Oskar Panizza

Meine Verteidigung in Sachen

»Das Liebeskonzil«

Allgemeine Zeitung, München, vom 12. Januar 1895:


Von der k. Staatsanwaltschaft ist das im Verlage von J. Schabelitz in Zürich erschienene vielbesprochene Buch des Schriftstellers Dr. Panizza »Das Liebeskonzil« mit Beschlag belegt worden.


Neue Bayerische Landeszeitung, Würzburg, vom 17. Januar 1895 über »Das Liebeskonzil«:


Es ist ein noch größerer Unflat als das andere Buch desselben Verfassers »Der teutsche Michel und der römische Papst«. Sein Gemälde ist nur mit Kot, Spinat und »Rhinozerosöl« gemalt. Wenn solche Bücher konfisziert und verbrannt werden, ist es nicht schade darum.


Oskar Panizza am 15. Februar 1895 auf einer Postkarte an Max Halbe:


Meine Sache steht ziemlich aussichtslos. Ich komme im März vors Schwurgericht, und der Staatsanwalt wird beantragen ein Jahr Gefängnis und sofortige Verhaftung – wenn nicht das Ausland einen Strich durch die Rechnung macht. Juristische Ansicht steht gegen juristische Ansicht. Meine Freunde und einige Juristen raten mir fortzugehen. Aber die kennen einen deutschen Schriftsteller von heute nicht, die meinen, der ließe sich die Gelegenheit zu einer – Rede vor den Assisen entgehen. Ich werde mich wehren wie eine Hyäne.[138]


Meine Verteidigung

in Sachen »Das Liebeskonzil«

vor dem königlichen Landgericht München 1

am 30. April 18951

Der Gottesbegriff gefälscht;

der Moralbegriff gefälscht!

Nietzsche, Antichrist


Meine Herren Geschworenen! Als Nicht-Jurist kann ich mich zu der Formfrage, zu der Frage hinsichtlich Zuständigkeit eines deutschen Gerichtshofes in diesem Falle nicht äußern. Wie ich aus Privatäußerungen namhafter Juristen weiß, sind kompetente Beurteiler in dieser Sache von zueinander durchaus kontradiktorischer Ansicht; da es sich um Ungültigmachung eines ganz klaren Paragraphen des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs handelt, wonach eine im Auslande begangene und dort nicht strafbare Handlung auch im lnland nicht verfolgt werden kann. Sich nach dieser Richtung zu äußern, wird Sache meines Verteidigers sein. Ich kann mich nur nach der rein menschlichen Seite, nach der künstlerischen und ästhetischen Seite zu dem Fall äußern. Und da Sie, meine Herren, ebenfalls Nicht-Juristen, ebenfalls die rein menschliche Seite des Falles beurteilen sollen, so glaube ich, daß wir hinsichtlich des Ausgangspunktes unserer Erwägungen nicht zu weit voneinander abstehen dürften und uns bald verständigen werden.

Ich glaube nun, ich werde Sie am besten über meine Absicht bei der Abfassung der vorliegenden Schrift aufklären, wenn ich Ihnen kurz erzähle, wie ich zu dem Vorwurf gekommen bin.[139]

Sie wissen, meine Herren, daß Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Italien, und später auch in Deutschland, eine Krankheit epidemisch auftrat, die die furchtbarsten Zerstörungen am menschlichen Körper verursachte, die, wie es scheint, ursprünglich nicht auf geschlechtlichem Wege sich fortpflanzte, später aber fast ausschließlich durch sexuelle Vermischung ihre Verbreitung fand, die alle Stände, Hoch und Nieder, ergriff, und die man die »Lustseuche« nannte. Man wußte nicht, woher sie kam. Der Eindruck auf die Gemüter war ein gewaltiger. Die Chroniken damaliger Zeit sind voll von entsetzlichen Schilderungen über die Verheerungen geistiger wie körperlicher Art. Ein Heilmittel gab es nicht, und fliehen konnte man auch nicht. Es war in gewissem Sinne schlimmer als beim »schwarzen Tod«. Dort kannte man den Gang der Seuche und konnte in nicht verseuchte Länder entfliehen. Aber hier trat eine Krankheit fast überall gleichzeitig auf. Und wie es zu gehen pflegt, wenn man keine diesseitige Ursache kennt, konstruiert man eine jenseitige. Und so glaubten denn die damaligen Völker, die »Lustseuche« sei ein göttliches Strafgericht. Und da sie die Beziehungen der Krankheit zum geschlechtlichen Verkehr doch bald herausgefunden hatten, so konstruierten sie sich die Sache so, daß sie sagten: das göttliche Strafgericht erfolge wegen der sinnlichen Ausschweifungen und geschlechtlichen Exzesse der Menschen. Daher der Name »Lustseuche«. Und so finden wir bei einem Chronisten, einer der prominentesten Persönlichkeiten damaliger Zeit, einem Kampfschriftsteller und Dichter, der selbst ein Buch über die »Lustseuche« geschrieben, bei Ulrich von Hutten, aus dem Jahr 1519 die folgende Stelle: »Es ist got gefellig gewesen, in unsern tagen kranckheiten zu senden, die unsern vorfaren unbekant seint gewesen. Da bey haben gesagt die der heiligen geschrift obligen, das die blatteren uß gotz zorn kumen seint, und got damit unsere bösen berden straffe und peynige.« 2 – Ich habe diese Stelle als Motto dem Buch vorangesetzt, um gleich darauf hinzuweisen, um was es mir zu tun war: daß es mir nicht auf gotteslästerliche Dinge und Unflätigkeiten ankam, sondern auf das Erfassen der eigentümlichen Situation,[140] in der sich die Menschen damals befanden, einer Situation, die mir, als früherem Arzt, natürlich besonders nahe lag.

Nun erwägen Sie, meine Herren, daß jemand, der von dieser Stelle ausgeht und der auch sonst den Verlauf dieser schrecklichen Krankheit aus der damaligen Zeit kennt, bei dem Versuch, sich historisch zu orientieren, auf die merkwürdige Tatsache trifft, daß derjenige Hof, an dem die weitaus stärksten geschlechtlichen Exzesse begangen wurden, der päpstliche war; und daß diejenige Persönlichkeit, die sich den tollsten Orgien in geradezu unglaublicher Weise hingab, der Papst Alexander VI. war; und dies, obwohl wenige Meilen von ihm entfernt, in Florenz, ein Bußprediger vom Range Savonarolas lebte, der ihn auf sein Lasterleben Tag für Tag aufmerksam machte. Erwägen Sie ferner, daß dieser Papst, der, wie alle seines Geschlechts, von seiner Göttlichkeit ganz erfüllt ist, sich »Sohn Gottes«, »Stellvertreter Christi«, »Gott auf Erden« nennt, »der mit Gott im Himmel direkte Beziehungen unterhält«, sich nicht scheut, Kardinalsstellen an Weiberlieferanten auszuteilen, öffentlich in Rom drei Mätressen zu unterhalten, und schließlich Savonarola, um den unbequemen Prediger, der eine Kardinalsstelle ausgeschlagen hatte, loszuwerden, aufhängen zu lassen. Und dies, während die entsetzliche Krankheit in ganz Italien wütet, von der das Volk, die Gelehrten, die Theologen behaupten, daß sie von »Gottes Zorn« verhängt sei, verhängt sei aus Strafe für die Unkeuschheit der Menschen. Und auf dem Stuhl Petri sitzt als Papst, als Oberhaupt der Christenheit, das nach römischer Lehre »direkte Befehle von Gott empfängt«, ein Mensch, der der schlimmste dieser Exzedenten ist, auf den nur das Wort »Unkeuschheit« anzuwenden fast lächerlich klingt3.[141]

Rücken Sie diesen ganzen Stoff in unsere heutige von Skeptizismus und Unglauben erfüllte Zeit. Lassen Sie dieses Zusammentreffen von historischen Momenten als künstlerischen Vorwurf in die Hände eines modernen Menschen fallen, der – vielleicht zu seinem Unglück – zur Satire veranlagt ist, und dann frage ich Sie, meine Herren, wie würden Sie die Dreieinigkeit geschildert haben, und was für eine Vorstellung hätten Sie sich von den Gottheiten im Himmel gemacht, die unter solchen Umständen die »Lustseuche« als Strafe für die Menschheit auf Erden schickten?

