Schluß-Szene.


[103] Nero, Epaphroditus, Sporus, Phaon, später ein Prätor mit zwei Zenturjonen und Soldaten, zulezt Christjanä mit Akte.

Eine Waldlichtung in der Nähe Roms, mit nach Hinten aufsteigendem Terrain: rechts im Hintergrunde erblikt man die etwas verfallene Anlage eines römischen Landhauses; ein Weg führt ja von Rechts und Links (erste Kuliße) auf die Lichtung; in der Mitte reicht Gestrüpp und Buschwerk bis nahe in den Vordergrund.


NERO halb beileidet, erschöpft, blutend, auf Epaphroditus gestüzt, von Rechts sich hereinschleppend. Ich kann nicht weiter! ...[103] Wir müßen hier bleiben! ... Epaphroditus sieht sich um. – oh, die Hunde sind dem Edelwild auf der Fährte ...

EPAPHRODITUS. Herr! hier im Gebüsch! – Sie werden Dich erschlagen, wie einen Mörder! ...

NERO ausbrechend. O, Ihr dreimal heiligen Götter, war das Ende, das Ihr über Euren Liebling, über Euren Schüzling, den Auserwählten vor Tausenden, den besten Kaiser beschloßen! ... Dringend. hör', Epaphroditus, – und auch Du, Sporus, – die par Worte müßt Ihr meinem lieben Volke überbringen, sie ihm jeden Tag vorsagen, – sagt ihm! – sagt ihm!: was ich Alles mit ihm vor hatte, – wie es der Gegenstand meiner höchsten Liebe, meiner zärtlichen Sorgfalt, meiner glücklichsten Fantasieen – Verzweifelnd. o welch' ein Künstler stirbt in mir! – meiner glüklichsten Fantasieen gewesen – sagt ihm, was ich Alles für es getan, welche Kampfspiele und Wettfahrten ich ihm bereitet, welche Bäder ich gebaut, welche Zirkuße ich aufgeführt, für seine Freude besorgt, – wie ich selbst in die Rennbahn getreten, die Roße gelenkt, in Siegeswagen gestürmt, – nur um es zu beglüken, um es zufrieden zu machen, – hörst Du, Epaphroditus? – hörst Du, Sporus?Zu Epaphroditus. Du mußt das Alles aufschreiben und es laut vorlesen: alle meine Künste, meine Herrschertugenden, meine Stimme, die mir Apoll verliehen, meine Melodieen, habe ich für das Volk, für das heilige, römische Volk vergeudet, dahingegeben, – die achtzehnhundert zweiunddreißig Siegeskronen, die ich in Griechenland erbeutet, habe ich für das Volk, für den Ruhm des römischen Namens, ersungen und errungen ... Er hat sich außer Atem geredet, will zusammenbrechen, – immer schluchzender. – ich war mir Nichts, das Volk war mir Alles! – Hätte man mir gefolgt! – Ist das – die Treue? – Ich hätte diesem Volke den[104] Erdkreis er obert! – o, Apollo, vermagst Du es mit anzusehen? – welcher Undank! – ich hätte diesem Volk die Welt wie einen Spielball zu Füßen gelegt! – o jammervolle Verblendung! – welch' eine Schöpfung, welch' eine Mischung göttlichster Eigenschaften, welch' gottbegnadeter Künstler geht mit mir zu Grunde! ...

PHAON von Rechts hereinstürzend. Zäsar! rette Dich! Sie kommen! – Der Senat hat Dich nach dem Zwölf-Tafel-Gesez verurteilt! – Dich trift die Strafe als Feind des Staates! –

NERO in höchster Angst. Welche Strafe ist das?

PHAON verlegen. Beim Herkules, Du hast sie selbst gegen den Dichter Antistius verhängt! ... bei lebendigem Leibe zu Tode gepeitscht werden ...

NERO außer sich, in höchster Angst. Ihr Götter, ist denn Niemand hier, hier der mich dieser äußersten Schmach entzieht? – Holt mehrere Dolche aus der Toga. Hier, – hier sind Dolche! – Nehmt! – mein Arm zittert – o Ihr Götter, ist denn Keiner hier, der mir den Selbstmord vormacht? – Seid Ihr Stoïker, seid Ihr Filosofen? – Sporus! herziger Junge, habe ich Dich deshalb aus Griechenland geholt, Dich mit Woltaten und Zärtlichkeiten überhäuft? ... kanst Du jezt nicht für Deinen Kaiser sterben? – ist denn kein Tropfen Helden-Blut in Euren Adern? –


Sporus tritt mit kühner Geste zurük, holt den Dolch aus der eignen Toga und will ihn gegen sich selbst züken. Phaon fält ihm in den Arm. Inzwischen hört man von Rechts Getümmel und Stimmen.


