Betty Paoli

Ernst v. Feuchtersleben

Des Sterblichen geheimster Wille,

Das ist die mahnende Sibylle,

Die Fluch und Segen prophezeit.

Ernst v. Feuchtersleben.


Selbst in den trostlosesten Epochen, von denen die Geschichte erzählt, hat es Menschen gegeben, die das Ideal schöner Menschlichkeit so tief im Herzen trugen, daß es ihnen gelang, trotz aller Versunkenheit ihrer Umgebung gelang, es im Leben zu verwirklichen. Lichtverbreitend schritten sie durch die dunkelsten Zeiten, glorreiche Zeugen für den Adel der menschlichen Natur, unerbittliche Ankläger derjenigen, die ihre Frevel oder ihre Schwäche auf die Rechnung eines moralischen Miasmas setzen möchten. Zu diesen seltenen Erscheinungen, die den Sieg eines reinen Strebens über alle Ungunst der Verhältnisse verkünden, gehört Ernst v. Feuchtersleben, der Dichter und Philosoph, ein Lehrer seines Volkes, und mit stolzer Wehmut füge ich hinzu: der edle Freund meiner Jugend.[147]

Siebzehn Jahre sind verflossen, seit Feuchtersleben von der Erde schied. Ein früher Tod hat ihm nicht erlaubt, sein Tagewerk zu vollenden; aber was er geleistet hat, genügt, ihm ein unvergängliches Anrecht auf Liebe und Verehrung zu sichern. In einer Zeit, welche die Lehre von der Emanzipation des Fleisches predigte, schrieb er auf seine Fahne den Wahlspruch: »Emanzipation des Geistes!« Diesen sah er, von der Materie niedergehalten, in Fesseln schmachten, durch seine Sklaverei jede andere bedingt. In der spiritualistischen Richtung Feuchterslebens liegt seine Eigentümlichkeit und seine Bedeutung. Um die letztere aber vollkommen zu würdigen, muß man sich in die Zeit zurückversetzen, in die seine Entwicklung fiel, sich die Hindernisse vergegenwärtigen, die ihr entgegenstanden. Tausende und Abertausende sind ihnen unterlegen – nur einzelne hehre Gestalten ragen aus dem öden Sandmeer jener Tage empor. Mit Ehrfurcht seien sie gegrüßt, die aus dem Kampfe mit den niederdrückendsten Verhältnissen als Sieger hervorgingen!

Wenn ich das Jahr 1805 als Feuchterslebens Geburtsjahr angebe, so ist damit auch schon gesagt, daß seine Kindheit und Jugendzeit unter dem geistigen Drucke verging, der während der Restaurationsperiode schwerer denn je auf Österreich lastete und jedes höhere Streben zu ersticken suchte. Der Knabe wurde in einer Akademie erzogen, deren Leitung klerikalen und militärischen[148] Händen übergeben war. Er verließ die Akademie, um sich dem Studium der Heilkunde zu widmen. Der plötzliche Übergang von beständiger Überwachung zu unbeschränkter Freiheit ist immer ein bedenklicher Moment; er war es damals um so mehr, je eifriger man darauf bedacht war, jeden edlen Aufschwung zu lähmen. Das herrschende System hat seine Früchte getragen: von idealen Zielen war nur noch bei den allerwenigsten die Rede. Mehr und mehr verbreitete sich die von oben ausgehende Ansicht, der ganze Wert der Wissenschaft bestehe in dem unmittelbaren Nutzen, der aus ihr gezogen werden könne. Man studierte, um sich auf ein Amt vorzubereiten, um sich eine Existenz zu gründen; die reine, uneigennützige Liebe zur Wissenschaft hatte nur in seltenen Ausnahmsfällen Teil daran. Natürlich geschah auch hier, was unter ähnlichen Verhältnissen immer geschehen wird. Wenn die Glut und Kraft der Jugend nicht zu dem Ideal emporstreben darf, wirft sie sich auf das Gemeine, der Flamme gleich, die, in ihrem Zuge nach oben aufgehalten, sich Wege des Verderbens bahnt. Und wie waren die Macchiavells jener Zeit beflissen, durch schlaue Übermeisterung der Sinnlichkeit den Geist um sein Recht zu betrügen! Was wurde nicht alles aufgeboten, jeden ernsteren Gedanken hinwegzutändeln, jede tiefere Auffassung des Lebens hinwegzuscherzen! Die Jungen zwitscherten wie die Alten sangen. Daß es aber kein absolutes Muß[149] war, in dieses Konzert miteinzustimmen, sehen wir an Feuchtersleben.

