken zusammenzufaßen ...

NERO. Hast wieder einen Traktat? ... de clementia – oder sonst? –

SENEKA. ... Ach, – die Schriftstellerei! – undankbares Geschäft ...

NERO entschieden. Na, was hast du denn? – heraus! Auf den Tisch zeigend. ich habe hier Maßen zu korrigieren! – Du hast etwas! – Also los! –

SENEKA will nicht mit der Sprache heraus, trokst. Zäsar, ich werde alt – Fährt sich über den Kopf. die Gedanken wollen mir nicht mehr recht Stand halten – bin müd'! – du hast mich mit Gunstbezeugungen überhäuft – ich passe für das moderne Leben nicht mehr – die Verantwortung ...

NERO kek. Geht das wieder auf ein Demißjons-Gesuch hinaus? – dann mach' die Sache kurz! – Ärgerlich. beim Herkules! ich bin doch wahrhaftig nicht dazu da, um jeden Tag vor meinen Ministern auf den Knieen zu liegen und sie um der heiligen Roma willen zum Bleiben zu bewegen? – Seneka macht eine[13] feierlich-sich-verwahrende Bewegung. – Alles hab' ich dir bewilligt! Alles zugestanden! Die drükendsten Forderungen erfüllt, nur um deine kostbare Anwesenheit mir zu erhalten ... Seneka lehnt das Alles weit von sich ab. – und jetzt immer noch nicht genug? – komst jetzt mitten in der Nacht! – zu meiner besten Zeit! – und störst mich, – und ärgerst mich! ... Was soll ich noch tun? – Ärgerlich. ich kann den Staat nicht in eine stoïsche Gelehrtenrepublik verwandeln! ... Seneka erscheint schwer getroffen. – Meinst du denn, daß wir unser Leben in Aerger und Kummer verbringen wollen? – Das Volk will Freude, will Lustbarkeit! – – – Holt eine der Papierrollen vom Tisch. da lies! Das neue Gedicht von Vatinius – man singt es in allen Gassen! – es ist – es ist gar nicht von ihm! – es ist nach einem alten Gaßenhauer von Vatinius zurechtgezimmert – aber nach Strofen, die direkt im Volk umhergehen – wie das schnalzt! wie das schreitet! – 'n Bischen pöpelhaft, 'n Bischen lasziv, wie die Leute ohne das nicht auskommen – aber das Ganze voll Behangen, voller Lebenslust ... Schmunzelnd, sich entschuldigend. zum Beispiel: die Wendung, wo der Kaiser als Vater des Vaterlandes auch in dem höheren, erhabenen Sinne aufgefaßt wird, daß er der Vater der meisten unehelichen Kinder sei ... na ja, beim Zeus! es ist 'n Bischen kräftig – – und dann die zierliche Wendung: es möchten die künftigen Kinder Rom's sich beeilen, den Kaiser sich als Vater auszusuchen ... aber das Ganze! – die Stimmung, die über dem Ganzen liegt Gibt ihm die Rolle; Seneka prüft nur oberflächlich. – das ist der Ausdruk des Volkes! – das ist direkt der Ausdruk der Volksseele! – das Volk will genießen, es will sich freuen, – es versteht Nichts von eurer Selbstmord-Filosofie ... Seneka wendet sich finster ab. Ärgerlich. es ist ja wirklich wahr! – – Plözlich zu einem andern Gedanken übergehend. das Volk liebt mich! –[14] das Volk hängt an mir, – ich weiß das! ich fühl' das ... das sieht man ja doch, wenn man durch die Straßen geht, was künstlicher Entusjasmus ist, was herzliche, aufrichtige Zustimmung ist ... erinnere dich an das rote Gesicht von dem Fleischer Galba gestern – das glühte ja wie Wassermelone – und wie der jauchzte und mit den Blutwursthänden aplaudirte! ... ja, das sieht man gleich, das ist herzliche Zustimmung – so 'was können unsere Klakörs nicht machen ... Zornig. Wolt ihr mir das Volk abspenstig machen? ... Seneka verwahrt sich hoch und heilig. – Na ja, – also um was handelt es sich? –

SENEKA zögernd, finster. Die Massenhinrichtungen der Christjani – im Zirkus – und in deinen Gärten – haben böses Blut allenthalben gemacht! –

NERO orjentirt. Ja – ja ja – ich dacht' mir's doch! – Ernst. das war ganz unvermeidlich! – das war durchaus notwendig! – das war der Ausfluß einer wolüberlegten, tiefdurchdachten Regierungspolitik ... das nehm' ich auf mich! –

SENEKA wie oben, zögernd. Der Geruch des verbranten Menschenfleisches liegt wie eine Gewitterwolke über der ganzen Stadt!

NERO sehr entschieden, hinüberdeutend. Wenn Die in ihren transtiberinischen Bezirken nur nichts Schlimmeres gerochen haben als Menschenfleisch! ... Nach der andern Seite deutend. und wenn nur die Herren Aristokraten auf ihren Besizungen endlich ihre pestilenzialischen Sümpfe austroknen wolten, statt mir bei meinen Straßenbauten, und bei meinen Versuchen, das Meer zu gewinnen, bei jeder Gelegenheit den Weg zu verlegen – dann wollte ich ihnen gern die Christjani bei lebendigem Leibe überlaßen! ... Soll ich vielleicht noch verantwortlich sein, daß der Ostwind nicht eingefallen ist? ...[15]

SENEKA wie oben. Schon die Hinrichtung der vierhundert Sklaven im vorigen Jahr bei Ermordung des Pedanius hat tiefe Verstimmung hervorgerufen! ...

NERO. Ja, das ist aber die Vorschrift des Gesezes! – das Gesez verlangt, daß bei Ermordung eines freien Bürgers seine sämtlichen Sklaven für den einen Uebeltäter aufkommen.

SENEKA. Du kontest die Strafe mildern. Man erwartete es, das Volk selbst wolte die Begnadigung ...

NERO. Soll ich als der höchste Richter im Lande das Beispiel einer Gesezesverlezung geben?

SENEKA nach einer Pause. Und daß du diesmal gerade die Juden geschont ...

NERO. Die Juden? – Die Juden sind mir die verläßigsten Staatsbürger. Sie sind willig, erfahren, geschikt, zu Allem brauchbar, laßen sich überall verwenden, rufen unsere Götter an, opfern unsern Göttern, schiken sich in die Verhältniße, sind fleißig, streben nirgends über ihren Stand hinaus – während diese Christjani mit ihrem unheimlichen Blik, ihrem anmaasenden Dünkel, ihren magischen Zusammenkünften in den finstern Löchern unter der Erde, ein subversives, umstürzendes Element bilden – einen Staat im Staate – die stets bereiten Truppen einer revolutzjonären Bewegung! – Diese Leute müßen ausgerottet werden – stinkt es dabei, um so schlimmer! ... Burrus, dunkelbärtig, großgewachsen, mit zwei Bewafneten tritt ein. Ah, da ist Burrus! – Burrus winkt die Bewafneten ab.Zu Burrus. Sieh' mal!: ich soll hier Rede stehen, daß ich diese Geheimbündler, diese Christjani, für die ungeheuren Laster und Verbrechen, die sie angehäuft haben, endlich zur Rechenschaft gezogen habe ... Seneka verwahrt sich gegen diese Wendung.

BURRUS troken. Diese Hinrichtung war notwendig! – Das Volk verlangte sie! – Es hat überall den besten Eindruck gemacht. – Man atmet wieder auf[16] und fühlt sich von einer schweren, verhängnisvollen Last befreit.

SENEKA scheint seinen Standpunkt preiszugeben. Herr! Erlaube, daß ich mich entferne ... noch heute ist Senatssizung, wo ... wichtige Beratungen ... meine Anwesenheit ...

NERO der die Wendung versteht. Reise glücklich! – Und meinen Gruß den Herrn! ...


Seneka ab.


NERO der einigemal heftig auf- und abgegangen. Ah, diese Stoïker! – diese Weltfilosofen mit ihrer Verbrüderung und Menschenliebe ... ich möchte einen dieser Weisheitskrämer nur einmal einen Tag an meinem Plaze sehen ... das Unglück ist ...

BURRUS ergänzend. ... er hat nur zu viel Anhänger im Volke! ... die Leute glauben wahrhaftig, diese Gelehrten, die gelegentlich über die Götter schreiben, hätten die Gottheiten selbst in ihrem Sak ...

NERO schimpfend. Er ist ein Ateïst, wie die andern Alle ... und tut schön ... und opfert ... um das Volk glauben zu machen ...

BURRUS ironisch. Das Schönste ist: tust du etwas Gutes, übst du Milde, begnadigst du, dann heißt es: er folgt Seneka's Spuren; seht den treflichen Lehrer und seine Prinzen-Erziehung! ... Tust du Etwas, was dem Volk misfält, dann murren sie, laufen zu Seneka und schimpfen über dich! ...