Ich möchte aber noch eine Untersuchung anderer Art anstellen. Es hat, meine Herren, zu allen Zeiten und bei allen Völkern nicht an Versuchen gefehlt, das Göttliche in den Bereich der Kunst zu ziehen und es darzustellen. Und da wir, auch bei Darstellung des Höchsten und Erhabenen, immer auf die täglichen Bilder unserer Umgebung angewiesen sind – da wir doch über unsere Erfahrung nicht hinaus können –, so haben alle Maler und Dichter und Bildhauer stets die Modelle für ihre Darstellung des Göttlichen auf Erden gesucht. Dürer hat aus seinen Madonnen deutsche Blondinen gemacht und Murillo feurige Spanierinnen. Dante hat in seinem großen erhabenen Epos seine transzendentalen Reiche ebenso mit Italienern gefüllt, wie die französischen Mysterienspiele ihre Teufel mit gallischem Temperament begabten. Und da, wo jemand einmal versuchte, das Göttliche unter Verzicht auf alle sinnlichen Formen darzustellen, wie Klopstock, da blieb er in lauter abstrakten Gedanken-Formen und in der rein sprachlichen Wirkung stecken. – Nun aber, meine Herren, werden Sie mir nicht widersprechen, wenn ich sage: Die Satire ist eine ebenso berechtigte[142] Kunstform wie jede andere, das Pathos so berechtigt wie das Melos, der Gang auf dem soccus so berechtigt wie der Schritt auf dem hohen Kothurn. Und wenn jemand eine Satire, eine göttliche Satire, eine göttliche Komödie schreiben will, so ist er eben, wie jeder andere Künstler, auf menschliche Vorbilder angewiesen. Er muß die kleinen grotesken Züge, die er an Menschen beobachtet, auf das Göttliche übertragen. Nun glaube ich, Ihnen schon oben genügend dargelegt zu haben, ein wie eminent satirischer Stoff der Ausbruch der Lustseuche im Abendland, bei dem gleichzeitigen Verhalten des Papstes und dem Urteil der Zeitgenossen hinsichtlich der Ursachen des göttlichen Strafgerichts, war; wie der Rückschlag von der päpstlichen Aufführung auf die Auffassung des Göttlichen unvermeidlich war. Und dann, meine Herren, werden Sie sich nicht mehr wundern, wenn die Schilderung des Göttlichen im »Liebeskonzil« so ausgefallen ist, wie es tatsächlich der Fall war. Obwohl ich zugeben will, daß die Farben stark aufgetragen sind. – Nun werden Sie mir, meine Herren, vielleicht entgegnen:

Die Darstellung des Erhabenen im Göttlichen ist eben erlaubt, die Darstellung des Komischen im Göttlichen verboten. Das geb' ich zu. Aber Sie, meine Herren, werden mir andrerseits zugeben, daß das kein Standpunkt für einen Künstler ist. Wenn dieser Standpunkt stets eingehalten worden wäre, dann wäre überhaupt nie eine Satire geschrieben worden. Weder auf Götter noch auf Menschen. Denn die Satiren auf Menschen wurden meist noch viel empfindlicher bestraft als die auf Götter. Die »Göttergespräche« des Lucian wären dann ebensowenig geschrieben worden wie die Lustspiele des Aristophanes. Der Engländer Wright hätte dann seine »Geschichte der Karikatur«[143] so wenig abfassen können wie der Deutsche Flögel seine »Geschichte des Groteskkomischen«. Nun ist aber die Satire und die vis comica stets eines der mächtigsten Förderungsmittel auf geistigem Gebiet gewesen. Ich erinnere Sie nur an den weittragenden Einfluß Rabelais' in Frankreich im Zeitalter der Reformation, dessen witzige Allüren geradezu den heutigen geistigen Charakter der Franzosen vorgebildet haben und dessen unglaublich rücksichtslose Angriffe auf das Göttliche sogar mit königlichem Privileg gedruckt wurden. Oder an die kühnen Angriffe der deutschen Satiriker zur Zeit Fischarts und Reuchlins. – Sie werden mir vielleicht weiter entgegnen, meine Herren: Jeder Künstler muß eben in seinem Land die Konsequenzen der Gesetze hinsichtlich seines künstlerischen Schaffens tragen. Gewiß, meine Herren, deswegen bin ich ja hier vor Ihnen erschienen. Aber Sie, meine Herren, werden mir vielleicht zugeben, daß die Satire eine in der menschlichen Natur begründete Anlage ist und nicht ausgemerzt werden kann.

Meine Herren! Unsere heutige Zeit ist der Darstellung des Erhabenen im Göttlichen nicht günstig. Kein Mensch malt heute mehr z.B. so kolossale religiöse Bilder wie Heß und Cornelius. Unsere Zeit ist mehr der Skepsis und der Kritik zugewandt. Viele Leute möchten darin einen Rückschritt erkennen. Aber das war früher nicht anders. Die christliche Religion hat wiederholt Zeiten der äußersten Skepsis und des tiefsten Unglaubens durchgemacht. Und besonders dann, wenn von kirchlicher Seite die übertriebensten Ansprüche an die Herzen und Geldbeutel der Menschen gestellt wurden, regte sich in den Reihen der Gebildeten der Widerspruch und die Satire. Eine solche Zeit war z.B. im ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts[144] in England zur Zeit der Gründung der Methodistengemeinden. Und der Künstler, der diese Zeit mit der rücksichtslosesten Satire verfolgte, war der englische Karikaturist William Hogarth. Ich zeige Ihnen hier einen seiner berühmtesten Kupferstiche, der unter dem Titel Credulity, superstition and fanaticism (Leichtgläubigkeit, Aberglaube und Fanatismus) erschien. Die Szene stellt das Innere einer Kirche dar. Es ist gerade Gottesdienst. Und während unten bei den Andächtigen – gleichsam, als wollte der Künstler die Gedanken der Menschen aus ihrem Innern heraustreten lassen – alle möglichen sinnlichen und wollüstigen Greuel und Anspielungen hin und her gehen, werden oben von der Kanzel herab die kirchlichen Gnadenmittel in der groteskesten Weise verhöhnt. Und doch sagt unser Lichtenberg in seinen berühmten Erklärungen der Hogarthschen Kupferstiche: »Herr Walpole sagt von diesem Blatt unseres großen Künstlers, daß es an tiefer und nützlicher Satyre das größte sey, was sein Griffel je hervorgebracht habe. Wenn auch dieses Lob etwas übertrieben seyn sollte, so scheint es doch, daß es unter allen Hogarthischen Blättern dasjenige ist, welches am ersten verdiente, unter jede Haustafel gestochen zu werden. Der Anblick weckt Schauder und Entsetzen. Und doch ist hier alles wahr.«4 Die verkleinerte Abbildung, welche ich Ihnen hier herumreiche und die einen vorzüglichen Abdruck darstellt, ist zufällig hier in München hergestellt und verlegt. – Meine Herren, es ist mir nicht bekannt, daß jemals ein Hogarthscher Kupferstich konfisziert worden wäre.