Auf sich beruhend, in sich und durch sich gehalten, blieb er sich selbst getreu. Seine Forderungen an das Leben waren nur wenige, aber sie begriffen das Höchste: immer wachsende Erkenntnis für seinen Geist, für sein Herz die Freundschaft einiger Gleichgesinnten. Schon in seiner Knabenzeit hatte sich das poetische Talent in ihm geregt, jetzt gelangte es zu seiner Entfaltung. Viele seiner später gesammelten Gedichte rühren aus seinen Studienjahren her. Wäre ihnen nicht das Datum beigefügt, so würde die männliche Reife, die sich darin ausspricht, eine andere Altersstufe vermuten lassen.

Bis dahin mochte Feuchtersleben zu den Glücklichen der Erde gezählt werden. Noch war keiner der Schmerzen, die unvertilgbare Spuren zurücklassen, an ihn herangetreten, und auch die gemeine Sorge des Lebens war ihm immer fremd geblieben. Jetzt kam der Moment, in dem er beide kennen lernen sollte. Ein furchtbarer Jammer brach über ihn herein: Sein Vater, an dem er mit tiefster Innigkeit hing, suchte den Tod in den Wellen der Donau. Der Schmerz des Sohnes war grenzenlos. Von ihm erfüllt, dachte er nicht an die äußeren Folgen, welche dieser Schicksalsschlag nach sich ziehen sollte; doch waren sie schwer genug. Vergeblich hatte man sich bemüht, die Leiche des Dahingeschiedenen[150] aufzufinden, es war nicht gelungen, sein Tod konnte daher nicht gerichtlich konstatiert werden. Infolgedessen ward sein nachgelassenes Vermögen den Söhnen vorenthalten und ging ihnen schließlich, durch die Intriguen einer Stiefmutter, ganz verloren. Mit dem Tode seines Vaters begann für Feuchtersleben der Kampf mit der Alltagsmisere. Am Beginn seiner Laufbahn sah er sich aller Mittel, alles Beistandes beraubt. Manche, die es, freilich ohne ihn zu verstehen, nach ihrer Art gut mit ihm meinten, rieten ihm, durch eine reiche Heirat seiner Zukunft eine sichere Basis zu geben. »Wird ein solcher Schritt«, hieß es, »nicht von Vielen getan, die für ehrenwerte Männer gelten?« Ich habe Feuchtersleben damals noch nicht gekannt, doch kann ich mir das Lächeln vergegenwärtigen, mit dem er diese Ratschläge aufgenommen haben mag. Mehr als einmal sah ich es um seine Lippen spielen, wenn er als klug und praktisch preisen hörte, was er für gemein und unsittlich erkannte. Ihm war die Ehe kein Geschäft, sondern der heiligste Verband, in den zwei Menschen miteinander treten können. Seit Jahren liebte er ein junges Mädchen, das keine andere Mitgift besaß, als ein liebenswürdiges Naturell und ein treffliches Herz. Die Vermählung war bis zum Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit verschoben worden; jetzt schienen die ganz veränderten Verhältnisse einen neuen Aufschub zu gebieten. In den Augen[151] der Welt mochte es für Leichtsinn gelten, in einer so prekären Lage einen Hausstand zu gründen. Feuchtersleben aber hielt dieses Wagnis für ungleich weniger bedenklich, als den Bruch, der im Innern eines Menschen entsteht, wenn er die Lösung eines gegebenen Wortes von den Umständen abhängig macht. Seiner selbst und des Opfermutes der Geliebten gewiß, heiratete er seine Helene. Das junge Paar hatte schlimme Zeiten zu überdauern. Von den Schwierigkeiten, mit denen ein angehender Arzt zu kämpfen hat, blieb Feuchtersleben keine erlassen. Um sein unzulängliches Einkommen zu vermehren, begann er für medizinische und belletristische Zeitschriften zu arbeiten. Seine Aufsätze fanden in den literarischen Kreisen die verdiente Würdigung. Ins größere Publikum konnten sie nicht dringen, denn dieses, von Bäuerles Theater-Zeitung und Saphirs »Humorist« vollauf befriedigt, ließ die wenigen Journale, die eine ernstere Richtung verfolgten, ungelesen. Andere Gründe machen es begreiflich, daß Feuchterslebens im Jahre 1836 erschienene Gedichte trotz ihrer ungewöhnlichen Bedeutung geringer Teilnahme begegneten. Das treffendste Urteil über sie hat Grillparzer gefällt, als er sagte: »Das Reflektive und Gnomische, das in diesen Gedichten vorherrscht, ist zwar nicht die Poesie, aber es ist auch Poesie.«

