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Nous sommes mobiles, et nous
jugeons des êtres mobiles.
Sénac de Meilhan.
Schwerlich hat es außerhalb des politischen Lebens noch eine Frau gegeben, die in gleichem Maße wie G. Sand der Gegenstand begeisterter Huldigungen und heftiger Angriffe gewesen wäre. In den Hymnus, den ihre Anhänger zu ihrem Preise anstimmten, mischte sich der nicht minder vollstimmige Chor ihrer Gegner. Ihr ungewöhnliches Talent blieb allerdings unbestritten, aber in Hinsicht auf den Gebrauch, den sie von demselben machte, standen die Meinungen einander schroff gegenüber. Den einen galt sie für die Verkünderin einer neuen Lehre, deren Endzweck war, Vorurteile, Mißbräuche, Ungerechtigkeiten aller Art auszurotten und insbesondere dem weiblichen Geschlecht zu einer würdigeren Stellung zu verhelfen; die anderen erblickten in ihren unleugbar von einem revolutionären[112] Geist durchwehten Romanen eine Gefahr für die öffentliche Moral und den Pflichtbegriff, der das Leben der einzelnen beherrschen muß, wenn die Gesamtheit gedeihen soll. Man war nicht übel geneigt, diese Bücher für Sturmvögel zu halten, die eine bevorstehende soziale Umwälzung von unermeßlicher Tragweite in Aussicht stellten. Im Laufe der fünfzig Jahre, die seit dem Erscheinen von G. Sands erstem Roman verflossen sind, hat es sich gezeigt, daß sowohl die Hoffnungen der Anhänger wie die Befürchtungen der Gegner weit über Maß und Ziel hinausgingen. Die dauernde Wirkung der Schriften G. Sands steht mit dem ungeheuren Aufsehen, das sie bei ihrem Erscheinen erregten, in keinem Verhältnis. Der Blumenflor, der uns in unserer Jugend mit seiner Farbenglut entzückte, mit seinem Duft berauschte, ist im Laufe der Zeiten zu einem Herbarium geworden. Es ist dies das Schicksal aller Romane, die, statt die reale Welt zu schildern, nur den Aspirationen nach anderen Zuständen einen Ausdruck geben; darum sind auch G. Sands Dorfgeschichten vielleicht die einzigen unter ihren Werken, denen ein erfreulicheres Los beschieden sein dürfte; in ihnen hat sie aus dem Born des wirklichen Lebens geschöpft. Der Name George Sand wird in der französischen Literatur niemals untergehen, allein die Zeit ist nicht ferne, in der nur der Literarhistoriker sich mit ihren Schriften beschäftigen wird. Auch Fräulein v. Scudéry, Madame de[113] la Fayette haben sich einen Namen gemacht, den noch heute, nach zweihundert Jahren, jeder literarisch Gebildete kennt, während doch niemand mehr ihre Werke liest. Schon zur Zeit, als G. Sands Ruhm auf dem Höhepunkt stand, prophezeite Doudan ihren Heldinnen ein frühzeitiges Alter; er hat sich darin nicht geirrt. Schon die jetzige Generation steht diesen Gestalten kühl und fremd gegenüber. Aber so scharf- und sicherblickender Beurteiler gab es nicht viele. – Die Frage zu erörtern, warum es einem so großen, starkbesaiteten Talent nicht gelang, Werke zu schaffen, die noch späte Nachgeschlechter ebenso hingerissen hätten wie die Zeitgenossen, diese Frage zu behandeln, würde viel zu weit führen und kann deshalb nicht der Zweck dieses Aufsatzes sein. Jedenfalls bleibt es eine unumstößliche Tatsache, daß G. Sands Romane bei ihrem Erscheinen vom Aufgang bis zum Niedergang gelesen wurden und Anlaß zu Kontroversen gaben, von deren Heftigkeit man sich heute kaum eine Vorstellung machen kann.
Das Geschlecht der Verfasserin war schuld, daß diese Kämpfe auch noch auf ein anderes Gebiet verpflanzt wurden. Wäre ein Mann der Autor von »Indiana«, »Valentine«, »Jaques« gewesen, so hätte man sich damit begnügt, diese Romane als literarische Erscheinungen zu behandeln und sie, je nach dem Standpunkt des Kritikers, als solche anzupreisen oder[114] zu befehden. Da sie aber von einer Frau, und zwar von einer jungen und schönen Frau, herrührten, konnte es nicht fehlen, daß man sich mit den persönlichen Verhältnissen der Dichterin eifrigst beschäftigte. Ihre schnell erlangte Berühmtheit machte sie zum Gegenstand allgemeiner, meistens überwollender Aufmerksamkeit. Neugier und Klatschsucht verfolgten jeden ihrer Schritte und mochten sich bald an der Entdeckung ergötzen, daß die Lebensführung der vielgenannten Frau keineswegs eine korrekte sei. Die böswilligsten Gerüchte, deren Grundlosigkeit jetzt als erwiesen betrachtet werden kann, wurden über G. Sand verbreitet und von der Menge geglaubt. In jedem neuen Roman, der von ihr erschien, wollte man, mittels gewaltsamer Deutungen, eine neue Phase ihres Herzenslebens erblicken. Man behauptete, genau unterscheiden zu können, ob sie, während sie denselben schrieb, unter dem Einfluß eines Künstlers, eines Theosophen oder eines Sozialdemokraten gestanden habe. Selbst Delphine v. Girardin, die mit ihr auf freundschaftlichem Fuße stand, konnte die boshafte Bemerkung nicht unterdrücken, das bekannte Wort Buffons »Le style c'est l'homme« lasse sich auf keinen anderen Schriftsteller so richtig anwenden wie auf G. Sand. Die Dichterin gestand der Welt nicht das Recht zu, ihr Tun zu richten und verteidigte sich deshalb ihr gegenüber nicht. Nur wenn ihren Romanen eine unsittliche Tendenz zugeschrieben[115] wurde, die sie ihrer Ansicht nach nicht hatten, wehrte sie sich mit aller Entschiedenheit dagegen; rein literarische Kritik ließ sie sich mit großer Bescheidenheit und Urbanität gefallen, Verdächtigungen ihres Privatlebens zu widerlegen, widerstrebte ihrem Stolz. Um so größer war die Spannung, als zu Anfang der fünfziger Jahre ihre Memoiren unter dem Titel: »Histoire de ma vie« angekündigt wurden. Jetzt endlich hoffte man den ersehnten Aufschluß über so manches zu erlangen, was denn doch problematisch geblieben war, denn einer wissentlichen Lüge war, das mußte man, diese Frau nicht fähig. Die guten Leute vergaßen nur, daß zwischen Lüge und Wahrheit noch ein Drittes liegt: das Schweigen über Punkte, die man weder bloßlegen noch beschönigen will. In der Tat geht G. Sand in ihrer Selbstbiographie schweigend über manche Ereignisse und Verhältnisse hinweg, die tief in ihr Leben eingegriffen. Von vielen Seiten wurde ihr dies zum Vorwurf gemacht; ich denke im Gegenteil, daß sie hier von einer sehr richtigen Empfindung geleitet wurde. Abgesehen von allen anderen Rücksichten, sagte ihr schon ihr gebildeter Geschmack, daß es wenig so Widerwärtiges gibt, als eine alternde Frau von den Leidenschaften ihrer Jugend erzählen zu hören. Und man glaube doch nicht, daß G. Sand, selbst wenn es ihre Absicht gewesen wäre, uns die volle Wahrheit zu geben vermocht hätte. Wer kann sich die inneren Motive[116] alle vergegenwärtigen, die vor Jahrzehnten die treibenden Kräfte seines Handelns waren? Wer ist imstande, sich nach einem so langen Zeitraum in die Stimmungen zurückzuversetzen, unter deren Einfluß er dies oder jenes ihm jetzt unbegreiflich Scheinende tat? Deshalb ist den Autobiographien zu mißtrauen, sofern sie sich nicht auf das Tatsächliche beschränken. In unserem Gefühlsleben bringt die mit den Jahren fortschreitende Reife zu große Veränderungen hervor, als daß wir gegen unsere Vergangenheit ganz gerecht sein, sie mit vollkommener Objektivität beurteilen könnten.
Wenn aber G. Sands Memoiren auch nicht die gehofften Enthüllungen brachten, so entschädigten sie dafür wenigstens den besseren Teil des Publikums durch Vorzüge, die ihnen eine höhere und edlere Bedeutung verleihen. Der Entwicklungsgang dieser so höchst merkwürdigen Natur ist darin mit voller Klarheit zu verfolgen, die Bilder der bedeutenden Menschen aus ihrem Umgangskreise, die sie uns vorführt, atmen und leben, die ganze Darstellung ist der großen Meisterin in der Kunst des Erzählens würdig. Der Wert dieser Memoiren ist sehr hoch anzuschlagen, doch hat man, während man sie liest, stets die Empfindung, daß die Verfasserin uns nicht mehr sagt, als sie eben sagen will. Wir lesen ein für den Druck bestimmtes Werk, nicht den Erguß einer Seele, die, ganz vom Augenblick erfüllt, an kein Publikum denkt. Selbstverständlich[117] liegt dem großartigen Wesen dieser Frau alle Affektation, alles Bestreben, sich schön herauszustaffieren, unendlich fern, aber sie war, als sie ihre Lebensgeschichte schrieb, schon längst eine Berühmtheit und eine solche kann sich kaum die Naivetät und Unbefangenheit bewahren, in denen der Hauptreiz solcher, die eigene Person betreffenden Mitteilungen besteht.
Um so frischer und reizender entfalten sich jene liebenswürdigen Eigenschaften in der »Correspondance de George Sand« (1812–1876), von der vor kurzem der erste Band erschienen ist. Die Briefe, die er enthält, reichen vom Jahre 1812 bis zum Jahre 1836 und fallen daher großenteils in eine Zeit, in welcher der Schreiberin nichts ferner lag, als der Gedanke, sich je gedruckt zu sehen. In diesen Briefen, die bis zum Jahre 1831 ausschließlich an Verwandte und an Personen ihres kleinen Bekanntenkreises gerichtet sind, spricht sich ein so zufriedener Sinn, eine so harmlose Heiterkeit aus, daß es den Anschein hat, als fühle sie sich im sicheren Hafen geborgen. Ein paar Ausflüge nach Paris und in ein Pyrenäenbad abgerechnet, lebt sie im Winter und Sommer auf dem ihr gehörigen Gute Nohant in der einstigen Provinz Berry. Ihre Tage sind mit häuslichen und landwirtschaftlichen Obliegenheiten ausgefüllt; ihr Herz findet in der überschwänglichen Liebe zu ihrem Erstgebornen, dem kleinen Maurice, sein volles Genüge. Neben ihm, vielleicht weniger[118] leidenschaftlich geliebt, aber gewiß ebenso treu gepflegt, wächst das um fünf Jahre jüngere Töchterchen Solange heran. Denselben stark ausgeprägten Familiensinn bewährt sie auch ihrer Mutter gegenüber. Kein geistiges oder seelisches Band verknüpfte diese einander ganz ungleichen Frauen, allein das Gefühl, das Rahel Varnhagen sehr treffend »Fasernliebe« nennt, vertrat seine Stelle. Sie erzählt der Mutter von allen kleinen Vorkommnissen im Familien- und Bekanntenkreise und läßt auch die harmlosen Spässe nicht unerwähnt, mittels welcher die Provinzbewohner eine Abwechslung in die Einförmigkeit ihres Daseins zu bringen suchen.
Von stofflichem Interesse können solche Briefe ihrer Natur nach nicht sein, um so wichtiger sind sie jedoch in psychologischer Beziehung. Sie zeigen uns G. Sand – damals noch Aurora Dudevant – von ihren häuslichen und mütterlichen Pflichten ganz erfüllt, ohne die leiseste Ahnung des in ihr schlummernden Dämons. Nirgends verrät sich eine Unzufriedenheit mit der Enge des ihr vorgezeichneten Wirkungskreises; von einem schriftstellerischen Drang ist keine Spur zu entdecken. Diese bis zum Jahre 1831 reichenden Jugendbriefe enthalten keine geistreichen Bemerkungen, keine tiefgehenden Reflexionen, keine frappanten Wendungen; es geht daraus nur hervor, daß sie von einer Frau von sehr klarem Verstand und echter Herzenswärme[119] herrühren. Die poetische Kraft, ihr eigentliches Lebenselement, war damals noch gleich einer Raupe in ihr eingesponnen.