Aber, meine Herren, wie zahm sind immer noch die Engländer gegen unsere westlichen Nachbarn, die frivolen Franzosen, wenn es sich um religiöse Satiren handelt. Die Französische Revolution war wieder einer jener Zeitabschnitte, in dem sich der Hohn auf das Göttliche besonders hervorwagte. Eine lange Dauer des Freidenkertums war direkt vorhergegangen, und die Abneigung gegen Geistlichkeit und Christentum hatte sich in dem Vaterlande Voltaires während der Revolution geradezu bis zur Idiosynkrasie gegen alle geoffenbarte Religion gesteigert; gegen eine Religion, die nicht hatte verhindern können, daß das Volk auf der einen Seite tyrannisiert wurde, auf der anderen Seite vollständig verarmte. Damals entstand das[145] Wort »Ecrasez l'infâme!« »L'infâme«, das war das Christentum. Der Ausdruck stammt übrigens von Friedrich dem Großen (aus seinem Briefwechsel mit Voltaire). Um jene Zeit, meine Herren, im Jahr 1799, erschien von einem der ersten Poeten Frankreichs, dem Voltaire den Namen des »französischen Tibull« beilegte, von Parny, eines der frivolsten Gedichte, die jemals geschrieben wurden: »La Guerre des dieux«, welches ungeheures Aufsehen in Frankreich machte und mit einem Sturm des Beifalls empfangen wurde. Es wurde erst dreißig Jahre nach seinem Erscheinen konfisziert, und zwar während der französischen Reaktionsperiode. Trotzdem wurde es bis zum heutigen Tage wiederholt aufgelegt und ist überall in Frankreich wie auch aus unseren besseren deutschen Buchläden zu beziehen. Gegen dieses Gedicht, meine Herren, muß sich »Das Liebeskonzil« wirklich verkriechen. Was an diesem Werk so frivol ist, ist der Umstand, daß man nirgends recht den Zweck einsieht, weshalb die göttlichen Personen so unglaublich lächerlich gemacht werden. Und hier, meine Herren, finde ich vor allem den Unterschied zwischen Parny und dem Buch, welches heute Ihrem ästhetischen Urteil unterbreitet wird. Ich glaube, im »Liebeskonzil« ist die künstlerische Behandlung durchaus im Stoff begründet, und die krasse Darstellung liegt im Problem selbst beschlossen. Denn die Lustseuche war etwas Fürchterliches im damaligen Italien. Und Gott hatte sie als Strafe geschickt, während der Stellvertreter Gottes der denkbar schlimmste Wüstling war, den die Weltgeschichte kennt. Bei Parny ist es rein äußerliche Gedankenarbeit, frivoler Übermut und gallische Witzelei. Gegen Parny, meine Herren, ich spreche es ruhig aus, darf ich mich noch moralisch gebärden. Die Götter des Olymp – um den Inhalt kurz anzudeuten – sitzen schmausend und guter Dinge beieinander, als Merkur, der Götterbote, hereinstürmt und meldet: es sei eben ein neues Göttergeschlecht im Anzuge. Großer Schrecken und Entrüstung. Man beratschlagt, was zu tun sei. Minerva, die Göttin der Klugheit, bemerkt, es sei doch wahrscheinlich, daß das alte Göttergeschlecht den Menschen täglich wertloser und überflüssiger erscheine. Sie fürchte sich vor Jesus. Darauf Jupiter:

(Meine Herren, ich muß hier um Entschuldigung bitten, wenn ich Ihnen einige sehr kräftige Stellen vorlese; aber es gehört das in den Rahmen des kleinen literarisch-historischen Vortrags, den ich Sie bitte mitanzuhören.)[146]


»...Fi donc! Ce pauvre diable,

Fils d'un pigeon, nourri dans une étable

Et mort en croix, serait dieu?...

Le plaisant dieu!...«


Nun wird Merkur nochmals fortgeschickt, um nachzusehen, wie sich die Sache verhalte. Er kehrt auch bald zurück und meldet: Ja, in der Tat, was da im Begriff sei, in den Himmel heraufzusteigen, seien wirklich Götter. Aufs neue Wut und Verzweiflung. Während aber die andern die verschiedenartigsten Vorschläge machen, man solle den neuen Göttern entgegengehen und sie zum Himmel hinauswerfen u.a., macht Jupiter gute Miene zum bösen Spiel, schickt ihnen einen Boten entgegen und lädt sie – echt französisch – zum Diner ein. Nun kommen die christlichen Gottheiten mit ihrem Gefolge von Heiligen allmählich heran und speisen bei den olympischen Göttern. Die Dreieinigkeit wird symbolisiert durch einen gebrechlichen Alten, der ein Bäh-Lämmchen auf dem Schoß, einen Tauber auf der Schulter hat. Das Bäh-Lämmchen schreit, der Tauber gurrt, und der Alte will eine Rede halten; er bringt aber nichts heraus, lacht verlegen und setzt sich endlich zu Tisch!


»Une heure après les conviés arrivent.

Etaient-ils trois, ou bien n'étaient-ils qu'un?

Trois en un seul; vous comprenez, j'espère?

Figurez-vous un vénérable père,

Au front serein, à l'air un peu commun,

Ni beau ni laid, assez vert pour son âge,

Et bien assis sur le dos d'un nuage.

Blanche est sa barbe; un cercle radieux

S'arrondissait sur sa tête penchée:

Un taffetas de la couleur des cieux

Formait sa robe: à l'épaule attachée,

Elle descend en plis nombreux et longs,

Et flotte encore par-delà ses talons.

De son bras droit à son bras gauche vole

Certain pigeon coiffé d'une auréole,

Qui de sa plume étalant la blancheur,

Se rengorgeait de l'air d'un orateur.

Sur ses genoux un bel agneau repose,[147]

Qui bien lavé, bien frais, bien délicat,

Portant au cou ruban couleur de rose,

De l'auréole emprunte aussi l'éclat.

Ainsi parut le triple personnage.

En rougissant la Vierge le suivait,

Et sur les dieux accourus au passage

Son oeil modeste à peine se levait.

D'anges, de saints, une brillante escorte

Ferme la marche, et s'arrête à la porte.


L'Olympien à ses hôtes nouveaux

De compliment adresse quelques mots

Froids et polis. Le vénérable Sire

Veut riposter, ne trouve rien à dire,

S'incline, rit, et se place au banquet.

L'agneau bêla d'une façon gentille.

Mais le pigeon, l'esprit de la famille,

Ouvre le bec, et son divin fausset

A ces payens psalmodie un cantique

Allégorique, hébraïque et mystique.

Tandis qu'il parle, avec étonnement

On se regarde; un murmure équivoque,

Un rire malin que chaque mot provoque,

Mal étouffé circule sourdement.

Le Saint-Esprit, qui pourtant n'est pas bête,

Rougit, se trouble, et tout court il s'arrête.

De longs 'bravo', des battements de main,

Au même instant ébranlèrent la salle.«


Im Gefolge der Dreieinigkeit kommen Engel, Heilige, Märtyrer, auch die Jungfrau Maria. Die Göttinnen des Olymp finden sie langweilig, linkisch, schlecht frisiert, ohne Schick:


»Fi donc! elle est sans grâce et sans tournure;

Quel air commun! Quelle sotte coiffure!« –


Die männlichen Bewohner des Olymp finden sie, obwohl eine Bauernschönheit, doch reizvoll genug, um eine Eroberung nicht wertlos erscheinen zu lassen. Sie zählen ihre körperlichen Vorzüge auf in einer Weise, die ich selbst im Französischen hier nicht wiedergeben möchte. Im Laufe des ersten Gesanges und[148] nach Schluß des Diners betrachten sich die neuen Gottheiten die Einrichtung des Olymp. Maria gerät in das Ankleidezimmer der Venus. Sie widersteht in ihrer Neugierde nicht, sich mit einem der dort befindlichen kostbaren Gewänder zu schmücken. In diesem Augenblick kommt Apollo herein, fühlt sich beim Anblick der verführerisch Gekleideten entzündet, und sie unterliegt den stürmischen Zumutungen des Gottes der Musen. Ich glaube, meine Herren, Sie verzichten darauf, den Inhalt der übrigen neun Gesänge zu vernehmen, und haben schon erkannt, daß wir hier vor einer der frivolsten Leistungen der französischen Dichtkunst stehen. Sie bestätigt übrigens das, was ich oben sagte: daß der Dichter bei Darstellung übersinnlicher Dinge auf die Farben und Formen seiner Erfahrung angewiesen ist. Ob man das Erhabene oder Lächerliche im Göttlichen darstellt, das Gewand ist immer dem Irdischen entlehnt. Und bei Parny sprechen und bewegen sich eben die christlichen Gottheiten im Stil des französischen Salons vom Ende des vorigen Jahrhunderts.