Wenn Feuchterslebens Gedichten die verdiente[152] Beachtung nicht wurde, so fand dagegen sein nächstfolgendes Werk: »Zur Diätetik der Seele«, eine Aufnahme, welche alle Erwartungen des Verfassers übertraf. Mit diesem Buche gelang es ihm, auch in weiteren Kreisen Interesse für die Fragen zu erwecken, deren Beantwortung darüber entscheidet, ob Freiheit oder Sklaverei des Menschen inneres Los. Energisch vertritt es das ewige Recht des Geistes gegen die despotischen Anmaßungen der Materie. Sein Grundgedanke ist die dem menschlichen Willen innewohnende Wunderkraft, sein Dogma die Oberherrlichkeit der Erkenntnis über alle sinnlichen Affekte, sein Zweck die Beweisführung, daß die Gesundheit der Seele die unerläßliche Bedingung alles physischen Wohlseins ist. Abgesehen von seinem großen ethischen Wert, erhielt das Buch durch den Umstand, daß sein Verfasser praktischer Arzt war, auch noch den Reiz des Pikanten. Ein Arzt, der, ohne auf mystische Irrwege abzuschweifen, dem Walten eines starken und reinen Willens eine größere Heilkraft zuschrieb als allen medizinischen Mitteln, der in einer wahren Sittlichkeit (worunter freilich etwas anderes zu verstehen ist, als was am Teetisch dafür gilt) die sicherste Prophylaktik gegen das ganze Heer von Krankheiten erblickte – war es nicht seltsam? Die Leute schüttelten verwundert die Köpfe und griffen mit um so größerer Neugier nach dem Buche. Feuchterslebens schriftstellerischer Ruf datiert[153] von diesem Buche her, das seitdem eine ungewöhnlich große Zahl von Auflagen erlebte. Ihm reihten sich in rascher Folge verschiedene Arbeiten an, aus denen ich, mit Übergehung der medizinischen Schriften, die »Lebensblätter«, die »Beiträge zur Literatur, Kunst und Lebenstheorie« und die »Confessionen« besonders hervorhebe. Die erstgenannten Bücher bestehen aus längeren und kürzeren Aufsätzen, zum Teil kritischen Inhalts, die, früher in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt, nun gesammelt erschienen. Die »Confessionen« sind mehr als Bruchstücke eines Lebens, wie der Verfasser sie nennt; in ihnen sind die Resultate niedergelegt, zu denen ein Geist gelangte, der in allem Irdischen stets nur den Stoff erblickte, an dem das Göttliche sich zu bewähren hat. Sein Bestreben war, die Philosophie ihrer krausen Formeln zu entkleiden und sie als praktische Lebensweisheit jedem Denkfähigen zugänglich zu machen. In der lichtvollen Klarheit seines Innern, vielleicht mehr noch in der liebevollen Humanität, die der vorherrschendste Zug seines Wesens war, fand er das dazu nötige Rüstzeug. Nicht um den Aufbau eines stolzen Lehrgebäudes war es ihm zu tun, sondern um die innere Erhebung und Förderung, die er anderen bringen konnte, indem er ihnen das Reich befreiender Gedanken erschloß. Von nicht geringerer Bedeutung sind seine kritischen Aufsätze; in tiefsinnig erschöpfender Weise behandeln sie ihren[154] Gegenstand. Fast nie beschränkt Feuchtersleben sich auf die Kritik des einzelnen Werkes, des einzelnen Schriftstellers; beide sind ihm der Ausdruck eines Gesamtzustandes, und diesen hat er im Auge, wenn er sie bespricht. Von seinem geliebten Österreich, meint er, werde eine bessere Zukunft ausgehen. »Wenn überhaupt«, so lauten seine Worte, »eine Wiedergeburt der deutschen Dichtkunst bevorsteht, muß man sich diese von Österreich verheißen. Hier war es, wo Lessings gesunde Pflanzungen in der Josephinischen Epoche für die Dauer Wurzeln schlugen; hier gilt der klare Menschensinn, hier ist Volksgefühl für poetisches Leben und lebendige Poesie.«