Ihres Mannes erwähnt sie in diesen Briefen selten, meistens nur, wenn sie Grüße von ihm zu bestellen hat. Daß sie in keiner inneren Gemeinschaft mit ihm lebt, ist diesem Übergehen seiner Person leicht zu entnehmen, doch läßt sie, bis es zu der entscheidenden Krise kommt, keine Klage über ihn laut werden. Bis dahin wäre man geneigt, ihre Ehe für eine jener leidlichen zu halten, in denen die Liebe zu den Kindern und die Gemeinsamkeit aller äußeren Lebensinteressen die fehlende Liebe notdürftig ersetzt. Wäre dies hier wirklich der Fall gewesen, so hätte es wohl geschehen können, daß G. Sand sich ihres Genius nie bewußt worden wäre. Baron Dudevant war jedoch zu beschränkten Geistes und von zu rohen Sitten, um das Seine zur Aufrechthaltung der bestehenden Verhältnisse zu tun; die ganze Last auf ihre Schultern zu nehmen, war seine Frau nicht gewillt. Eine gerichtliche Trennung hatte sie noch nicht im Sinne; sie wollte nur zeitweilig von dem schweren Druck ausruhen, unter dem sie sich erliegen fühlte. Wie vielfach sie im Rechte gewesen sein muß, beweist, daß ihr Mann nach kurzem Widerstand einwilligte, sie ziehen zu lassen. Nur der Gedanke an ihre Kinder erschwert ihr die Ausführung ihres Entschlusses. Die zweijährige Solange bedarf[120] jedoch vorläufig nur physischer Pflege und für Maurice weiß sie auf anderem Wege Sorge zu tragen. Sie wendet sich an einen jungen Mann namens Boucoiran, der ihrem Söhnchen den ersten Unterricht erteilt hat, teilt ihm die Geschehnisse der letzten Zeit und ihr Vorhaben mit und bittet ihn, während ihrer Abwesenheit ihre Stelle bei Maurice einzunehmen. Von seiner Einwilligung macht sie ihre ferneren Schritte abhängig. Der Brief (vom Dezember 1830) ist zu bezeichnend für die Personen und die Verhältnisse, um hier nicht wenigstens stellenweise mitgeteilt zu werden. Sie schreibt:
»Jetzt liegt die Entscheidung in Ihrer Hand. Kaum fand ich den Mut, Ihnen meine Bitte vorzutragen, so sehr fürchte ich einen abschlägigen Bescheid. Versetzen Sie sich in meine Lage; wenn ich Sie in Nohant weiß, werde ich frei atmen können. Ich werde mein Kind in guten Händen wissen. Seine Erziehung wird einen gedeihlichen Fortgang nehmen, seine Gesundheit wird gehörig in acht genommen werden, sein Charakter vor üblen Einflüssen bewahrt bleiben. Sie werden mir täglich Nachricht von ihm geben. Überlasse ich Maurice seinem Vater, so wird er heute verhätschelt, morgen geprügelt werden. Man wird ihm Krankheiten andichten, um mir das Herz schwer zu machen und mich auf diese Weise zur Rückkehr zu zwingen. Wenn dieses das Los meines Sohnes sein sollte, würde ich lieber das meine,[121] wie hart es auch ist, noch ferner ertragen, um nur bei ihm zu bleiben und ihn vor der Brutalität seines Vaters zu schützen.«
Boucoiran wiedersteht diesen dringenden Bitten nicht. Bald nach dem Eintreffen seiner Antwort verläßt sie Nohant mit der Absicht, nach einigen Monaten für einen bestimmten Zeitraum dahin zurückzukehren.