Sie werden vielleicht sagen, meine Herren: Dieser Verfasser des »Liebeskonzils« stellt sich da her und spielt noch den Moralischen; er entschuldigt sich, wenn er einige vielleicht noch saftigere Brocken aus dem Gedicht eines französischen Autors vorträgt? Nein! Meine Herren, ich unterscheide hier mit ruhigem Gewissen zwischen der französischen Leistung und meinem eigenen Werke. Ich habe die christlichen Götter herabgewürdigt und habe sie mit voller Absichtlichkeit herabgewürdigt, weil ich sie im Spiegel des fünfzehnten Jahrhunderts sah; weil ich sie durch das Papstglas Alexanders VI. anschaute. Unsere Vorstellungen, meine Herren, über das Göttliche sind ja in unserem Denken beschlossen. Was da droben über uns in Wirklichkeit vor sich geht, das wissen Sie ja so wenig wie ich. Sind unsere Vorstellungen über das Göttliche erhaben, so sind sie eben in unserem Denken erhaben; und sind sie lächerlich, so sind sie in unserem Denken lächerlich. Kommt nun jemand, wie so ein liederlicher Papst, und ändert unsere Vorstellungen über das Göttliche aus erhabenen zu lächerlichen um, so ist das ein Prozeß, der in unserem Denken vor sich geht und hat mit dem, was wirklich über uns im Raume besteht, mit dem Transzendentalen, nichts zu tun. Wenn ich das Göttliche angriff, so griff ich damit nicht jenen überirdischen Funken an, der im Herzen eines jeden Menschen schlummert, sondern ich griff[149] das Göttliche an, das in den Händen Alexanders VI. eine Fratze geworden war.

Nun, meine Herren, um an den französischen Autor anzuknüpfen, vielleicht werden Sie mir entgegnen: Aber in Deutschland, da sind solche groteske Darstellungen des Göttlichen nicht vorgekommen. Nur die leichtfertigen Franzosen und rücksichtslosen Engländer haben in so barbarischer Weise dem Göttlichen zugesetzt. Auf die Gefahr hin, Sie noch um einige Minuten aufzuhalten, muß ich Ihnen doch eine Probe aus den Schriften des schwäbischen Volksdichters Sebastian Sailer (1714–1777) vorführen, besonders aus seinem humoristischen Drama »Der Fall Luzifers«, welches Goethe so höchlich entzückte. Hier kommen wir nun in eine ganz andere Sphäre, in die Sphäre schwäbischer Dialektdichtung; aber Sie werden sehen, die Couleur ist dieselbe. Der erste Aufzug beginnt mit einem Engelchor:


»Danza, schpringa,

pfeiffa, singa,

seand im Himmel alte Ding;

bei Schalmeia

Juhui schreia,

daß oim schier der Sack verschpring.


Hupfa, danza,

d'Läus und d'Wanza

über d'Schträhla schüttla ra,

Schträhl und Kämpel

naus zum Tempel

wenn mar schreiet Hopsasa.«


Der Gang des Stückes ist der: es handelt sich darum, den unbotmäßigen Gesellen, Luzifer, einzufangen und ihn vor den Richterstuhl Gottes zu bringen. Es gelingt auch endlich. Man erwischt ihn auf einem Ort, den man in anständiger Gesellschaft nicht nennt. Erzengel Michael schiebt den Riegel vor, und Luzifer ist gefangen. Der Hanswurst hatte dabei geholfen. Beide eilen zu Gott Vater und melden die Neuigkeit.


MICHAEL:

»Luschtig, Gott Vater! Ebbas Nuis!

verschreaket itt, wenn ich mein Buffer aschuiß.[150]

Luzifer ischt g'fanga.

Ich will nun gaun saga, wia's ischt ganga.«


Sie erzählen es ihm nun, und Gott Vater belohnt sie mit einem Glas Wein.


GOTT VATER:

»Michel! gang in Kealler;

doa hoascht Rheinwein, Muschkateller,

Mosler, Neckarwein, Burgunder

in di Flascha, ganze Plunder;

Velteliner und Tiroler

seand au guate Magasohler

wemma schpeit,

oder wenn dar Mag verheit.

Sag nun, was witt saufa?«


Der dargebotene Wein ist aber so sauer, daß ihn weder Sankt Michael noch der Hanswurst zu genießen vermögen. Sie beschließen, daß ihn Luzifer als Strafe für seine vielen Schandtaten trinken solle. Gott Vater wird um seine Zustimmung gefragt.


GOTT VATER:

»Meinethalba, will's probira;

laßa g'schwind zua mar rein führa.

Hanswurscht! gang naus, suscht muaß ih lacha;

ih muaß gaun eanschtliche G'sichter macha.«


Luzifer wird nun hereingefünrt.


LUZIFER:

»Bardaun, Gott Vater, Bardaun!

Gealtat, ar kennat mich schaun?«

GOTT VATER:

»Wohl redle kenn dich,

aber jetz b'sinn dich.

Was hoascht ang'fanga?

Wia weit bischt ganga?«

LUZIFER:

»Bardaun, Gott Vater, Bardaun!«

GOTT VATER:

»Halt's Maul! I kenn dich schaun.

Sankt Michel hoat mer eaba gean an guata Roath,

daß da g'wis kommst in di graischt Noath.

Gugg dötta as seall Glas Wein,

vom Sai (See) ischt as. Jetz glei trinks nein![151]

Noah laß ih für äll deine G'schpana

an frischa raus lauffa ußam Hana,

daß ar wearat krumm und lahm uf älla Viera,

oder müeßet gar wia d'Hund krebbieara.«


Aber Luzifer bedankt sich für diesen Wein. Er wisse, wo es einen besseren Tropfen zu holen gebe.


LUZIFER:

»Botz dausat Sakerment, und älle sieba Elament!

Dar Duifel holl s'Michels sei G'schmoiß,

dös wainsch ih, so wahr ih Luzifer hoiß.«


Nun befiehlt Gott Vater, den stänkernden Teufel in die Hölle zu stürzen.


MICHAEL:

»Maarsch, du Höllenhund, Maarsch!«


LUZIFER:

»Leackat mar mitanand im Aarsch!«

Der Teufel ab! Die zurückbleibenden Engel stimmen einen Lobgesang zur Ehre Gottes an.


Sie sehen, meine Herrn, ganz anders wirkt dies Bild auf uns ein. Gegen die fein parfümierte Kost des Parny sind das echte deutsche, schwäbische Runkelrüben. Aber charakteristisch: ob deutsch, ob französisch, ob englisch – kein Volk läßt sich zu Zeiten die Gelegenheit entgehen, die eigene Religion ins Lächerliche zu ziehen. Und jedes nimmt Figuren und Farben aus seiner nächsten Umgebung. So sicher die »Messiade« von Klopstock geschrieben wird, so sicher taucht aus dem Volksleben eine solche Offenbachiade der himmlischen Vorgänge auf, die das Zwerchfell erleichtert. Und was die Wasserspeier und fratzenhaften Tiergestalten an unseren Kirchenportalen, das sind die Satiren und komischen Epen auf religiösem Gebiet.

Wer war nun dieser Sebastian Sailer? Vielleicht irgendein herumziehender Bänkelsänger, der gegen ein paar Brocken guter Mittagskost oder einen Trunk Wein seine gewagten Witze losließ? Oder ein sogenannter »Moderner« des XVIII. Jahrhunderts, der durch seine allzu kühne literarische Produktion sich einen Namen zu machen hoffte? Nichts von alledem. Es war der berühmte Kanzelredner und Kapitular im Prämonstratenserkloster[152] zu Obermarchthal im Schwäbischen. Sein Ruf als Prediger war so verbreitet, daß er, nach der Sitte der damaligen Zeit, in allen deutschen Gauen die Kanzel bestieg, bis nach Franken und Mähren kam und in Wien vor der Kaiserin predigte. Er erhielt den Beinamen »der schwäbische Cicero«. Allerdings wurde er wegen seiner Stücke vielfach angegriffen und sogar die geistliche Behörde gegen ihn in Bewegung gesetzt. Aber sein Vorgesetzter, der Bischof von Konstanz, Kardinal von Rodt, ging gelegentlich einer Inspektionsreise selbst nach Obermarchthal, ließ sich eines seiner Stücke vorspielen und zeichnete dasselbe nicht nur durch seinen Beifall aus, sondern erklärte auch die Urteile der Gegner für schief und unklug. In der Folge wurden Sailers Schriften vielfach aufgelegt und gelangten im Württembergischen, ähnlich wie »Der Vetter aus Schwaben«, geradezu zu dem Rang eines allbeliebten Volksbuches. Meine Ausgabe, die ich hier habe, ist sogar von der Hand des bekannten Hebel-Illustrators Nisle mit Zeichnungen geschmückt. Und in der Szene, die ich Ihnen vorgeführt habe, erblicken Sie hier den Luzifer in der Tracht eines schwäbischen Dorfschulzen mit Stulpenstiefeln, großen Silberknöpfen und mächtigen, hinten am Rücken zusammengebundenen Flügeln, Michael mit großem Raupenhelm auf dem Kopf, in der Uniform eines Napoleonschen Grenadiers. Gott Vater im Lehnstuhl mit geblümtem Schlafrock, die nackten Füße in losen Schlappen, am Kopf eine Schlafhaube mit Sternenkranz. Hinten im Fauteuil ist das sogenannte »Auge Gottes«, das bekannte Symbol der Dreieinigkeit, eingelassen. Neben dem Fauteuil ein Spucknapf.

Sie sehen, meine Herren, Humor und Satire sind zwei Dinge in der menschlichen Natur, die nicht ausgerottet werden können, und sie haben auch auf religiösem Gebiet ebenso ihre Berechtigung wie Erhebung und Begeisterung.

Und glauben Sie, daß gerade heute die Zeiten danach angetan sind, um nach dieser Richtung eine strengere Zensur eintreten zu lassen? Meine Herren, es ist jetzt ein halbes Jahrhundert, daß von David Friedrich Strauß das »Leben Jesu« erschienen ist. Sie alle wissen, wie dieses Buch, das in die Kreise aller Gebildeten gedrungen ist, sozusagen der Ausgangspunkt einer religiösen Skepsis in Deutschland geworden ist. Und aus heutiger Zeit brauche ich Ihnen bloß den Namen Harnack zu nennen, dessen Schrift »Das apostolische Glaubensbekenntnis«,[153] in der er die Lehre von der übernatürlichen Geburt Christi als unhistorisch zurückweist, in einem halben Hundert von Auflagen durch alle Kreise verbreitet ist. Wenn ich auch, meine Herren, hier vielleicht vorzugsweise vor einem Kreis von Katholiken spreche, so werden Sie mir als Protestanten doch gestatten, diejenigen Momente hier anzuführen, welche meine Handlung in etwas anderem Lichte erscheinen lassen, als sie vielleicht in den Augen eines Katholiken erscheinen dürfte. Sie wissen alle so gut wie ich, daß es im Deutschen Reich heute Dutzende von protestantischen Pfarrern gibt, die suspendiert sind, weil sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinigen können, die Taufformel so zu sprechen, wie sie aus früherer Zeit überliefert ist und laut welcher Christus auf übernatürlichem Wege entstanden gedacht ist. Und Hunderte anderer Pastoren pochen an die Türen der Synoden und bitten um Abhilfe und Konzessionen an unsere glaubensarme Generation. Glauben Sie, meine Herren, daß eine solche Zeit geeignet ist, um religiöse Satire, wie sie früher auch geschrieben wurde, gerade heute vor den Richterstuhl zu zitieren?

Meine Herren, ich appelliere aber auch an Ihre freiheitlichen Empfindungen im Hinblick auf das Land, in dem das Buch erschienen ist. Das Buch ist gar nicht in Deutschland erschienen. Es ist in der Schweiz erschienen. Es hat jeder deutsche Autor einmal etwas auf dem Herzen, was er nicht in Deutschland drucken lassen kann, und er geht dann ins Ausland. Die englischen Chirurgen, die eine Vivisektion machen wollen, gehen nach Frankreich, weil die Vivisektion in England verboten ist, und kehren nach geschehener Arbeit in ihr Vaterland zurück. Es fällt aber keinem englischen Gericht ein, sie deshalb zu verfolgen. Denn es handelt sich um eine im Ausland begangene, dort straflose Handlung. Wenn Sie nun ein Buch, das im Ausland gedruckt ist, weil es im Inland mit den Gesetzen in Konflikt geraten könnte, so behandeln, als wäre es im Inland gedruckt, so kehren Sie damit die Intention des Verfassers in ihr Gegenteil um und schädigen ihn in einem Punkt, in dem er gar nicht in der Lage war, sich zu schützen, d.h. Sie fügen ihm eine Ungerechtigkeit zu. Ich appelliere, meine Herren, in dieser Richtung an das natürliche, Ihnen innewohnende Gerechtigkeitsgefühl und bitte um Freisprechung.


Aus dem Sachverständigengutachten des Dr. Michael Georg Conrad

[154] Hoher Gerichtshof! Man hat mir die Frage vorgelegt, ob ich das Buch »Liebeskonzil« für ein Kunstwerk oder eine gotteslästerliche tendenziöse Schrift halte.

Ich halte es für ein Kunstwerk, schon aus dem nächsten und einleuchtendsten Grunde, weil es von einem Künstler herrührt und in einer der strengsten poetischen Formen, der dramatischen, abgefaßt ist. Diese dramatische Form, auf ein Buch angewendet, das wohl nie zur Bühnenaufführung gelangt, also ausschließlich zum Lesen bestimmt ist, gilt in den Kreisen der Verständigen zugleich als die unpopulärste, unvolkstümlichste Form, was schon dadurch erhärtet wird, daß von allen schöngeistigen Werken in der deutschen Lesewelt keins weniger Anklang und Käufer findet als das Buchdrama, wie Ihnen, meine Herren, jeder Buchhändler bestätigen wird. Es ist auch vorhin durch die buchhändlerische Zeugenaussage festgestellt worden, daß das Panizzasche Buch »Liebeskonzil« so gut wie keinen Absatz gefunden hat. Denn ein oder anderthalb Dutzend Käufer stellen keinen Absatz dar. Wer aber eine wirksame tendenziöse Schrift schreiben und verbreiten wollte, wird sicher keine Form wählen, die im vorhinein die Verbreitung beschränkt, ja, bei dem heutigen Geschmack unseres gebildeten Publikums, die Verbreitung nahezu vollständig ausschließt. Ich bin überzeugt, daß die Herren, die berufen sind, hier als Geschworene über das angeklagte Buch zu urteilen, dasselbe bis zu dieser Stunde noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatten und erst aus der Anklage von seinem Vorhandensein erfuhren. Nicht einmal aus der Tagespresse war etwas darüber zu erfahren, denn die wenigen Besprechungen, die bis jetzt über das »Liebeskonzil« in den vier oder fünf Monaten seit seinem Erscheinen veröffentlicht worden sind, standen ausschließlich in wenig verbreiteten literarischen Fachzeitschriften.