Mit der Verbreitung seines schriftstellerischen Rufes ging die seines ärztlichen Ansehens Hand in Hand. Mochten auch manche seiner Berufsgenossen ihn einen idealistischen Schwärmer nennen, das Publikum fühlte mit richtigem Instinkt, daß man, um den Menschen zu heilen, ihn in seiner Totalität auffassen, die Wirkung der Seele auf den Körper ebenso in Rechnung bringen müsse, wie den Einfluß, den dieser auf sie ausübt. Feuchtersleben ward ein vielgesuchter Arzt. Auch andere Beweise von Anerkennung blieben nicht aus: die Gesellschaft der Wiener Ärzte ernannte ihn zu ihrem Sekretär; bald nachher ward er Dekan der medizinischen Fakultät und Vizedirektor der medizinisch-chirurgischen Studien. Vor allem war seine[155] akademische Lehrtätigkeit eine Reihe von glänzenden Erfolgen. Als Feuchtersleben im Jahre 1844 Vorlesungen über ärztliche Seelenkunde hielt, war der Zudrang so groß, daß diejenigen seiner Kollegen, welche zur gleichen Stunde mit ihm lasen, eine andere Stundeneinteilung verlangten, um ihre Hörsäle nicht ganz verödet zu sehen. Das Ziel seiner Wünsche schien erreicht: ein großer Wirkungskreis war ihm eröffnet; die Überzeugungen, für die er kämpfte, gewannen immer mehr Boden; er sah sein Streben gewürdigt, und auch die materielle Sorge, mit der er lange genug hatte ringen müssen, war beseitigt. Ohne Zweifel war dieser Zeitabschnitt der glücklichste seines Lebens.

So stand es mit Feuchterslebens inneren und äußeren Verhältnissen, als die Ereignisse des Jahres 1848 neue Wandlungen herbeiführten. Er begriff die Notwendigkeit dieser Bewegung. Wenn auch, nach seiner Ansicht, fortschreitende Bildung und sittliche Kräftigung sicherer zur Freiheit führten als alle revolutionären Siege, täuschte er sich doch nicht darüber, daß der Absolutismus einer solchen Hebung des Volksgeistes immer entgegenarbeiten werde. Dies sah er ein und handelte danach.

Mit rascher Tatkraft ergriff er die Gelegenheit, die ihm jetzt geboten war, seine großen Zwecke zu fördern. Schon früher hatte er auf eine Reform der Universität gedrungen, jetzt trat er mit einem Antrag[156] auf Lehr- und Lernfreiheit hervor. Im Laufe des Sommers 1848 wurde ihm das Ministerium des Unterrichts angeboten. Jedem persönlichen Ehrgeiz fremd, lehnte er es ab: er wollte das Gelingen seiner Pläne nicht von den Schwankungen abhängig machen, denen die Ministerien damals Tag für Tag ausgesetzt waren. Bereitwillig nahm er dagegen das Amt eines Unter-Staatssekretärs an. In dieser Stellung hoffte er eine gründliche Verbesserung des Unterrichtswesens in Österreich durchzuführen. Die Ideen, die ihn leiteten, hat er in einer Denkschrift: »Über das neue Ministerium des Unterrichts« ausgesprochen. Das Resumee derselben ist: Befreiung der Volksschulen von der bisherigen Bevormundung, Vereinfachung des Systems der Mittelschulen durch möglichste Verschmelzung der Real- und Idealbildung, Vermehrung der Universitäten und volle Selbständigkeit des Universitätslebens.

Es liegt auf der Hand, daß solche Reformen nicht unternommen werden konnten, ohne zahllose Privatinteressen zu verletzen. Die einen fühlten sich in ihrem Dünkel gekränkt, andere wollten Vorteile, in deren rechtmäßigen Besitz sie sich glaubten, nicht aus den Händen geben, die Anhänger des Schlendrians bekreuzten sich vor so bedenklichen Neuerungen. Ein grimmiger, wenn auch noch unterdrückter Haß bemächtigte sich der Gemüter; im stillen bildete sich gegen[157] Feuchtersleben eine Partei, die nur auf die Gelegenheit wartete, ihn zu verderben. Ohne Zweifel wußte er darum; es hinderte ihn nicht, seine Pflicht zu erfüllen.