Schon im Jänner 1831 finden wir sie in Paris an der Pforte eines neuen Lebens und bald in engen Beziehungen zu ihrem Heimatsgenossen Jules Sandeau, den sie schon von früher her kannte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er es, der, selbst Schriftsteller, sie zuerst beredete, die Feder zu ergreifen. Pekuniäre Rücksichten bewogen sie, seinen Rat zu befolgen. Von innerem Drang und Trieb, die sich allerdings bald einstellten, ist fürs Erste nicht die Rede; vorläufig hat sie nur einen bescheidenen Erwerb im Sinne. Wie fremd diesem großen Talent die aufgeblasene Zuversicht der meisten Anfänger war, wie wenig es diese Frau, deren Name bald in ganz Europa widerhallen sollte, nach Ruhm gelüstete, geht aus einem ihrer Briefe an Boucoiran deutlich hervor. Sie beantwortet seine Warnung vor den Widerwärtigkeiten, denen sie auf der literarischen Laufbahn begegnen werde, folgendermaßen:
»Ich meine, es wird damit nicht so arg sein. Sie müssen sich nur die Gründe, die mich bestimmen und[122] den Zweck, den ich im Auge habe, recht klar machen. Mein Mann hat mir eine Jahresrente von dreitausend Francs ausgesetzt. Das ist wenig / für mich, der das Geben eine Freude und das Rechnen ein Greuel ist. Meine Absicht ist daher einzig und allein, meine materielle Lage durch einen kleinen Erwerb zu verbessern. Da ich nicht enfernt den Ehrgeiz habe, mir einen Namen zu machen, so werde ich Niemands Haß und Neid erregen. Wenn Sie mir sagen, daß der Ruhm mir nur eine neue Quelle des Kummers sein werde, so kann ich mich des Lachens nicht erwehren. Dieser Ausspruch, wie alle ähnlichen Gemeinplätze, findet nur auf das Genie und die Eitelkeit eine richtige Anwendung; ich aber besitze kein Genie und bin nicht eitel. Deshalb darf ich mit gutem Grund hoffen, von den Widerwärtigkeiten verschont zu bleiben, die man mir als unvermeidlich schildert.«
Die angehende Schriftstellerin übersah dabei nur den wesentlichen Umstand, daß man, um Geld zu verdienen, sich erst einen Namen gemacht haben muß.
Die ersten Anfänge G. Sands waren um nichts leichter, als die der meisten Debütanten in der Literatur. Man wußte nichts von ihr und Jules Sandeau, mit dem sie gemeinschaftlich arbeitete, war ebenso unbekannt. Sie wurde von den Redaktionen, an die sie sich wendete, mit Versprechungen und Vertröstungen abgespeist. Glücklicherweise hatte sie aus ihrer Provinz ein Empfehlungsschreiben[123] an den Herausgeber des »Figaro«, H. de Latouche, mitgebracht. Der Empfang, den sie bei diesem fand, war zwar nicht viel verheißend – er nannte ihre Versuche reizend und bedauerte nur, daß sie ganz ohne Sinn und Verstand seien – doch immerhin willigte er ein, sie bei seinem Blatt zu beschäftigen. Kaum fühlt sie festen Boden unter ihren Füßen, so wird auch ihr eigentlicher Beruf ihr klar. Sie schreibt darüber:
»Fester als je bin ich entschlossen, die literarische Laufbahn zu verfolgen. Trotz der Schwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen habe; trotz der Anfälle von Trägheit und Entmutigung, die mich manchmal heimsuchen; trotz der über alles Maß bescheidenen Lebensweise, zu der ich mich bequemen muß, fühle ich, daß ich nur auf diesem Wege Befriedigung finden kann. Die Schriftstellerei wird gar bald zur Leidenschaft; hat sie sich einmal eines Gehirns bemächtigt, so gibt sie es nicht mehr frei.« Sie erwähnt der Versuche, die sie auch bei anderen Journalen gemacht hat und meint, irgendwo werde es doch glücken. Dann fährt sie fort:
»Inzwischen aber muß für den Lebensunterhalt gesorgt werden. Aus diesem Grunde habe ich mich zu dem scheußlichsten Handwerk entschlossen: ich schreibe Artikel für den ›Figaro‹, der mir sieben Francs per Spalte zahlt. Das ist nicht viel, doch reicht es für meinen Bedarf hin, ja ich kann sogar hie und da das Theater[124] besuchen, natürlich nur, wenn ich den gewissen Rat befolge, den Sie mir einmal gaben.« Höchst wahrscheinlich war es der Rat, Männerkleider zu tragen. Auch in ihrer Autobiographie sagt George Sand, daß ökonomische Rücksichten sie dazu bewogen haben.
Wir sehen die Dichterin nun in angestrengter Tätigkeit begriffen. Von 9 Uhr morgens bis 5 Uhr abends ist sie im Redaktionsbureau des »Figaro« beschäftigt, in den wenigen freien Stunden, die ihr bleiben, arbeitet sie an dem Roman, der ihren Ruhm begründen sollte. Daneben schreibt sie oft und in Ausdrücken rührender Zärtlichkeit an den kleinen Maurice und unterhält eine rege Korrespondenz mit ihren Freunden in der Provinz. Schon im Frühling 1831 kehrt sie nach Nohant zurück, von Sehnsucht nach ihren Kindern getrieben. Doch ist ihres Bleibens nicht lange. Literarische Angelegenheiten führen sie im Laufe des Jahres nach Paris zurück. Im Dezember kommt ihr Roman »Indiana« in die Hände des Verlegers. Wenn man nicht bereits wüßte, welchen glänzenden Erfolg dieses Werk hatte, welche große Bewegung es hervorrief, aus den hier mitgeteilten Briefen würde man es kaum ahnen können, so wenig erwähnt G. Sand des errungenen Sieges. Bald darauf veröffentlicht sie einen zweiten Roman: »Valentine«, der eine nicht minder günstige Aufnahme findet. Von nun an ist ihr eine hervorragende literarische Stellung gesichert. Die einflußreichsten Kritiker, darunter[125] Planche und Sainte- Beuve, verkünden ihr Lob, das Publikum will nur ihre Bücher lesen und selbst der ihr an realistischer Wahrheit und psychologischer Vertiefung entschieden überlegene Balzac wird durch sie in den Schatten gestellt. Doch alle diese Triumphe können ihr Gemüt nicht aus dem Gleichgewicht bringen; sie bewahrt ihren Freunden gegenüber die frühere Einfachheit und Teilnahme, ihre Kinder, die sie so häufig, als sie kann, besucht, bleiben ihr nach wie vor das Wichtigste. Die mütterliche Empfindung war, wie es scheint, der stärkste, unwandelbarste Zug in G. Sands ganzem Wesen. Wenn sie sich der Erfolge freute, die sie ihrem Talent verdankte, so war es aus anderen als aus Gründen der Eitelkeit; sie sah in jenen vornehmlich Mittel, sich die Freiheit zu sichern, deren sie bedurfte, um das Schicksal der Ihren nach ihrer Einsicht zu lenken.
So kam das Jahr 1833 heran; es war das bewegteste, verhängnisvollste in G. Sands Leben und noch lange nachher machten sich seine Nachwirkungen fühlbar. Das Verhältnis, in dem sie seit zwei Jahren mit Sandeau stand, löste sich, man weiß nicht aus welchen Ursachen. Daß die Dichterin diesen Bruch tief empfand, geht aus einem Schreiben an ihren Jugendfreund Rollinat hervor. Ich entnehme demselben ein paar Stellen:
»Mir ist, als hätte ich seit meinem letzten Briefe[126] an Dich Jahrhunderte durchlebt – jedenfalls bin ich durch alle Qualen der Hölle gegangen. Im weltlichen Sinne habe ich mich nicht zu beklagen. Äußerlich ist meine Stellung unangefochten, unabhängig, günstig. Ich sollte mich dessen freuen und vermag es nicht. Mein Herz hat um zwanzig Jahre gealtert, das Leben hat keinen Reiz mehr für mich. Mit Leidenschaft und Glück ists zu Ende – das Kap ist umsegelt.«
In dieser Stimmung schrieb sie ihre »Lélia«. Sie wollte darin ihren eigenen Gemütszustand schildern, den Gemütszustand eines Weibes, in dem die Fähigkeit zu glauben und zu lieben erstorben ist. Wie sehr sich die Dichterin darin über sich selbst täuschte, erfahren wir zwar nicht aus der vorliegenden Sammlung, die gerade in bezug auf die in Rede stehende Periode sehr lückenhaft ist, wohl aber aus Sainte-Beuves »Portraits contemporains«. Es ist geradezu unbegreiflich, weshalb der Herausgeber der Correspondance de G. Sand die in jenen mitgeteilten sehr wichtigen Briefe an Sainte-Beuve einfach wegließ. Es handelte sich hier vor allem darum, das Bild eines Seelenlebens herzustellen; dieser Zweck wird nun durch eine solche unbefugte Ausscheidung wesentlich beeinträchtigt.
Auf Grund der an Sainte-Beuve gerichteten Briefe sehen wir G. Sand, kaum daß ihre skeptische, »Lélia« erschienen war, eine Leidenschaft fassen, wie sie ein bis dahin unberührt gebliebenes Gemüt nicht tiefer, nicht[127] glühender empfinden kann. Das kurze Glück wie das traurige Ende dieses Liebesbundes sind bekannt. G. Sand und A. de Musset waren, wenn auch gleich geniale, doch zu wesentlich verschiedene Naturen, als daß es ihnen möglich gewesen wäre, ineinander aufzugehen. Auf sie Beide passen Grillparzers Worte:
»Im Glutumfassen stürzten wir zusammen,
Ein jeder Schlag gab Funken und gab Licht;
Doch unzerstörbar fanden uns die Flammen,
Wir glühten, aber ach! wir schmolzen nicht.«
Ich kehre von dieser notwendigen Abschweifung zu der in Rede stehenden Briefsammlung zurück.