NERO mit schöner Geste, hält den Dolch etwas von sich entfernt gegen die Brust gerichtet. Stoßt in das Herz des besten Kaisers!

EPAPHRODITUS reißt die ganze Gruppe entschloßen nach Hinten gegen das Gebüsch zu. Fort! – Die beste Zeit ist schier verloren! –


[105] Sie schleppen Nero nach Hinten in das Gebüsch, wo die ganze Gruppe nur teilweise verschwindet. Bald darauf hört man dort einen dumpfen Schrei, – dem das Fallen eines Körpers folgt.

Pause.

Prätor mit zwei Zenturjonen und einer Abteilung Soldaten treten in großer Eile von Rechts auf.


ERSTER ZENTURJO orjentirt sich, eilt auf das Gebüsch zu. Ich fürchte, er hat uns die 60,000 Sesterzien, die auf seinen Kopf gesezt sind, vom Maule weggeschnapt. Betritt das Gebüsch.


Phaon und Epaphroditus erscheinen mit gesenkten Mienen, um sich dem Prätor auszuliefern.


PRÄTOR als er des Phaon ansichtig wird. Aha, das ist er, der ihm Unterschluf gegeben! – Verhaftet ihn! ...

EPAPHRODITUS. Er gab sich selbst den Tot. – Sein lezter Seufzer galt dem römischen Volk.

PRÄTOR. Verhaftet Beide! Phaon und Epaphroditus werden ergriffen.Zum zweiten Zenturjo. Eile, dem Senat zu melden: daß Nero hier, auf dem Landgut des Phaon, tot gefunden wurde ... Inzwischen haben andere Befehlshaber und Soldaten das Gebüsch betreten.Zum ersten Zenturjo, der zurükkomt. – ist er tot? ...

ERSTER ZENTURJO. Wie ein Schwein liegt er da ...

PRÄTOR fortfahrend. ... daß Nero hier auf dem Landgut des Phaon tot gefunden wurde – anscheinend gab er sich selbst den Tot – Phaon und Epaphroditus seien dabei verhaftet worden ... Zenturjo ab.

ERSTER ZENTURJO. Ich hätt' ihn nicht für so fett gehalten ... Soldaten schleppen den Sporus aus dem Gebüsch herbei. – Da ist noch so ein Jüngelchen!

PRÄTOR mit einem Wink gegen die Soldaten. Nehmt ihn hinzu!


Phaon, Epaphroditus und Sporus werden abgeführt. – Der Prätor hat inzwischen ebenfalls das Gebüsch betreten. – Während dem nähert sich von Links eine Schaar[106] Christjanä mit Akte, je zu Zweien, wie auf einem Erholungsgang begriffen,

Akte an dem ganz weißen, rein römischen und vornehmeren Kostüm kentlich, sowie mit unverhültem Haupt, während die Anderen, wenn auch in vorwiegend lichte Farben gekleidet, doch mehr judäo-römischen Schnitt aufweisen und das Haupt vom Obergewand mitbedekt tragen; einige haben den Trauerschleier umgeschlungen.


ERSTER ZENTURJO lautrufend zu ihnen. Nero ist tot! – Galba zum Kaiser ausgerufen! – Auf das Gebüsch verweisend. Da liegt das Scheusal – halbnakt – wie ein Wildschwein im Wald gefält! ...


Die Gruppe bleibt plözlich mit dem Ausdruk tiefen Entsezens stehen. Akte ist mein einem Schrei herausgetreten und hat sich mit gesenktem Knie gegen das Gebüsch zu, wie verehrungsvoll, niedergelaßen. Dann löst sie einen Teil ihres Leiche zu bedeken.


PRÄTOR der inzwischen das Gebüsch verlaßen, zu den Soldaten, ohne im Geringsten die Neu-Ankömlinge zu beachten. Ein Teil bleibt hier zur Wache! – Die Uebrigen mit mir! – Mit dem größten Teil der Soldaten rechts ab.


Die zurükgebliebenen Soldaten verteilen sich rings um das Gebüsch in den Hintergrund, ohne die folgende Szene zu stören, so daß der Abgang rechts

(vordere Kuliße) vollständig frei wird.

