XV.

[60] Zur Stelle hin, wohin mich Amor lenket,

Muß sich mein Lied, das schmerzenvolle, wenden,

Das folgsam sich betrübtem Geist' ergeben.

Womit soll es beginnen? womit enden?

Er, der mit mir mein Leiden überdenket,

Kann nicht mit dunklem Wort die Zweifel heben.

Doch will ich, was von meinem Jammerleben

Mit eigner Hand er mir in's Herz gegraben,

Was ich so gern mir wiederhohl', erzählen,

Weil Qualen minder quälen

Und unsre Seufzer Waffenruhe haben,

Wenn wir sie nicht verhehlen.

Drum wißt, was auch dem Auge mag erscheinen,

Doch seh' ich stets die Reize nur der Einen.


Jetzt, da mich meines Schicksals ernster Wille,

Des stolzen, unerbittlichen und kalten,

Von meinem größern Gut auf Erden scheidet,

Kann die Erinn'rung nur mich aufrecht halten.

Drum, wenn die Erd' in jugendlicher Fülle

Von neuem sich mit frischem Grün bekleidet,

Seh' ich, wie einst an ihm ich mich geweidet,

Das Mägdlein, nun zum holden Weib' entfaltet.

Wann sengend drauf empor die Sonne steiget,

Das heiße Jahr dann gleichet

Der Liebe Gluth, so durch die Herzen waltet.

Doch wenn das Jahr sich neiget[60]

Und drob die Tage, die verkürzten, klagen,

Seh' ich gelangt sie zu den reifern Tagen.


Zur Zeit, wo bessre Sterne Kraft gewinnen,

Die Kält entfliehet vor des Westes Hauche,

Wenn Blatt und Veilchen sich der Knosp' entrungen,

Hab' ich das Grün, die Veilchen, nur im Auge,

Mit denen einst, bey meines Kriegs Beginnen,

Amor bewehrt mich so, wie jetzt, bezwungen,

Und jene Rinde, die so hold umrungen

Den süßen Leib, die kindlich zarten Glieder,

Wo seinen Sitz der edle Geist genommen,

Vor dem mir unvollkommen

Das Beßt' erscheint. – So denk' ich immer wieder

Der Demuthvollen, Frommen,

Der Knospe, vor den Jahren aufgeblühet,

Von der mein Weh entstand, vor der es fliehet.


Seh' zarten Schnee ich fern auf Bergen leuchten

Im Mittagsstrahl, dann, wie dem Sonnenlichte

Der Schnee, so muß der Lieb' ich unterliegen,

Denk' ich dem mehr als menschlichen Gesichte,

Deß Reize fernher meinen Blick befeuchten,

Doch nah ihn blenden und das Herz besiegen,

Wo zwischen weiß und goldner Farb', in Zügen,

Die nie verlöschen, Zauber mir sich zeigen,

So keines Andern Blick noch aufgegangen,

Und die mein Herz befangen,

Wenn unter Lächeln ihre Seufzer steigen,

Mit glühendem Verlangen,

Das jedem Wandel trotzt und nimmer endet,

Und das kein Winter löscht, kein Sommer wendet.
[61]

So oft durch heitre Lüft' ich sahe flammen

Nach nächt'gem Guß der Wandelsterne Schimmer,

Wann über Thau und Schollen Lichter flogen,

Hatt' ich vor mir des holden Auges Flimmer,

So meines Lebens Bande hält zusammen,

Wie einst ich's sah vom Schleyer überzogen.

Und wie vor seinem Strahl des Himmels Bogen

Damahls erglänzte, seh' ich's noch getränket

In Thränen funkeln; drob die Gluth nicht weichet.

Wann früh die Sonne steiget,

Seh' ich das Licht, so Lieb' ins Herz mir senket,

Und wann sie spät sich neiget,

Seh' ich es fort zu anderm Orte fliegen,

Im Dunkel lassend den, dem es entstiegen. –


Wenn weiße Rosen irgendwo mit rothen

In goldnen Aeschen bey einander stehen,

Von jungfräulichen Händen zart gepfleget,

Meyn' ich ihr lieblich Angesicht zu sehen,

So alle andre Wunder überbothen

Mit drey Vortrefflichkeiten, die es heget:

Ein blond Gelock, um einen Hals geleget,

Vor dem die Milch selbst ihren Glanz verlieret,

Und Wangen, die in süße Gluth sich tauchen.

Doch wenn des Westes Hauchen

Vorüber weiß' und gelbe Blüthen führet,

Hab' ich den Ort vor Augen

Und jenen Tag, da flatternd ich erkannte

Die goldnen Locken und so schnell entbrannte.


Als wollt' ich nennen all' der Sterne Zahlen,

In klein Gefäß das Meer zusammenschichten,

So möcht' es seyn, wollt' ich auf enger Seite[62]

Noch weiter so nach Herzenslust berichten,

Wie sie, der Frauen Blüth', in tausend Strahlen

Selbstständig links und rechts ihr Licht verbreite,

Auf daß hinweg von ihr ich nimmer schreite.

Nie thät' ich's auch. Und ob ich schon entflöhe,

Doch säh' ich allerwärts mich abgeschnitten,

Weil ich auf allen Tritten,

Mir zum Verderben, sie vor Augen sähe.

So folgt sie meinen Schritten,

Daß keine Andr' ich seh', noch sehen möchte,

Noch andern Nahmens seufzend je gedächte.


Du weißt, Canzone, daß die reichste Sprache

Schwach für der Liebe heimlich – süße Wonnen,

Die mir das Herz so Tag als Nacht durchbeben,

Von deren Schutz umgeben

Dem langen Kampf ich sonder Fahr entronnen.

In Thränen wär' mein Leben

Ob meines Herzens Ferne längst verglommen;

Von dorther nur hab' Aufschub ich bekommen.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 60-63.
Lizenz:
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