Prophezeiung.

[86] Gott ist's, – so sagtest du mir, Mutter, –

Der nächtlich unsre Träume schmückt,

Damit im Traum, wie durch ein Fenster,

Das Bild der Zukunft man erblickt.


Nun träumte mir. Erkläre, Mutter

Mir, was bedeutet wohl mein Traum?

Mir wuchsen Schwingen, da durchflog ich

Die Luft, – ein Ende nahm es kaum!


»Mein Kind, der Traum bedeutet Gutes,

Ein froh Verheißen schließt er ein:

Er kündet dir ein langes Leben,

Und Glück wird dir beschieden sein!« ...


Der Knabe wuchs heran, und Flammen

Durchglühten bald des Jünglings Brust,

Und drohten die ihn zu verzehren,

Das Lied war Balsam ihm und Lust.


Die Laute schließt er in die Arme,

Die alles, was sein Herz bewegt,

Auf goldnen Flügeln des Gesanges

Hinaus in alle Welten trägt.


Gen Himmel flogen seine Lieder,

Sie holten ihm des Ruhmes Glanz,

Und wanden aus der Sonne Strahlen

Ihm um die Stirn' den Dichterkranz.


Doch ist der Honigseim des Liedes

Ein Gift von tötender Gewalt,

Und jedes Lied, mit einem Tage

Des eignen Lebens wird's bezahlt!
[87]

Zur Höllenglut ward ihm die Flamme

Und als ihr Opfer sank er hin,

Wir sehn am Baume seines Lebens

Das letzte Zweiglein still verblühn! ...


Nun liegt er auf dem Sterbebette.

Bald ist's vorbei! – Die Mutter steht

Vor ihm, mit Tränen in den Augen,

Durchwühlt von Gram; sie klagt und fleht:


»O Tod! Du willst ihn mir entreißen –

Nur ein mal gib dem Mitleid Raum!

Gott selbst verhieß ihm langes Leben,

Und kann denn lügen auch ein Traum?«


»Die Träume, Mutter, lügen nimmer, –

Denn, wenn man jetzt mich auch begräbt,

Dein Sohn zählt niemals zu den Toten,

Weil ruhmbeglänzt sein Name lebt!«

Quelle:
Petöfi, Alexander: Poetische Werke in sechs Bänden. Bd. 3, Wien, Leipzig 1910, S. 86-88.
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