Christjanä brechen von den umstehenden Palmen Zweige ab, betreten von Links das Gebüsch, legen die Zweige wie segnend über die Leiche nieder, verlaßen dasselbe nach der entgegensezten Seite und kommen dann vom Hintergrund einzeln wieder zurük. Sie treffen sich vorn parweise, küßen sich feierlich mit dem Ausruf »Jesus Christus!« und verlaßen parweise, wie sie gekommen, mit umschlungenen Händen, langsamen, feierlichen Schrittes, und tief ergriffen, nach Rechts die Szene. Als eben die Lezten das Gebüsch verlaßen.

Fält der Vorhang.[107]


Fußnoten

1 Statt des lateinischen Textes kann der betreffende Schauspieler auch sagen: »über die Abfassung von Schmähgedichten«.


2 Siehe für diese Darstellung: Kraus, F.X., Roma sotterranea, 2. Aufl., Freibung i./B. 1878.


3 Die »s« müßen hier, da nur Flüsterlaute in das Publikum dringen, scharf betont werden.


4 Siehe das bekante Abendmals-Bild Lionardo's.


5 Die Agape, das »Liebesmal«, welches hier dargestelt werden soll, war nicht etwa das den späteren Jahrhunderten angehörende »Abendmal«, sondern eine gemeinschaftliche Malzeit profanen Charakters, wenn auch unter den strengen Vereins-Verboten der römischen Kaiserzeit und durch die dadurch gebotene Heimlichkeit einer gewissen Feierlichkeit und Herzlichkeit nicht entbehrend, und ging aus dem jüdischen Totenmal hervor. Das Sich-gegenseitig-den-Bißen-in-den-Mund-Schieben simbolisirt den komunistischen Charakter der Gleichheit und Brüderlichkeit, unter dem die ersten christlichen Gemeinden lebten.


6 Feralien, Feralia, das Fest der Verstorbenen am 2. Februar.


7 Die Lemuren, Lemures, die als wandernd gedachten Seelen Verstorbener, die die Lebenden molestirten, bei ihnen Wahnsinn erzeugten, und die man sich durch Sühngebräuche ferne hielt. Ihr Festag am 9. Mai.


8 Kleine Felseninsel an der Kampanischen Küste.


9 bekante Fischart.


10 geschäzte Weinsorte.


11 Die Morra, das uralte Finger-Spiel, welches die Römer von den alten Egiptern übernahmen, und das auch heute noch das verbreiteste Glüks-Spiel der Italjener ist, besteht in dem plözlichen und a tempo-Vorstreken irgend einer Zahl Finger zweier sich direkt gegenüber sizender, sich fest im Auge behaltender Spieler, die gleichzeitig und ebenfalls a tempo die Zahl der Finger des Gegners durch lautes Rufen zu erraten suchen; derart, daß z.B. der eine Spieler drei Finger vorstrekt und gleichzeitig laut »Fünf!« ruft (womit er die Zahl der vom Gegner mutmaslich vorgestrekten Finger zu erraten sucht); während der Gegner im gleichen Momente, sagen wir: vier Finger vorstrekt und dabei seinem Vis-à-vis vielleicht »Zwei!« entgegenruft; so daß also vier Tempi, zwei Ausrufungen und zwei Fingerstreken, a tempo fallen. Hat Keiner die Zahl der Finger seines Gegners erraten, was jeder der Spieler sofort erkent und sieht, so erfolgt sofort neuer Aufruf und neues Vorstreken. Errät ein Spieler die Zahl der vorgestrekten Finger seines Mitspielers, so hat er gewonnen und zieht den betreffenden Gewinn ein, worauf das Spiel sogleich seinen Fortgang nimt. Erraten beide Gewinn auf. Der Aufruf erfolgt blizschnell und in Zweischenräumen von Bruchteilen von Sekunden. Das sich gegenseitig Fest-im-Auge-behalten und ein gewißer Takt garantiren das a tempo-Ausstreken und Zurufen von jeder Seite.


12 In diesem Falle hätte also Charmis sieben Finger gestrekt. Da aber die Zahl der jeweilig vorgestrekten Finger kaum vom Zuschauerraum aus kontrolirt werden kann, noch soll, so bleibt das Maas von Akurateße in dieser Hinsicht den Schauspielern überlaßen, deren Hauptaufgabe zu dem es sein wird, a tempo mit der Zahl einzutreffen.


13 Eine der kostbarsten Holzarten des römischen Altertums.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 1.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon