Von Schimpff und Ernst das 120.

[82] Einer küsset eins Fürsten Dochter.


Es bewert Valerius Maximus, das ein Richter auch me geneigt sol sein zů Gütikeit dan zů Hertikeit. Das bewert er durch ein Exempel von Filacarto, der da was ein Fürst zů Athenis, der het gar ein schöne Dochter. Da was ein Gesel, der ward des Fürsten Dochter so hold und gewan sie so lieb, das er kein Růw het, und wan er sie sehen mocht, so was[82] im wol. Es fügt sich uff einmal, das die Dochter mit der Fürstin, irer Müter in die Kirch wolt gon. Da was der jung Gesel auch uff derselbigen Straß ungeferdt, und da mocht er sich nit enthalten und lieff zů ir, und vor aller Welt fiel er ir umb den Hals und küsset sie. Die gůt Dochter fieng an und weint, und die Fürstin, ir Müter, hieß den Gesellen fahen und ließ in in den Thurn füren, und morgens ließ man den Gesellen für den Fürsten bringen.

Der Fürst ward fast zornig und sprach zů im, er het im sein Dochter geschmecht vor aller Welt. Der jung Gesel sprach, er begert der Dochter weder zů Eren noch zů Uneren, er wüßt wol, das er ir nit Genoß wer; er het ein natürliche Liebe zů ir und zů allem irem Geschlecht. Der Fürst wolt in lassen richten von dem Leben zů dem Dot. Da sprach die Fürstin: ›O Her, wolten wir die döten, die unß lieb haben, was wolten dan wir denen thůn, die unß hassen!‹ Der Fürst ließ den jungen Gesellen gon und in Frid hinfaren.

Darumb sol ein Richter me geneiget sein zů Gütikeit dan zů Hertikeit. Darumb wan ein Urteil geteilt ist, als wan der Halbteil ein armen Menschen wil ledig lasen und der ander Halbteil wil in döten, so sol der Richter uff dem Stůl, an dem es stot ußzůsprechen, fallen lassen uff den miltern Teil. Wan es spricht Crisostimus: Es ist besser Got antwurten von zů vil Senfftmůtikeit wegen dan denen, dy zů vil hert sein. (Quia humanitatis dulcedo etiam effrenata barbarorum ingenia et crudeles hostium oculos emollivit. Hec Valerius etc.)

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Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 82-83.
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