NERO wütend. Er soll mir an's Meßer!

BURRUS erschroken, begütigend. So weit wird es wol nicht kommen! – Er ist alt und – vor ehrgeizigen Plänen sicher; auch behagt ihm sein Einsiedlerleben auf seinem suburbanichen Landsiz unter seinen Büchern besser, als die politischen Veleïtäten an einem so stürmischen Hof ...

NERO wie oben. Er hat es nicht überwinden können, daß ich mich von seiner Staatskunst emanzipirt[17] habe ... daß ich ihm über bin! ... Jetzt kramt er mir diese Christensekte aus ... er, der an keine Unterwelt noch an eine Götterwelt glaubt! ... der die magischen und augurischen Künste verachtet ... dessen Intelekt sein einziger Gott ist ...

BURRUS nikt halb zustimmend, läßt ihm Zeit, sich auszugeben; – dann plözlich die Sprache wechselnd. Das heißt: die Massenmezelungen der Christjani – in diesem Umfang – haben im Volk Nero nimmt gereizt Stellung.Einlenkend. wenngleich der politische Schachzug als solcher berechtigt erscheinen mag – Betonend. haben im Volk Verwunderung und Unwillen erzeugt!

NERO mit seinem Unwillen kämpfend. Was, du auch?! – Hast du nicht selbst den Schritt gutgeheißen?

BURRUS. ... als politische Maasregel gutgeheißen! Sehr bestimmt, wenn auch vorsichtig. da das Volk den Anstifter jenes fürchterlichen Brandes, der zwei Drittel Rom's in Asche legte, im kaiserlichen Palast vermutete, so mußte Etwas geschehen, um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben ... Nero steht betroffen, blikt Burrus direkt an. – aber in dieser Ausdehnung! – Mit großer Geste nach hinten weisend. – zwei Miljen weit leuchtend die Fakeln bis nach Kampajen – als wenn wir die Saturnaljen-Feuer angezündet hätten! – und wenn man dann frägt: was da brent? – und hört: lebende Menschen! – Christjani! – dann erfaßt troz des Haßes, der an diesem Namen haftet, die Leute ein Grausen ... die Feuer- Garben rufen ihnen den ersten großen Brand der Stadt in die Erinnerung – und, wie das geht, fragen sie jezt wieder nach einem Brandstifter! ...

NERO wankt zurück – nach einer Pause. Hast du nicht eben vor Seneka die Maasregel als eine heilsame, notwendige bezeichnet?

BURRUS. Herr, ich konte es nicht über mich gewinnen, die Posizjon eines Mannes in deiner Gegenwart[18] zu stärken, der deine Gnade verloren hatte, und dessen Abtreten vom Schauplaz nur eine Frage der Zeit ist ... so wenig ich vermocht hätte, vor ihm die neuesten Vorgänge im Senat Weist auf eine Rolle, die er in der Hand hat. zu erörtern Mit gemachter Betonung. die dein Ansehen zu schmälern geeignet sind und einer dringenden Abhülfe bedürfen ...

NERO betroffen, aber ruhig. Um was handelt es sich?

BURRUS entfaltet die Rolle. ... äh ... Antistius – du kenst ihn! – ein frecher Patron – der schon damals, vor fünf Jahren, als die Klaköre der Schauspieler im Gefängnis lagen, in seiner Eigenschaft als Tribun deren widerrechtliche Freigebung befahl ... ein Mensch, der sich auf sein Dichter-Talent Unmäßiges einbildet – und dabei seine Amtspflichten versäumt – hat in einem pöpelmäßig gemeinen Libell »das Leben eines Zäsar« dich – du kannst dir denken wie? – verherrlicht, – Leiser. deine geheimsten Beziehungen an den Pranger gestelt – und das Ganze im Kreis tafelnder Freunde – meist Prätoren und liederliche Juristen – unter Hohngelächter vorgetragen. – Er wurde denunzirt, und die Sache kam an den Senat. – Die Angelegenheit war nun soweit ganz glatt: einschlägig war der Paragraf des Zwölf-Tafel-Gesezes »si quis occentavisset sive carmen condidisset ...«1 und die Strafe war: bei eingezwängtem Hals und entblößtem Leib zu Tode gepeitscht zu werden. – Nun erhob sich unter den Reihen der Senatoren ein Sturm der Entrüstung: Zäsar werde doch nicht dieses veraltete Gesez gegen einen so armseligen Dilettanten zur Anwendung bringen, – gerade Zäsar, der kaiserliche Sänger und Bruder Apoll's, werde einen so armseligen Kläffer,[19] der in Trochäen kakt, mit Verachtung von sich stoßen, und niemals gutheißen, eine so maaslose Strafe zur Anwendung zu bringen, und damit etwa dem Verbrecher noch eine dichterische Bedeutung zu vindiziren ...