Das angeklagte Buch ist aber nach meiner Schätzung nicht bloß seiner Form, sondern ganz wesentlich seinem Inhalt und der Technik seines Vortrages nach ein Kunstwerk, bei dem der Gedanke an eine einseitige Tendenz vollständig in den Hintergrund tritt, wenigstens bei wirklichen gebildeten Kunstliebhabern. Der Dichter hat in seinem Werke sich jener Kunstmittel[155] bedient und jener besonderen technischen Weisen, die wir heute als die verfeinertsten und zugleich radikalsten »modernen« zu bezeichnen gewohnt sind. Mit diesen Mitteln wird eine Eindringlichkeit und Anschaulichkeit erzielt ganz unvergleichlicher Art. Zugleich aber auch ergibt sich aus dieser Kunstweise eine Lebenswahrheit von so intensiver Wirkung oder, mit einem geläufigen Schlagwort ausgedrückt, ein so unerbittlicher Naturalismus, daß der gewöhnliche, unvorbereitete Leser, der in himmelblauen Idealismen und wonnigen Phantastereien zu schwelgen liebt, mit dem Panizzaschen Drama »Liebeskonzil« nichts anzufangen wissen wird. Hier will ich gleich aussprechen, daß nach meiner persönlichen Empfindung in der Kunstweise Panizzas zuweilen ein Element sich bemerkbar zu machen scheint, das ans Perverse, Krankhafte streift. Daraus erkläre ich mir das Barocke, Geschmacklose, Derb-Groteske, womit namentlich der erste Akt dieses Dramas reich durchsetzt ist. Ich bin aber nicht in der Lage, diese mir persönlich widerlichen Geschmacklosigkeiten als angebliche Gotteslästerungen zu empfinden. Denn wenn die Geschmacklosigkeiten, die sich auf religiöse Vorstellungen und Figuren beziehen, immer gleich Gotteslästerungen wären, so müßte die volkstümliche kirchliche Kunst, namentlich in katholischen und besonders in romanischen Ländern, von Gotteslästerungen wimmeln. Was für Scheußlichkeiten habe ich nicht schon in den zahllosen Höllen- und Fegefeuerbildern, in den Kreuzigungsdarstellungen usw. gesehen, womit man in katholischen Ortschaften die Wände der Kirchen und Friedhöfe in frommer Naivität schmückt. Nicht zu reden von den Heilanden am Kreuz, denen man in Italien und Spanien echtes Menschenhaar auf den Kopf klebt oder deren Wundmale man mit echtem Blut hingeschmiert hat. Und in der Auswahl der Physiognomien waren diese Heiligenmaler und Herrgottsschnitzer auch nicht peinlich, denn die erste beste konfiszierte, polizeiwidrig häßliche Visage war ihnen für ihren Herrgott oder ihren Christus gut genug. Hat man jemals eine Gotteslästerung darin erblickt? Oder eine Herabwürdigung der Jungfrau Maria darin, daß man sie in den Kirchen von Rom oder Neapel wie eine eitle Modepuppe kleidet, Finger und Ohren mit Ringen, die Arme mit Brasseletten schmückt? Neben den Madonnen von Raffael gibt es bekanntlich auch ganz andere, die an Heiligkeit alles zu wünschen übrig lassen. Aber es ist noch keinem guten[156] Katholiken eingefallen, daran Anstoß zu nehmen. Wenn gar noch einem Christusbild das Haar oder der Bart wächst, so ist ihm das kein gotteslästerlicher Skandal oder Humbug, sondern ein erstaunliches Wunder.

»Gott ist Geist«, lehrt die Bibel. Wird dieser Geist vermenschlicht und verpersönlicht, so wird sich in diesem Bilde immer der jeweilige Geschmack der Menschen aussprechen. »In seinen Göttern malt sich der Mensch.« Es gibt keinen Lehrsatz der Kirche, der vorschreibt, so und so hat man sich Gott, oder Jesus, oder Maria, oder den Teufel vorzustellen, mit einem solchen Kopf, solchen Augen, solcher Körperbeschaffenheit, solcher Haarfarbe, solchem Ausdruck usw. Hier herrscht absolute Wahlfreiheit. Die Bibelausleger beziehen eine Stelle im Alten Testament auf Christus, da heißt es: »Er hatte weder Gestalt noch Schönheit.« Also ist es bibelgemäß, sich Christus häßlich vorzustellen. Wer will nun die Grenze ziehen und sagen, hier ist erlaubte Vermenschlichung, dort beginnt die Gotteslästerung? Ganz streng genommen, müßte, da Gott nach der Bibellehre »Geist« ist, jede Verbildlichung verpönt werden. Aber von dieser sublimen Auffassung ist niemand weiter entfernt als die Kirche und ihre Vertreter selbst. Somit kann die Kirche, und wer sonst kirchliche oder religiöse Interessen vertritt, niemand verwehren, sich Gott jung oder alt, robust oder gebrechlich usw. vorzustellen.

In der Vision des Dichters gewinnt der traditionelle Himmel, und was darin vorgeht, eine Gestalt, die sich also recht eigentlich jeder Diskussion entzieht. Der Dichter hat es so gesehen, wie er's sehen mußte, aus einem künstlerischen Zwang seiner schöpferischen Phantasie heraus, und damit Punktum. Man kann seine Vision annehmen oder ablehnen, aber man kann sie nicht polizeilich abwandeln, man kann sie nicht strafen. Das Forum, vor dem sich Dichter und Künstler einzig zu verantworten haben, ist die ästhetische Kritik. Die Frage kann nicht auf theologischen, sondern allein auf künstlerischen Wert oder Unwert gerichtet sein. Und die Frage so gestellt, hat Panizza mit seinem »Liebeskonzil« eines der stärksten und bedeutendsten Kunstwerke der modernen Dramenliteratur geschaffen, ja, an der Schwierigkeit des Themas gemessen, vielleicht das allerbedeutendste der letzten Jahre. Als Arzt, Naturforscher, Seelenkundiger und satirischer Dichter hat Panizza einen Stoff angepackt, dem vielleicht kein zweiter unserer modernen[157] Schriftsteller und sicher keiner unserer älteren Herren vom poetischen Fach sich gewachsen gefühlt hätte, und mit genialer Kühnheit, mit verblüffender Energie und Folgerichtigkeit hat er ihn gestaltet. Und da der Stoff seines »Liebeskonzils« ein historischer ist, so hat er ihn mit der ganzen kritischen Ehrfurchtslosigkeit und unerbittlichen Schärfe behandelt, welche ein Hauptkennzeichen moderner Geschichtsauffassung ist. Wie der moderne Historiker, so steht auch der moderne Dramatiker jenseits aller Wehleidigkeit, jenseits aller unmännlichen Rücksichtnehmerei auf die Sentimentalitäten und Duseleien der großen Masse. Und diese im Sinne der Wissenschaft und Kunst allein richtige und unanfechtbare Stellung des Historikers und Dichters wird von gewissen Leuten natürlich als Brutalität und Roheit empfunden, sobald ein ihnen als traditionell geheiligt geltender Stoff ins Spiel kommt, wie im »Liebeskonzil« der christliche Himmel und das römische Papsttum zur Zeit, da ein Ausbund aller Laster und Verbrechen auf dem Stuhle Petri saß, der Kirchenstaat und seine Nachbarländer der Schauplatz zügellosester Ausschweifung waren und die mörderische Lustseuche zum Ausbruch kam.

