Von dem bittern Ernst das 388.

[231] Die in Saxen tantzten ein Iar.


Zů den Zeiten Keiser Henrichs des andern in seinem zehenden Iar ist ein Dorff in Saxen, da hat sich ein jämerlich Sach begeben. In demselben Dorff ist Sanctus Magnus Patron, in derselben Kirchen was ein Priester, der hieß Ropertus. In der Weihennacht, da er die erst Meß zů Mitternacht anfieng zů singen, da fiengen 18 Personen auch an zů singen und zů dantzen uff dem Kirchhoff, Frawen und Man. Und einer hieß Othbertus, der het das Spil zůgericht, und irten den Priester ob dem altar, und er entbot inen, sie solten uffhören schreien; aber sie wolten es nit thůn. Da sprach der Priester: ›Nun wöl Got und Sanctus Magnus, das ir ein gantz Iar dantzen müsen!‹ Der Flůch kam sie an, und kunten nit me uffhören dantzen. Der Priester het auch ein Dochter da dantzen. Ir Brůder lieff hinzů und erwust sein Schwester bei einem Arm und wolt sie von dem Dantz reissen, da zert er ir ein Arm von dem Leib on Blůt. Und dantzten die 18 Personen und sungen darzů ein gantz Iar, on Essen und Trincken und on Schlaffen, und kam kein Regen uff sie noch kein Schne. Und dantzten ein Grůb, die inen bis an den Gürtel gieng; sie wurden nit müd, ire Kleider und ire Schůh namen nit ab; das Dantzen triben sie ein gantz Iar. Da nun das Iar herumbkam, da kam ein Bischoff von Köln dar, der hieß Herebertus, und absolvieret sie von dem Bann, das sie die Hend von einander gon liessen, und fůrt sie in die Kirchen für Sant Mangen Altar und absolviert sie von iren Sünden. Die Dochter des Priesters mit zweien andern Frawen sturben gleich, die andern entschlieffen und schlieffen drei Nächt und zwen Tag. Etlich sturben und theten Zeichen; wan sie fast grosen Rüwen hetten für ire Sünd und dantzten wie halbdotten Menschen. Und die, die lebendig bliben, die giengen in dem Land hin und her und zitterten mit dem Kopff und mit den andern Glidern.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 231-232.
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