XXII.

[83] Was soll ich thun? was, Amor, nun beginnen?

Vom Leben sollt' ich fliehen,

Und länger weilt' ich, als ich wollt', hienieden.

Madonna starb und nahm mein Herz von hinnen,

Und will ich mit ihr ziehen,

Muß enden ich dies Leben sonder Frieden,

Da nimmer mir's beschieden,

Sie hier zu sehn, und Harren nur bringt Leiden!

Seit alle meine Freuden

In Thränen mir bey ihrem Tod' zerrannen,

Zog jeder Reiz des Lebens mir von dannen.


Amor, du fühlst, – drum will mit dir ich trauern –

Wie solch Entbehren drücke!

Ich weiß, es geht mein Jammer dir zu Herzen,

Unsrer vielmehr! An einer Klippe Mauern

Ging unser Schiff in Stücke,

Zu gleicher Zeit erloschen unsre Kerzen.

Nie könnte meine Schmerzen

Schildern mit Wahrheit Einsicht oder Rede!

Ach, Welt! verwaist und schnöde!

Wohl wirst du lange mit mir klagen müssen,

Daß solcher Schmuck in ihr dir ward entrissen.
[83]

Dein Ruhm ist hin; doch bleibt es dir verhohlen.

Du warst, eh' sie entschwunden

Aus diesem Thal, nicht werth, von ihr zu hören,

Nicht werth des Trittes ihrer heil'gen Sohlen.

Denn, was so schön erfunden,

Den Himmel muß mit seinem Glanz es ehren.

Doch soll ich sie entbehren,

Ist's Leben mir, bin ich mir selbst zuwider.

Drum seufz' ich: »Kehre wieder!« –

Das blieb allein mir noch von all' dem Glücke,

Das einzig hält im Leben mich zurücke.


In Staub zerfielen ach! die holden Wangen,

Die von des Himmels Wonnen

Und seinem Reichthum Zeugniß uns gegeben!

Das Paradies hält ihre Seel' umfangen.

Der Schleyer ist zerronnen,

Der hier umschattete ihr Blüthenleben,

Um neu sich zu umweben

Mit ihm dereinst und nie ihn abzulegen,

Alsdann, wann sie entgegen

So schöner uns, so herrlicher wird blühen,

Als ew'ge Schönheit irdscher vorzuziehen.


Liebreizender als je und leichtern Schwebens

Tritt sie mir an die Seite;

Denn da weiß sie willkommen sich vor Allen.

Das ist die eine Säule meines Lebens.

Ihr Nahme ist die zweyte,

Deß Laute süß im Herzen wiederhallen.

Doch wenn mir beygefallen,

Daß doch der Tod nun mein lebend'ges Hoffen

Grad' in der Blüth' getroffen,[84]

Dann weißt du, Amor, was ich hoff' und werde,

Und sie auch seh's, entrückt dem Schein der Erde.


Die ihr einst ihre Schönheit konntet schauen

Wie engelgleich hienieden

Sie wandelte, mit Himmelglanz umwoben,

Mir schenket euer Mitleid, holde Frauen,

Nicht ihr, die solchen Frieden

Erworben, mich zum Kampfe aufgehoben

So daß, wenn jener droben

Auf lang den Weg ihr nach mir abgeschnitten,

Allein noch Amors Bitten

Mich hält, daß ich den Knoten nicht zerreiße.

Doch dieser spricht zu mir in solcher Weise:


»Bewältige den Schmerz, der dich umnachtet;

Denn unbezähmter Wille

Sieht sich dem Himmel, den du suchst, entrücket,

Wo sie am Leben, die für todt geachtet,

Wo ihrer schönen Hülle

Sie lächelt und nach dir nur seufzend blicket.

Ihr Ruhm auch, den, entzücket

Durch deine Lieder, viel der Land' erheben,

Fleht: Laß mich länger leben!

Dein Wort erstark' an ihres Nahmens Feyer,

War je ihr Auge süß dir oder theuer!« –


Flieh' Mayenlust und Kränze,

Canzone, flieh, wo Singen ist und Scherzen!

Doch weile gern bey Schmerzen!

Verschlossen bleibe dir der Kreis der Freude,

Trostlose Witwe du in schwarzem Kleide.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 83-85.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Canzoniere
Canzoniere - Eine Auswahl (Italienisch/Deutsch)
Canzoniere: 50 Gedichte mit Kommentar. Ital. /Dt.
Canzoniere. Zweisprachige Gesamtausgabe.
Canzoniere
Canzoniere /Triumphe /Verstreute Gedichte: Ital. /Dt.

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon