Von Schimpff das 368.

[221] Der Künig gab seinen dreyen Sünen Öpffelschnitz.


Künnig Karolus von Franckreich het ein Gewonheit an im, das er alwegen nach dem Essen bleib über dem Tisch sitzen und aß ein Apffel den schelt er selber. Uff einmal da stůnden sein drei Sün vor im, da wolt er sie beweren, wie gehorsam sie weren, und riefft dem eltesten, der hieß Gobandus, und sprach: ›Kum zů mir und thů deinen Mund uff und empfahe ein Apffelschnitz von mir!‹ Gobandus sprach: ›Her, es wer mir ein Schand, solt ich ein Apfelschnitz von euch empfahen; ich kan wol selber ein Apffel essen.‹ Der Künig rieff dem andern Sun, der hieß Hononice, und sprach: ›Kum, empfahe den Apfelschnitz von mir in deinen Mund!‹ Hononice sprach: ›Ir sein mein Her Vatter, ir mögen mit mir machen, was ir wöllen. Ich sol euch billich gehorsam sein.‹ Und gieng zů im und knüwet nider und empfieng den Apffelschnitz in seinen Mund. Da sprach der Künig: ›Ich mach dich zů einem Künig in Franckreich‹, und rieff den dritten Sun, der hieß Lotharius, und sprach: ›Kum und empfah den Apffelschnitz!‹ Lotharius thet es. Der Künig sprach: ›Ich setz dich zů einem Hertzogen in Lotringen.‹ Da Gobandus das sahe, da gieng er zů dem Vatter und sprach: ›Her, ich thůn meinen Mund auch uff. Geben mir auch einen Apffelschnitz!‹ Der Künig sprach: ›Du bist zů spat kumen. Ich geb dir weder Öpffelschnitz noch Land noch Lüt.‹ Und ist darnach ein Sprichwort worden in Franckreich: ›Gobande, du hast zů spat uffgegienet.‹

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 221.
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