Und das ist nun das Problem, das sich Panizza, nach meiner Auffassung, in seinem »Liebeskonzil« zum Vorwurfe nahm:

Wie ist in einem großen Zeitbilde auf historisch treuer Grundlage mit Verwertung des volkstümlichen Götter- und Teufelsglaubens der Eintritt der Lustseuche in die europäische Kulturwelt (historisch beglaubigtes Datum Frühling 1495) phantastisch anschaulich zu machen und aus dem Geiste jener Zeit heraus zu erklären? Und wie jeder echte, große Dichter hat Panizza dies in einer Vision in eins gesehen, in einem fabelhaften Zusammenwirken von Erde, Himmel und Hölle, im Sinne der mittelalterlich-papistischen Weltanschauung, und mit den überlegenen Mitteln moderner Dramen-Technik hat er diese Vision gestaltet. Die Modernität des Ausdrucksmittels allein schon mußte bewirken, daß die Szenen im Himmel einen starken Stich ins Satirische bekamen, und der echt deutsche, unrömische und papistische Geist des gelehrten, kritik- und schaffensgewaltigen Dichters führte absichtslos, rein unbewußt dahin, daß die Szenen im Vatikan mit einer zerschmetternden Wucht gearbeitet sind. Einzelnes, wie die Schilderung der dämonischen Erzeugung der Trägerin der Lustseuche, ist von überwältigender Größe, und selbst im Episodischen stoßen wir[158] auf Züge, wie wir sie nur in den genialsten Dichtwerken anzutreffen gewohnt sind.

Die Personen im Himmel sind dabei nicht zum Besten weggekommen. Allein wenn die irdische Stellvertretung der Dreifaltigkeit im Vatikan eine notorisch so scheußliche ist, wie unter dem Papst Alexander VI., so muß das auf die Schätzung des Himmels zurückwirken. Wie der Knecht, so der Herr. Ein Scheusal, wie der Gottesvertreter Borgia, verträgt keinen reinen, majestätischen Himmel, und umgekehrt. Aber ist das die Schuld des Dichters? Ist der Dichter straffällig, wenn er psychologisch und historisch logisch und ehrlich ist?

Summa: Panizzas »Liebeskonzil« ist ein Kunstwerk, und es wäre Herabwürdigung, in ihm eine tendenziöse Lästerschrift erblicken zu wollen. Wenn aber außerhalb der Kunstabsicht des Verfassers doch noch eine besondere moralische Tendenz festgestellt werden soll, so könnte dieselbe objektiv nur mit dem Hinweis auf das Widmungsblatt des Buches begründet werden: »Dem Andenken Huttens.« Hutten, der herrliche deutsche Fackelschwinger und Geistesstreiter, der ritterliche Vorkämpfer jener Helden, die uns das glänzende Zeitalter der Reformation schufen, er erlag dem tragischen Geschicke, als eines der ersten Opfer jener furchtbaren, geheimnisvollen Krankheit aus dem Welschlande zu fallen. Wenn ein freier Deutscher und moderner Dichter dem Andenken seines Landsmannes und Geistesverwandten Ulrich von Hutten eine würdige Weihegabe spenden will, so tut er's nicht in rührseligen oder didaktischen Versen, sondern in einem dramatischen Kunstwerk von so geistesgewaltiger und seelenbefreiender Kraft, daß alle davon erschüttert werden, die auf der Menschheit Höhen wandeln, und daß selbst der Stellvertreter Gottes auf Erden einen Ruck davon verspürt. Und das »Liebeskonzil« von Panizza ist eine solche würdige Weihegabe, denn es ist, wie ich mich nachzuweisen bemüht habe, trotz einzelner ästhetischer Makel, ein echtes, deutsches, modernes Kunstwerk.


Das Urteil des königlichen Landgerichts München 1

[159] Nachdem der Präsident des Schwurgerichts im Laufe der Verhandlung darauf aufmerksam gemacht hatte, daß, für den Fall der Angeschuldigte der Verbreitung des Buches in Deutschland nicht schuldig zu erachten sei, die ganze Anklage wegen Gotteslästerung von selbst wegfalle, da es sich dann um ein im Ausland begangenes, dort strafloses und nach § 4, Z. 3 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches auch im Inland nicht verfolgbares Vergehen handle, stellte der Verteidiger, Herr Dr. Kugelmann, den Antrag, den Geschworenen die Nebenfrage vorzulegen, ob der Verfasser der Verbreitung des Buches in Deutschland schuldig sei. Dieser Antrag, dem sich der Staatsanwalt, Freiherr von Sartor, widersetzte, wurde vom Gerichtshof abgelehnt mit der Motivierung: die Nebenfrage, oder Vorfrage, nach der Schuld des Angeklagten hinsichtlich Verbreitung des Buches in Deutschland werden in der Hauptfrage, ob schuldig der Gotteslästerung, enthalten sein. Die dann an die Geschworenen gerichtete Frage lautete:

Ist der Angeklagte Dr. Oskar Panizza schuldig, in der von ihm im Frühjahr 1893 verfaßten, in Zürich bei dem Verlagsmagazin J. Schabelitz im Oktober 1894 herausgegebenen und sodann in München, Leipzig und an anderen Orten des deutschen Reiches zur Verbreitung gelangten Druckschrift 'Das Liebeskonzil, eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen', dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästerte, Ärgernis gegeben und öffentliche Einrichtungen und Gebräuche der christlichen Kirche, insbesondere der katholischen Kirche, beschimpft zu haben?


Wortlaut des Urteils

Im Namen Seiner Majestät des Königs von Bayern erkennt das Schwurgericht bei dem k. Landgerichte München 1 in Sachen gegen den Schriftsteller Dr. Oskar Panizza von Kissingen wegen Vergehens wider die Religion, verübt durch die Presse, zu Recht:


1. Dr. Oskar Panizza wird wegen eines Vergehens wider die Religion, verübt durch die Presse, in eine Gefängnisstrafe[160] von einem Jahre sowie zur Tragung der Kosten des Strafverfahrens und der Straf Vollstreckung verurteilt.

2. Die vorhandenen Exemplare der Druckschrift »Das Liebeskonzil« von Dr. Oskar Panizza sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen sind unbrauchbar zu machen.

3. Gegen den Angeklagten wird Haftbefehl erlassen.


Gründe

Das k. Landgericht München 1 hat unterm 20. März 1895 gegen den Schriftsteller Dr. Oskar Panizza von Kissingen wegen eines Vergehens wider die Religion, verübt durch die Presse, auf Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgerichte erkannt.

Infolgedessen kam die Sache heute zur öffentlichen Verhandlung.

Nach Begründung der Anklage durch den k. Staatsanwalt trugen der Rechtsanwalt Dr. Kugelmann und der Angeklagte die Verteidigung vor.

Den Geschworenen wurde die anliegende Frage zur Beantwortung vorgelegt.

Die Erklärung der Geschworenen lautete auf die gestellte Frage: Ja, mit mehr als 7 Stimmen.

Der k. Staatsanwalt stellte den Antrag auf Gefängnisstrafe von 1 Jahr 6 Monaten, Unbrauchbarmachung der vorhandenen Exemplare der Druckschrift, sowie der zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen, Erlassung eines Haftbefehls, Kostentragung.

Der Verteidiger beantragte eine Gefängnisstrafe von einem Monat.