NERO innerlich erregt, aber gelassen. ... hätten einfach die Strafe nach dem Gesez aussprechen sollen, und dann zusehen, was meine Milde beschließt ...

BURRUS lebhaft. Das sagte ich auch! – aber Thrasea – du kennst ihn – einer der Wütendsten der stoïschen Schule, der natürlich die Gelegenheit gekommen glaubte, seine Menschheits-Ideale leuchten zu laßen, meinte: du würdest es übel nehmen, in deinem Namen, oder in deinem Betreff wegen eines Schmähgedichts die Totesstrafe auszusprechen ... ein so gütiger Kaiser! ...

NERO unangenehm berührt. Ach! ... Auf die Rolle weisend, neugierig. – in welchem Versmaas ist es? –

BURRUS mit Geste. Gütiger Apollo! – es sind Hexameter: man glaubt einen Mezgerkarren die Appische Straße herunterkollern zu hören ... kaum wert, dir für die nächste halbe Stunde dein feines Gehör für Silbenmaas zu verderben ...

NERO harmlos. Nun, und der Inhalt?

BURRUS. Oh, schamlose Lügen und Wiedergabe des gemeinsten Stadtklatsches! ...

NERO fordert ihn mit einer Handbewegung zum Lesen auf. Na, – laß' 'mal los!

BURRUS zögert, wirft zu Beginn noch einen flüchtigen Blick auf die Schrift, und gibt dieselbe dann sofort dem Kaiser. ... Es beginnt mit deiner Jugend – spricht von den rohen, trunksüchtigen Anlagen deines Vaters, von der Lasterhaftigkeit deiner Mutter – und erzählt von den ungünstigen Vorzeichen, die bei deiner Geburt gewaltet haben, – es meint, daß es schon zu Beginn ein Beweis von der Unverbesserlichkeit deiner schlimmen Eigenschaften gewesen sei, daß[20] selbst eine so sorgfältige Erziehung, wie die Seneka's, nichts über dich vermocht hätte, – Erregter. es sagt, daß du den Britannikus vergiftet, um den rechtmäßigen Tronerben aus dem Wege zu räumen, und der Lokusta, der Giftmischerin, Straflosigkeit für ihre übrigen Schandtaten für den Fall des Gelingens zugesichert habest, – daß du den Tanzlehrer Paris aus Zorn über deine eigene Ungeschiklichkeit im Tanzen habest zu Tode quälen laßen – daß du als Roßkutscher verkleidet dich Nachts in Kneipen und Vordellen herumtriebest, um mit den Leuten Händel anzufangen, oder an Frauen, die in Begleitung ihrer Ehemänner seien, unzüchtige Anträge zu stellen, – daß Julius Montanus, ein Mitglied des Senats, der bei solcher Gelegenheit sich gegen dich gewehrt, sich habe die Adern öffnen müssen, um nicht eines Majestäts-Verbrechens angeklagt zu werden – Er spricht sich immer mehr in Patos und gestikulirt gegen Nero so, daß das Referat über das Schmähgedicht allmählich den Charakter einer fulminanten Anklage annimt.daß du deine Mutter ermordet, nachdem es dir zweimal mißglükt, durch eigens herbeigeführte Umstände sie das einemal erschlagen, das anderemal auf dem Meer Schiffbruch leiden zu lassen – daß du dann Dank- und Freudenfeste habest abhalten lassen, darüber, daß es dir geglükt, den angeblichen Anschlägen deiner gemordeten Mutter auf dein kostbares Leben zu entgehen, – daß du dir die Köpfe der Legaten Sulla und Paulus aus Gallien und Asien habest holen lassen, nur weil der eine den Namen eines berühmten Revolutionärs getragen, der andere durch seine glänzenden Siege sich dir verdächtig gemacht, – daß du bei den obszönen Festen am Agrippinischen See die senatorischen Frauen genötigt habest, sich deinen Sklaven und Freigelassenen preiszugeben, nur um deine fixe Idee von griechischer Sinnenlust und freier Liebe zu verwirklichen, – daß[21] du wie ein Kitaröde und Bäkelsänger ganz Griechenland durchzogen, und diese doch von Rom abhängige Provinz, ihre Bürgerschaften und Munizipalitäten gepreßt habest, dir für deine Stümpereien auf der Harfe und deine gaumige Altstimme Siegeskränze – ich weiß nicht: ich glaube in der Höhe von 1800, zu verleihen, womit du dann einen Triumf in Rom abgehalten, – daß du den alten und verdienten Finanzminister Pallas in den Tod getrieben, nur weil er ein Freund deiner Mutter gewesen, und um sein unermeßliches Vermögen einzuheimsen, – daß du Italien und die Provinzen durch willkürliche, unerhörte Steuerauflagen schröpfest und das Land dem Verderben entgegenführest, – Steigert sich neuerdings, mit großer, innerer Teilnahme. daß du die liebenswürdige, 20-jährige Kaiserin, den Abgott des römischen Volkes, erst habest des Ehebruches bezichtigen laßen, dann der Verbanten heimlich die Adern öffnen, und sie endlich im heißen Bade habest erstiken laßen, nur um die abgefeimte Buhlerin Poppäa Sabina ehlichen zu können ... Burrus atemlos.