Die Oktoberereignisse unterbrachen seine Tätigkeit. Er verließ Wien, wo seine Gegenwart doch vollkommen nutzlos gewesen wäre, und begab sich zur Herstellung seiner sehr erschütterten Gesundheit nach Aussee. Dort schrieb er am 15. Oktober sein letztes Gedicht. Es atmet die schmerzliche Resignation eines Geistes, der die Hilfe, die er so gerne brächte, von Beschränktheit und Verblendung zurückgewiesen sieht. Ihm blieb nichts als der Trost, Keime ausgestreut zu haben, die in späteren Tagen vielleicht reifen sollten. Daß aber in den Zeiten, die vorerst kommen mußten, kein Boden für ihn sei, erkannte er so klar, als hätte es sich um das Schicksal eines anderen gehandelt. Noch während seines Aufenthaltes in Aussee verlangte und erhielt er seine Entlassung aus dem Staatsdienst.

Im Spätherbst kehrte er nach Wien zurück, leidend, schweren Herzens, aber dennoch entschlossen, nicht von seinem Werke zu lassen. Die Ereignisse, die seiner Tätigkeit als Staatsdiener ein Ziel gesetzt hatten, schienen ihm kein Grund, auf Tätigkeit überhaupt zu verzichten. Im Gegenteil mochte er es jetzt mehr als je für seine Pflicht halten, durch sein Wirken als akademischer Lehrer, als Vizedirektor der medizinischen Studien, seine Aufgabe wenigstens teilweise zu fördern.[158] Auch diese Hoffnung erwies sich als ein schöner Traum. Kaum schickte Feuchtersleben sich an, seine Stelle wieder anzutreten, als der Haß, den die von ihm angebahnten Reformen ihm zugezogen hatten, sich auf sein Haupt entlud. In einer Eingabe an das Ministerium protestierten die Universitätsprofessoren gegen seinen Wiedereintritt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre höchsten Ortes dieser Protest unberücksichtigt geblieben. »Ihr Mann hat zwar nur kurze Zeit gedient, aber er hat Großes geleistet!« Mit diesen Worten bewilligte der Kaiser später der Witwe eine auf keinen positiven Rechtsanspruch begründete Pension. Feuchtersleben kam jedoch der Entscheidung durch eine freiwillige Verzichtleistung zuvor. Wie hätte er, dem es stets nur um die Sache, nie um sich selbst zu tun war, in einer Stellung verharren mögen, in der die Gehässigkeit seiner Kollegen jede seiner Maßregeln durchkreuzt und vereitelt hätte? In seinen Tagebüchern finde ich folgende, ihn charakterisierende Stelle: »Ich bin für keine Aufgabe des Streites gemacht. Ich kann mich nur dann entwickeln und zeigen, kann nur dann wirken, wenn man mir vertraut.« So ward diese seltene geistige Kraft brachgelegt. Klaglos ertrug er diesen Schmerz, aber wie tief er das ihm widerfahrene Unrecht empfand, erhellt schon daraus, daß er, dem bis dahin eine heitere Geselligkeit Bedürfnis gewesen war, sich jetzt in eine fast unnahbare Einsamkeit zurückzog.[159] Seine treffliche Gattin und sein Jugendfreund Dr. Romeo Seligmann waren die einzigen Menschen, mit denen er noch verkehrte. Im Laufe des Winters zeigten sich die ersten Symptome der Krankheit, der er erliegen sollte. Man tut seinen Gegnern zu viel Ehre an, wenn man sie beschuldigt, durch ihre Verfolgungen seinen Tod verursacht zu haben; ein Mensch wie er stirbt nicht an dergleichen. Rastlose Anstrengungen hatten Feuchterslebens von jeher zarte Gesundheit längst unterwühlt – er war reif für das Grab und die Ewigkeit. Seine Feinde mögen sich mit dem Triumph begnügen, sein Ende vielleicht beschleunigt, jedenfalls seine letzten Tage verbittert zu haben.

Nach viermonatlichem Krankenlager starb Feuchtersleben am 3. September 1849. Seine letzten Worte waren: »Ich gehe fort – auf einen helleren Stern!«

Quelle:
Betty Paoli: Gesammelte Aufsätze. Wien 1908, S. 147-160.
Erstdruck in: Neue Freie Presse, Wien, Nr. 938 vom 11. April 1867.
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