Wie viele Frauen gibt es, die nach solchen Erschütterungen und Enttäuschungen sich nicht hoffnungslos gebrochen fühlen würden? Die widerstandskräftige und elastische Natur G. Sands wurde davon nur für eine Weile gebeugt. Wohl sagt sie in einem hier nicht mitgeteilten Brief an Sainte-Beuve, sie sei sterbensmüde und sterbenstraurig, aber ihre unverwüstliche Kraft ließ sie diese Krisis überstehen. Bald nach ihrer Rückkehr aus Italien, wo sie sich schon früher von Musset getrennt hat, sehen wir sie den gewohnten Gang des Lebens wieder aufnehmen. Es ist keine Frage, daß die schriftstellerische Tätigkeit, der sie sich jetzt eifriger als je hingab, wesentlich dazu beitrug, sie ihre persönlichen Schicksale minder lebhaft empfinden zu[128] lassen. Wenn aber auch in ihr die Phantasie vor allem reger war, so läßt sich von ihr doch nicht behaupten, sie habe sich den Anforderungen des realen Lebens entzogen. Wir wissen, daß sie und Baron Dudevant sich schon vor Jahren infolge eines gegenseitigen Übereinkommens getrennt hatten. Seitdem war in den Verhältnissen eine Wendung eingetreten, die es G. Sand als notwendig erscheinen ließ, um eine gerichtliche Trennung anzusuchen. Ihr Mann widersetzte sich derselben; so kam es zu einem Prozeß, den sie schließlich gewann. Auch die Kinder wurden ihr zugesprochen.
Bis dahin sind ihre Briefe fast ausschließlich an Personen gerichtet, die nur in ihrem engen Lebenskreise bekannt waren. G. Sands zunehmende Berühmtheit verschaffte ihr aber bald auch Freunde von Namen und Ansehen. Zu ihren Korrespondenten zählen nunmehr verschiedene durch Talent oder soziale Stellung ausgezeichnete Persönlichkeiten, wie Franz Liszt, Gräfin d'Agoult, Guéroult, Pelletan. Meiner Empfindung nach sind die Briefe an Gräfin d'Agoult (Daniel Stern) die einzigen in der ganzen Sammlung, die das Gepräge der Gemachtheit, der künstlichen Exaltation tragen; sie scheinen nicht sowohl der Adressatin als dem großen Künstler zuliebe geschrieben worden zu sein, der damals in intimen Beziehungen mit jener Dame lebte. In enthusiastischen Ausdrücken preist G. Sand diesen Liebesbund, von dem sie Glück und Heil erhofft. Wußte sie[129] denn nicht aus eigener Erfahrung, daß dauernde Befriedigung nicht auf solchem Wege zu erlangen ist? Hatte die Theorie von der femme libre, die, eben weil sie eine Theorie war, sie auch als Dichterin vielfach schädigte, ihren Blick dermaßen umnebelt, daß sie die wirkliche Welt von der nur in ihrer Phantasie existierenden nicht mehr zu unterscheiden vermochte? In Wahrheit nahm jenes Verhältnis ganz den Verlauf, den jeder Unbefangene ihm hätte vorhersagen können. Nach einem kurzen Wonnetaumel machten sich die Liebenden gegenseitig das Leben zur Hölle; endlich schieden sie in Haß und Bitterkeit voneinander. Bald darauf veröffentlichte Daniel Stern ihren Roman »Nélida«, in dem sie den Charakter des einst vergötterten Mannes aufs Heftigste angreift und sich natürlich als sein Opfer hinstellt.
Dies ist im wesentlichen der Inhalt des ersten Bandes von George Sands Briefwechsel. Daß in der vorliegenden Sammlung manche Lücken aufklaffen, habe ich bereits erwähnt und zugleich getrachtet, dieselben nach Möglichkeit auszufüllen, damit das Ganze an Verständlichkeit gewinne. Jedenfalls ist das in diesem Buche Mitgeteilte interessant und bedeutend genug, um die folgenden Bände mit Spannung erwarten zu lassen.
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