NERO der nach den ersten Worten entsezt zurückgewichen, und dann vor dem Anprall sozusagen zusammengebrochen, mit fast tonloser Stimme. Ist es das? –

BURRUS vergißt sich, kollert vollends seinen Aerger heraus. Dann der Brand! – Er weist nach hinten. – der Brand! – das Feuer! – das Feuer! – wenn man Menschen hinrichten wolle, könne man sie erdroßeln, oder zum Tarpejschen Felsen hinabstürzen – aber verbrennen! – lebendig verbrennen – aus Illuminazjonsgründen – als Feuerwerkskörper – das prözelnde Menschenfleisch! – das Geschrei nach Jesus! – der Geruch! ...

NERO wendet sich ab, verhült das Haupt und begint leise zu weinen; nach längerer Pause, wehrt ihm abgewendet mit der Hand. Es ist gut!

BURRUS komt zu sich, mit versteltem Patos seine Rolle zu Ende führend. ... Einer solchen furchtbaren Schmähung gegenüber[22] ziemte es einzig dem Senat, die volle Strenge des Gesezes walten zu laßen. Ein Verhaftsbefehl gegen Antistius ...

NERO abgewendet, winkt ihm zu schweigen. Es ist gut! – Da Burrus verhart. – Es ist gut! Wir werden in dieser Sache unsere Entschlüße dem Senat wißen laßen! – Burrus zögert, verbeugt sich, dann nach rechts ab.Nach einer Pause sich umkehrend, in voller Faßung, mit wilder Gewalt nach Hinten schreitend, mit gebalter Faust. Ha, Kanalie! ... ist das die Art, wie Ihr mir komt!? ...

TIGELLINUS eilig, von links auftretend, in der Rüstung eines Unterpräfekten. Was ist? – Was ist?

NERO mit wilder Entschloßenheit. Ich will Plaz – ich will Raum haben! – ich muß wehren können. – Fort mit diesen schlangenhaften Kreaturen! – Noch immer nach Hinten drohend. diese Senatoren sollen sich nicht zwischen mich und das Volk stellen! – ich will selbst zum Volk, mich direkt an das Volk wenden ... Zu Tigellinus. Eile in den Senat, dem Burrus die Entsezung von dem Komando der Prätorjaner anzukünden! – Laß das Volk wißen, daß ich große Zirkusspiele und Pantomimen für die nächsten Tage angesetzt habe ...

TIGELLINUS. Die Getreideschiffe aus Aegipten sind angekommen!

NERO. Verteile sämtliches Getreide gratis an das Volk. – Sag' ihm, daß mein Herz ihm freudig entgegenschlägt – daß ich nur ruhig bin, wenn ich mein geliebtes römisches Volk glüklich weiß! ... Du übernimst von heute an das Komando der Prätorjaner-Kohorten. Jedem der Prätorjäner zahle sofort 4000 Sesterzien aus – sage ihnen: als Ausdruck meiner kaiserlichen Fürsorge für sie und aus Freude über[23] deine Ernennung ... Kündige dem Volk große Tierhazen und Wettrennen an: ich selbst werde den Rennwagen besteigen und um die Gunst und den Beifall meines geliebten Volkes kämpfen ... Eile, eile! Tigellinus nach Links ab. Nach Rechts sich wendend, nochmals die Faust ballend. Ha, Kanalje!! ...


Der Vorhang fält.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 12-24.
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