Die richterliche Würdigung des erfolgten Schuldausspruches hat ergeben, daß nach § 166 R.St.G.B. §§ 2, 20, 21 Reichs-Preß-Gesetz vom 7. Mai 1874 die in der Frage bezeichnete Handlung als ein Vergehen wider die Religion, verübt durch die Presse, sich darstellt.

Die Strafe war in Gemäßheit der §§ 166, 16 des R.St.G.B. auszumessen und kam als straferschwerend in Betracht, daß der Inhalt des betreffenden Preßproduktes geeignet ist, die religiösen und sittlichen Gefühle Anderer auf das Tiefste zu[161] verletzen, daß ferner die Auslassungen in der Schrift nicht mit schriftstellerischer Freiheit entschuldigt werden können, vielmehr diese in ungemessener Weise mißbraucht ist.

Als strafmindernd hingegen war zu berücksichtigen, daß bei dem abstoßenden Inhalte des Preßerzeugnisses dasselbe wohl bei Anständigen Zurückweisung und daher wenig Verbreitung gefunden haben wird.

Hienach erschien die oben ausgesprochene Strafe als entsprechend.

Nachdem mit Rücksicht auf die ausgesprochene Strafe und die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten derselbe als fluchtverdächtig erscheint, war gegen denselben Haftbefehl zu erlassen. (§§ 112, 124 St. P.O.)

Nachdem der gesamte Inhalt des von dem Angeklagten verfaßten Preßproduktes strafbar ist, war nach § 41, Abs. 1 und 2 R.St.G.B. auszusprechen, daß alle Exemplare desselben sowie die zu seiner Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen seien.

Als zur Strafe verurteilt, waren dem Angeklagten die Kosten des Strafverfahrens und der Straf Vollstreckung zu überbürden nach §§ 496, 497 St.P.O.

Alles in Anwendung der vorangeführten Gesetzesstellen.

Also geurteilt und verkündet in öffentlicher Sitzung des Schwurgerichts bei dem k. Landgerichte München 1, am 30. April 1895, nachmittags 7 Uhr, wobei zugegen waren: der k. Oberlandesgerichtsrat Quante, Vorsitzender, die k. Landgerichtsräte Freiherr von Dobeneck und Ziegler, Beisitzer, der k. II. Staatsanwalt Freiherr von Sartor, der k. Sekretär Pasquay als Gerichtsschreiber.

gez. Quante, Dobeneck, Ziegler

Fußnoten

1 Die hier folgende Verteidigungsrede wurde nicht in allen Stücken und nicht stets wörtlich so gehalten, wie sie hier steht und wie sie vorher niedergeschrieben wurde. Die Art der Verhandlung, die vormittags auf das Verhör des Präsidenten, nachmittags auf die Rede des Staatsanwaltes antworten hieß, zwang auch die Verteidigung, ihre Argumente zu teilen. Und das Ganze am Schluß noch einmal im Zusammenhang vorzutragen, war angesichts der Haltung der Geschworenen eine aussichtslose Sache. So blieb die Stelle über Parny ganz weg. Anderes, Extemporiertes, wurde umgekehrt hier nicht später eingefügt. Aber dem Sinn nach und dem Wortlaut der meisten Erörterungen nach entspricht das im Schwurgerichtssaal Vorgebrachte der hier mitgeteilten Rede.


2 Ulrichen von Hutten, eins teutschen Ritters: »Von den Frantzosen und blatteren.« 1519. Huttens Schriften, herausgegeben von Böcking, Leipzig 1859–69. Bd. V, Seite 399–401.


3 Ich habe in der Szene, wo ich eine der üblichen Abend-Unterhaltungen des Papstes schilderte, nackte Jünglinge auftreten lassen, die vor dem Papst und seinen Damen Ringkämpfe ausführten, wobei der Sieger eine der anwesenden nackten Kurtisanen empfängt, mit der er hinter der Szene verschwindet. Aber der historische Bericht ist viel, viel schlimmer. Ich milderte die Szene, nicht mit Rücksicht auf die Päpste oder das Empfinden der Katholiken, sondern aus künstlerischer Rücksicht; weil ich immer das Theater vor Augen hatte, weil ich immer an die Möglichkeit einer Aufführung dachte; und weil die obige Szene unter gewissen Kautelen wenigstens in ihrer Aufführbarkeit denkbar wäre. Die wirkliche Szene, wie sie nach historischen Berichten überliefert ist, wäre auch in einem Buchdrama eine unmögliche Sache. Sie lautet nach dem Bericht des päpstlichen Zeremonienmeisters Burcard, der von den Depeschen der in Rom weilenden Gesandten bestätigt wird, folgendermaßen: »In sero (dominica, ultima mensis octobris, vigilia omnium sanctorum) – 31. Oktober 1501 – fecerunt cenam cum duce Valentinense in camera sua, in palatio apostolico, quinquaginta meretrices honeste, cortegiane nuncupate, que post cenam coreaverunt cum servitoribus et aliis ibidem existentibus, primo in vestibus suis; deinde nude. Post cenam posita fuerunt candelabra communia mense in candelis ardentibus per terram, et projecta ante candelabra per terram castanee quas meretrices ipse super manibus et pedibus, nude, candelabra pertranscentes, colligebant, Papa, duce et G. Lucretia, sorore sua presentibus et aspicientibus. Tandem exposita dona ultima, diploides de serico, paria caligarum, bireta et alia pro illis qui pluries dictas meretrices carnaliter agnoscerent; que fuerunt ibidem in aula publice carnaliter tractate arbitrio presentium, dona distributa victoribus.« (Burchardi Diarium [1483–1506] ed. L. Thuasne. Tom III. p. 167. Paris 1885): »Am Abend (des 31. Oktobers, Vorabend von Allerheiligen) speisten fünfzig angesehene Huren, Kurtisanen genannt, beim Herzog von Valentinois (Cäsar Borgia, der Sohn des Papstes) in dessen Zimmer im päpstlichen Palast und tanzten nach der Mahlzeit mit der Dienerschaft und anderen dabei Anwesenden; erst in Kleidern, später nackt. Nach beendigter Mahlzeit wurden die brennenden Kandelaber der Tafel auf den Boden gestellt und Kastanien unter die Kandelaber geworfen, von wo sie die nackten Mädchen, zwischen den Leuchtern hindurchschlüpfend, mit Händen und Füßen haschten. Der Papst, der Herzog und seine Schwester Donna Lucrezia waren anwesend und sahen zu. Zuletzt wurden Preise ausgesetzt, seidene Anzüge, Fußbekleidungen, Kappen und dergleichen für jene, die am öftesten mit den genannten Mädchen sich fleischlich zu vermischen vermöchten. Diese wurden dann in der angegebenen Weise von den Zuschauern und nach dem Ermessen der Anwesenden geschlechtlich hergenommen und die Preise an die Sieger verteilt.« – Die Sache war durchaus etwas Gewöhnliches. Denn der venezianische Gesandte Giustiani berichtet unter dem 30. Dezember 1502 nach Hause: »Gestern speiste ich bei Seiner Heiligkeit im Palast und blieb bis zum frühen Morgen bei den Unterhaltungen, die die regelmäßigen Zerstreuungen des Papstes bilden und an denen Frauenzimmer teilnehmen, ohne die sich der Pontifex keine Feste denken kann. Jeden Abend läßt er Mädchen bei sich tanzen und gibt Feste ähnlicher Art, wobei Kurtisanen figurieren.« (Yriarte, Ch., Les Borgias. Paris 1889. Tom. II p. 40.)


4 G.C. Lichtenbergs Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche. Elfte Lieferung. Göttingen 1809. pag. 55.


Quelle:
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied und Berlin 1964.
Erstdruck: Zürich (Verlagsmagazin) 1895.
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