Kosakisches Wiegenlied

[100] Nach Lermontoff.


Daß der Schlaf dich weich umschmiege

Lulle ich dich ein;

Silberhell auf deine Wiege

Fällt des Mondes Schein.

Mit Gesang, mit Märchensagen

Bring' ich dich zur Ruh'

Und mit lieblichem Behagen

Schließt dein Aug' sich zu.

Wo der Terek über Steine

Jähen Laufes braust,

Lauert der Tscherkesse seine

Schaschka in der Faust.

Doch wir wollen ihn nicht scheuen,

Denn dein Vater wacht,

Der aus jedem Kampf sich neuen

Siegesruhm gebracht,

Und auch du wirst einstens ringen

Auf der gleichen Bahn,

Freudig auf dein Roß dich schwingen

Waffenangethan.

Sticken will mit Fäden Goldes

Ich des Sattels Saum –

Schlummre du mein Kind, mein holdes!

Träume süßen Traum.

Echt und treu wird sich bewähren

Dein kosakisch Herz,

Nach Gefahr und Sieg begehren

Trotz der Mutter Schmerz![101]

Scheidend winkt mir deine Rechte

Und es ist gethan!

Welche Tage, welche Nächte

Harren meiner dann!

Bis du wieder einst geborgen

Heimkehrst aus der Schlacht,

Werd' ich Tags um dich mich sorgen,

Grämen mich bei Nacht!

Schlummre sanft, da du zur Stunde

Noch nicht ahnst und weißt,

Daß nur Kampf und Wund' um Wunde,

Was man Leben heißt.

Schenken will ich, dich zu wahren

Dir dies Heil'genbild;

In Bedrängnis und Gefahren

Dien' es dir als Schild!

Gottes bist du! seinen Wegen

Folg in Nacht und Licht!

Halt an deiner Mutter Segen, –

Er verläßt dich nicht!

Ihn ruf an, wenn schon im Schwunge

Dir der Mordstrahl dräut, –

Schlumm're, du mein süßer Junge!

Noch ist's nicht so weit!

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 100-102.
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